Rudimental – Einflüsse aus aller Welt

Seinen ersten waschechten Hit feierte das Multikulti-Kollektiv im Jahr 2012. „Feel The Love“ erreichte mehrfach Platin auf dem gesamten Erdball. Nur ein Jahr später folgte der Debüt-Langspieler „Home“, der Bekanntheitsgrad stieg weiter. Seitdem haben Rudimental mit unzähligen namhaften und erfolgreichen Leuten kollaboriert, ein weiteres Album veröffentlicht und dabei Preise ohne Ende abgeräumt, unter anderem den Brit Award. Nun steht mit „Toast To Our Differences“ der Hattrick in Sachen Album an – die Single-Auskopplung „These Days“ feat. Jess Glynne, Macklemore & Dan Caplen eilte bereits voraus und kletterte auf den dritten Platz in den deutschen Charts. Die Songs des neuen Werkes entstanden in drei Jahren Arbeit und feiern explizit die Diversität und das Zusammenkommen musikalischer Kulturen und Genres. Piers Aggett, Amir Amor, Kesi Dryden und DJ Locksmith präsentieren sich also einmal mehr als genresprengende Band, die das Gesicht von Dance-Music für sich fortwährend verändert und neu interpretiert. Mit dabei sind erneut zahlreiche Feature-Partner wie Jess Glynne, Major Lazer, Macklemore, Stefflon Don, Maleek Berry und Rita Ora. Veröffentlicht wird das Album am 25. Januar. Ende des Monats kommen Rudimental im Rahmen ihrer Tour durch Europa, Australien und Neuseeland auch für drei Termine nach Deutschland. Ein Interview.

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Gratulation zu eurem neuen Album, Jungs. Was bedeutet der Titel „Toast To Our Differences“ für euch?

Kesi: Vielen Dank! Der Titel bedeutet für uns, Differenzen buchstäblich zu feiern. Während des Schreibens dieses Albums in den letzten Jahren gab es nicht nur in Großbritannien, sondern auf der ganzen Welt zahlreiche Auseinandersetzungen. Es gab auch eine Menge Hass gegenüber Einwanderern und Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund. Rudimental steht dabei als ein sehr gutes Beispiel für eine vereinte Familie – wir sind alle Menschen aus verschiedenen Ecken mit extrem verschiedenen Einflüssen. Und unser Album unterstreicht das durch alle Künstler, die daran mitgewirkt haben. Es gibt auch eine große musikalische Vielfalt. Unsere Unterschiede zu feiern, ist nicht nur das Thema dieses Albums, sondern der Kern von Rudimental selbst. Daher war das Thema enorm wichtig für uns.

Wie lange habt ihr daran gearbeitet?

Amir: Dieses Album war jetzt rund drei Jahre in Arbeit. Als wir 2016 nach fast einem halben Jahrzehnt die Tour beendet hatten, merkten wir, dass wir dringend wieder ins Studio und zu unseren Wurzeln zurückkehren müssen. Die Gründung unseres Labels Major Toms und das Signing von Anne-Marie haben eine Menge Zeit in Anspruch genommen. Und natürlich sind die zahlreichen Features extrem zeitintensiv.

Ein sehr gutes Stichwort. Was für eine verrückte Liste großer Künstler auf einem einzigen Album! Erzählt uns mehr zu den einzelnen Kollaborationen.

Piers: Wir haben den Titel-Track „Toast To Our Difference“ mit Sungudzo in unserem Major-Toms-Studio in Hackney, East London, geschrieben. Wir haben dort auf unseren Instrumenten im Studio gejammt und sie hatte plötzlich dieses unglaubliche Feeling. Die Lyrik während des Refrains „Carry me on your shoulder when I don’t know what my limit is” hat uns wirklich erfüllt und uns dazu inspiriert, das Album komplett diesem Thema zu widmen. „Let Me Live“ feat. Anne-Marie & Mr. Eazi mit Major Lazer begann, als wir mit Mr. Eazi eine Session in London hatten. Am Ende haben wir die Tonart geändert und Anne-Marie dazu gebracht, den Song in eine völlig neue Stratosphäre zu bringen. Wir schickten die Nummer dann an unsere Freunde Major Lazer, was dazu führte, dass sie nach London kamen, wo sie mit uns im Studio saßen und ihren Vibe miteinbrachten. Danach hörten wir, dass Lady Blacksmith Mambazo in der Stadt sind. Wir kontaktierten sie und sie nahmen die Back-Vocals in der Mitte der Acht auf. Wieder fasst dieser Titel das Thema des Albums zusammen – wir haben westafrikanische, südafrikanische, englische und amerikanische Einflüsse. Der Track sendet auch die Botschaft, dass wir alle das Recht haben, unser Leben frei zu leben und auszudrücken.

