Spannend ist nicht nur der Name der Band Seadrake, sondern auch ihre Entstehungsgeschichte und die Vita der beiden Mitglieder Mathias und Rickard. Anlässlich ihrer neuen Single „The Fever“ haben wir beschlossen, der Geschichte des Crossover-Projekts auf den scharfen Zahn zu fühlen. Die Entdeckungstour führte uns nach Zürich und Stockholm.
Seadrake besteht aus zwei Musikern – Rickard und Mathias. Wie habt ihr euch kennengelernt und wie seid ihr auf den Namen Seadrake gekommen?
Mathias Thürk (MT): Nach meinem Ausstieg bei meiner früheren Band Minerve hatte ich den Wunsch, neue Lieder, aber mit unterschiedlichen Sänger*innen und Künstler*innen, aufzunehmen. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf bin ich dann ganz alleine ins Studio gegangen und habe mit Hilfe des damaligen Produzenten Olaf Wollschläger und Gastmusiker*innen die ersten Lieder aufgenommen, auch mit unterschiedlichen Sänger*innen. Als dann erste Zweifel hinsichtlich der Realisierbarkeit von Liveauftritten mit vielen unterschiedlichen Künstler*innen bei mir aufkamen, entschied ich mich, das ursprüngliche Konzept zu verwerfen und weitere Leute zur Band zu holen. Einer von ihnen war mein guter Freund Rickard, den ich schon sehr lange kannte, da unsere früheren Bands oft gemeinsam auf verschieden Konzerten und Festivals gespielt hatten. Gleichzeitig kümmerte er sich um alle grafischen Aspekte der letzten Veröffentlichungen meiner damaligen Band. Von daher war es für mich nur logisch, ihn zu fragen und ich bin froh, dass er bis heute dabei ist. Zusammen mit dem damaligen Sänger wurde dann nicht nur der Bandname neu entwickelt, sondern auch unser Debütalbum „Isola“ fertiggestellt und live präsentiert. Mit Beendigung der „Isola“-Tour war für mich klar, dass die neuen Songs auf jeden Fall anders klingen sollten. Glücklicherweise sah das Rickard genauso und nach einer überraschenden Veränderung innerhalb der Band entschieden wir uns dazu, Seadrake von nun an als kreatives Kollektiv zu betrachten und den Künstler*innen selbst zu überlassen, wie lange und in welcher Form sie mit uns beiden zusammenarbeiten möchten.
Rickard: Mathias und ich haben uns auf einer Tournee kennengelernt, in Polen, wenn ich mich recht erinnere, mit unseren früheren Elektronik-Bands Minerve und Lowe. Das war damals in den frühen Nullerjahren und es war eine wirklich dekadente Zeit, zumindest für mich (lacht). Dann sind wir uns immer wieder auf verschiedenen Festivals über den Weg gelaufen und blieben in Kontakt. Wir haben uns für den Namen Seadrake entschieden, weil er sich wie eine Gegenüberstellung anfühlt, du weißt schon, Feuer und Wasser, was wiederum die Musik beschreibt, die wir machen.
Ihr habt beide einen musikalischen Hintergrund. Wann wusstet ihr, dass ihr als Musiker Geld verdienen wollt, und wie hat eure Familie reagiert?
MT: Ich habe das Musikmachen immer nur als mein Hobby betrachtet und daher auch nie die Ambitionen gehabt, das Musizieren hauptberuflich zu betreiben. Der daraus resultierende Vorteil ist, dass ich das Musikmachen wirklich als meine künstlerische Ausdrucksform nutzen kann, ohne dabei kommerzielle Interesse berücksichtigen zu müssen. Anders ausgedrückt: Ich kann machen, was ich will und wann ich es will, und kann dabei total ignorieren, ob ich damit Geld verdiene oder nicht. Somit ist es auch möglich, Experimente zu wagen oder sich als Künstler breitgefächerter aufzustellen. Diese Freiheit genieße ich sehr.
