Schiller – Immersive Illumination

48 Minuten. So lange dauerte das Telefonat, das ich mit Christopher von Deylen alias Schiller am 13. Februar  2023 geführt hatte. Frage: Wie bringt man ein 48-minütiges Gespräch textlich auf zwei Seiten? Antwort: Gar nicht. Zumindest nicht in voller Ausführlichkeit.Deshalb hier nun das komplette Interview. Das Gespräch: Ein Gespräch, natürlich über das neue Album „Illuminate“, das am 3. März 2023 erscheinen wird. Ein Doppelalbum mit 28 Titeln. Ein würdiges Geschenk zu „25 Jahre Schiller“. Ein musikalisches Werk, das rein analog entstand.

Ein Werk, das auch eine Hommage an die 1980er und 1990er Jahre ist. „Illuminate“ gibt es aber nicht nur in akustischer Form, sondern auch in visueller. Denn mit „Illuminate“ geht Schiller ab Mai 2023 auf große Arena-Tour. Alles Weitere in einem wie gewohnt überaus interessanten Talk mit einem Elektronikkünstler, dessen Laufbahn ich persönlich seit Beginn seines musikalischen Schaffens verfolge.

Lieber Christopher, wo erreiche ich dich denn gerade telefonisch?

Tatsächlich gerade zuhause, in der Nähe von Hamburg. Ich werde nach unserem Gespräch wieder ins Studio gehen und an den letzten Details des Albums arbeiten. Wir bereiten gerade die nächste Single vor. Und: Wir haben geraden ein Video gedreht, welches sich nunmehr im Editierprozess befindet. Das wird dann der Albumtitel „Illuminate“ sein.

Nach längerer Zeit als „Globetrotter“ bist du wieder sesshaft geworden.

Ja, ich lebte zehn Jahre in Berlin, danach für einige Zeit in Kalifornien, wo ich das Glück hatte, intensiv die dortige Studioszene zu erkunden. Dort entstanden auch die Alben „Opus“ und „Future“. 2016 bin ich zurück nach Deutschland gekommen und war selbstgewählt „heimatlos“. Seit Ende 2019 habe ich mein Basislager in der norddeutschen Provinz aufgeschlagen, in der Gegend, in der ich aufgewachsen bin. Hier entstand mein Solo-Album „Colors“ und das Orchester-/Elektronik-Album „Epic“.

Und ich habe gehört, dass du mit U 96 zwei Shows in Afrika gespielt hattest. Ich hatte Hayo und Ingo vor ein paar Wochen im Interviewgespräch – und sie waren sehr begeistert.

Ja, das war eine tolle Erfahrung – zumal ich es immer spannend finde, in einem Land zu spielen, in dem ich zuvor noch nicht aufgetreten war. Spannend wegen der Reaktion des Publikums, weil man diese im Vorfeld  nicht einschätzen kann. Wir spielten in Nairobi und in Mombasa. Und als ich wenig später in Deutschland auf dem Flughafen gelandet bin, waren schon die ersten Menschen mit Mund-/Nasenmaske vor Ort. Damals dachte man noch, dass es schnell vorbeigehen wird. Aber als die Lage zwei Tage nach meinem letzten Konzert der „Piano & Elektronik“-Tour ernster wurde als gedacht, war ich doch relativ überrascht.

Was viele nicht kennen: Wie du mit dem Projekt Schiller vor 25 Jahren begonnen hattest.

