Eine Erinnerung an einen Freizeitpark bei Paris, der für ein Kind so groß war wie eine ganze Stadt, in dem er jedoch nie gewesen ist, an dem er jedes Mal auf dem Weg in den Sommerurlaub mit der Familie nur vorbeifuhr und den er nie besuchen wird, weil der Park vor 26 Jahren geschlossen wurde – „Mirapolis“. Ein Film, nicht nur irgendein Film, sondern Fritz Langs Schwarz-Weiß-Ikone „Metropolis“ aus dem Jahr 1927. Dies sind die Motive, die der französische Produzent Rone in cineastischer Manier zu Klangbildern zusammenmontiert, um seine ganz eigenen Imaginationen einer Stadt hörbar zu machen – in seinem ganz eigenen „Mirapolis“.
Sein viertes, vor Kurzem auf InFiné releastes, gleichnamiges Studioalbum malt in zwölf Tracks als Einheit die futuristische Vision einer Megapolis, einer City von verstörender Faszination und Schönheit. „Man könnte schon sagen, dass so die Stadt meiner Vorstellung klingt und aussieht. Aber ich brauchte für ein konkretes Bild zunächst die Zeichnung von Michel Gondry. Eine unkonventionelle Stadt in Violett. Nicht schwarz und weiß wie jene von Fritz Lang. Sie hat verrückte Wolkenkratzer und Transportröhren, die aus dem Nichts kommen. Sie hat etwas von Karneval an sich, etwas Psychedelisches, mit sonderbaren Charakteren. Dieses Album spielt mit meinen Erinnerungen, mit meinen Freunden und meinen Kreaturen. Das stimuliert meine Vorstellungskraft”, erklärt Erwan Castex alias Rone, der sich als Autodidakt in den letzten zehn Jahren zu einer Schlüsselfigur der elektronischen Szene Frankreichs entwickelt und bereits mit Jean Michel Jarre gearbeitet hat.
Die Zeichnung, über die er spricht, ist das bunte Artwork für das Album. Kein Geringerer als der bekannte Filmemacher Michel Gondry hat sie für das Album-Cover geschaffen. Die Begegnung und Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor und Regisseur war für das neue Album elementar. „Ich werde von vielen Künstlern beeinflusst, nicht nur in der Musik. Der Wendepunkt bei ,Mirapolis’ war, als ich mich mit Michel Gondry traf, um das Cover zu besprechen. Da war ich ungefähr bei der Hälfte der Produktion. Und als ich dann das Artwork sah, fügte sich die Storyline des Albums. Natürlich kannte ich Gondrys Werke schon vorher, aber das Treffen selbst war katalysierend.“ Da ist es nicht nur ein Fun-Fact am Rande, dass Michel Gondrys Großvater Constant Martin der Erfinder der Clavioline war, eines Vorläufers der heutigen Synthesizer. Oder dass Rone selbst Filmkunst studiert hat. Sein Blick als Musiker ist stets auch der Blick eines Filmemachers.
Die sonderbaren Charaktere seines künstlerischen Universums, die er digital und analog in seine eigene Stadt aus Sounds bannt, kennt er wohl nur zu gut aus seiner Heimatstadt Paris und seiner zwischenzeitlichen Wahlheimat Berlin. „Beide Städte waren sehr wichtig für mich. Ich mag die chilligen Ecken von Berlin, besonders Neukölln und Kreuzberg, die kleinen Bars, die türkischen Gaumenkitzel, Tempelhof. Diese Bereiche haben einen starken Offbeat-Charme, besonders wenn man aus Frankreich kommt. Bunt gefärbte Haare, Tattoos, Antifas, Hippies, Punks (und ihre dazugehörigen Hunde) – da sind so viele visuell interessante Charaktere an jeder Straßenecke. Das war eine große Inspiration für die Videos zu meinen früheren Tracks ‚Voodoo’ oder ‚So So So’ und jetzt natürlich auch für ‚Mirapolis’“, erzählt Rone und wendet sich Paris zu: „Die Stadt hat ihren ausgeprägten Sinn für Kunst, institutionellen Glanz sowie etwas Majestätisches in ihren Fundamenten und diese bestimmte Art von Romantik, die meiner Musik eine emotionale Dimension verleiht. Auf Tour sehe ich natürlich auch die Schönheit anderer Städte, von New York über Barcelona bis hin zu Budapest.“
Viele Inspirationsquellen also, um sich als Architekt cineastisch geprägter Soundwelten auszutoben, und das auch technisch: „Nach meinem letzten Album ‚Creatures’ wollte ich meine Produktionsweise überdenken. Ich wollte wieder diese Art von Isolation, die ich bei meinem ersten Album ‚Spanish Breakfast’ hatte, und erst einmal vermeiden, auch nur irgendetwas im Studio zu machen. Ich wollte Einsamkeit, Langeweile. Also verbrachte ich allein Zeit in Hotelzimmern in der Bretagne, ohne irgendetwas anderes tun zu müssen, als das Meer anzuschauen und Tracks zu schreiben.“ Etwa in der Hafenstadt Brest, die auch namensgebend für einen der neuen Tracks war. „Nach dem ersten Entwurf des Albums ging es dann im Studio in Montreuil an die Maschinen.“ Dies wieder mit zahlreichen bekannten Kollaborateuren, unter anderem Langzeit-Bühnen- und Studiopartner John Stanier von Battles, mit dem befreundeten Gitarristen von The National Bryce Dessner sowie neuen Mitwirkenden wie dem Poeten und Sänger Saul Williams, Kazu Makino vom Indie-Rock-Trio Blonde Redhead sowie der israelischen Electro-Pop-Newcomerin Noga Erez. Zusammen erbauten sie „Mirapolis“.
Rone live in Deutschland:
24.01. Berlin, Kesselhaus
21.02. Hamburg, Nochtspeicher
22.02. Köln, CBE
23.02. Heidelberg – Karlstorbahnhof
24.02. München, Strom
Aus dem FAZEmag 071/01.2018
Text: Csilla Letay
www.rone-music.com
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