Sheldon Thompson veröffentlicht schon seit gut zwei Dekaden Musik – dafür hat er diverse Künstlernamen benutzt. Am bekanntesten dürften wohl Pan/Tone und Sid Le Rock sein. Unter letzterem Namen hat der umtriebige Kanadier, der als DJ, Live-Act und Sänger agiert, einen Großteil seiner Produktionen veröffentlicht. So auch das neue Album „Scenic Route“, das gerade auf dem Hamburger Label hafendisko erschienen ist – als erstes Sid-Le-Rock-Album seit sechs Jahren.
Ursprünglich sollte das Album schon vor mehr als zwei Jahren erscheinen, aber das dafür vorgesehene Label verlangte Rahmenbedingungen, die für Sid nicht akzeptabel waren. „Erschöpft von der ganzen Tortur entschied ich, dass es der beste Weg für mich sei, die Tracks einzeln auf verschiedenen Labels zu veröffentlichen. Das brachte mir immerhin ein fruchtbares Jahr 2017.“ In dieser Zeit stellte sein isländischer Kumpel Jón Atli Helgason alias Sexy Lazer den Kontakt zu hafendisko her, wo er im Rahmen dieser Veröffentlichungswelle eine neue Labelheimat fand und die beiden EPs „Sink Or Swim“ und „High & Low“ herausbrachte. Für den Wahlberliner, der über die Umwege Köln und Hamburg schließlich 2008 in der Bundes- und Technohauptstadt landete, war das auch nach den überflüssigen Label-Querelen der nötige Motivationsschub, sich wieder mit dem Format Longplayer zu beschäftigen.
Das Ergebnis ist „Scenic Route“. Dabei möchte der Titel nicht nur die verschiedenen musikalischen Landschaften widerspiegeln – Electronica, 80er-Synth-Pop, verschiedene House-Facetten, Minimal Techno –, die das Album beinhaltet. Es geht auch darum, die Langsamkeit zu feiern und kein Instant-Erlebnis sein zu wollen. Den langen Weg zu nehmen, die Straße zu nehmen, die wenig benutzt wird. „Ich möchte mit diesem Album die zahlreichen Erfahrungen und die Demut würdigen, die ich im Laufe meines abenteuerlichen Lebens erworben habe. Ich genieße das von ganzem Herzen und sehe keine Notwendigkeit, Abkürzungen zu nehmen. Viele Produzenten heutzutage wollen leider eher die sofortige Befriedigung. Das ist eine Schande, sie verpassen etwas.”
Es sind oftmals die Dinge, die neben der Musik stattfinden, die für Sid Le Rock wichtig sind und die ihn prägen. Angesprochen auf sein Studioequipment und seinen Workflow dort, sagt er nur schmunzelnd: „Ich könnte eine Menge darüber erzählen, aber das ist Nerd-Gequatsche. Lieber erzähle ich, dass es in meinem Studio ein Fenster mit Ausblick gibt, das ist viel interessanter.“ Und wo immer er sich gerade aufhält, bevorzugt er es, zu Fuß zu gehen. „Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich keinen Führerschein besitze. Nichts geht darüber, mit einem Bier in der Hand seine Umwelt zu erkunden und zufällige Unterhaltungen zu führen.“ Der Track „Waldeinsamkeit“ bringt es auch noch mal auf den Punkt. Es ist sein deutscher Lieblingsausdruck, der auch ein Gefühl ausdrückt, für das es im Englischen keine Entsprechung gibt. „Für mich beschwört es diese malerische Erinnerung an ein Erlebnis an einem Ort wie dem Wald. Du bist ganz allein und genießt seine Wunder und seine Schönheit. Ich hoffe, dass dieser Track diesem Gefühl nahe kommt“, erklärt Sid, der in der Stadt Sudbury aufgewachsen ist, die in der weiten und waldreichen Provinz Ontario liegt.
Auf die Zukunft angesprochen, erzählt Sheldon, dass er mit Bellevue jetzt ein neues Projekt angestoßen habe, das seinen Schwerpunkt auf Filmmusik und Soundtracks allgemein legen wird. „Jetzt, wo ich älter werde, steuere ich auf ein Publikum zu, das mich nicht mehr zwingt, zwischen 4 und 6 Uhr morgens aufzutreten …“
Aus dem FAZEmag 087/05.2019
Foto: Chrisette en Chachette