Róisín Murphy – „The plan is always: work hard, play hard“

Róisín Murphy – „The plan is always: work hard, play hard“ / Foto: Nik Pate

Ihre Karriere begann die gebürtige Irin bereits Mitte der 90er-Jahre, damals als Sängerin der experimentellen Electronica-Band Moloko. Gemeinsam mit Mark Brydon veröffentlichte sie vier Studioalben und landete Welthits wie „Sing It Back“ und „Time Is Now“. Als sich die Band 2004 auflöste, setzte sie zur Solokarriere an, die nicht weniger erfolgreich werden sollte. Am 8. September erscheint das mit Spannung erwartete neue Studioalbum, das von niemand Geringerem als DJ Koze produziert wurde, auf dem legendären Imprint Ninja Tune. Mit „Hit Parade“ setzt Róisín Murphy ihre 30-jährige Karriere fort und liefert damit abermals den Beweis dafür ab, wie galant sie immer wieder ihren Stil mit aktuellem Zeitgeist zu paaren weiß.

In ihrer facettenreichen und fabelhaft unberechenbaren Solokarriere hat Murphy fünf von Kritiker*innen frenetisch gefeierte Alben herausgebracht, unzählige EPs und Singles veröffentlicht und mit Künstler*innen wie David Byrne, Maurice Fulton, Andy Cato von Groove Armada, Matthew Herbert, DJ Parrot, David Morales und vielen anderen zusammengearbeitet. Hinzu kommen zahlreiche atemberaubende Fashion-Kollaborationen mit Vivienne Westwood, Chanel, Gucci, Alexandre Vauthier, Valentino, Bvlgari, Hermes, Max Mar, Armani und vielen mehr. Eine Podcast-Serie und eine Schauspielrolle in der Netflix-Serie „The Bastard Son & The Devil Himself“ sind ebenfalls Teil ihrer beeindruckenden Karriere. Mit dem neuen Werk reiht sich aller Voraussicht nach das nächste Meisterwerk in ihre Diskografie: „DJ Koze und ich arbeiteten über Jahre hinweg aus der Ferne, in verschiedenen Ländern, und schickten uns immer wieder Tracks und Ideen hin und her. Ich gehe immer mit Offenheit und Lernbereitschaft an eine neue Zusammenarbeit heran, und nie war das so wichtig wie bei dieser. Denn in diesem Fall war das Studio quasi imaginär, im Luftraum zwischen Hamburg und London. Das bedeutete, dass wir beide jeweils an einem persönlichen, privaten Ort an den Songs schraubten. Für mich brachte dieser Umstand eine intimere Herangehensweise an das Songwriting mit sich. Ich konnte mich vollends öffnen und für Koze bedeutete das totale Freiheit und absolute Konzentration ohne die Ablenkung durch meine Anwesenheit. Auch er tauchte tief in das Projekt ein. Und ich glaube, deshalb ist das Ergebnis so lebendig und dynamisch. Das Album explodiert geradezu vor Farbe!“

Entstanden ist die Zusammenarbeit auf Anfrage von Koze selbst, die Murphy um ihre Mithilfe bei seinem aktuellen Album „Knock Knock“ bat: „Am Ende habe ich zwei Songs zum Album beigetragen. Es lief so gut, dass er mich fragte, ob wir einfach weitermachen können. Wir arbeiteten einige Jahre lang getrennt voneinander und spielten quasi mit diesem Projekt wie mit einem Hobby.“ Das Ergebnis ist ein Mix aus warmen Hip-Hop-Klängen, verspielter Psychedelik und eleganten, gefühlvollen Grooves – und allgemein ein äußerst fröhliches 13-Titel-Werk, auf dem es um Dinge geht wie Liebe und Sinnlichkeit, aber auch um die Musik selbst und darum, dass diese für Murphy immer präsent war: „Ich war in den letzten zehn Jahren extrem glücklich, sowohl privat als auch in Sachen Musik. So viel tolle Musik ist in mein Leben geflossen und ich wache fast jeden Tag dankbar dafür auf. Das ist wohl die Freude, die man auf dem Album hört. Aber natürlich gibt es auch hier Dunkelheit. Ich habe für mich wichtige Menschen verloren, die Welt hat sich verändert, die Zeit ist so flüchtig, und das erzeugt einen gewissen Unterton in den Songs. Es gibt eine Betrachtung der Sterblichkeit, die mich und vielleicht die Hörer*innen daran erinnern soll, wirklich zu leben, solange wir es können.“ Und auch wenn Murphy im Laufe ihrer Karriere schon immer eine sehr enge Verbindung zum elektronischen Genre hatte, fühlt es sich an, als würde sie mit dem neuen Album eine noch engere Verbundenheit eingehen: „Ich habe mich schon immer zu elektronischer Musik und generell zu Dancemusic hingezogen gefühlt, weil sie oft mutig und experimentell ist. Mein Ego will an der Spitze der Dinge stehen, denke ich. Jeder Songwriter, der mit DJ Koze zusammenarbeitet, muss sehr aufgeschlossen sein, denn es kann alles passieren und in alle Richtungen gehen. Ich glaube, Koze hat diese Offenheit bei mir gespürt und deshalb fühlte er sich wohl, mit mir zu arbeiten und vice versa.“

