Schiller: Orchester trifft auf Elektronik – das große Interview

Schiller ist zurück. Wobei er nie weg war. Ziemlich genau vor einem Jahr kam unter seinem Realnamen Christopher von Deylen das Album „Colors“ heraus. Nun, am 12. November 2021, erscheint „Epic“ unter dem Schiller-Alias. „Epic“ heißt es, das Album. Und eposal ist es auch, das Album. Ein bombastisches Klangerlebnis, das für mich eine gefühlte Weite darstellt. Zurückzuführen auf die Kombination des … nein, den Begriff „typischen Schillersounds“ möchte ich hier nicht verwenden. Eher: Zurückzuführen auf die Kombination des „Schillernden Wiedererkennungswertes“ und der imposanten Darbietung eines 40-köpfigen Sinfonie-Orchesters. Ich habe mich mit Christopher zum Telefonat verabredet und über Entstehung, Produktionsprozess und die Herausforderung, Streicher und Harfe mit Synthesizer und Electrobeat zu vereinen, gesprochen. Ein Gespräch, das sehr ins Detail geht, da ich persönlich seit Beginn an mit dem Schiller-Sound vertraut bin und Christopher auch bereits einige Mal getroffen und interviewt habe. Taucht ein mit mir in die faszinierende Welt von Schiller.

 

Während viele Journalisten die Vorreiter von „Epic“ womöglich im Album „Opus“ und dem Live-Coming-up „Symphonia“ sehen, reise ich noch ein Stück weiter in die Vergangenheit: „In der Weite“, ein Titel auf dem „Sehnsucht“-Album war schon immer ein Stück, das mir eine Gänsehaut bereitete. Sind in diesem Klassik-Titel die Anfänge von „Epic“ zu suchen?

Jein. Ich würde sogar noch ein wenig weiter zurückgehen. „Ein schöner Tag“. Klar, der Titel ist nicht unbedingt orchestral, aber durchaus im Klassiksegment einzurodnen. Ich würde sagen, dass diese Art von Sound schon immer in der Klang-DNA von Schiller war. Die Intensität lag zwar stets auf elektronischen Klängen, doch durch den Einsatz eines Orchesters wagte ich diesmal einen Bruch, hin zu klassischem Sound. Und im Nachhinein betrachtet könnte man „Epic“ durchaus als den dritten Teil einer Trilogie ansehen. Allerdings lag nie der Fokus darauf, „Opus“ und „Symphonia“ in irgendeiner Weise fortzusetzen.

 

Der Unterschied zwischen „Opus“ und „Epic“ ist ja auch: Auf „Opus“ waren in Anführungszeichen „Cover-Versionen“ bereits vorhandener Klassikstücke. Und „Epic“ ist völlig neuer Sound.

Richitg. Und „Symphonia“ war die orchestrale Live-Version bereits vorhandener Schiller-Titel. „Epic“ hingegen ist nun die Symbiose aus beidem: Cello, Horn und Streicher treffen auf Synthesizer und Electro.

 

Lass uns gerne mal über die Idee hinter „Epic“ plaudern.

Die Überlegung war: Sollen es die puren Schiller-Tracks sein, die im Nachhinein dann mit orchestralen Elementen verziert werden – oder soll es genau umgekehrt ablaufen, dass ich mit dem Orchester beginne und sich die Elektronik dann um die Klassik webt. Ich entschied mich für den zweiten Weg. Ich habe die Orchester-Melodien per Computer generiert und die „Stimmen“ von (beispielsweise) Cello und Contrabass simuliert. Ziel: Ein Gefühl bekommen, wie sich das Ganze verzahnen lässt. Ein Orchestrator half mir anschließend dabei, die Melodien in Notenform zu bringen. Denn ein Orchester spielt bekanntermaßen nach Noten – während die Schiller-Band bei den Probeaufnahmen nach Gehör spielt und man sich das Gespielte einprägt. Das war Neuland für mich. Zwar waren die Noten auf dem Papier noch nicht in Stein gemeißelt, aber wenn du mit einem 40-köpfigen Orchester probst, kannst du nicht spontan sagen „Liebe Violine, spiele bitte mal eine andere Melodie. Warte, ich summe sie mal eben vor“ (lacht). Ähnlich also wie beim Film, da beim Dreh auch nur sehr selten etwas am Skript geändert wird. Der Gedanke war: Die Orchesterstücke sollen so komplex und vielschichtig sein, dass sie auch ohne Elektronik auskommen.

