SKALA – Emotionale Eskalation

 

 

Auf einer numerischen Skala von 1 bis 10 drehe Jacky laut ihren Freund*innen die Lautstärke immer auf 11, daher lief die Namensfindung für ihr Projekt SKALA, das sie 2019 ins Leben rief und mit dem sie Raver*innen in einen melodischen, technoiden Eskalationsmodus versetzen möchte, recht simpel ab. Geprägt von kommerziellerer elektronischer Musik der 90er, die sie in ihrer Kindheit hörte, und anfänglich mit 15 noch als Hip-Hop-Produzentin tätig, war sie schon in jungen Jahren enthusiastisch für das, womit sie heute ihr Geld verdient. Jacky lebt aktuell in Berlin und hat sich über die Grenzen der Stadt hinaus einen Namen gemacht. Wie hat sie dies bewerkstelligt, wie lautet ihre Geschichte, was hat sie für eine Philosophie und wie ist ihre Meinung zu dem leider noch fortwährenden Problem der Frauenbenachteiligung in der Musikbranche? Das sind Fragen, die wir unter anderen von ihr detailliert beantwortet bekommen haben.

 

Du stammst aus einer kleinen Stadt in der Nähe von Düsseldorf. Wie bist du dort aufgewachsen?

Stadt wäre schon zu viel gesagt. Ich bin in einem kleinen Dorf namens Ramrath mit 400 Einwohnern direkt neben einem Bauernhof aufgewachsen. Also ganz anders als mein Leben heute in Berlin. In manchen Dingen bin ich auch nach vielen Jahren Großstadtleben immer noch ein Dorfkind. Ich habe gerne meine gewohnten Läden um mich herum, wo ich die Besitzer*innen mit Namen kenne, sei es mein Stammcafé oder die Kneipe an der Ecke. Selbst wenn ich nach Berlin-Mitte fahre, sage ich immer noch: „Ich fahre heute in die Stadt“.

Wie kamst du in Kontakt mit elektronischer Musik und wann hast du angefangen, aufzulegen und zu produzieren?

Da ich als Kind in den 90ern groß geworden bin, wurde ich schon sehr von elektronischer Musik geprägt, sei es von Happy Techno wie Blümchen, aber auch heutigen Classics wie „Insomnia“ von Faithless, „Children“ von Robert Miles oder „Sonic Empire“ von Members of Mayday, die damals in den Charts waren. Als Teenager hingegen habe ich mich dann mehr für Hip-Hop interessiert und mit 15 angefangen, eigene Beats mit Reason und Cubase zu bauen. Auflegen kam erst viel später vor knapp vier bis fünf Jahren, deswegen sehe ich mich auch immer noch erstens als Produzentin und zweitens als DJ.

Dein erstes Release war?

„Reborn Pulse“ auf Katermukke

Dein erster Gig?

Wahrscheinlich irgendeine Geburtstagsparty :). Aber mein erster offizieller Gig war im Flinders in Sydney.

Und deine erste Gage?

Ein Sixpack Bier.

Warum bist du nach Berlin gezogen und was hast du vorher gemacht?

Das kam relativ spontan. Eigentlich bin ich komplett nach Sydney ausgewandert und wollte auch dort bleiben, allerdings wurden die Visabestimmungen dort geändert, sodass ich unter den Voraussetzungen nicht mehr bleiben wollte und zurück nach Europa musste. Zwei gute Freunde von mir waren damals nach Berlin gezogen und hatten dort die Kaduka Bar aufgemacht und meinten, ich solle doch zu ihnen kommen, also hab ich mich spontan dazu entschieden und bin 2018 nach Berlin gegangen und seitdem dort geblieben.

Was macht diese Stadt für dich so einzigartig?

Berlin ist wie eine große Spielwiese von kreativen Menschen. Auch wenn viele es als negatives Klischee sehen, dass jede zweite Person hier DJ ist: Für mich ist es unheimlich inspirierend, von so vielen tollen Künstler*innen umgeben zu sein. Es entwickeln sich ständig neue kreative Projekte oder Kollaborationen und man fühlt sich einfach aufgehoben in einem Netzwerk von Menschen, die das Gleiche lieben.

Was sind deine favorisierten Clubs und Veranstaltungsreihen in Berlin?

Sisyphos und Kater Blau sind immer noch meine Favoriten, ich mag einfach den verspielten und bunten Vibe dort. An Veranstaltungsreihen natürlich unsere eigenen Partys mit dem Banausen-Kollektiv als auch die von meiner Bordel Des Arts Family.