Oh, wie viel Zeit hast du denn? (lacht) Prinzipiell möchte ich sagen, dass ich lieber nach vorne blicke statt zurück. Und ehrlich gesagt hatte ich das gar nicht bewusst mitbekommen, dass es tatsächlich schon 25 Jahre sind. Ich wurde darauf aufmerksam gemacht á la „Mensch, Christopher, jetzt ist es schon ein Viertel Jahrhundert …“. Durch viele Zufälle habe ich meine Leidenschaft für elektronische Musik und das Produzieren elektronischer Musik entdeckt. Ich hatte das große Glück, dass ich als Praktikant in verschiedenen Hamburger Tonstudios arbeiten durfte. Als „Lohn“ konnte ich nachts, wenn das Studio nicht gebucht war, experimentieren, die Bedienung des Mischpultes lernen. Ich selbst hatte damals schon ein kleines „Studio“ in meinem Schlafzimmer. Daher kommt auch der Name meines ersten Labels: Sleepingroom Musik. Ich habe mir dann als Autodidakt ganz viele Dinge selbst beigebracht, ohne der Illusion zu verfallen, damit jemals Erfolg zu haben. Ende der 1990er Jahre riet man mir, einen DJ hinzuzuziehen, weil der ein gutes Feeling für Beats und Publikum hat. Das habe ich dann auch probiert. Aber mir wurde recht schnell klar, dass ich Schiller zu einem vielschichtigeren und komplexeren Organismus entwickeln wollte als damit „nur“ im Club zuhause zu sein. Deshalb hatten wir uns 2002 getrennt. Seitdem gibt es nur einen „Schiller” (lacht). Die 90er waren für mich auf jeden Fall eine spannende Zeit. Durch die Mischung aus Talent und Glück konnte es tatsächlich sein, dass einem musikalisch ein spannender Track quasi „passiert“ ist.

 

 

Du meinst, weil man im Vorfeld nicht wusste, ob die Nummer gut war und ein Erfolg werden würde, oder ob sie doch eher in den Untiefen der Musikarchive vor sich hin vegetiert?

Ich möchte versuchen, es so zu beschreiben: Die größten Chancen auf einen halbwegs gelungenen Track hat man, wenn man sich in der richtigen Balance zwischen „Ich hab gar keinen Lust, heute etwas zu produzieren, weil es ohnehin nichts wird“ und gleichzeitig „Ich kann’s nicht lassen“ befindet. Ein schwer zu beschreibeder Zustand, in den ich mich auch heute noch nicht per Knopfdruck beamen kann. Wenn man mit dem Vorsatz ins Studio geht, einen Hit zu schreiben, dann kommt garantiert nichts dabei heraus.

Sarkastische Frage: Und wie schreibt man dann einen Hit?

Gar nicht (lacht). Das passiert einem mit Glück dann, wenn man kurz davor ist, aufzugeben und schon fast mit einer gewissen Argonie im Studio sitzt. So war es beim „Glockenspiel“. Diese Melodie mag im Nachhinein wie ein minimalistischer Geniestreich klingen – sie entstand aber eher durch ein marginal lustloses Durchprobieren verschiedener Sounds. Und auf einmal war dieser Glockensound da, nach dem ich übrigens nie explizit gesucht hatte. Der Sound entstand eher durch ein Versehen, weil ich mich auf dem Synthesizer vertippt hatte. Meine rechte Hand wurde wie von Geisterhand gesteuert. So entstand die Melodie, die zur musikalischen Keimzelle von Schiller wurde.

„Das Glockenspiel“ ist ein gutes Stichwort. Denn während die Menschheit noch rätselt, was zuerst da war – das Huhn oder das Ei –, so ist die Antwort auf die Frage, ob der Projektname „Schiller“ oder der Songtitel „Das Glockenspiel“ zuerst da war, recht einfach …

Oh ja, die Namensfindung des Projektes … Weil der Titel „Das Glockenspiel“ sowohl musikalisch als auch namentlich gefunden war, stellte ich die Überlegung an: „Wie nenne ich eigentlich das Projekt?“ Über das Gedicht „Die Glocke” kam ich auf Friedrich Schiller und habe mir seinen Nachnamen ausgeliehen. Nichts ahnend, dass er mich 25 Jahre begleiten würde.

Es gab also die Assoziation von „Das Glockenspiel“ (dein Musikstück) und „Die Glocke“ (Gedicht von Schiller).