Rickard: Mein Vater war Musiker (Rutger Gunnarsson, der Bassist von ABBA), und ich war oft mit ihm im Studio und auf Tournee. Ich wusste also von Anfang an, dass ich Musik machen wollte … Ich habe sogar meine erste Single veröffentlicht, als ich sechs Jahre alt war, und sie wird in Schweden immer noch im Radio gespielt (lacht). Als Teenager fing ich an, elektronische Musik zu machen und schleppte Sampler und Keyboards zu verschiedenen Shows in Schweden. Meine Eltern haben mich anfangs sehr unterstützt, indem sie mich zum Klavier- und Chorunterricht mitnahmen, und ich konnte mir viel Equipment von meinem Vater leihen … er war nicht wirklich an elektronischem Equipment interessiert, sodass ich sehr schöne Instrumente kaufen konnte, die damals ziemlich teuer waren, wie Sequenzer, Sampler, Drum Machines und die ersten Synthesizer. Aber sie haben die Musik, die ich damals gemacht habe, nicht wirklich verstanden, was ziemlich schwierig war, sodass sie mich erst, als ich Anfang 20 oder so war, live spielen sahen.
Wie beschreibt ihr die verschiedenen Elemente der Musik, die ihr kombiniert, und wie entsteht die Musik? Wer macht was im Studio – wie ist eure Arbeitsteilung?
MT: In der Vergangenheit war es so, dass ich viele Songs schon zu Hause als Demo fertig machte und dann die jeweilige Sänger*in dazu gesungen hatte. Im Studio wurden dann alle Demos nochmal überarbeitet und in der endgültigen Version fertiggestellt. Mit der Hinzunahme weiterer Leute kamen natürlich auch neue Ideen dazu, weshalb später sogar einige Songs von ihnen auf unserem Debütalbum landeten. Nach Beendigung der Tour und einer Veränderung in der Bandkonstellation war für Rickard und mich direkt klar, dass wir die Songs von nun an gemeinsam entwickeln. Wir haben dann unsere Demos in einem Dropbox-Ordner gesammelt und immer, wenn jemand das Gefühl hatte, dass das jeweilige Demo Potenzial für einen spannenden Song haben könnte, dann wurde gemeinsam daran weitergearbeitet.
Rickard: Ja, wir teilen unsere Arbeit immer auf. Bei der neuen Single „The Fever“ haben wir von Anfang an sehr eng mit dem schwedischen Produzenten Tobias Ersson zusammengearbeitet. Ich war mit ihm hier in Stockholm im Studio, und dann haben wir Mathias in Zürich Versionen geschickt, die er dann weiterentwickeln konnte.
Seit 2017 habt ihr mehrere erfolgreiche Veröffentlichungen herausgebracht und viele Länder als Live-Act besucht, zum Beispiel Russland. Zu einer Zeit, als alle hofften, dass wir die Pandemie hinter uns haben, brach der schreckliche Krieg in der Ukraine aus. Wie war eure Reaktion darauf? Und wie waren eure Erfahrungen seinerzeit in Russland?
Rickard: Wir haben mit Seadrake noch nicht in Russland gespielt, aber sowohl Mathias als auch ich haben mit unseren früheren Bands in Russland gespielt. Ich habe auch viel in der Ukraine gespielt, und ich glaube, es ist das Land außerhalb Deutschlands, in dem ich am meisten gespielt habe. Wir haben viele Freund*innen in der Ukraine, deshalb haben wir die Nachrichten und die Situation sehr genau verfolgt. Am frühen Morgen des 24. Februar erhielt ich eine SMS von einem Freund in Kiew, in der stand, dass Russland einmarschiert sei. Seitdem stehen wir täglich in Kontakt mit allen, die wir dort kennen, und versuchen, ihnen von unserem Standort aus zu helfen, so gut wir können. Manche Leute sagen, dass man Musik und Politik nicht vermischen sollte, und ich war früher dieser Meinung, aber jetzt nicht mehr. Als Künstler*in hat man eine Menge Einfluss, und wenn ich diesen nutzen kann, um Informationen zu verbreiten, warum sollte ich das nicht tun?
MT: Aus diesem Grund haben wir uns auch entschieden, mehr zu tun, als nur ein Profilbild zu ändern oder ein kurzes Statement gegen den Krieg zu posten. Wie Rickard schon sagte, können Künstler*innen aufgrund ihrer Reichweite mehr erreichen, und wir wollten mit gutem Beispiel vorangehen. Wir haben direkt mit Beginn des Krieges 1.500 Euro an das ukrainische Rote Kreuz gespendet und das auch öffentlich gemacht, in der Hoffnung, dass auch andere Bands unserem Beispiel folgen. Zusätzlich werden alle Einnahmen aus den Downloads/Streams unserer aktuellen Single „The Fever“ an das ukrainische Rote Kreuz gehen. Und wir haben nun auch damit begonnen, geflüchtete Freund*innen aus der Ukraine bei uns zu Hause aufzunehmen. Man kann viel Gutes in diesen schlimmen Zeiten tun, man muss es nur wollen … und hierzu möchten wir die Leute animieren.