Deine persönlichen Highlights in Bezug auf Events?

Ein großes Highlight war eine private Geburtstagsparty, die ich in Sydney für einen Freund organisiert hatte. Wir wollten mit knapp 20 Leuten an den Strand gehen und ich wollte dazu ein bisschen auflegen, das machte allerdings schnell die Runde, sodass immer mehr Leute kamen und wir nachher über Freunde einen Generator und größere Boxen organisieren mussten, weil die kleinen Boxen, die wir hatten, nicht für die dann knapp 200 Menschen ausgelegt waren. Da wir auch keinen Tisch für den Mixer hatten, lief ein Kumpel von mir schnell nach Hause und kam stattdessen mit einem Bügelbrett zurück und so ging der Bügelbrett-Rave dann bis morgens um sechs Uhr, bis die Polizei ihn letztlich aufgelöst hat.

Was zeichnet für dich „guten“ melodischen Techno aus?

Das ist natürlich Geschmackssache. Ich mag es, wenn ein Track verschiedene emotionale Ebenen hat. Wer meine Sets kennt, weiß, dass ich lange Breaks liebe – ich mag es, zwischendurch mal kurz durchzuatmen und mich von der Musik treiben zu lassen. Außerdem liebe ich glitchige Soundelemente, je weirder, desto besser – alles, was heraussticht und mich beim ersten Hören vom Sounddesign überrascht und nicht nur nach Sample Library klingt, macht einen Track für mich spannend.

Deine All-Time-Top-3-Tracks?

Hot Since 82 & Habischman – „Leave Me (Dubfire Playa Remix)“, Arude – „ Agonia“
und Faithless – „We Come 1″.

Welches Album hörst du gerade?

Läuft bei mir seit Jahren in Dauerschleife: Moderat – „III“

Wie hast du es bewerkstelligt, in einer Stadt, in der das Angebot an DJs und Produzent*innen groß ist, dich in so kurzer Zeit zu etablieren?

Klingt langweilig, aber tatsächlich mit viel Arbeit und Durchhaltevermögen. Ich habe mich sehr intensiv damit beschäftigt, welche Promoter*innen wo veranstalten, bin zu ihren Partys gegangen, um zu verstehen, wo ich vom Sound hinpasse und wonach sie suchen, habe viel genetzwerkt, ständig meine Sets herumgeschickt für verschiedene Podcast-Seiten und auch viele Gigs umsonst gespielt – Hauptsache, mehr Menschen hörten meine Musik. Das Sisyphos zum Beispiel habe ich immer wieder angeschrieben, bis sie mir nach einem Jahr mit den Worten „Du hast wirklich langen Atem bewiesen“ endlich einen Gig ermöglicht haben. Zudem ist es von Vorteil, dass ich eigene Musik produziere, dadurch baut man sich bereits eine Fanbase auf, und Labelnights ermöglichen einem weitere Gigs.

Was Gendergerechtigkeit in der Szene angeht: Wie schätzt du die Lage in Berlin ein? Wie betrachtest du das Thema aus internationaler Sicht?

Berlin ist schon sehr fortschrittlich, was das betrifft. Ich kenne viele weibliche DJs hier, die auch regelmäßig spielen und glaube auch, dass das Bewusstsein für das Thema hier deutlich höher ist als in anderen deutschen Städten. Allerdings ist es immer noch nicht ausgewogen. Vor allem im internationalen Raum sieht man immer nur die gleichen Frauen auflegen, was dann als Rechtfertigung genommen wird, dass doch genug weibliche DJs auflegten.

Wie würdest du die Rahmenbedingungen für mehr Gerechtigkeit gestalten?

Mein Wunsch wäre es natürlich, dass wir ohne eine verpflichtende Quote auskommen könnten und die Veranstalter*innen von sich aus darauf achten, ein ausgeglichenes Line-up zu schaffen. Allerdings sehe ich das zum jetzigen Zeitpunkt noch als sehr unrealistisch an. Die Verhältnisse bei den Festivals und Club-Gigs sind teilweise immer noch bei einem Männeranteil von 80 Prozent, oder Frauen spielen nur zu schlechten Playtimes und nicht zur Primetime. Ich würde mir von den Veranstalter*innen wünschen, mehr auf ein ausgewogenes Verhältnis zu achten, auch wenn es initial vielleicht etwas schwieriger erscheint, aber um zukünftig mehr Diversität zu schaffen, brauchen wir jetzt Leute, die sich aktiv dafür engagieren.

