Round Table zum Status quo der Event- und Clubszene in Deutschland

Wurzelfestival

Wie geht es weiter mit der Clubkultur in Deutschland? Geht es weiter? Was haben wir gelernt aus den vergangenen 20 Monaten? Inwiefern hat uns die Pandemie sogar geholfen, Dinge und Probleme klarer zu sehen und zu benennen? Probleme, die schon immer da waren, aber nicht beachtet oder als relevant erachtet wurden. Dass die Club- und Event-Szene nicht mehr das sein kann, was sie vor Corona gewesen ist, leuchtet ein. Aber welche Lehren ziehen die Macher*innen aus dieser Ausnahmesituation? Wir haben mit Machern aus verschiedenen Bereichen der deutschen Clubkultur gesprochen.

Stellt euch einmal bitte zuerst vor:

Moin. Björn Oesingmann, wohne am Seddiner See in Brandenburg und gelernt habe ich mal Bürokaufmann und Vollzugsbeamter. Seit 2013 bastele ich mit meinem Geschäftspartner Christian Reckmann zusammen das Zurück zu den Wurzeln Festival.

 

Ich bin Tobias Wicht aus dem wunderschönen Wuppertal. Ich habe 22 Jahre mindestens einen Club betrieben und außerdem seit jeher kleinere und größere Veranstaltungen durchgeführt. Ob in Eigenregie oder auch als Auftragsarbeit. 

Ich bin Cinthie, wohne in Berlin und ich bin DJ, Produzentin, Label- und Plattenladen-Besitzerin.

Credit: Marie Staggat

 

Mein Name ist Peter Fleming, ich komme aus München und bin der Geschäftsführer des Münchner Techno-Clubs Harry Klein.

 

Tom Hilner, Veranstalter und Gastronom aus München.

Seit wann verdienst du mit elektronischer Musik ausschließlich oder teilweise deinen Lebensunterhalt? War es von jeher dein Traumberuf, bist du reingerutscht oder wie ist es passiert?

Cinthie: Musik mache ich schon seit ca. 26 Jahren, hauptsächlich Auflegen, ich release aber auch seit dem Jahr 2000 Musik. Richtig lebe ich davon seit 2014. Mein Traumberuf war es tatsächlich nie, Musik habe ich dennoch immer geliebt, seit meinen Anfangstagen in einem Plattenladen 1996. Studiert habe ich Informatik, und das ist und war tatsächlich mein Traumberuf. Dass ich jetzt seit einigen Jahren von der Musik lebe, kam eher zufällig. Seit ich 2011 eines meiner Labels (Beste Modus) gegründet und ich wieder mehr veröffentlicht habe, nahmen auch die Bookings zu. Ich hatte damals einen 40-Stunden-Job bei Ableton, den ich dann schweren Herzens gekündigt habe, denn ich habe es einfach nicht mehr geschafft, alles unter einen Hut zu bekommen. Zudem bin ich seit 2009 auch noch Mutter und war lange alleinerziehend. Also habe ich mir gedacht, ich probiere es wenigstens mal mit der Musik, nicht, dass ich mich in ein paar Jahren ärgere.

Tom: Ab 1991 habe ich noch während meiner Schulzeit die ersten elektronischen Events gemacht, ab 1994 dann hauptberuflich und 1996 habe ich mit Partnern meinen ersten Club eröffnet. Dass das ein „Beruf“ sein könnte, hat sich erst später herausgestellt, aber ein Traum ist es heute noch. Ich liebe, was ich tun darf.

Björn: Seit 2011 beschäftige ich mich mit der elektronischen Musik beruflich. Das war nicht mein Traumberuf, aber inzwischen ist er es geworden. Reingerutscht bin ich eher dadurch, dass an Berliner Clubtüren die Selektion Einzug hielt und ich öfter mal nicht auf die Party kam. Da dachte ich mir, scheiß drauf, mache ich eigene Veranstaltungen.

Tobias: Seit jeher – ich bin mit 18 Jahren selbstständig in dem Bereich angetreten und dabeigeblieben. Es ist eine tolle Sache, wenn man das, was einem Freude bereitet, als Job über solch eine Zeitspanne machen darf.

Peter: Ich bin seit 1998 in der Szene aktiv. Zuerst war ich Gast im Technoclub Ultraschall, bis ich mich an der Kasse und als Türsteher wiedersah. Darauf folgte ein Job in der Agentur Disko B & Gigolo Booking und im Herbst 2003 eröffnete ich mit meinen Partnern das Harry Klein.