Die Orchester-Aufnahmen entstanden in eine Studio, in dem bereits Hans Zimmer für Hollywood-Blockbuster gearbeitet hat.

Exakt. Im Wiener Tonstudio Synchron Stage. Das hat sich in den letzten Jahren einen großen Namen ausschließlich für Filmmusik gemacht. Dort gibt es einen wunderbaren Aufnahmenraum, der dank eines hervorragenden Grundsounds optimale Bedingungen mit sich bringt. Eine beeindruckende Klang-Kathedrale, sehr hoch, sehr großzügig geschnitten. Hier fanden die Aufnahmen statt, die ich anschließend mit in mein Studio nahm. Dort war ich zunächst etwas ratlos.

 

Oh. Weil?

Weil die Stücke gefühlt bereits komplett waren. Somit habe ich weitaus länger gebraucht, eine elektronische Klangsprache zu finden, die diese Aufnahmen umgeben und …

 

Entschuldige, wenn ich dich unterbreche, aber: Du hattest doch den Schiller-Sound für diese orchestralen Aufnahmen bereits im Kopf – oder sogar schon vorproduziert auf dem Computer.

Eigentlich nicht. Gerade die Stücke, in denen das Orchester sehr prominent zu hören ist, waren als Klassikstücke angelegt – und nur in meiner Fantasie gab es Sound-Schnipsel, die ich hinzufügen wollte. Ich glaubte, innerlich zwar zu hören, wie sich diese Stücke in die Schiller-Welt transportieren lassen. Doch das alles war komplexer als gedacht. Alleine was den Frequenzbereich eines Orchesters angeht … da ist es sehr schwer, Synth-Pads zu erzeugen, da die Streicher sozusagen diese Aufgabe bereits erfüllt haben. Ich musste dann quasi ein „Upgrade“ der Schiller-Klangfarbe finden – was sehr, sehr spannend war und mir sehr viel Spaß bereitet hat.

 

Wie hast du das umgesetzt?

Annette Humpe sagte einmal „Popmusik ist die Kunst des Weglassens“. Und genau das fällt mir persönlich extrem schwer (lacht). Doch getreu der Devise „Kill your Darlings“ habe ich das dann gemacht und erreichte genau die Intensität, die die Stücke verdient haben.

 

Und ich finde, dieser Mut wurde belohnt. Nehmen wir mal „Do you see the Light“, ein Stück, das ein dreieinhalb-minütiges Klassik-„Intro“ hat, bevor der erkennbare Schiller-Sound einsetzt. Hier dominiert eindeutig das Orchester, während „Dark Sun“ eher beat-orientiert ist und das Orchester dezent im Hintergrund agiert.

Genau richtig. An „Do you see the Light“ habe ich sehr lange gearbeitet, und ich habe mir den Luxus gegönnt, der Klassik einen so langen „Vorlauf“ zu geben. Das Konzept war, dieses Stück nicht mit Schiller-Sound „zuzuspachteln“, sondern der Musik die Luft zum Atmen zu geben, ehe sich dann der Schiller-Sound entfaltet. Bei „Dark Sun“ hingegen sind die Rollen vertauscht. Das Orchester kommt nur im minimalistischen Ansatz zur Geltung, und die Elektronik überwiegt.

Du hattest vorhin ja kurz das Thema Drehbuch angesprochen. Wie ist das bei „Epic“? Bist du der alleinige Drehbuchautor oder hatte das Orchester ein gewisses Mitspracherecht an der Ausführung und Umsetzung der Produktionen?