Bist du selbst schon Opfer von sexistischer Schikane geworden und wenn ja, wie hat sich das geäußert? Wie häufig kommt so etwas vor?

Leider regelmäßig. Meistens ist es das Infragestellen meiner Fähigkeiten. Sei es die ständige Frage, wer mein Ghost-Producer ist, oder dass mir am DJ-Pult jemand erklärt, wie ich den Mixer zu bedienen habe oder sogar einfach die Regler während meines Sets bedient. Ich finde es sehr schade, dass viele das Vorurteil haben, dass weibliche DJs nicht selbst produzieren. Natürlich gibt es welche, die in diese Kategorie fallen, ich kenne aber genauso viele männliche Acts, die nicht selbst produzieren und da scheint es keinen zu stören. Allgemein stehen wir als Frauen immer unter Beobachtung und hinter allem steht ein „aber“. „Sie spielt gute Sets, aber sie produziert bestimmt nicht selbst“, „Sie hat viele Fans, aber nur weil sie gut aussieht und sich aufreizend anzieht“, „Sie spielt in einem bekannten Club, aber nur weil sie noch eine Frau brauchten“. Ich würde mir wünschen, dass sich alle wieder mehr auf das besinnen, worum es geht, nämlich gute Musik.

Könntest du ein paar aufstrebende Akteurinnen aus der Szene nennen, auf die man deiner Meinung nach unbedingt ein Auge werfen sollte?

Wie viel Platz haben wir dafür ;)? Es gibt auf jeden Fall einige, die meiner Meinung nach noch mehr Aufmerksamkeit bekommen sollten, wie zum Beispiel Lauren Mia, Gigee, Intaktogene, Lorrainne, Suzé, Robine oder Cecilia Tosh. Aber wie gesagt, die Liste geht noch länger.

Wie hat sich die Pandemie auf dich als Musikerin ausgewirkt?

Meine Musik ist immer ein Abbild meiner aktuellen Gefühlslage. Am Anfang der Pandemie kam viel Wut hoch, darüber, dass alles, woran man so hart gearbeitet hat, auf einmal zusammenbricht. In der Zeit ist beispielsweise mein Track „Flimmer“ entstanden. Seitdem ist allerdings alles viel ruhiger geworden. Dadurch, dass man selbst nicht mehr feiern gehen kann, sind meine Tracks deutlicher verträumter geworden.

Bist du seit Beginn der Pandemie auch öfters im Studio und wie sieht dort dein Workflow aus?

Definitiv, ich genieße es, so viel Zeit im Studio verbringen zu können. Ich arbeite hauptsächlich in the box, also mit diversen VSTs, da ich gerne auch von unterwegs oder mal zu Hause Musik mache. Sonst arbeite ich aber auch gerne mit meinem Mikro-Korg oder meiner Bass-Station von Novation. Der große Vorteil ist auch, dass bei mir im Funkhaus viele Freunde direkt nebenan sind, wo man sich auch mal einen Synth für eine Session ausleihen kann. Mit meinem Nachbarn und guten Freund Jonas Saalbach habe ich außerdem ein neues Duo-Projekt gestartet, das in eine ganz andere musikalische Richtung geht, aber es macht unheimlich viel Spaß und ich freue mich schon, wenn wir es bald veröffentlichen werden.

Mit Patreon haben deine Fans die Option, dich zu unterstützen und dabei noch Zugang zu exklusiven Inhalten zu erlangen – was genau bietest du dort an?

Hauptsächlich unveröffentlichte Musik, die meine Fans dann bereits vor Release hören können. Meine Patreons durften aber bereits auch einen Track von mir benennen und haben „Flimmer“ den Namen gegeben.

Was können wir für Releases von dir in der nächsten Zeit erwarten?

Mein nächster Release ist ein Remix, den ich für meinen Kumpel Felix Raphael gemacht habe und der im Spätsommer auf Poesie Musik erscheint. Die Vocals zu „Safe“ stammen von Allies For Everyone. Im Vergleich zu dem, was ich sonst mache, ist der Remix sehr verträumt und ruhig geworden. Als Felix mir die Albumtracks gezeigt hat, habe ich mich direkt in das Original verliebt und hatte eine Idee dazu. Für den Remix hab ich auch nach Jahren mal wieder meine E-Gitarre ausgepackt.

 

 

 

Aus dem FAZEmag 111/05.2021
Text: Niklas Fust
Foto: Daniel Heitmüller
www.skala-music.com