Exakt. Hätte ich den Track aber nicht so produziert und so genannt – und hätte mir damals jemand den Projektnamen „Schiller“ vorgeschlagen, hätte ich mich gar nicht getraut, ihn anzunehmen. Das hätte ich als Anmaßung empfunden.

 

 

„Das Glockenspiel“ war zwar deine bis heute erfolgreichste Single in Deutschland, aber nicht die erste.

Ich glaube, „Sonne” mit Unheilig war noch ein paar Plätze höher in den Charts. Aber „Das Glockenspiel” war nicht die erste, nein. Mein erster Chart-„Erfolg“ war der Titel „Make Love Make No War“, den ich für Dolly Buster geschrieben hatte. Die älteren Leser werden sie noch als, nun ja, Darstellerin von körperbetonten Filmen für Erwachsene kennen. Ich hatte damals Angewandte Kulturwissenschaften in Lüneburg studiert. Der befreundete Produzent Peter Hoffmann war ebenfalls dort beheimatet. Wir trafen uns seinerzeit für eine Songwriting-Session, weil die Plattenfirma von Dolly auf der Suche nach Songs war. So entstand dann also an einem verregnten Nachmittag „Make Love, Make No War.” Dolly Buster war auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern, moderierte zu dieser Zeit auch eine Fernsehshow und wollte sich durch Musik ein neues Publikum erschließen. Peter Hoffmann hat ein paar Jahre später übrigens Tokio Hotel entdeckt und produziert.

Du hast „Erfolg“ gerade in Anführungszeichen gesetzt, weil …

… die Nummer für eine Woche auf Platz 80 der Single-Charts war. Ich habe mich aber damals sehr darüber gefreut und mir das Chartposter eingerahmt.

Im Laufe der Zeit warst du dann aber Dauergast in den Charts, mit deinem Schiller-typischen Sound – wenn man das überhaupt so sagen darf –, der an diversen Synthesizern entstand. Und noch heute entsteht. Hast du diesbezüglich ein Instrument von der Pieke auf gelernt oder war es eher ein „learning by doing“?

Sowohl als auch. Als Teenager habe ich ein paar Jahre Klavierunterricht genießen „dürfen“ (lacht). Das fand ich nicht sonderlich erquicklich. Aber natürlich habe ich in dieser Zeit viel gelernt, was mir später geholfen hat.

Und was die Synthesizer angeht, …

… so habe ich mir Umgang und Programmierung selbst beibebracht. Und das ist, glaube ich, auch der einzige Weg. Es gab zwar damals auch schon Sound-Presets. Das waren aber aufgrund der technischen Möglichkeiten vielleicht 32. Im Höchstfall 64. Heute sind in einem Synthesizer gleich tausend integriert, und weitere tausende kann man sich im Internet runterladen. Die Geräte in meiner Anfangszeit mit den wenigen Presets haben mich dann recht schnell gelangweilt, sodass ich quasi gezwungen war, meine eigenen Sounds zu programmieren. Ein großartiger Lernprozess. Und ich war dann schon auch ein wenig stolz auf meine Kreationen, weil ich mir sicher war: Genau diesen Sound wird kein anderer so haben. Heute kannst du dir auf YouTube natürlich Tutorials anschauen, wie man ein Gerät programmiert, wie man am schnellsten zum Ziel kommt, wo man am preisgünstigsten gigabyteweise Samples runterladen kann …

 

Nicht gut?

Doch. Sehr gut. Und sehr spannend. Aber ich bin auch froh, dass ich gar keine andere Wahl hatte, als mir die Bedienung selbst beizubringen. Das barg aber auch besondere Herausforderungen. Wenn ich daran denke, wie viele Tage und Nächte ich damit verbracht habe, genau den Sound aus dem Synthesizer zu hören, den ich im Ohr hatte …

Mit welchem Erfolg?

