Social Media my ass – die Kolumne von Marc DePulse

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Marc DePulse – Aus dem Leben eines DJs: „Social Media my ass“

Es gibt seit ein paar Jahren Berufe, die selbst meine Eltern nach mehreren Erklärungsversuchen nicht verstehen. Social-Media-Manager zum Beispiel. Also Leute, die Seminare und Kurse besucht oder gar Diplomarbeiten darüber geschrieben haben, wie man Facebook und Co richtig handhabt. Verrückte digitale Welt.

Und sie trifft auch jeden Musiker. Denn wer kennt es nicht? Man denkt, man postet die Weltneuheit auf Facebook, und keinen Menschen interessiert es. Die Stimmung ist bereits im Keller, wenn man nach 10 Minuten immer noch keine Reichweite, geschweige denn Gefällt-mir-Angabe auf seinen Beitrag bekommen hat. Organische Reichweite funktioniert im Grunde wie ein Schneeballsystem: Liken, teilen oder kommentieren viele Personen ein Posting, vervielfacht sich die Reichweite. So gibt es zum Beispiel die „90-9-1-Regel“ von Jakob Nielsen. Schon einmal gehört? Nein? Ich bis vor Kurzem auch nicht. Aber sie erklärt sich von selbst und jeder, der eine Seite auf Facebook betreibt, kennt den Spaß. Postet man ein Bild, was viel Aufmerksamkeit erzeugt (Miau), bekommt man viele Likes. Postet man einfach seine neue Single mit einem Beatport- oder SoundCloud-Link darunter, interessiert das – richtig – kaum eine Mieze. 90 Leute lesen deinen Beitrag, 9 liken ihn, einer kommentiert. 90-9-1.

Als Musiker ist man in den Augen des Gesichtsbuch-Konzerns keine reale Person, sondern Unternehmer. Die Fans sind die Kunden und Käufer. Und um diese möglichst zahlreich zu erreichen, muss man für Werbung hin und wieder in die Geldbörse greifen. Nur wer hat darauf schon Lust? Der Kerngedanke unserer Musikszene zeigt der Kommerzialisierung die kalte Schulter und für Musiker sind Social Media sowieso ein Klotz am Bein. Sollen sich doch andere darum kümmern. Man selbst möchte sich lieber den lieben langen Tag im Studio einschließen. Aber es ist wichtig geworden, man kommt also nicht umhin, sich mit der Thematik zu beschäftigen und dabei ein paar Dinge zu beachten. Generell gilt: Schuster, bleib bei deinem Leisten. Als Musiker sollte man auf seiner Seite also nicht sein Privatleben auswerten oder über den letzten Bundesliga-Spieltag debattieren.

Qualitativ hochwertiger Inhalt schlägt die breite Masse. Lieber ein starkes Posting statt drei langweiliger. Schreibt nicht zu viel, denn die User sind grundsätzlich lesefaul. Postet keine simplen Verkaufslinks, sondern nehmt eure Fans dafür an die Hand, damit sie zum Anhören beziehungsweise Kaufen angeregt werden. Dazu ist es wichtig, zu wissen, dass Fotos stärker als Links sind und Facebook-eigene Videos mehr Reichweite als Verweise zu Drittseiten erzielen. Findet einen Umgangston und behaltet diesen bei. Beleidigt niemanden, lasst euch in keine unnützen Diskussionen verwickeln und bleibt vor allem authentisch. Der Ruf nach mehr Likes und Kommentaren lässt euch auf jeden Fall nicht cool dastehen. Hashtags sind lustig, können aber auch nerven. Die sollte man eher gezielt einsetzen – „#tbt“ zum Beispiel, um auf vergangene Tage zurückzublicken.

Der Zeitpunkt ist wichtig. Sonntags um 10:00 Uhr stellt man nicht gerade seine neue Single vor, denn da liegt der Großteil der Szene im Bett oder ist noch auf der Afterhour. Nach meiner Erfahrung sind Dienstag, Mittwoch und Donnerstag gute Tage, um neue Releases zu bewerben. In jedem Fall sollte man immer von sich selbst ausgehen: „Wann höre ich neue Musik?“ oder „Wann schone ich meine Ohren und lese lieber nur ein wenig?“

In der heutigen Scroll-Gesellschaft gewinnt der Beitrag, der die höchste Aufmerksamkeit erzeugt. Ein unmotiviertes Foto von der Crowd, das du auf dem Weg vom Pult zum Klo geschossen hast, gehört nicht dazu. Ebenso wenig sich ständig wiederholende Bilder von dir im Studio oder deiner Plattensammlung, wenn du kurz vor dem Wochenende noch mal deine Setlist checkst. Man muss sich für all das nicht neu erfinden, sondern sich lediglich selbst fragen, bei welchem Posting man sich unterhalten fühlt und welches einen langweilt. Wenn man da eine gesunde Mitte findet, ist der ganze Social-Media-Kram ein lustiger Zeitvertreib für nebenbei. Auch wenn er nervt.

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www.marc-depulse.com