Vier Jahrzehnte, 344 Seiten und eine Lebensgeschichte, die gern noch einmal so viele Seiten füllen könnte: Sven Väth hat mit seinem Bildband „4 Decades Behind the Decks: A Journey of Music, Magic, and Euphoria“ nicht einfach nur Fotos gesammelt, er hat Erinnerungen kondensiert. Das Buch ist mehr als ein Bildband; es ist ein Archiv von Nächten, die Ekstase atmeten, von ruhigen Momenten hinter den Kulissen und von einer Karriere, die aus Neugier begann und zur globalen Mission wurde. Väth selbst beschreibt die Auswahl der Bilder als „echte Herausforderung“ und betont, dass bestimmte Aufnahmen nicht nur seine Geschichte erzählen, sondern „den Spirit dieser Zeit einfangen“.
Die Fotos im Band bewegen sich zwischen Monumentalität und Intimität. Da sind die großen Szenen: das erste Mal auf Ibiza, die Nächte im Omen, Festivals mit Hunderttausenden, Bilder von Menschenmengen, deren kollektive Energie fast hörbar wird. Dazwischen liegen private Schnappschüsse, Studiomomente und Augenblicke, in denen Väth abseits der Show zu sehen ist. Für ihn selbst sind es nicht unbedingt die spektakulärsten Motive, die am meisten zählen, sondern jene Aufnahmen, die eine besondere Energie transportieren. „Es geht um mehr als Nostalgie“, sagt er, „es ist eine Geschichte von Leidenschaft, Hingabe und dieser unbändigen Lust, Menschen durch Musik zu verbinden.“
Sein Weg begann in einem familiären Kontext: der Club der Eltern, Tanz und Musik im Alltag. Aus dem Abenteuer eines jungen Mannes wurde Schritt für Schritt eine Lebensaufgabe. Väth erinnert daran, dass es anfänglich keine Gewissheit gab, das DJing zum Beruf zu machen. „Es war ein Abenteuer, eine Neugier, eine Faszination“, lautet sein Rückblick. Doch die Erfahrung, hinter den Decks etwas zu erschaffen, das Menschen verbindet, offenbarte sich früh und wuchs mit jedem Auftritt. So entstand aus einem lokalen Geschehen eine internationale Karriere, die auch heute noch nicht auserzählt ist.
Keine Geschichte über Sven Väth ohne Ibiza. Die Insel wirkt nicht bloß als Ort, sie erscheint im Band als Charakter, Inspirationsquelle und Lebensphilosophie. Ibiza habe ihn „sofort verzaubert“, sagt Väth, und beschreibt die Mischung aus Hedonismus und Spiritualität, die ihn angezogen hat. Sonne, Balearen-Beats und das kollektive Verlieren und Wiederfinden der Menschen dort haben seine Auffassung von Musik geprägt. Ibiza beschreibt er nicht als einmalige Station, sondern als fortwährenden Zustand: ein Raum, in dem Energie getankt und Identität neu ausgehandelt wird.
Die Corona-Jahre waren für die Szene ein Einschnitt, für Väth zugleich eine Phase der Reflexion und Schaffenskraft. In der Zwangspause sind Projekte entstanden, die nicht nur Lücken füllen sollten, sondern neue Facetten zeigten: die Compilation „What I Used To Play“, das Album „Catharsis“ und eben dieser Bildband. Väth sieht diese Werke nicht als „Kompensation für das Verpasste“, sondern als alternative Kanäle seiner Kreativität. Die Zeit ohne unmittelbares Auflegen gab Raum, zurückzublicken, musikalische Wurzeln auszuloten und Gefühle in anderer Form auszudrücken. „Diese Pause hat mir auch Raum gegeben“, sagt er, und sie führte zu Werken, die wiederum die Lebendigkeit der Szene feiern.
Rückschau heißt bei Väth nicht Reue. Als Antwort auf die Frage, was er seinem jüngeren Ich raten würde, bringt er es auf einen einfachen, kraftvollen Punkt: Vertrauen in die eigene Intuition. „Sie hat mich immer geleitet“, sagt er, und betont, dass Fehler und falsche Abzweigungen Teil der Reise waren. Genau diese Erfahrungen hätten ihn dorthin geführt, wo er heute steht. Es ist eine Haltung, die weniger auf gezielte Planung als auf gelebte Neugier setzt, auf das Zulassen von Risiken und das Annehmen von Erschöpfung als möglichem Begleiter eines leidenschaftlichen Lebens.
2025 bezeichnet Sven Väth als ein Jahr der Transformation. Dazu gehört die erfolgreiche T.R.A.N.C.E World Tour aber auch der Beginn eines neuen persönlichen Kapitels: die Geburt seines Sohnes. Diese Erfahrung, sagt er, sei „wieder einzigartig“, obwohl es nicht das erste Mal sei, neues Leben willkommen zu heißen. Das künstlerische und das private Leben stehen damit erneut in engem Kontakt – eine strukturelle Konstante seines Daseins seit den frühen Clubtagen.
Trotz aller Rückschau ist Väths Bildband kein abschließendes Testament. Er versteht ihn als Momentaufnahme, als Verdichtung von 40 Jahren, die gleichzeitig offenlässt, was noch kommen mag. „Die Geschichte ist noch nicht einmal auserzählt“, heißt es im Begleittext, und genau dieses Fortdauern verleiht dem Buch seine Dringlichkeit. Es ist eine Hommage an Nächte, Menschen und Orte, aber auch ein Versprechen: Es wird weitergehen.
Was „4 Decades Behind the Decks“ besonders macht, ist die Balance zwischen der euphorischen Darstellung von Massenerlebnissen und dem Blick auf das Private. Väth zeigt sich als Performer und als Mensch, dessen Antrieb stets die Musik war. Seine Anekdoten und die Stimmen von Freundinnen, Weggefährtinnen und Familie ergänzen die Fotos zu einem vielstimmigen Porträt. Es bleibt der Eindruck, dass hinter dem Image des weltbekannten DJs ein sensibler Beobachter steht, der Ereignisse nicht nur konsumiert, sondern konstant reflektiert.
Der Band ist eine Einladung: an alle, die diese Nächte miterlebt haben, und an jene, die sie nur aus Erzählungen kennen. Er fordert dazu auf, Erinnerungen neu zu ordnen, verlorene Flyer und verblasste Fotos wieder sichtbar zu machen und die eigene Verbindung zur Musik zu prüfen. Am Ende bleibt ein Satz, der wie eine Losung klingt: Folge dem, was in dir brennt. Für Sven Väth war das die Musik. Für viele war es ein Teil ihres Lebens. Und auch wenn 344 Seiten keineswegs alles fassen können, liefern sie eine dichte, bewegende Chronik von vier Dekaden, die noch längst nicht ihr Ende gefunden haben.
Sven Väth – 4 Decades Behind the Decks: A Journey of Music, Magic and Euphoria
Sven Väth (Herausgeber, Autor)
Christian Arndt (Redaktion)
Englisch/Deutsch
344 Seiten
Hardcover im Vinyl-Format 12Inch
Design: Schultzschultz
Studio Väth e.V., Berlin, 2024
ISBN 978-3-00-079892-4
149 Euro
Verfügbar unter: www.cocoon.net/products/sven-vath-4-decades-behind-the-decks
Aus dem FAZEmag 164/10.2025
Fotos: Daniel Woeller
www.cocoon.net