Romare – Liebe in Zeiten des Samplings

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Romare – Liebe in Zeiten des Samplings

Gefeiert als Underground-Neuentdeckung, hat der Brite Archie Fairhurst aka Romare nach zwei viel beachteten EPs und seinem vom DJ Magazine zum „Album oft the year“ gekürten Debütalbum „Projections“ mit dem zweiten Longplayer „Love Songs: Part Two“ knapp anderthalb Jahre später nachgelegt. Romares Songs finden sich auf Compilations von Größen wie Bonobo, Tiga und Gilles Peterson. Letzterer feierte ihn in seiner Radioshow, so auch Annie Mac und Steve Lamacq. Wir haben ihn gesprochen und festgestellt, dass er trotz der hohen Erwartungen und des Erfolgs ziemlich britisch gelassen und down to earth ist.

Guten Morgen! Wie geht’s dir?

Gut, ich trinke meinen Kaffee und war gestern bei einem Konzert mit traditioneller irischer Musik. Es war großartig und hat Erinnerungen daran geweckt, wie wir diese Musik bei uns zu Hause gespielt haben. Ich habe mit meinen Eltern in einer irischen Band gespielt, als ich jünger war, Gitarre und so. Das ist sehr schnelle Musik, ein Akkordeonspieler, ein Geigenspieler, Kontrabass und Gitarre.

Hat das auch etwas mit deiner eigenen Musik zu tun?

Ja, man kann definitiv Einflüsse irischer Musik in meiner hören. Meine Eltern haben eine Menge CDs und ich habe meinen Vater oft begleitet, Akkorde gespielt. Später habe ich auch in Bands Gitarre gespielt usw. Und heute füge ich meinen Songs bestimmte Akkorde hinzu.

Es scheint, als ob du Live-Performances magst.

Ich arbeite gerade an meinem Live-Set, das ganz neu ist. Keine voraufgenommenen Samples, nur die Vocals. Und ich arbeite mit einem Schlagzeuger zusammen und benutze dafür auch mehr Equipment. Ich möchte viel stärker ein Live-Instrument-Ding machen. Das Set ist ein Mix aus Digitalem und Analogem.

Du hast ja jetzt ein wenig mehr Zeit dafür, dein zweites Album ist nun fertig. Es kommt ziemlich fix nach dem ersten raus, gerade einmal anderthalb Jahre.

Mir werden die Songs oft schnell zu langweilig. Man muss so viel wie möglich an den Songs arbeiten, wenn und solange das Interesse da ist. Wenn es verblasst, muss man zum nächsten weiterziehen. „New Love“ habe ich in zwei Tagen fertig gemacht, ich bin da rangegangen wie an ein Live-Set. An einem Album zu arbeiten, bedeutet, die Songs in einen gewissen Raum zu packen, um sie nicht zu vergessen, und dann geht man weiter.

„Projections“ war dein erster Longplayer in deiner Collagen-Technik. Hast du denn beim zweiten Album etwas in deiner Produktionsweise geändert?

Ich habe diesmal mehr Instrumente benutzt, es war weniger Sampling und ich habe mehr Synths, Keyboard, Gitarre und Bass gespielt. Es gab Samples, die ich nicht benutzen konnte, weil sie z. B. zu eindeutig waren. Manchmal gibt es etwas, das ich benutzen möchte, aber es ist dann beispielsweise doch zu bekannt und erkennbar. Wenn man weniger Samples hat, gibt’s weniger Risiko. Aber ich wollte diesmal auch mehr selbst machen. Die Songs sind deutlich länger bzw. lang gezogen, sie dauern so um die sieben bis acht Minuten, sind repetitiver und heben sich auch dadurch vom ersten Album ab. Sie sind auch mehr vom DJing geformt, da ich mehr unterwegs war. Sie sind einfacher zu mixen als die „Projections“-Songs.

War das eine bewusste, absichtliche Entscheidung?

Es war eher unbewusst, weil ich es genossen habe, längere Breakdowns und mehr unvorhersehbare Wechsel zu haben. Plötzlich kommt eine Hi-Hat oder eine Snare und dann kommt der Bass usw. Alles baut sich zusammen auf, es ist insofern mehr an Dancemusik angelehnt, aber ich habe auch langsame Stücke gemacht.

„Projections“ war inspiriert von einer Ausstellung über deinen Namensgeber Romare Bearden und ihm gewidmet – diesmal geht es um Liebe?

Ich habe „Love Songs“ gewählt, weil es so viele davon gibt. Das Material zum Sampeln von Lyrics ist riesig, man hat eine unglaublich große Auswahl. Damit habe ich mir selbst ein einfaches Ding ausgesucht, mich thematisch also nicht besonders herausgefordert. „Projections“ ist mehr ein Statement der Sampling-Technik – „Love Songs“ ist mehr ein Statement für die Lyrics. Die Songtitel sind nach den Lyrics benannt. Die Tracktitel auf „Projections“ sind eine Ode an die Personen, die ich gesampelt habe, die „Love Songs“ an die Texte, so würdige ich die Samples. Ich habe nach der EP „Love Songs: Part One“ das Album nun „Part Two“ genannt, weil ich eine gewisse Chronologie halten wollte: Ich weiß, dass ich wohl noch etwas in die Richtung machen werde, weil es so viele Love Songs zum Sampeln gibt.

Hast du Lieblings-Love-Songs benutzt oder hast du nach eher unbekannten Stücken gesucht?

