Stephan Bodzin – Getrieben von Emotionen

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Der gebürtige Bremer Stephan Bodzin gehört seit vielen jahren zu den gefragtesten Techno-Akteuren und hat sich diesen Status weit über die Grenzen der Republik erarbeitet. Gründe dafür sind neben seinen frenetisch gefeierten Club-Darbietungen, seinen Kollaborationen mit Leuten wie Oliver Huntemann oder auch Marc Romboy, mit dem er Nummern wie „Phobos“, „Atlas“ oder „Callisto“ komponierte wie auch auch sein Album „Liebe ist…“ aus dem Jahre 2007. Ganze acht Jahre später ist der Betreiber von Herzblut Recordings wieder zurück auf dem Langspieler-Parkett. „Powers Of Ten“ heißt das neueste Werk, das am 12. Juni erscheint und über das wir mit ihm sprachen. Ende April kam mit „Birth“ inkl. einem Remixe von Super Flu bereits eine Single-Auskopplung des Albums. Ebenfalls in den Startlöchern steht mit „Singularity“ eine Single auf Life and Death. Darüber hinaus ist Stephan Bodzin auch noch für den offiziellen FAZEmag Download-Mix in diesem Monat verantwortlich.

In den vergangenen acht Jahren hast du im Grunde genommen sehr viel gespielt aber sehr wenig produziert. Wie würdest du die diese Zeit in ein paar Sätzen zusammenfassen?

Eine war eine sehr schöne, intensive aber auch Erkenntnisreiche Zeit. Meine Frau und ich haben ein Kind bekommen, sind viel in der Welt herumgereist und haben sehr privilegiert gelebt, wofür ich sehr dankbar bin. Ich habe tatsächlich sehr viel gemacht, nur eben keine Musik (lacht). Unter anderem habe ich fast ein ganzes Jahr in Lissabon gelebt, wo ich mir auch ein Studio eingerichtet und die Mentalität und Kultur der Leute dort sehr genossen habe. Auch in Afrika, wo ich zusammen mit meiner Kleinfamilie zwei Monate unterwegs war mit dem Wagen, ohne vorher irgendwas gebucht zu haben vorweg, war großartig. Wahnsinnige Natur und Landschaften.

Beeinflussen solche Orte deine Arbeit im Studio?

Ich würde sagen nicht unbedingt meine Musik aber vielmehr meine Einstellung zum Leben und meine Perspektive aufs Dasein. Ich habe in diesen acht Jahren so viel erlebt, dass man ein ganzes Buch schreiben könnte. Die Touren in Argentinien oder das Schnorcheln vor Fidschi fand ich irre. Das ist oftmals auch ziemlich surreal, dass es für Veranstalter Gründe gibt, mich nach Australien oder Asien zu holen und ich dann so etwas erleben darf. Das kann man alles nicht planen sondern sollte es vielmehr in vollen Zügen genießen.

Hat sich dein Sound deiner Meinung nach verändert im Vergleich zum ersten Album?

Definitiv hat er sich verändert. Wobei ich sagen würde, dass es kein Prozess der letzten acht Jahre, sondern vielmehr des letzten Jahres war. Davor habe ich ja tatsächlich gar nichts produziert. In 2014 habe ich dann wieder den Drang gehabt, mich ins Studio zu setzen, das ich mir dann zunächst auch wieder neu eingerichtet habe und dafür einige analoge Geräte zugelegt habe. Dann habe ich feststellen müssen, dass ich von einer größeren Atmosphäre, tieferen Harmonien und dunkleren Sounds getrieben bin. Ich habe mich einfach gehen lassen und bin definitiv nicht mehr so trocken und reduziert, wie vor ein paar Jahren. Minimal kann man sicherlich nichts nennen, was ich gemacht habe, aber es war damals – auch der Zeit geschuldet – wesentlich reduzierter. Es war zunächst auch gar nicht der Plan, ein neues Album zu machen. Vielmehr wollte ich den Ideen und dem Feeling freien Lauf lassen. Es sind Sachen aus mir herausgesprudelt und genau das hatte ich lange Zeit davor nicht. Es gab sogar den Punkt wo ich dachte, das sei es für mich gewesen mit Musik machen…

Wie ausgeprägt war dieser Gedanke?

Nicht sonderlich groß, aber dennoch präsent. Es war ein Gedanke bzw. eine Angst, die mir ab und an in den Sinn kam. Ich habe Musik noch nie konstruiert, bei mir lief das immer aus einem gewissen Drang, einer Inspiration und einer Melodie, die mir im Kopf herumschwirrte. Ich folge immer einem Gefühl, einem Bild, meiner Stimmung. Wenn das nicht gegeben ist, macht es für mich keinen Sinn, mich ins Studio zu setzen. Denn dann packt es mich nicht und was mich nicht packt, kann dort draußen erst recht niemanden packen. Und das kann ich dann so auch nicht fertig machen. Ich benötige also eine Vision und eine Inspiration.