In welchen Bereichen hat dich die Pandemie getroffen und inwiefern hast du dein Business einschränken oder einstellen müssen? Was hat sich an deinem Leben verändert?

Peter: Vor allem ist der Club durch die dauerhafte Schließung ab dem 12. März 2020 betroffen. Mehr noch unsere vielen Minijobber*innen, die plötzlich auf den wichtigen Zuverdienst komplett verzichten mussten. Ich selbst ergriff sofort Initiative und wir konnten zeitgleich mit United We Stream am 18. März 2020 unseren ersten Livestream aus dem Club senden. Bis September 2021 sendeten wir dann über 130 Musik- und Visual-Streams in die Welt. Neben der neuen Tätigkeit Fördermittel und Zuschüsse zu erhalten, war das meine Hauptbeschäftigung, und in der Tat brachte ich mehr Arbeitszeit denn je ein. Der persönliche Gewinn an Erfahrungen, Learning und Kreativität war immens. Ich darf behaupten, dass mich die Pandemie für mein Leben bereichert hat.  

Harry Klein

Tobias: Das Veranstaltungsgeschäft liegt nahezu seit zwei Jahren indoor zu 100 Prozent brach. Ich habe zwar in diesem kleinen Zeitfenster im Herbst, in dem man überhaupt etwas kurzfristig planen und durchführen konnte, sofort wieder versucht, an den Start zu gehen, jedoch ist das Risiko der Absagen/Verschiebungen etc. und dem damit verbundenen Theater nicht zu unterschätzen. Eine seriös planbare Situation haben wir seit Langem nicht mehr, und die staatlichen Hilfen greifen oftmals nicht.

Cinthie: Richtig hart hat es mich natürlich bei den Gigs getroffen, die wurden von jetzt auf gleich alle abgesagt bzw. verschoben. 2020 habe ich mein erstes Album auf Aus Musik veröffentlicht und war schon bis November fast ausgebucht. Wenn man selbstständig ist, ist es natürlich immer gut zu wissen, dass man viele „Aufträge“ hat, damit man etwas planen oder ggfs. auch nachjustieren kann in Form von Releases etc. Was auf der anderen Seite total nach oben geschossen ist, sind die Verkäufe in meinem Plattenladen und auch meine eigenen Vinyl-Verkäufe, Streamings und Downloads, sodass ich die Pandemie bzw. den Lockdown finanziell gut überbrücken konnte mit dem Laden, Royalties, Verkäufen, Remix-Auftragsarbeiten für andere Künstler*innen oder auch für Videospiele. Für den privaten Bereich war die Pandemie für mich persönlich ziemlich gut, denn ich hatte wieder mehr Zeit für Familie und Freunde.

Tom: Nun, wie alle anderen auch. Veranstaltungen abgesagt, Club zu. Und dann kam erstmal viel Bürokratie mit unserer Steuerkanzlei, Hilfsprogrammen, Unsicherheit, Frust. Alles auf einmal. Sehr große Erleichterungen waren dann natürlich die Hilfen. Da haben wir es in Deutschland im Vergleich zu unseren Kolleg*innen aus dem Ausland schon sehr, sehr gut.

Björn: Als Festivalveranstalter ging die Pandemie nicht spurlos an uns vorbei. 2020 mussten wir unser Festival radikal verkleinern, da wir ja nur mit 1.000 Teilnehmer*innen feiern durften. Im Jahr 2021 waren wir dann offizielles Modellprojekt des Landes Brandenburg und konnten viermal mit bis zu 3.500 Gästen veranstalten. Ansonsten hat sich die Arbeitsweise geändert. Unser Team sitzt seit März 2020 mehr im Homeoffice und wir sind nur noch selten im Büro in Berlin.

Wie und wo hast du von dem ersten Lockdown erfahren? Inwiefern hat sich deine Einstellung zu Corona und den Maßnahmen der Regierung im Laufe der vergangenen 18 Monate geändert?

Björn: Im Februar 2020 war uns schon klar, dass da eine ziemlich uncoole Sache auf uns zukommt. Wir hatten für Anfang März eine Clubveranstaltung im Suicide Club in Berlin geplant, die wir dann vor dem offiziellen Lockdown abgesagt haben. Meine Grundeinstellung zu Corona hat sich nicht geändert. Das ist ein uncooler gefährlicher Virus und ich finde sämtliche wirksamen Gegenmaßnahmen angebracht. Das übrigens ganz unabhängig von der unterirdischen Krisenkommunikation des Bunds und der Landesregierungen und den teilweise absurden Corona-Verordnungen.

