Sezer Uysal – zwischen Struktur und Seele

Sezer Uysal – zwischen Struktur und Seele

Mit „Regeneration“ legt er nicht nur ein neues Album vor – sondern ein emotionales Selbstporträt. Entstanden in einer Phase des Umbruchs, erzählt das neue Werk von Sezer Uysal von Rückbesinnung, Verletzlichkeit und der Suche nach Sinn. Wenn Künstler wie er von innerer Transformation sprechen, klingt das nicht wie ein PR-Versuch, sondern wie das, was es ist: der Ausdruck eines tiefgreifenden persönlichen Wandels. „Regeneration“, sein neues Album, das auf seinem eigenen Label Theory X erscheint, ist keine bloße Sammlung neuer Tracks – sondern das Ergebnis eines langen inneren Weges.

„Dieses Album ist tief persönlich“, sagt er. „Nach einer langen und intensiven Zeit, in der ich auch mit ernsthaften gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte, habe ich mich ganz natürlich nach innen gewandt.“ Die kreative Energie, die daraus entstand, war nicht getrieben von dem Streben nach Output oder Relevanz. „Der Drang zu kreieren, war plötzlich nicht mehr getrieben vom Momentum – sondern von Bedeutung.“
Sezer Uysal hat in den letzten anderthalb Jahrzehnten fast alles erreicht, was man in der elektronischen Musikszene erreichen kann: über 500 veröffentlichte Tracks, Auftritte in mehr als 45 Ländern, Releases auf renommierten Labels wie Stil vor Talent, Suara oder Ministry of Sound, Support von Größen wie Pete Tong, Eric Prydz und Stephan Bodzin. Seine Karriere begann in Bursa, heute lebt er in Istanbul – doch seinen künstlerischen Weg beschreibt er als durchweg global. Trotz all dieser Erfolge ist das Album kein Höhepunkt im klassischen Sinn, sondern eine Rückkehr zum Wesentlichen. „Es ist nicht der Abschied von dem, was ich war“, sagt Sezer, „sondern die Rückbesinnung auf das, warum ich überhaupt angefangen habe.“ Musikalisch ist diese Rückbesinnung deutlich hörbar. Statt auf energiegeladene Clubtracks zu setzen, öffnet Sezer Uysal auf dem Langspieler Räume – für Stille, für Atmosphäre, für Tiefe. Es ist ein Album voller cineastischer Klangflächen, strukturierter Reduktion und emotionaler Offenheit. Jeder der acht Tracks steht für eine Phase der inneren Wiederverbindung – von Zweifeln über Klarheit bis hin zu Dankbarkeit. „Ich habe diese Emotionen direkt in die Architektur der Stücke übersetzt. Manche brauchten Spannung, andere Loslassen. Jeder Track ist ein Timestamp einer inneren Bewegung.“

Ein zentrales Element dieser Reise ist das Stück „Ikigai“, das sich mit dem gleichnamigen japanischen Lebenskonzept auseinandersetzt – der Harmonie zwischen dem, was man liebt, worin man gut ist, was die Welt braucht und dem, wofür man bezahlt wird. „Während meiner Genesung wurde Ikigai sehr real für mich“, erzählt Sezer. „Ich habe viel darüber nachgedacht, welchen Platz Musik in meinem Leben hat. Warum ich sie mache, für wen – und was sie mir zurückgibt.“ Diese Reflexion floss nicht nur in den Track „Ikigai“ selbst ein, sondern auch in das dazugehörige Musikvideo – das erste vollständig 3D-animierte Musikvideo aus der Türkei. Realisiert mithilfe von KI-Motion-Capturing und Unreal Engine, wurde so ein innerer Suchprozess in eine visuelle, greifbare Form übersetzt: „Wir wollten etwas erschaffen, das man nicht nur hört, sondern spürt – visuell, emotional, konzeptuell.“

Dabei ist der technologische Einsatz nie reines Stilmittel. Vielmehr steht er im Dienst des Ausdrucks. Modularsysteme, KI-Tools, komplexe Visuals – alles kommt zum Einsatz, aber mit einem klaren Ziel: emotionale Echtheit. „Technologie ist ein Werkzeug, aber ich lasse sie nicht führen“, betont Sezer. „Ich war auf der Suche nach Wärme in der Komplexität. Wenn etwas klanglich interessant war, aber emotional leer, habe ich es weggelassen.“ Für Sezer ist Musik nicht bloß Konstruktion, sondern Kommunikation – ein Austausch, ein Gespräch. „Es gibt diesen Punkt in der Produktion, an dem du aufhörst, den Track zu formen – und der Track beginnt, dich zu formen.“

