
In diesem Jahr feiert Joseph Keevill aka Saytek ein besonderes Jubiläum. Vor ziemlich genau 20 Jahren debütierte der Mann aus Reading, das auf halber Strecke zwischen London und Oxford liegt, in der elektronischen Szene. In seiner zwei Jahrzehnte andauernden Karriere hat der begnadete Live-Act die namhaftesten Venues und Metropolen bespielt. Von Montreal bis Mumbai, von der legendären Terrasse des Space Ibiza bis hin zur Londoner Fabric, dem altehrwürdigen Tresor in Berlin, Awakenings und Mysteryland in den Niederlanden bis hin zu intimen Warehouse-Raves in Helsinki. Sagenhafte 500 Tracks, die meisten davon live aufgenommen, und neun Studioalben veröffentlichte Saytek seit dem Jahr 2003. Dabei listet seine Diskografie renommierte Label auf, wie etwa Soma, Fabric, TRAX, R&S, Bedrock, KMS, Superfreq und auch Carl Cox‘ und Christopher Coes Awesome Soundwave, kurz AWS. Nun erscheint mit „Twenty“ ein neues Werk. Darauf erkundet Saytek erneut verschiedenste rohe Techno- und Industrial-Welten und kombiniert diese mit eingängigen Melodien sowie einer gewissen Underground-Identität.
Das Jahr 2023 war trotz seiner Erfahrung und Routine im Business aufregend für den Briten: „Ich war fleißig auf Tour, und einige der Highlights waren Rave The Planet in Berlin, quasi die neue Loveparade, zu der 400.000 Raver*innen kamen. Allein unser Wagen wurde von 50.000 Menschen begleitet. Ich war auch wieder in der Fabric in London und im Sisyphos in Berlin, was unglaublich war, und habe in einigen großartigen Clubs und auf Boutique-Festivals in ganz Europa gespielt. Eine meiner Passionen ist es auch, einige intime Headline-Shows in ganz Großbritannien zu spielen. Das war wie eine Rückkehr zu meinen Wurzeln. Auch in Sachen Releases war es großartig, das Highlight für mich war die Veröffentlichung bei meinem Lieblingslabel R&S.“
Genauso gut erinnert er sich an die Gigs seiner ersten Tage, damals in verlassenen Londoner Lagerhäusern: „Mein erster Auftritt in einem richtigen Club war, als mir ein Promoter für eine Dienstagnacht im berühmten Londoner Club The End die Chance gab, live aufzutreten. Ich war so nervös, dass ich eine Woche lang nicht schlafen konnte. Der Auftritt lief wirklich gut, ich erinnere mich noch an verrückte Leute mit Sonnenbrillen, die vor mir tanzten. Im Laufe der Zeit habe ich mich sowohl persönlich als auch musikalisch weiterentwickelt und verändert. Früher ging es mir nur ums Feiern und darum, meinen Verstand zu verlieren. Jetzt bin ich ein absoluter Familienmensch. Ich habe mich immer dazu gedrängt, zu lernen und mich musikalisch weiterzuentwickeln und habe immer noch das Gefühl, dass ich noch mehr lernen kann. Was sich jedoch nicht geändert hat, ist meine Philosophie, einfach nur Musik zu machen, die ich liebe, und die Hypes zu ignorieren, die permanent kommen und gehen.“
In diesen 20 Jahren hat nicht nur er, sondern die Szene und auch die Welt im Allgemeinen eine enorme Wandlung hingelegt: „Als ich anfing, Musik zu veröffentlichen, wurde sie nur auf Vinyl veröffentlicht, es gab keine Download-Seiten und ein Produzent konnte seinen Lebensunterhalt nur mit Musik verdienen. Viele Trends sind gekommen und gegangen, aber ich habe sie größtenteils ignoriert. Ich bin ein Liebhaber elektronischer Musik und habe schon immer Underground-Techno, House, Electronica und Ambient geliebt – diese Genres haben sich immer weiterentwickelt. Viele Leute beklagen sich über die sozialen Medien, aber für mich als Live-Act sind sie wirklich gut. Sie haben mir ermöglicht, den Leuten zu zeigen, was ich mit meiner Live-Show mache, und das hat mir geholfen, mit mehr Fans zu interagieren.“
Während das Vorgängerwerk inmitten der Pandemie entstanden ist und laut Saytek eine sehr introspektive Seite zum Vorschein brachte, präsentiert er bei „Twenty“ durchaus härtere Sounds: „Meine Alben sind buchstäblich meine Live-Sets. Ich jamme eine Stunde lang und schneide einzelne Tracks mit wenig Nachbearbeitung heraus, gerade so viel, dass der Anfang und das Ende DJ-freundlich sind. Während der Corona-Pandemie habe ich Live-Sets gemacht, ohne meine Gigs im Kopf zu haben. Daher war die Musik weniger auf den Dancefloor ausgerichtet. Mein letztes Live-Album auf ASW – ,Motifs From The New World‘ – entstand während einer Auszeit ohne Auftritte. Es war sehr introspektiv, ja. Dieses Album entstand mitten auf Tour. Es enthält das Live-Material, das ich bei vielen Gigs auf der ganzen Welt zum Besten gegeben habe, von Fabric London über 3AM Techno in Costa Rica bis hin zu Rave The Planet mit Hunderttausenden von Ravern. Es ist die Musik, die ich gemacht habe, um sie mit Tänzerinnen und Tänzern in dunklen Räumen und auf Festivals zu teilen. Sie ist härter und zielt direkt auf den Floor. Hoffentlich fangen die Tracks die Freude und Aufregung ein, die ich empfand, als die Leute meine Musik genossen.“
Im letzten Jahr wurde Saytek im Jahrespoll des jährlichen FAZEmag-Votings auf Platz 15 der besten Live-Acts gewählt. Sein nächstes Date auf deutschem Boden ist für die Silvesternacht im Tanzhaus West terminiert.
Aus dem FAZEmag 142/12.2023
Text: Triple P
Foto: Natalia Miazga
www.instagram.com/saytek_live