Cinthie: Ich habe davon in den USA erfahren, wo ich zu dem Zeitpunkt auf Tour war. Erst dachte ich, mal schauen, was das wird, ist bestimmt schnell wieder vorbei. Das war natürlich nicht so. Die Maßnahmen der Regierung konnte und kann ich gut verstehen, allerdings verstehe ich nicht, wieso man beim Clubbetrieb in diesem Jahr nicht auf die Auswertungen der Clubcommission gehört hat, die in Zusammenarbeit mit der Charité Clubbesuche unter verschiedenen Bedingungen getestet und die beste und sicherste Lösung dafür rausgefunden hat. Weiterhin ist es schade, dass es nach anderthalb Jahren Pandemie immer noch nichts Besseres geben soll als „Bleiben Sie zu Hause, treffen Sie sich mit niemandem“, obwohl man doch die Impfung, Tests, Luca App etc. hat.

Peter: Wir Chefs hielten in der Woche bis zur Schließung täglich längere Besprechungsrunden ab. Da David Süß, unser ehemaliger Geschäftsführer und heute Stadtrat in München, eine medizinische Ausbildung hatte, konnten wir auf seine Einschätzung zählen. Uns wurde ziemlich schnell bewusst, dass sich der Lockdown über mehrere Monate hinziehen würde, vor allem für die Clubs. Die Maßnahmen haben wir mit dem Verständnis der schwierigen Lage und fehlenden Planbarkeit seitens der Politik weitestgehend mitgetragen und verstanden. Meinem Partner Peter Süß ging es beispielsweise anfangs nicht sehr gut mit diesem Zustand. Heute zweifelt man jedoch schon eher manche politische Entscheidung an. Die Wissenschaft hat es besser vorausgesehen, und damit müssen wir nun leben. Am meisten ärgert uns, dass Politiker*innen wie Markus Söder und sogar Liebling Karl Lauterbach Clubs als Pandemietreiber betiteln, und dies ohne jegliche Belege. Wir, und das sind die vielen organisierten Clubs in Bayern und auch ganz Deutschland, sehen uns hier ganz eindeutig als kommunikatives Bauernopfer.

Tobias: Aus den Medien – und ehrlich gesagt hat sich meine Einstellung zu dem Thema nicht verändert – die war schon immer recht einfach. Absagen, wenn dies dann wirklich nötig ist, aber auch entschädigen – und das funktioniert nicht. Die ganzen populistischen Idioten in der jetzigen und vorherigen Regierung sind eine Katastrophe. Klar, lernen die Politiker auch erst mit dem Verlauf einer Pandemie, aber das, was wir hier erleben, ist schon ein Tsunami aus (auf unsere Branche bezogen) inhaltslosem Mist, der schwer zu ertragen ist. Und mittendrin erhält eine der handelnden Parteien einen neuen Regierungsauftrag – das ist schon starker Tobak für mich.

Tom: Im Büro während eines Livestreams. Im Großen und Ganzen bin ich persönlich mit sehr vielen Entscheidungen einverstanden. Trotzdem hätten wir gerade im letzten Sommer ab Juni, Juli an der frischen Luft natürlich gut veranstalten können. Wir wären gut darauf vorbereitet gewesen.

Unabhängig davon, ob du staatliche Hilfsmittel beantragt hast oder nicht, wie schätzt du den Umgang der Regierung mit der Kreativwirtschaft ein? Wo hat sie gut reagiert und wo nicht?

Tobias: Note sechs, setzen – um es kurz zu fassen. Kleines Beispiel: Für einen Hilfsfond/Neustarthilfe etc. wird die Gema beauftragt, die Kommunikation und Bewilligung der Gelder zu verwalten – eine Gesellschaft, die es nicht schafft, einem Antragssteller innerhalb von zwei Jahren eine Rechnung zu schicken oder eine Postadresse zu aktualisieren. Dazu stimmen die Rahmenbedingungen in Gänze einfach nicht. Die Regierung scheint ja bemüht zu sein, einigen Leuten helfen zu wollen, jedoch sind die Ansätze so weit von der Realität entfernt, dass ich das nicht für möglich gehalten hätte, dass sich die handelnden Personen so weit von der Realität entfernt aufhalten.  