Eure neue Single heißt „The Fever“. Inwieweit stellt sie ein neues Kapitel in der Bandgeschichte dar und wie habt ihr die Sängerin der Single, Dorian E, kennengelernt?
Rickard: Als wir anfingen, neue Songs zu schreiben, beschlossen wir, zur ursprünglichen Idee von Seadrake zurückzukehren, nämlich, dass es ein bisschen wie ein Kollektiv mit Sänger*innen und Musiker*innen sein sollte, die kommen und gehen, wie es ihnen gefällt. Es macht viel mehr Spaß, Songs für verschiedene Sänger*innen zu schreiben, da sie alle unterschiedliche Sichtweisen haben. Außerdem kann man mehr Erfahrungen mit Tonartwechseln und Arrangements machen. Ich hatte Dorian zum ersten Mal gehört, als sie noch bei der Shoegaze-Band Seasurfer sang. Im Laufe der Jahre haben wir uns dann kennengelernt und angefangen, über gemeinsames Musizieren zu sprechen. Dorian hat eine unglaubliche Art, unsere Musik in Worte zu fassen, und wir wussten sofort, dass das so sein sollte.
Wann können wir mit einem neuen Album rechnen und inwieweit werden die letzten Geschehnisse eure kommende Arbeit beeinflussen?
MT: Um ehrlich zu sein, konzentrieren wir uns aktuell eher auf das Single-Format. Es gibt uns die Möglichkeit, schneller neue Songs zu testen bzw. zu veröffentlichen und gleichzeitig auch wieder etwas präsenter bei unseren Fans zu sein. Parallel dazu erlaubt uns das Format, auch Experimente zu wagen, welche im Albumkontext vielleicht nicht so passend gewesen wären, aber im Rahmen einer einzelnen Veröffentlichung trotzdem das Licht der Welt erblicken können. Das soll nicht heißen, dass wir das Album-Format für uns als Medium abgeschrieben haben, aber zurzeit fühlen wir uns mit dem Single-Format einfach freier und flexibler.
Drei Bands, die euch als Kind beeindruckt haben – drei Bands, die euch immer noch beeinflussen?
MT: Auch wenn das jetzt etwas uncool klingt, aber die erste Band, die mich als Kind wirklich begeistert hat, war Modern Talking (lacht). Kurze Zeit später hat mir dann mein Cousin Depeche Mode vorgespielt und ich war total überwältigt von der Energie ihrer Musik. Eine weitere prägende Band war Front 242, die für mich immer etwas Unheimliches an sich hatte, aber vielleicht deswegen auch so faszinierend für mich war. Heutzutage bin ich musikalisch breiter aufgestellt, daher ist es schwer für mich, nur drei Bands oder Künstler*innen zu benennen.
Sven Väth begeistert mich schon seit Jahrzehnten und seine „In the Mix“-Compilations sind immer wieder ein Genuss. Als weiteren prägenden Künstler würde ich aktuell die Band Starset benennen, da sie die Elemente „Rock“ und „Electronic“ perfekt zu einem energiegeladenen Mix vereinen. Als letzten möchte ich dann noch den Künstler Trentemøller benennen, denn seine Vielschichtigkeit und seine Art, Melancholie irgendwie positiv klingen zu lassen, beeindrucken mich immer wieder aufs Neue.
Rickard: Meine allererste Band war natürlich ABBA, und ich schätze sie immer noch sehr, wenn es um Songwriting und Produktion geht. Der britische Künstler Robert Palmer und vor allem das Album „Clues“ haben mich sehr beeinflusst … Ich höre dieses Album immer noch ziemlich oft. Und die Pet Shop Boys sind ein Muss für mich. Ich war ein großer Fan, als ich ein Kind war, und ich denke immer noch, dass „Rent“ einer der besten Popsongs überhaupt ist. Heutzutage finde ich es inspirierender, Soul, Chanson oder Funk zu hören, weil ich dadurch mehr Ideen für meine eigene Musik bekomme. Ein offener Geist ist immer gut.
Die Single „The Fever“ ist auf allen gängigen Plattformen und als limitierte CD-Single verfügbar.
Aus dem FAZEmag 122/04.2022
Text: Sven Schäfer
Credit: Chris Ruiz
www.seadrakemusic.com