Mit semi-großem Erfolg (lacht). Meistens gelang es tatsächlich nicht, aber dafür ist dann eben etwas anderes entstanden. Und das gelingt dann natürlich auch nur, wenn man sich mit dem Gerät beschäftigt und sich die Zeit nimmt.

Bleiben wir bei soundstilistischen Merkmalen. Bei „Illuminate“ gehst du ein bisschen back to the roots. Stichwort Analogsound. Würdest du sagen, dass der Laie auf dem Album raushört, dass es rein analog aufgeommen wurde?

Ich weiß nicht, ob man erwarten kann, das direkt herauszuhören. Aber ich glaube, es wird herausgespürt. Ich habe früher in einem Tonstudio gearbeitet. Man brauchte damals wahnsinnig viel Equipment, um überhaupt einen Track aufzunehmen. Jeder, der mal an ein Mischpult durfte, oder jeder, der mal an Synthesizer durfte, hat damals folgendes gelernt: Durch die Verknappung der Produktionsmittel musste man sich genau sortieren und brauchte einen musikalischen Plan, bevor man überhaupt ins Studio gegangen ist. Umso faszinierender war es dann aber auch, das erste Synthesizer-Plug-in auf einem Rechner zum Laufen gebracht zu haben. Man konnte Musik machen, ohne über ein real existierendes Instrument verfügen zu müssen. Man konnte am Laptop mischen, Kompressoren und Hallgeräte aktivieren. Diese kosteten früher tausende von Euro – und im digitalen Zeitalter gab es sie für einen Bruchteil.

Und sie waren für immer verfügbar. Somit musste man nicht auf eine lange im Voraus getätigte Buchung eines Tonstudios warten, um damit arbeiten zu können.

Definitiv. Du konntest überall Musik machen. Im Café, zuhause, im Zug. Musik, die den Rechner nie verlassen hat, konntest du am Ende exportieren und zum Presswerk schicken. Großartig! Eine fantastische Unabhängigkeitserklärung. Dazu kam nach und nach der langsame Abschied von der CD als gelerntem Standardformat für die Speicherung und Wiedergabe von Musik.

Das klingt dennoch nach einem Aber.

(lacht) Ja, in der Tat, es gibt ein Aber. Klar, man war froh, dass man keine CDs mehr kaufen musste, die zuhause Platz wegnahmen und einstaubten. Oder man musste sich nicht mehr im Auto ärgern, weil man die CD zuhause vergessen hat, die man gerade jetzt hören wollte. Heute machst man einfach dein Smartphone an und kannst unbegrenzt Musik mit deinem Streamingabo hören. Jederzeit und überall.

Mittlerweile sogar auch deine Musik.

Ja, mittlerweile sogar auch meine Musik, die lange nicht verfügbar war. Das ist natürlich ein unfassbarer Komfortgewinn, weil man nicht mehr auf CD- oder Plattenspieler zurückgreifen muss.

Jetzt nähern wir uns langsam dem erwähnten Aber, glaub ich.

Ja, wir kommen dem Aber schon ganz nahe (lacht). Ich habe das Gefühl, Streaming verändert unsere Gewohnheiten, Musik zu hören, sich mit Musik zu befassen. Der Wert und vor allem der Stellenwert von Musik im Leben hat sich verändert. Das spiegelte sich eine zeitlang auch in dem Prozess wider, Musik zu schaffen. Ich könnte heute an zehn Stücken gleichzeitig arbeiten, weil sie allesamt auf dem Laptop gespeichert sind. Ich muss kein teures Tonstudio mitsamt Toningenieur anmieten – zumindest nicht im Kreativprozess. Der Effekt, den dies auf die Musik, auf die Produktion, den Sound und Inhalt genommen hat, war aber zumindest in meiner Welt nicht so positiv, wie ich es mir gewünscht hatte.