Tom: Sehr unterschiedlich. Unsere Betriebe werden das noch einige Zeit überstehen können, auch weil wir zum Beispiel sehr früh eine Teststation eröffnet haben. Das hilft uns. Für die allermeisten Künstler*innen und Dienstleister*innen ist es aber natürlich eine Katastrophe. Auch unsere Mitarbeiter*innen tun sich in einer so teuren Stadt wie München sehr schwer, da das Kurzarbeitergeld vorne und hinten nicht reicht. Wir helfen, wo wir können, aber unsere Mittel sind nicht unendlich.

Cinthie: Im Vergleich zu anderen Ländern bin ich natürlich sehr froh, dass man hier schnell und unbürokratisch Unterstützung bekommen hat. Leider war ich aber etwas traurig, als man dann z.B. gesagt bekam, das Künstler- oder Musikerleben sei kein richtiger Beruf oder nicht systemrelevant oder gar unnötig. Das ist etwas schade, weil ich hart arbeite und auch Steuern wie jede*r andere zahle und das auch nicht zu knapp. Weiterhin erinnere ich gerne mal an die Finanzkrise, in der sämtliche Banken gerettet werden mussten. Da hat man den Finanzmitarbeiter*innen auch nicht empfohlen, sich noch nebenher einen zweiten Job zu suchen. Im Endeffekt ist kein Job sicher, außer, man arbeitet vielleicht im Bestattungsunternehmen. Im Moment ist es so, dass man z.B. den Clubs sagt, sie könnten geöffnet bleiben, aber es dürfe nicht getanzt werden. Was natürlich keinen Sinn macht, also machen die Clubs zu, aber offiziell wird es von der Regierung nicht angeordnet. Meiner Meinung nach ist das ein sehr dreister Versuch, keine Hilfen an die Clubs zahlen zu müssen, wenn sie schließen, denn sie haben dann ja mehr oder weniger freiwillig geschlossen. Hier müsste nochmal nachjustiert werden.

Peter: Anfangs waren die Hilfen tatsächlich nicht ausreichend. Wir erhielten 30.000 Euro Soforthilfe, obwohl wir ca. 80.000 Euro Fixkosten hatten (bedingt durch Personalkosten im April 2020). Danach wurde es deutlich besser, und wir wurden seit Juni 2020 finanziell so weit abgesichert, dass wir überleben konnten, abgesehen davon, dass Unternehmerlöhne nie bezahlt wurden. Für uns ist diese Situation dennoch prekär, da wir gerade in den letzten zwei Jahren auf eine Eigenkapitalbildung spekulierten, um zukünftige Projekte anzustoßen. Aber zur eigentlichen Frage: Ich denke, es ist eher andersherum zu betrachten. Wir Clubs und Livespielstätten haben sehr viel gelernt, wie man mit der Politik umgehen muss, also, was Lobbyismus bedeutet und wie wichtig das ist. Glücklicherweise waren wir durch Verbände wie die Livekomm (ein dickes Lob!) einigermaßen organisiert, betrachtet man beispielsweise die Situation der Künstler*innen. Deren Hilfen kamen spät, und so sahen wir uns in der Pflicht, ihnen zu helfen, was wir z.B. mit den Förderungen des Neustart-Kultur-Programms erreichen konnten. Und ich blicke da zudem lieber nach vorne und resümiere, dass wir alle voneinander gelernt haben und beiderseits ein besseres Verständnis für das Gegenüber entwickeln konnten. In jedem Fall freuen wir uns über die neue Bundesbeauftrage für Kultur und Medien, Claudia Roth. Sie hat jetzt schon positive Signale an die Technokultur gesendet. Habt ihr sie schon interviewt?

Björn: Bitte, das Thema staatliche Hilfe ist bei mir/uns ein absolutes Reizthema. Wo soll ich da anfangen, etwa bei Bundeshilfsprogrammen, bei denen mitten im Prozess die Regeln geändert werden, auf dass der Großteil der Hilfsempfänger*innen zurückzahlen darf? Oder bei Bundeskrediten mit 100 Prozent staatlicher Absicherung, die von den prüfenden Banken müde belächelt wird? Oder wollen wir darüber reden, dass wir als „offizielles Modellprojekt“ des Landes Brandenburg alle Kosten des Modellprojekts (ca. 400.000 Euro extra) selbst tragen mussten? Ich kann dazu nur so viel sagen: Wir beantragen nichts mehr! Wir vertrauen wie schon immer auf die Solidarität unserer Gäste und helfen uns selbst.