Wann haben sich diese Punkte bei dir neu entwickelt?

Das war Anfang letzten Jahres. Da habe ich mich dann wieder dabei erwischt, dass ich Tracks binnen zwei bis drei Stunden fertig geschraubt habe. Das war eine ganz tolle Erkenntnis. Daraufhin habe ich meine Shows etwas zurückgeschraubt, weil das viele Touren ja ganz schön blockiert, wenn man seine drei Dinger am Wochenende spielt und bis Dienstag oder sogar Mittwoch damit zu kämpfen hat. Und Donnerstag geht es ja schon los mit den Vorbereitungen für Freitag. Daher habe ich bewusst weniger gespielt und das hatte den schönen Effekt, dass ich wesentlich fitter, frischer und kreativer im Studio war. Gerade der Endspurt in den letzten Monaten 2014 war sehr gut. Singles wie „Singularity“ sind nur eine Woche vor meiner Abreise nach Afrika fertig geworden. Das war eine wichtige Deadline, die ich mir selbst gesetzt hatte. Einer der Gründe, warum wir im Januar und Februar komplett dorthin wollten war der, dass ich keine Ausreden mehr habe, das Album zu schieben oder Zeit im Studio vergeude. Unzufriedenheit ist ein toller Antrieb aber liegt genau so als schwerer Druck auf den Schultern. Die finale Produktion ist in Bremen entstanden, aber ein Großteil der Melodien und der harmonischen Abfolgen der Sounds sind im Flugzeug entstanden. Ich mache wahnsinnig gerne Musik im Flieger, während ich mit Hangover noch etwas Blut im Alkohol habe. Da kommen ganz tolle und schräge Sounds bei rum, wenn man sich noch etwas verstrahlt über den Wolken befindet. Ich habe von dort oben eine ganz großartige Sammlung und plane daher tatsächlich, bis Ende diesen Jahres schon das nächste Album fertig zu machen. Aktuell habe ich Remixe für Pan-Pot und Marc Romboy fertig gemacht und der nächste liegt schon auf dem Tisch. Ich würde sagen, ich bin wieder da.

Du hast eben dein neues Studio und analoges Equipment angesprochen. Haben sich deine Arbeitsabläufe im Studio im Vergleich zu damals verändert?

Ja! Zunächst hat sich die Plattform verändert. Früher habe ich viel mit Logic gearbeitet und inzwischen bin ich bei Live. Das ist definitiv eine andere Herangehensweise. Man bastelt klassisch einen Loop und kann anschließend viel intuitiver arbeiten. Den letzten Track des Albums „Wir“ habe ich z.B. in einem einzigen Take fertig gemacht. Das hat mit einer guten Controller-Zuordnung funktioniert. Das wäre meines Erachtens nach in Logic so niemals möglich. Sonst drehe ich wesentlich mehr an analogen Geräten. Besonders der Moog Sub 37 hat es mir gerade angetan. Ein wahnsinniges Gerät. Vielleicht der beste analoge, duophone Synth, der jemals gebaut wurde. Auf dem Album hat er bestimmt vier bis fünf tragende Basslines zu verantworten. „Singularity“ ist auch eine One-Take-Aufnahme, wo nichts im Anschluss editiert wurde. So etwas habe ich früher ganz sicher nie so in der Form gemacht, da wurde immer nachbearbeitet. So macht es mir in jedem Fall mehr Spaß. Rechner, Base und Outboard ist eine sehr spannende Kombination für mich aktuell.

Das Resultat klingt für mich nach mehr Tiefe statt großem Rock’n’Roll mit Leuchtschwert …

(lacht) Das bleibt auch erstmal Zuhause. Das Album spiegelt u.a. meine derzeitige Abwendung von funktionellem Techno, hin – oder auch zurück – zu dem, was ich eigentlich bin und kann: Melodien und Harmonien elektronisch und liebevoll verpacken. Und so soll es für mich auch bleiben. Ich habe viele Jahre „nur“ aufgelegt und mich durchaus auch mal stilistisch zugunsten einer guten Performance verrannt. Das hat ein Ende. Und zwar ein gutes. Ich habe ja gefühlt seit 2008 ein neues Album angekündigt. Das hat sich im Laufe der Jahre zu einer Art Running Gag entwickelt. Das war eine für mich sehr ungewohnte aber sehr interessante Situation mit dem plötzlichen Erfolg und dem Druck, den ein Album wie“’Liebe ist …“ verursacht – das für viele heutzutage Kultstatus trägt – umzugehen. Dieser Druck hat sich irgendwann in eine schöne Erkenntnis umgewandelt. Davor fand allerdings eine Art Übersättigung statt. Ich spiele die alten Sachen ja nur noch sehr selten, weil ich sie einfach nicht mehr hören kann. Und ein ganz wichtiger Grund dieses Album jetzt zu machen, war der Gedanke endlich wieder berechtigt live spielen zu können und Content dafür zu haben.