Weil es Freud‘ und Leid‘ gleichermaßen ist, als Produzent die Freiheit zu genießen, parallel an mehreren Stücken zu arbeiten?

Für mich fühlte sich meine Musik nicht mehr so „breit“ an, eine gewisse Weite fehlte. Ich habe mir abwechselnd zu viel oder zu wenig Mühe beim Produzieren gegeben. Irgendwie war ich permanent damit beschäftigt, den „Dämon der Beliebigkeit“ zu bekämpfen, weil man eben doch sehr schnell mit recht geringem Aufwand adäquate Ergebnisse erzielen konnte. Und die berühmte „Extrarunde“ ist beim Arbeiten mit digitaler Technik ja gar nicht mehr nötig, weil man mit Wunder-Plugins alles wunderbar zurechtbiegen kann. Man muss keine Synthesizer bändigen, die nicht machen, was man will, die sich von selbst verstellen und man gar nicht weiß, warum (lacht)

Du spielst darauf an, dass man sich just in dem Moment des Recordings für den Sound entscheiden musste?

Klar, du musstest dir überlegen, wie viel Hallanteil in den Vocals sein soll, welche Effekte du verwenden möchtest und so weiter. Angenommen, der Hallanteil sollte verändert weden – dann können wir das im Analogstudio nur dann rückgängig machen, wenn wir alles von vorne aufsetzten, einen ganzen Tag damit verbringen, das analoge Mischpult anhand von aufgenommenen Fotos wieder korrekt einzustellen. Die Entscheidungen, die beim Arrangement und bei der Transparenz getroffen werden, müssen bei der Analogtechnik genau geplant werden. Bei der digitalen Technik speicherst du alles ab, und änderst einfach per Mouseklick und nach Bedarf.

 

 

Man muss sich bei der analogen Produktion also fragen: Ist dies das Stück, das ich für die Ewigkeit hinterlassen möchte?

Mit dem Zusatz, dass man vielleicht noch mal eine Nacht darüber schläft und dann entscheidet, was die Notwendigkeit von Sequenzen angeht. Jeder Ton bekommt auf einmal eine ganz andere Relevanz – und das ist, glaube ich, was dem Hörer bei „Illuminate“ auffallen könnte. Die Sounds sind überwiegend analog entstanden. Die unendliche lange, aber äußerst wichtige Kette von Entscheidungen, die dem finalen Werk vorangeht – das hat mich angetrieben, mit Analogtechnik zu arbeiten.

Machen wir einen Quantensprung: von analogen Recording Studios in die großen Arenen und deinen Liveshows. Kannst du schon etwas über die Bandbesetzung verraten?

Das Line-up hierzu wird dieses Mal sehr elektronisch werden. Das Album ist ja auch sehr elektronisch, gepaart mit Gitarrensounds, gespielt von Günter Haas, mit dem ich schon viele Jahre zusammenarbeite und der uns auch bereits auf Tourneen begleitet hatte. Ich habe auf dem Album auch versucht, das Live-Line-up der Band einzubeziehen. Es gibt eine Zusammenarbeite mit Cédric Monnier – einem Schweizer Pianist. Auch wird der Schweizer Produzent und Komponist Robin Tadic aka Typewriter mit auf Tour gehen. Mit ihm zusammen enstand „Lykke“. Zudem werden Tricia McTeague und Ro Nova dabei sein, die auch schon bei der Clubtour mit dabei waren. Und die iranische Künstlerin Yalda Abbasi, die gerade vorgestern zugesagt hat.

Man kennt sie ja von „Das Goldene Tor“ aus dem Album „Morgenstund“.

Genau, und auf „Illuminate“ ist sie im Stück „Love And Tears“ zu hören. Sie war ja auch bei der letzten Tour dabei. Generell möchte ich ein sehr klares elektronisches Klangbild auf der Tournee vermitteln, mit gezielt eingesetzten Gitarrenakzenten. Ein paar Überraschungen gibt es obendrein auch noch. Die sind aber noch nicht spruchreif, sondern in der Entwicklungsphase.