Wie schätzt du die Veränderung der „Szene“ durch Corona in Deutschland ein? Wird es wieder eine Feierlandschaft à la 2019 geben? Wie werden sich die Ausgehgewohnheiten der Musikliebhaber*innen ändern? Wie werden sich die Preise verändern?

Peter: Natürlich wird es eine Veränderung geben. Es wäre schade, wenn wir keine Lehren daraus gezogen hätten. Ich habe z.B. ein völlig neues Vergütungssystem für die Künstler*innen in der kurzen Öffnungszeit (Oktober, November 2021) eingeführt. Das hat sich schon bewährt und soll einen Anstoß an mehr Fairness zwischen Künstler*innen, Booker*innen und Clubbetreiber*innen geben. Und ja klar, wird es eine Preisanpassung geben. Wir haben beispielsweise den Eintrittspreis um zwei Euro angehoben. Bei den Drinks blieben wir noch auf dem Vorniveau. Grundsätzlich sollte man sich jedoch bewusst werden, dass wir uns immer noch und hauptsächlich im subkulturellen Bereich bewegen. Und die aktuelle Inflationsrate darf nicht dazu führen, dass man Feierwillige durch überzogene Preise ausgrenzt. In den acht Wochen spürten wir zudem eine unglaubliche Energie bei den Gästen. Die Musik wurde förmlich aufgesogen und hat ausnahmslos irre schöne Clubnächte erzeugt. Ich persönlich war ausnahmslos jeden Abend anwesend und nahm diese Freude als Lohn für die Arbeit aus der Zeit des Lockdowns an. Ich bin dennoch der Meinung, dass sich irgendwann alles wieder normalisiert. Und wahrscheinlich werden sich die Menschen künftig genauer überlegen, auf welches Event, Konzert oder Party sie gehen. Mir ist besonders wichtig, dass dabei die bitter nötige Awareness mehr in den Vordergrund rückt. Die neue Studie von www.sexismfreenight.eu/ belegt, wie sehr wir hier eine Veränderung brauchen.

Tobias: Die Preise werden erst einmal steigen – das ist sicher. Viel Manpower der Branche wird in andere Bereiche abgewandert sein und es wird Zeit brauchen, bis das wieder auf einem anständigen Niveau sein wird. Viele werden es aber auch einfach nicht geschafft haben.  

Björn: Die Feierlandschaft wird sich verändern. Durch die „Krisenkommunikation“ der Regierung und der Medien kann sich kaum einer vorstellen, im nächsten Jahr „normal“ auf Festivals zu feiern. Dass die Preise steigen werden, ist ja nicht nur inflationsbedingt. Jede Leistung, die du als Veranstalter*in buchst, egal, ob Musikanten oder Toiletten, wird teurer.

Cinthie: Es wird auf jeden Fall weitergehen. Wenn man sich z.B. die Zeit nach der Spanischen Grippe anschaut, dann freue ich mich schon auf die neuen „Swinging 20ies“. Es dauert eben noch ein wenig. Und Menschen, die gerne ausgehen, wird es immer geben. Gerade die jüngere Generation ist etwas lockerer im Umgang mit der Pandemie. Die Preise werden natürlich etwas teurer werden.

Tom: Sehr schwer zu sagen. Die paar Wochenenden ab Mitte September bis Mitte November waren bei uns sehr stark besucht. Die Leute hatten ja auch einiges nachzuholen. Trotzdem fehlten uns natürlich die Städtereisenden, die bei uns allen ja einen erheblichen Teil vom Umsatz ausmachen. Wir haben versucht, die Preise stabil zu halten, aber ich befürchte, das wird auf Dauer nicht möglich sein.

Welche Lehren hast du aus Corona gezogen?

Björn: Wir als Wurzelfestival sehen die Pandemie-bedingte Pause als Chance an, uns zu erden. Wir werden zurückrudern und uns auf das Ursprüngliche besinnen. Ein Wochenende mit Freunden und mit zukünftigen Freunden, Freiräume genießen und vielleicht auch mal wieder unser Sozialverhalten überdenken. Wir machen den Trend von „schneller, weiter und höher“ nicht mehr mit. Unsere Gesellschaft ist leider zu einer ziemlich Ellenbogen-lastigen Leistungsgesellschaft geworden, und da ist es gut, ein Wochenende in eine Welt einzutauchen, in der jede*r gleich ist und in der einer für den anderen da ist. Die Älteren unter uns wissen vielleicht noch, dass so damals die Technobewegung gestartet ist.