Und auch wenn die Irin im Laufe der Karriere schon auf den renommiertesten Labeln veröffentlicht hat, kollaboriert sie nun erstmals mit Ninja Tune, einem der bedeutendsten Label der Szene: „Ich liebe es, mit Leuten zu arbeiten, die hart arbeiten und wissen, wovon sie reden. Die Leute, die für Ninja arbeiten, glauben an Ninja, und das ist sehr wichtig. Das schafft einen Antrieb und einen Schub, den ich in dieser Intensität noch nie erlebt habe. Meine Herangehensweise an die Arbeit ist auch nach all den Jahren sehr unabhängig. Ich betrachte das Ganze als ein großes Abenteuer und bin immer bereit, neue Dinge auszuprobieren, um zu sehen, wie weit ich gehen kann.“ Nach umjubelten Sommer-Shows im Printworks in London, bei Boiler Room in Paris oder bei Festivals wie Melt, Bilbao BBK, North Sea Jazz und vielen anderen wird Róisín  Murphy im Rahmen ihrer Album-Tour für eine Reihe von Konzerten nach Nordamerika zurückkehren, u.a. ins Terminal 5 in New York, ins The Wiltern in Los Angeles und zum Portola Festival in San Francisco. In London gastiert sie im Frühjahr 2024 im Alexandra Palace. „Es ist so aufregend, zurück in die Staaten zu gehen, wo meine Fans mich schon erwarten. Bei den Shows in den USA habe ich immer das Gefühl, dass ich meinen ganzen Körper und meine Seele mitbringen muss, haha. Ich werde meine Musik zu ihrem Ursprung zurückbringen, und das kann überwältigend sein, aber es ist auch inspirierend.“ Pläne für danach gibt es ebenfalls schon, auch wenn sie diese noch für sich behält: „Es hat viele Jahre gedauert, bis dieses Album fertig war. Ich bin mir nicht sicher, wie ich mich nach der Tour fühlen werde. Ich habe andere Projekte im Hintergrund laufen, über die ich aktuell noch nicht sprechen kann. Aber ich bin mir sicher, dass sie an Schwung gewinnen werden und es auch für diese ein gewisses Momentum geben wird. Der Plan ist immer: work hard, play hard.“

Kein Wunder, dass Medien wie unter anderem die New York Times, Pitchfork, Vogue, GQ, W Magazine, Billboard, FADER, Dazed und KCRW ihre Live-Show in den höchsten Tönen lobten und besonders Róisín Murphys Fähigkeit, sich auch nach drei Jahrzehnten ständig weiterzuentwickeln – ein Spektakel für sich. Schon als sie in der irischen Stadt Arklow, ihrer Heimat, aufwuchs, schien die Musik Murphy zu rufen. Von dem Moment an, als sie im Alter von zehn Jahren die Kraft ihrer eigenen Stimme entdeckte, während sie den ewigen Show-Klassiker „Don’t Cry For Me, Argentina“ bei einem lokalen Poesie-Festival vortrug. Ihre Familie zog nach Manchester, und genau dort stürzte sich Murphy kopfüber in die Musikszene. Als ihre Eltern sich scheiden ließen und zurück nach Irland zogen, blieb sie in England und setzte alles auf eine Karte. Dabei war sie gerade erst 15 Jahre alt. Der Start einer einzigartigen Karriere, mit der sie zu einer der beeindruckendsten Persönlichkeiten der Musikszene avancierte.

Aus dem FAZEmag 139/09.2023
Text: Triple P
Foto: Nik Pate
www.instagram.com/roisinmurphyofficial