DJ Locksmith: Bereits vor Jahren haben wir mit unserem alten Freund Jess Glynn „Dark Clouds“ gemacht. Den haben wir quasi aus den Archiven ausgegraben. Wir produzierten ihn zu Ende und merkten, dass er eher nach Jungley klingt. Wir haben dann Chronnix dazu gebracht, einen Vers darüber zu schreiben und aufzunehmen, als wir gerade in Jamaica zum Schreiben waren. Es ist ein eher undergroundiger Song, der dennoch mit Soul und Funk daherkommt. Jess‘ Vocals darauf sind mega. Einer der ersten Songs, an denen wir für das Album gearbeitet haben, war „Walk Alone“. Wir hatten so viele verschiedene Künstler, die diese Lyrics gesungen haben. Irgendwann kam auch Tom Walker, um es auszuprobieren. Es klang einfach so gut und hat den Song wirklich zum Leben erweckt, dass wir es mit ihm gemacht haben.

Amir: „These Days“ begann ursprünglich mit Dan Caplen. Er kam mit dieser erstaunlichen Idee zu uns, die das Ende einer Beziehung thematisierte, bei der die beiden anschließend noch Freunde bleiben. Wir mochten diese Idee und baten Jess, es zu singen. Er rief Macklemore an, weil er einen losen Draht zu ihm hatte, und alles nahm seinen Lauf. Der Song liegt uns extrem am Herzen, zumal es unser dritter Song ist, der auf Platz eins gegangen ist. „Sun Comes Up“ haben wir auch bei uns im Studio geschrieben. Wir haben ewig nach einem geeigneten Sänger gesucht und dann irgendwann lieferte James Arthus so hart ab, dass es keine andere Wahl gab. Der Song wurde einfach lebendig.

Piers: „1by“ entstand aus einer Session mit Raye in London. Im Prinzip sind es Samples aus alten Soul- und Jazz-Stücken. Wir merkten, wie schnell der Song mit Raye auf der Topline klang. So baten wir Maleek Berry noch, einen Vers zu liefern, um das Ganze wieder etwas zu entschleunigen. „Last Time“ haben wir mit Raphaella gemacht, einer iranischen Künstlerin hier aus London, die wir bereits seit Jahren beobachten. Mittlerweile ist sie sogar eine gute Freundin. Ein klassischer Club-House-Banger mit süßen Vocals von ihr.

Kesi: „No Pain“ haben wir mit Maverick Saber geschrieben. Die Verse von Kabaka und Kojey sind in unseren Augen die besten auf dem Album. Es ist definitiv einer der herausragenden Tracks auf „T2OD“. Bei „Scared Of Love“ haben wir uns sehr gefreut, mit Ray BLK zusammengearbeitet zu haben – sie hat ein super Bewusstsein und auch eine Stärke, besonders für Frauen. Steff ist hier aus dem Viertel in Hackney und auch sehr talentiert – wir sind große Fans. Beide hatten die perfekte Kombination für diesen Track gemacht und wir freuen uns, dass der Track schon ein paar Wochen vor dem Album als Auskopplung erscheint.