Tom: Nur noch kurzfristig planen …

Tobias: Angst ist nach wie vor kein guter Ratgeber! (Ohne jetzt Corona kleinreden zu wollen …) 

Cinthie: Man darf den Kopf nicht in den Sand stecken und muss immer weitermachen, aber ab und an mal freinehmen, ist auch nicht das Schlechteste.

Peter: Das Leben bleibt spannend und wir sollten uns stetig bewusst machen, dass es nicht auf Einzelne ankommt, sondern die Solidarität. Und der Mut und die Offenheit zur Veränderung tragen hierzu den größten Teil bei.

Wenn wir einen Blick über den Länderrand wagen? Welche europäischen Nachbarländer haben es deiner Meinung nach besser gemacht und wenn ja, warum?

Peter: Ich habe zu viel beobachtet, als dass ich behaupten könnte, dass es irgendein Land am Ende besser gemacht haben wird. Es kommt auf die Einwohner*innen eines Landes an, und deren Solidarität, Vertrauen und Entschlossenheit.

Cinthie: Gute Frage! Viele meinten, dass der schwedische Weg der beste gewesen sei, und tatsächlich sind die Zahlen relativ gering. Oder der Freedom Day in England und die damit fallenden Einschränkungen. Zahlenmäßig stand England bisher gut da, trotz Cluböffnungen. Allerdings sind auch weitaus mehr Menschen geimpft. Ich glaube, man kann am Ende gar nicht sagen, was jetzt richtig oder falsch war.

Tom: Ich sehe kein einziges Land, das wirklich alles „richtig“ gemacht hat. Das zeigt sich doch gerade jetzt wieder. Aber die Situation in den einzelnen Ländern ist auch schwer zu vergleichen.

Tobias: Schwierig, dies gut zu beantworten. Ich denke, die Wertschätzung und Wichtigkeit der Versammlungsfreiheit jenseits von Demonstrationen wird in einigen Ländern von jeher anders eingeschätzt – vielleicht auch durch die wärmere geografische Lage und dem daraus resultierenden Leben an der frischen Luft (Italien/Spanien), jedoch waren in diesen Ländern die Hilfen auch nicht existent oder auch nur annähernd angedacht, wie es in Deutschland der Fall war. Die Maßnahmen teilweise drakonischer, aber auch härter/schneller im Lockern. Das hat nicht nur den Veranstalter*innen Luft zum Atmen gelassen, sondern auch gesellschaftlich eine Menge an Positivität mit auf den Weg gegeben. Aber eine Pandemie ist halt einfach für Bereiche des Lebens, über die wir hier sprechen, katastrophal. Da gibt es – egal wo – wenig schönzureden.

Was wünschst du dir für die einheimische Szene in den kommenden Jahren?

Tobias: Dass gesellschaftlich anerkannt wird, welche Einschränkungen getragen worden sind. Außerdem schnell wachsende neue Strukturen jenseits von Großinvestoren.

Tom: Neue Clubs durch Eroberung der aktuell freiwerdenden Flächen. Und weniger Events, die sich immer noch „Mehr & größer“ auf die Fahnen schreiben. Die Flut an Open-Airs im Sommer bzw. Festivals im Herbst und Winter schadet der Clublandschaft mittlerweile enorm.

Björn: Ich wünsche mir echte Solidarität, und zwar nicht nur von den Gästen. Ich wünsche sie mir von den Veranstalter*innen, Künstler*innen und auch von unserer Regierung. Ich appelliere auch an meine Veranstalterkollegen in ihrer Rolle als Arbeitgeber. Die Krise hat gezeigt, dass prekäre Arbeitsverhältnisse nicht das Gelbe vom Ei sind. Also Kolleg*innen, wenn ihr könnt, schafft versicherungspflichtige Arbeitsplätze!

Cinthie: Ich wünsche mir wieder mehr Qualität statt Popularität. Zum Vergleich, McDonalds ist auch sehr populär, aber das Essen is eher määhhh.

 

Aus dem FAZEmag 119/01.22