Meine Erziehung und Bescheidenheit müsste mich jetzt eigentlich sagen lassen, dass wir alles gemeinsam gemacht haben. Aber in diesem Falle darf ich voller Stolz sagen, dass „Epic“ mein Werk ist. Es gab allerdings auch ein paar „illegale“ Töne. Also Noten, die ich für das Stück vorgesehen hatte, die es einem Horn aber gar nicht möglich waren zu spielen – aufgrund der Tatsache, dass der Tonumfang begrenzt ist. Hierüber habe ich mich im Vorfeld etwas hinweggesetzt, weil ich dachte „Na ja, wenn sie ein bisschen stärker reinblasen, klappt das schon“ (lacht). Fehlanzeige. An einigen Stellen haben der Orchestrator und ich dann Stücke leicht angepasst. Allerdings waren das technische Aspekte, keine künstlerisch kreativen.

 

Kamen beide Seiten – Schiller und Orchester – eigentlich mal an einen Punkt, an dem es hieß: Das wird nichts.

Du meinst die Situation, wenn der Dirigent sich höflich räuspert, Mundwinkel verzieht und abbricht? Zum Glück nicht. Allerdings hatte ich vorab nur eine einzige Recording-Session mit dem Orchester geplant, merkte jedoch bereits währenddessen, dass eine zweite folgen würde. Ich wollte das, was ich im ersten Run gelernt hatte, unbedingt noch verfeinert umsetzen. Somit gibt es auf „Epic“ deutlich mehr orchestrale Stücke als zuvor angedacht.

 

Kleiner Exkurs in den Backstagebereich der Musikproduktion: Was ist ein Orchestrator?

Ein Orchestrator ist eine Person, die ein Arrangement für ein Orchester aufbereitet. Zum einen geht es um die Umwandlung von Midi-Noten in „reale“ Noten, zum anderen geht es um Ausdrucksformen wie Crescendo und Decrescendo, Pianoforte und Fortissimo. Ben Palmer – der Orchestrator – hat hier großartige Vorschläge gemacht zu evaluieren, wie eine Violine beispielsweise im Pianissimo klingt. Oder er stellte musikalisch die Frage, wie sinnvoll es ist, ein Cello im Fortissimo zu spielen, wäre Mezzoforte doch womöglich angemessener. Ein Arrangeur – das Gegenstück zum Orchestrator – hingegen würde die Stimmen erfinden. Er schreibt Melodien, die es vorher nicht gab. Dies war in diesem Fall mein Part.

 

Wie war das Orchester personell und musikalisch besetzt?

Es gibt natürlich eine Art „Stammbesetzung“ mit Violine, Streicher, Fagott und so weiter. Percussion, Pauken etc. gehören im Gegensatz nicht zum Standard. Alles lässt sich auf Wunsch natürlich erweitern oder reduzieren. Wir haben uns auf den epischen Klangkörper fokussiert und andere Instrumente weggelassen. Dafür haben wir dann zum Beispiel nicht nur ein einziges Horn verwendet, sondern gleich mehrere. Das ist ein großer Unterschied in der Sound-Intensität, wenn du mehr oder weniger gleiche Instrumente einsetzt. Wir hatten noch Pausaunen bei der zweiten Aufnahmesession dabei, weil sie klanglich viel tiefer rüberkommen als die Hörner.

 

Auf „Epic“ gibt es aber auch Stücke ohne Orchester.

Korrekt. Disk 1 vereint orchestralen und Schiller-Sound, Disk 2 ist ausschließlich – bis auf einen Titel – non-orchestral.

 

Und dieser eine Titel ist „Odyssey“ – die „Long Version“ von „White Nights“, wenn man so will.

So ist es. „Odyssey“ ist die Kombination aus vier „Orchester only“-Stücken. Der Rest ist rein elektronisch.

 

Würde der Laie denn raushören, ob die Aufnahmen von einem echten Orchester stammen oder ob klassischen Instrumente am Computer erzeugt wurden?

Man kann erstaunlich gut mit Orchester-Librarys arbeiten, aber wenn man als Produzent die Wahl zwischen diesem und einem richtigen Orchester hat, dann ist die Entscheidung leicht. Egal wie viele Gigabyte und Phrasierungen man auf der Festplatte hat – das „Plastik-Orchester“ kann nicht mit einem realen Orchester mithalten.