DJ Locksmith: In Los Angeles haben wir mit Rita Ora den Song „Summer Love“ geschrieben. Sie hört sich so toll an. Die Stimmung hinter dieser Melodie bezieht sich auf eine sommerliche Liebesbeziehung im Urlaub, an die man noch lange denkt. Der Track hat auch den klassischen Rudimental-Drum-’n’-Bass-Sound inne. „They Don’t Care About Us“ hat Maverick Saber geschrieben. YEBBA kam aus Amerika ins Major Toms und gab dem Lied das gewisse Etwas. Auch einer unserer Favoriten auf dem Album.

Amir: Kevin Garrett ist ein fantastischer Singer-Songwriter, mit ihm haben wir „Do You Remember“ in New York aufgenommen. Mega Atmosphäre. „Leave It For Tomorrow“ haben wir ursprünglich mit YEBBA geschrieben, als sie in London war. Letztendlich war es dann Elli Ingram, eine unglaubliche Künstlerin aus Brighton, die es gesungen hat. Wir wollten jemanden dazu bringen, die Vocals auf dieselbe Weise wie YEBBA zu liefern, weil sie es leider doch nicht konnte. Es hat geklappt. Und das sogar sehr gut.

Die typische Journalistenfrage lautet ja immer, woraus man als Künstler seine Inspiration zieht. Aber gibt es bei der Vielzahl an talentierten Künstlern, mit denen ihr gearbeitet habt, nicht eine unendliche Inspiration?

Piers: Ja, definitiv. Aber wir lassen uns hauptsächlich vom Leben inspirieren. Und von unserer Heimatstadt London. Wir sind mit so vielen verschiedenen musikalischen Einflüssen und Kulturen aufgewachsen. Und das kommt in der Musik auch zum Ausdruck – wir haben afrikanische, jamaikanische, britische, House-, Rock-, Dub- und Garage-Sounds. Ein internationales Album. Die Rave-Kultur- und Pirate-Radio-Szene beeinflusst uns und unsere Musik auch sehr. Es kommt alles zusammen. Und am Ende ergibt genau das Rudimental.

Es scheint fast so, als käme eine Rudimental-Veröffentlichung ohne Kollaboration nur sehr schwer zustande. Wie seht ihr das?

Amir: Na ja, wir singen nicht. Wir sind Songschreiber, Musiker und Produzenten und haben uns zusammengetan, um Musik zu machen. Das ist es, was wir tun – also müssen wir kollaborieren. Und dabei geht es darum, kreative Energie zu teilen, das lieben wir.

Gibt es dort draußen noch Musiker, mit denen ihr gerne zusammenarbeiten würdet?

Amir: Definitiv! Mit Lauryn Hill würden wir unglaublich gerne mal arbeiten. Wir waren kürzlich bei ihr in der O2-Arena in London und es war eine unglaubliche Show. Sie ist eine unserer größten Inspirationsquellen und ihr Album „Miseducation“ ist eines der besten Alben, mit denen wir aufgewachsen sind. Hoffentlich erfüllt sich dieser Traum eines Tages, man weiß nie.

Wie hat sich euer Sound eurer Meinung nach seit dem letzten Album „We The Generation“ im Jahr 2015 verändert?

Piers: Unser Sound hat sich definitiv etwas verändert. Unser letztes Album war hauptsächlich auf Soul und Funk ausgerichtet. Dieses Album hat viel mehr Untertöne. Bei vielen Songs haben sich auch Dance-Elemente durchgesetzt. Man kann auch den großen afrikanischen Einfluss und den Aufstieg der Londoner Afrobeat-Szene auf der LP nicht bestreiten. Es hat sicherlich auch viel damit zu tun, dass wir in den letzten fünf Jahren so viel unterwegs waren – wir sind zurück nach London gekommen und haben britische Musikkultur mit dem kombiniert, was uns auf unseren Reisen inspiriert hat.

Wie schwierig ist es, seine musikalische Idee aufrechtzuerhalten, wenn man mit so vielen verschiedenen Künstlern arbeitet?

Kesi: Für uns geht es zum Glück nicht darum, unsere musikalische Idee straight zu verfolgen. Denn unsere Idee von Musik kann schlagartig in jede mögliche Richtung gehen. Wir machen sehr frei Musik und haben nicht wirklich eine Formel dafür. Wenn die Musik gut klingt und sich gut anfühlt, ist es das Richtige.