Das heißt, die Drums werden gar nicht personell besetzt?

Wir werden definitiv mit elektronischen Drums arbeiten. Aber ein konkreter Name steht hier noch nicht fest. Wir haben auf der Clubtour gemerkt, dass dies eine ganz tolle Art ist, die Musik zum Leben zu erwecken. Denn gerade bei den leiseren Passagen bietet ein elektronisches Drumkit mehr Felxibilität als das akustische.

Nebst Musik gehört zu „Schiller live“ auch das Licht. Auf die Zuschauer kommt – ich zitiere – eine „immersive Lightshow“ zu. Kannst du hierzu schon Details erwähnen?

Jein. Hier sind wir noch im Entstehungsprozess und nehmen gerade die Vor-Ort-Gegebenheiten der Venues unter die Lupe. Klar könnte man denken „Eine Arena ist eine Arena ist eine Arena“. Aber es gibt halt schon noch Unterschiede, was technisch vor Ort möglich ist – und was nicht. Und wir wollen ja schon ein möglichst homogenes Live-Erlebnis erschaffen. Anspruch ist, das Optimum des möglich Machbaren umzusetzen.

Ist der Licht-Designer der gleiche wie auf der letzten Tour?

In der Tat habe ich hier gewechselt. Es ist jetzt ein Team. Und bei der kommenden Tour habe ich auch sehr viele eigene Vorstellungen, die sich in den letzten Jahren nicht manifestiert hatten, und die wir jetzt mit einem kreativen Team – einem Licht-Kollektiv – umsetzen wollen. Mehr Details möchte ich aber nocht nicht verraten. (lacht)

Du spielst in deinen Shows auch immer Schiller-Klassiker, wie „Berlin Moskau“. Ganz nice übrigens: Ich hatte vor einigen Monaten eine gut 50-minütige „Ultimative Experience“-Version entdeckt. Großartig! Wenn ich mir persönlich von dir einen Titel in dieser kreativ-überarbeiteten Länge wünschen dürfte, wäre es „Schiller“. Wie groß sind die Chancen?

Ach, das ist ja interessant. Guter Vorschlag. (lacht) Natürlich ist „Schiller“ eins meiner Lieblingsstücke. Es hat auch über die Jahre hinweg eine intensive Entwicklung durchlebt. Und in der Tat bin ich gerade dabei, meinen Backkatalog neu aufzulegen. Es gab noch nie eine „Weltreise“-Vinyl, noch nie eine „Zeitgeist“-Vinyl. Im Zuge des Masterings war ich „gezwungen“, mir die alten Alben noch einmal anzuhören, die natürlich irgendwann im Nirwana der eigenen Erinnerungen verschwunden waren. Ich war teils ganz perplex, wie „Schiller“ mal klang und wie viele verschiedene Versionen es mittlerweile gibt. Das Stück bietet aber auch unheimlich viel Interpretationsspielraum. Und wer weiß, vielleicht greife ich deine Idee mal auf – dann gebe ich dir Bescheid (lacht)

Oh ja, gerne. Denn „Schiller“ ist – wie ich finde – ein Stück, an dem man sich nicht satthören kann. Egal ob Album-Version auf „Weltreise“ oder Live-Version auf „Zeitreise“.

Das freut mich. Und obwohl die Nummer schon „uralt“ ist, taucht sie in jeder Live-Setlist auf. Und manchmal frage ich mich im Vorfeld bei den Tourplanungen, ob ich sie nicht mal weglasse. Aber spiele ich sie dann doch, bestätigt mich der Szenenapplaus immer wieder: gute Entscheidung, „Schiller“ gespielt zu haben.