 

Der Vorteil eines großen Orchesters ist auf „The Endless“ zu hören. Du schaffst mit einer aus wenigen Noten bestehenden Melodie ein bombastisch klingendes Werk dank der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten an musikalischer Elemente des Orchesters. Man erzeugt eine enorme Wirkung und hat durch die vielen Instrumente einen großen Spielraum.

Das ist ja gerade das Schöne dabei. Hier kommt mir sehr entgegen, dass ich auch in der Schiller-Welt über die Jahre hinweg immer wieder versucht habe, der kompositorischen Effizienz treu zu bleiben und sie weiterzuentwickeln. Das merke ich stets bei den Live-Versionen von „Das Glockenspiel“. Der Titel hat so wenig Töne – und wenn da auch nur ein Ton danebengeht, merkt man natürlich den Fauxpas. Es ist stets eine Herausforderung, „Das Glockenspiel“ auf der Bühne bei jeder Tour musikalisch in einem anderen/neuen Gewand umzusetzen – was der Tatsache geschuldet ist, dass es eben so wenige Töne hat. Das ist der „Nachteil“ bei minimalistischen Melodien.

Auf Disk 2 ist mir aufgefallen: Alle Titel sind rein instrumental. Könnte dir der eingefleischte Schiller-Fan den Vorwurf machen: Wo sind die Vocal-Tracks wie „Fire“, „Velvet Aeroplane“, „Tired“ oder „I’ve seen it all“? Mit solchen Stücken sparst du in den letzten zwei Jahren.

Das stimmt. Wobei es keinen Vorsatz gab, explizit Instrumental-Versionen zu veröffentlichen. Musik und musikalische Begegnungen ergeben sich einfach. Es gab Zeiten, in denen ich gar nicht wusste, wohin mit all den Vocal-Tracks. Da hätte man mir vorwerfen können „Wo sind denn die Instrumentalstücke?“. Es ist weder ein Dogma noch eine bewusste Entscheidung, instrumentale Stücke zu schreiben. Mir fehlen sie aber auch nicht, ehrlich gesagt. Ich hatte nie den Ansporn, mit einer gewissen Prozentzahl eine Vocal-Quote zu erfüllen.

 

In der Pressemitteilung war zu lesen, dass es 2022 eine „Metropolis Club-Tour“ geben wird. Klingt nach den „Klangwelten“-Touren. Kannst du hierzu schon Details verraten?

Ja und nein. Ich habe 2020 die „Piano & Elektronik“-Tour gespielt. Das war meine erste reine Club-Tour und es hat mir unendlich viel Spaß gemacht, so nah vor dem Publikum zu spielen. Das allererste Schiller-Konzert 2001 mit der späteren Kernband um Gary Wallis war bereits ein Club-Konzert in einer mittlerweile gar nicht mehr existierenden Location auf der Reeperbahn. Ich wollte auch anfangs nie auf die große Bühne. Ich war immer Studiomusiker und daran interessiert, was hinter den Kulissen passiert. So interessierte ich mich bei Platten, die ich mir gekauft hatte immer für das Kleingedruckte: Wer ist der Komponist, wer ist Produzent, wo wurde das aufgenommen? Doch mit der Zeit kam es anders, dass ich großen Spaß an den Shows hatte. Doch ich wollte auch immer wieder zurück und kleine, intime Konzerte spielen. Somit kann ich sagen: Ja, es wird eine Club-Tour geben. Und nein: Ich kann noch nichts Detailliertes zur musikalischen Umsetzung auf der Bühne sagen.

 

Heißt: Es steht noch nicht fest, ob du eine Solo-Show spielen wirst oder ob weitere Musiker dabei sind.

Richtig. Und weil du vorhin die „Klangwelten“ erwähnt hast: Sie waren sehr zum Relaxen, Fallenlassen. Die Club-Tour wird in Sachen Repertoire sehr energetisch werden. Freut euch auf etwas ganz Neues aus der Schiller-Welt.

 

Abschließender Tipp meinerseits: Connectet euch über Facebook und YouTube mit Schiller – und bleibt so auf dem Laufenden. Hier gibt es zahlreiche Specials, wie „Behind the Scenes“-Material und vieles mehr.

 

 

www.schillermusic.com

 

Fotos: Gregor Hohenberg