Lasst uns über das Musikvideo zu „Toast To Our Differences“ sprechen, wo ihr uns „euer“ London zeigt. Was sind eure Lieblingsspots neben Major Tom?

Kesi: Wir haben keine Küche in unserem Studio, sodass wir uns eigentlich immer wieder dabei ertappen, wie wir in diesem kleinen, feinen Restaurant nicht nur essen, sondern fast schon leben. Es heißt Troy Bar – abends ist es tatsächlich eine Bar, aber tagsüber ist es ein karibisches Restaurant. Für uns das beste in London. Es liegt superversteckt – man wüsste nicht von seiner Existenz, wenn man es nicht bereits kennt oder einen Tipp bekommt. Unsere absolute Empfehlung für jeden Trip nach London.

693 Millionen Streams. 37 Millionen Fans. 38 Millionen Stunden wurden eure Songs auf Spotify abgespielt. Surreale Zahlen innerhalb eines einzigen Jahres. Was denkt ihr über diese Zahlen?

DJ Locksmith: Es ist verrückt, dass wir vier das jemals erreichen konnten. Aber es liegt wirklich an unseren Fans. Ohne sie könnten wir das, was wir tun, nicht tun – sie sind unglaublich und wir danken jedem Einzelnen, der unsere Songs hört, zu unseren Konzerten kommt und uns nun schon über Jahre hinweg treu ist.

Dass ihr in 65 Ländern gehört wurdet, bedeutet, dass eure Musik an fast jeder Ecke dieser Welt gespielt wurde. Was war für euch die verrückteste Kultur, die ihr bisher erlebt habt?

Kesi: Schwierige, aber gute Frage. Zu erwähnen ist da sicherlich die Show in Jamaica, bei der wir den Support für Major Lazer gemacht haben. Wir wussten nicht, was uns dort erwartet, da wir dort keine große Fanbase hatten. Die Menge hatte die unglaublichste Energie und sie schätzte die Live-Musik sehr. Es war eine unglaubliche Stimmung.

Im März werdet ihr in der legendären Royal Albert Hall in London eine große Show für „Teenage Cancer Trust“ spielen. Erzählt uns mehr über dieses Date.

Amir: „Teenage Cancer Trust“ ist eine Wohltätigkeitsorganisation, vor der wir alle unseren Hut ziehen sollten. Es ist wirklich wichtig für uns, solche Anliegen zu unterstützen, und wir können uns dafür keinen besseren Partner vorstellen. Wir fühlen uns geehrt, von ihnen ausgewählt worden zu sein, diese Show zu spielen. Es ist auch verrückt, wenn wir daran denken, dass wir wirklich an diesem ikonischen Ort spielen werden. An diesem Abend werden wir verschiedene Gastauftritte haben, unter anderem von Kojey Radical, Ella Henderson, Mahalia, Maleek Berry, Stefflon Don und vielen anderen, die noch nicht announced sind.

Für Shows werdet ihr Ende dieses Monats auch in Deutschland sein. Was können die deutschen Fans erwarten?

Alle: Eine große Party!

Was plant ihr für 2019, abgesehen von der Tour, vielen Kollaborationen und wahrscheinlich erneut unglaublichen Zahlen in Sachen Plays, Streams etc.?

Piers: Wir werden uns auf den Aufbau unseres Labels Major Toms konzentrieren. Nicht viele Leute wissen das, aber Anne-Marie war unser erstes Signing, also werden wir mit ihr an ihrem nächsten Album arbeiten. Wir haben gerade Ella Henderson gesignt und ihre nächste Kampagne fertiggestellt – sie ist so ein aufregendes Talent. Wir haben noch mehr Newcomer in der Pipeline, bleibt also schön dran. Jetzt wird es richtig ernst, wir haben sogar Mitarbeiter eingestellt. Wir wünschen allen ein tolles Jahr 2019!

 

Aus dem FAZEmag 083/01.2019
Text: Triple P
Fotos: Warner Music Germany
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