Dass er heute diese Klarheit hat, ist auch das Resultat vieler Jahre zwischen Studio, Tourbus und Clubnächten. 2010 feierte Sezer Uysal seinen ersten großen Erfolg mit „Singing In The Bathtub“, das über drei Monate lang die Beatport-Charts anführte. Zwei Jahre später brachte ihm sein Remix von „Don’t Go“ (Wretch 32 feat. Josh Kumra) auf Ministry of Sound nicht nur massiven Clubsupport, sondern auch Plays bei BBC Radio 1. „Dieser Remix hat mir Sichtbarkeit gegeben – aber noch wichtiger war, dass ich verstanden habe: Du kannst dir selbst treu bleiben und trotzdem ein großes Publikum erreichen.“
Heute schaut er mit Abstand auf diesen Moment: „Ich bin dankbar für das, was sich dadurch geöffnet hat. Aber noch dankbarer für die Zeit danach, in der ich über diese Version von mir hinausgewachsen bin.“ Ein entscheidender Schritt auf diesem Weg war die Gründung seines eigenen Labels Theory X im Jahr 2020. Das Ziel: einen Ort für emotionale Tiefe, kreative Freiheit und kuratierte Qualität zu schaffen – fernab von algorithmischem Einheitsbrei. „In einer Zeit, in der Inhalte unendlich sind, wird Kontext zur eigentlichen Kunst“, sagt Sezer. „Mit Theory X wollte ich einen Raum schaffen, in dem Musik wieder Bedeutung bekommt.“ Dass das funktioniert, zeigt sich nicht nur in den Releases, sondern auch in den Events: Für Mai ist das erste große Theory-X-Showcase in Tulum angekündigt – ein Live-Erlebnis, das die Philosophie des Labels spürbar machen soll. „Wir wollen Immersion schaffen. Nicht nur über Line-ups oder Technik – sondern über Atmosphäre, Intention, Verbindung.“

Verbindung – das ist überhaupt das Schlüsselwort, das sich durch alles zieht: Musik, Label, Live-Show, Produktion. Es ist auch das, was seine weltweiten Touren für Sezer bedeuten. „Reisen haben mir emotionale Bandbreite gegeben“, erzählt er. „Ich habe gelernt, nicht nur Musik zu hören, sondern auch Energie, Kultur, Stille.“ Heute betrachtet er jeden Auftritt als Geschenk. „Nach den letzten Jahren sehe ich jede Show als etwas Heiliges. Es ist nicht nur Ausdruck – es ist auch Dankbarkeit.” Ein weiterer Bestandteil seiner künstlerischen Identität ist seine Herkunft. Aufgewachsen in der Türkei, geprägt von kulturellen Kontrasten, lebt in ihm eine Dualität, die sich unbewusst durch seine Musik zieht. „Tradition und Moderne, Struktur und Improvisation – das alles fließt in meine Arbeit ein, auch wenn ich es nicht absichtlich einbaue“, sagt Sezer. „Ich versuche nicht, Herkunft zu repräsentieren – aber sie ist da, in jedem Sound, den ich auswähle.“

Sezer Uysal in Live-Action:

Dass Sezer Uysal sich so konsequent an seinem inneren Kompass orientiert, verdankt er auch der Fähigkeit, äußere Erwartungen zu filtern. „Man braucht einen starken Filter“, sagt er. „Anerkennung ist ein Geschenk – aber sie darf nicht zum Kompass werden. Ich habe gelernt, Aufmerksamkeit von der Richtung zu trennen.“ Besonders in verletzlichen Phasen sei es entscheidend gewesen, sich immer wieder die Frage zu stellen: Warum mache ich das? „Wenn sich ein Track ehrlich anfühlt, reicht das. Der Rest ist Lärm.“

Und wie sieht die Zukunft aus – musikalisch, emotional, philosophisch? „Ich suche Präsenz. Für Arbeit, die geerdet und lebendig zugleich ist“, sagt er. „Musikalisch will ich weiter erforschen, ohne mich zu verlieren. Emotional will ich verbunden bleiben – nicht nur mit dem Publikum, sondern auch mit mir selbst.“ Für ihn sei Kunst ein Weg, Zeit zu verstehen: „Ein Mittel, die inneren Jahreszeiten zu markieren, die wir durchlaufen.“ Einen besonderen Dank richtet er am Ende an seine Verlobte: „Ich hätte dieses Album ohne die Geduld und Liebe meiner Partnerin nicht machen können. Ihre Stärke hat mir geholfen, meine eigene wiederzufinden.“

„Regeneration“ ist kein Album für die Playlist zwischendurch. Es ist ein Werk, das atmet, das Raum lässt und Tiefe schafft. Ein Album über die Kraft des Innehaltens – und darüber, was passiert, wenn ein Künstler sich nicht neu erfindet, sondern sich erinnert.

Hier könnt ihr in die Tracks des Albums „Regeneration“ reinhören und euch die Tracks oder das komplette Album sichern:

Aus dem FAZEmag 160/06.2025
Text: Triple P
Credit: Joerg Zuber
Web: www.instagram.com/1sezeruysal