Ich habe meist sehr unbekannte, seltene oder nicht einfach zu bekommende Stücke verwendet. Ich habe einen Freund in Amsterdam, der viel Disco-Zeug sammelt, und er hat eine Kiste mit Platten aussortiert. 50 Stück, Sachen, die er doppelt hatte, die sehr cheesy sind oder an denen er sich schon sattgehört hatte. Ich habe so etwa 30 genommen. Von dieser Kiste habe ich ziemlich viel gesampelt. Da ist ziemlich viel cheesy holländisches Disco-Material dabei. Ich mag es, Samples zu entdecken und Dinge zu sampeln, an die ich in irgendeiner interessanten Weise komme, die eine Bedeutung für mich haben oder mich an etwas erinnern. Ich mag es zwar auch, bekannte Sachen zu sampeln, aber dann versuche ich, sie so stark wie möglich auseinanderzuschneiden und neu zu arrangieren. Das Seltene kann ich in längeren „Sätzen“ sprechen lassen. Ich wollte eine gute Mischung haben, so wie es auch in der Liebe ist.

Die Vocals sind auch alle gesampelt?

Ja, alle. Ich fühle mich dabei, als würde ich mit Musikern von vor 50, 60 Jahren zusammenarbeiten. Ich bin nicht mit ihnen in einem Raum, sondern durch die Aufnahme verbunden (lacht). Das ist ziemlich nice und ich habe mehr Kontrolle.

Könntest du dir vorstellen, im Studio mit einem Sänger oder einer Sängerin in persona zusammenzuarbeiten?

Nein, im Moment nicht. Ich habe das Gefühl, dass da noch so viel Musik fürs Sampling zu entdecken ist, beispielsweise in anderen Sprachen. Ich habe mal etwas mit afrikanischen Sprachen gemacht, aber das meiste ist noch auf Englisch.

Ein bisschen Französisch ist ja jetzt auf dem aktuellen Album.

Das stimmt. Ich habe mal in Paris gelebt, das ist wahrscheinlich eine kleine Hommage an die Stadt. Portugiesisch klingt gut, das würde ich gern mal machen. Deutsch ist auch cool.

Deutsch ist ein bisschen hart …
Es ist ziemlich direkt, ja. (lacht)

Kannst du uns ein paar der Stücke nennen, die du gesampelt hast?

Das muss ein Geheimnis bleiben, sorry (lacht). Es hat auch was mit Copyright-Belangen zu tun.

Einen Versuch war’s wert … (lacht)

Die gesampelten Künstler oder die an den Stücken Beteiligten sind wieder auf dem Albumcover zu finden, das ich erneut collagenartig selbst gestaltet habe. Das Cover ist im Negativ, weiß auf schwarz, aber vielleicht erkennt man ja trotzdem jemanden.

Siehst du eine Evolution deiner Musik darin, dass du dieses Mal die Samples in kleineren Bits benutzt und mehr eigene Musik eingespielt hast?

Könnte sein, ich wollte mehr Dancemusik machen, mehr für den Dancefloor. Und ich habe das Gefühl, dass ich wieder verstärkt Musik mit mehr Layern machen möchte und offener für Dinge sein möchte, wobei ich kein offensichtliches Sampling betreiben will. Ich freue mich schon auf die nächsten Dinge, aber erst einmal fokussiere ich mich auf das Live-Set. Ich kann das Tempo bestimmen, Vocal-Samples loopen, Dinge live verändern. Ich fühle mich wieder ein bisschen, als ob ich in einer Band wäre (lacht). Ein Live-Set hat etwas damit zu tun, die individuellen Instrumente zu sehen, wie sie ihre Rolle erfüllen und zusammenarbeiten. Bisher habe ich Synths gespielt, Vocal-Samples und ich hatte Effekte und Drums, aber es hing alles an meinem Computer, an dem Controller und einer Drum Machine. Jetzt sind die einzigen Samples die Vocals. Die kann ich jetzt neu erfinden, mein Zeug neu arrangieren. Und natürlich möchte ich, dass die Leute tanzen. Es ist zwar ähnlich zum DJing, aber komplett von mir orchestriert. Da ist das Element der Improvisation mit dem Schlagzeuger. Ich möchte es auch so belassen, nicht zu viel proben, das ist das Spannende daran. Jeder Gig soll anders sein, es ist jedes Mal neu, jedes Mal soll es so sein, dass man schaut, was passiert, wenn man dieses oder jenes macht. Ich arbeite außerdem auch mit einem interessanten Visualisten zusammen, der mich und den Drummer in 3D ins Video projizieren wird, abstrakt kombiniert mit Footage, das ich lange gesammelt habe und das dann abhängig von der Musik manipuliert wird. Ich bin schon aufgeregt, man lernt ziemlich viel dabei.

Du scheinst schon ein bisschen ein Sammler zu sein. Liegt es da nicht nahe, eigene Field Recordings zu machen?

Ich habe tatsächlich ziemlich viel aufgenommen, auch auf Reisen, aber noch nicht benutzt. Vielleicht mache ich mal ein selbst gesampeltes Release, sozusagen. Ich habe Taxifahrer aufgenommen, einen in Moskau, einen in Dublin. Das wär‘s. In 50 Jahren sind die Aufnahmen dann auch alt (lacht).

Aus dem FAZEmag 057
Text: Csilla Letay
www.ninjatune.net/artist/romare