An dieser arbeitest du aktuell mit Daniel Rossa, der Visuals liefern wird.

Die Visuals basieren auf dem Artwork des Albums. Seine Arbeiten sind der absolute Wahnsinn. Er war lange Zeit Art Director bei Urban Screen hier in Bremen und hat u.a. die Oper in Sydney mehrfach bespielt mit überdimensionalen Systemen. Ein ganz krasser Typ mit fantastischen Fähigkeiten. Man sieht die ersten Sachen schon im Video zu „Birth“, das vor kurzem online gegangen ist. Sehr organisch, obwohl fast komplett digital. Das ganze wird sich während meines druckvollen Live-Sets sehr behäbig und fast schon in Slow-Motion bewegen und erzeugt somit eine ergreifende Tiefe, um die es mir geht. Das werden 60 bis 90 Minuten Visuals, die ich mit meinen Controllern in ihrem dramaturgischen Ablauf mitsteuern kann. Kennengelernt habe ich Daniel über einen Freund, bis wir festgestellt haben, dass er nur zwei Straßen weiter wohnt und wir eigentlich Nachbarn sind. Mittlerweile verstehen wir uns super und gehen oftmals auf ein Bier oder zwei raus, während wir sonst sehr intensiv an dem Material schrauben. Solche Leute, wo auch noch die Chemie so passt, findet man selten. Er ist einer dieser klassischen Künstler, die auch mal mitten in der Nacht aufstehen, um 40 Stunden an einem Werk zu arbeiten um dann zwei Wochen Urlaub zu machen.

Stimmt es, dass du mit einem eignen Midi-Controller auf Tour gehen wirst?

… das wird ein Ding (lacht). Ich werde stetig mit Fotos aus der Produktion gefüttert. Das habe ich komplett entworfen und auch das technische Konzept habe ich entwickelt. Die Umsetzung übernimmt der liebe Tom aus Stuttgart, der auch für den Wiederaufbau des Epirode Pultes zuständig ist, dass bei Pan-Pot und Martin Eyerer in den Riverside Studios in Berlin steht. Tom arbeitet bei der Entwicklung bei Bosch und hat somit Zugang zu tollen LED- und Akku-Technologien. Und das ist sehr gut, weil die Kiste nicht nur intuitiv zu bedienen sein wird, sondern auch visuell etwas hergeben wird. Sie ist rundherum in einer Plexiglas-Konstruktion eingebettet und leuchtet zur Seite weg, wenn ich sie bediene. Mir ist das ja, das wissen viele, sehr wichtig, dass der Dancefloor sieht, das etwas passiert, wenn man etwas macht und eben nichts passiert, wenn man nichts macht. Heutzutage ist es ja sehr schwer für alle ab der achten Reihe von einem herkömmlichen DJ-Set und einer Live-Show zu unterscheiden. Also doch ein wenig Rock’n’Roll …“

Für Ende des Jahres ist ein Remix-Album mit einigen namhaften Künstlern geplant, habe ich gelesen…

… und es ist eine so wunderbare Liste! Eine große Ehre, von so vielen tollen Artists wie Maceo Plex, Adriatique usw. so einen Zuspruch zu bekommen. Das Ganze soll Ende Oktober, Anfang November erscheinen mit zehn bis 15 neuen Interpretationen. Von Extrawelt und Dominik Eulberg habe ich die Versionen schon und ich bin sehr sehr stolz darauf. Das Gute ist, dass mit all diesen Künstlern ein Swap-Deal besteht. Das bedeutet, dass ich für sie ebenfalls einen Remix mache. Und darüber freue ich mich wahnsinnig und das treibt mich aktuell Tag für Tag ins Studio.

Auf große Albumtour geht es aber ebenfalls. Wohin genau wird es dich führen?

Brasilien, Australien, Argentinien, Mexiko und viele Länder mehr. Die Albumtour wird ein halbes Jahr ungefähr als solche tituliert. Auch in Deutschland sind einige Gigs geplant, darunter Watergate im September mit Pan-Pot, auf den ich mich sehr freue. Außerdem erscheint im Sommer von der tollen Luna Semara eine neue EP auf Herzblut. / Rafael Da Cruz

www.stephanbodzin.com
Foto: Natascha Romboy