 

 

Nun ist heute Montag, der 13. Februar 2023. Und bis zum Tour-Auftakt sind es noch ein paar Wochen. Vielleicht kannst du mir einen kurzen Ablauf geben, wie du momentan deine Tage so gestaltest. Wenn ich mich recht erinnere, bist du ein Frühaufsteher …

Bin ich (lacht). Der Tagesablauf sieht eigentlich noch genauso aus wie bei unserem letzten Gespräch. Ich stehe nach wie vor zwischen 6 und 7 Uhr auf – im Sommer früher, so gegen 5, 6 Uhr. Und bis ca. 15/16 Uhr ist für mich die kreative Phase, in der ich viel Musik mache. In der zweiten Tageshälfte kümmere ich mich gerne um Social Media. Sehr spannend, auf Facebook & Co. in Kontakt zu treten und zu bleiben.

Das heißt, du beantwortest die Fragen der Community persönlich? Und nicht das Management?

Ja, alles was auf Social Media von Schiller kommt, kommt von mir. Das würde ich nie in fremde Hände geben.

Das wundert mich ehrlich gesagt ein bisschen. Denn ich habe vorhin kurz mal bei FB auf dein Profil geschaut und dort war von dir eine recht ausführliche Antwort. Ein Fan der ersten Stunde schrieb, dass er mit deinem heutigen Sound nicht mehr allzu viel anfangen kann, und dass er nach „Sehnsucht“ sozusagen „raus“ war. Und du hattest sinngemäß geantwortet „Lieber XY, danke für dein ehrliches Feedback. Ja, das Leben verändert sich im Laufe der Zeit, ebenso der Sound, auch ich als Person habe mich verändert. Auf „Illuminate“ sind 28 Stücke. Hör doch mal rein, wenn es so weit ist. Vielleicht packt dich ja doch noch der ein oder andere Titel. Gib mir gerne noch einmal Feedback“.

Schön, dass dir das aufgefallen ist. Und schau, es sind ja erwachsene Menschen, die das schreiben. Und so etwas zu schreiben, fällt demjenigen womöglich ja auch nicht so leicht. Er musste ja auch damit rechnen, dass ich es lese. Und es gab auch einmal eine Phase, in der ich große Angst vor Kritik hatte. Und ich traute mich aktiv nie auf die Socials. Ich hatte zwar etwas gepostet, aber dann schnell: Seite zu und nie wieder aufmachen, aus Angst, lesen zu müssen „Was du produzierst, gefällt mir nicht“. Heute ist das aber so – solange der Kommantar im Korridor des guten Tons bleibt –, dass ich mich der Kritik stelle. Ich bin ja auch froh, dass sich derjenige die Zeit genommen hat, Stück „ABC“ oder Album „XYZ“ anzuhören und sich damit zu beschäftigen.

Gerade im Fall von „Illuminate“ ist es zum jetzigen Zeitpunkt – Mitte Februar – schwierig zu urteilen.

Eben, weil gerade einmal erst zwei Songs veröffentlicht wurden. Zwei von 28. Und ich finde, „Illuninate“ ist besonders vielfältig geworden. Titel, die teils sehr unterschiedlich sind. Ich bin sehr gespannt, was Leute sagen, die behaupten „Na ja, früher fand ich deine Musik besser“. Denn es sind tatsächlich auch ein paar 90er-Vignetten auf dem Album. Ich packte beispielsweise spontan den Roland 909 Schlagzeugcomputer aus, der früher Markenzeichen von Schiller war. Der stand lange in der Ecke – und nun habe ich den Sound neu integriert und mit anderem Sound kombiniert. Vielleicht fühlt sich der ein oder andere Hörer direkt „abgeholt“, weil die Sounds einen Wiedererkennungswert an damals liefern. Mit Nostalgie in die Zukunft (lacht).

Ein gutes Schlusswort. Vielen lieben Dank für fast eine Stunde Schiller-Talk. Wir sehen uns bestimmt auf dem ein oder anderen Konzert.

 

 

 

(C) Foto: Annemone Taake