
40 Jahre auf 344 Seiten: Wahrscheinlich hätten es aber locker 1.000 Seiten werden können – und die Geschichte ist noch nicht einmal auserzählt. Der 1964 in Offenbach geborene und in Obertshausen aufgewachsene Sven Väth feierte 2024 nicht nur seinen 60. Geburtstag, sondern auch sein 40-jähriges DJ-Jubiläum: 40 Jahre hinter Plattentellern mit der Mission, Menschen mit Musik zusammenzubringen und zu verbinden. Und die Essenz dieser vier Dekaden hat Sven Väth nun in einen Fotoband gepackt. Mit – genau – sehr vielen Fotos, aber auch mit vielen persönlichen Erinnerungen und Anekdoten, nicht nur von ihm selbst, sondern auch von zahlreichen Freund*innen, Weggefährt*innen und seiner Familie.
„4 Decades Behind the Decks: A Journey of Music, Magic, and Euphoria“ ist ein sehr intensives und detailverliebtes Werk, das uns teilhaben lässt an diesem außergewöhnlichen Lebensweg – ein faszinierender Rückblick, der jedoch nur eine Momentaufnahme darstellt, denn es geht natürlich weiter. Es wird immer weitergehen …
Sven, dein Bildband „4 Decades Behind The Decks“ gibt einen tiefen Einblick in deine beeindruckende Karriere. Welche Erinnerungen oder Bilder aus dem Buch bedeuten dir persönlich am meisten? Und wie schwer fiel es dir, dich auf eine Auswahl an Bildern für das Buch festzulegen? Es sind sicherlich unzählige Fotos während des Prozesses zusammengekommen.
Die Auswahl war eine echte Herausforderung. Vier Jahrzehnte voller Erlebnisse, Begegnungen und magischer Nächte – wie bringt man das in ein Buch? Es gab Momente, die mir sofort ins Auge fielen, weil sie eine besondere Energie transportieren. Das erste Mal auf Ibiza, die euphorischen Nächte im Omen, intime Studiomomente, Festivals mit hunderttausenden Menschen – aber auch leise, persönliche Augenblicke hinter den Kulissen. Besonders nah gehen mir die Bilder, die nicht nur meine Reise als DJ erzählen, sondern auch den Spirit dieser Zeit einfangen. Es geht um mehr als Nostalgie – es ist eine Geschichte von Leidenschaft, Hingabe und dieser unbändigen Lust, Menschen durch Musik zu verbinden.
Wie ist überhaupt die Idee zu diesem Bildband entstanden?
Es war ein natürlicher Prozess. Über die Jahre haben sich so viele Bilder, Flyer, Backstage-Momente und Erinnerungen angesammelt – manche davon fast vergessen. Als ich begann, meine Archive zu durchforsten, spürte ich schnell, dass hier eine Geschichte darauf wartete, erzählt zu werden. Ich wollte einen Bildband erschaffen, der nicht nur meine persönliche Reise widerspiegelt, sondern auch das Gefühl dieser vier Jahrzehnte. Die Euphorie, den Rausch, den Wahnsinn, die Liebe zur Musik. Es ist eine visuelle Erzählung dessen, was uns alle in diesen Nächten bewegt hat.
Als du damals dem Ruf deiner Mutter gefolgt bist und im Club deiner Eltern als DJ angefangen hast, war es zu diesem Zeitpunkt schon klar für dich, dass das DJing deine Berufung ist und dein Beruf werden sollte?
Nein, das war es nicht. Es war ein Abenteuer, eine Neugier, eine Faszination für das, was dort passierte. Musik war immer da – meine Eltern waren leidenschaftliche Tänzer, und unser Club war ein pulsierender Ort. Aber dass es mein Lebensweg werden würde, hat sich erst mit der Zeit herauskristallisiert. Ich erkannte schnell, dass ich hinter den Decks etwas Besonderes ausdrücken kann, dass ich mit Musik etwas erschaffen kann, das Menschen verbindet. Aber dass daraus eine jahrzehntelange Reise wird – das hätte ich damals nicht vorhersehen können.
Der Sven Väth, den wir kennen, wäre sicherlich ein anderer, wenn er nicht auf Ibiza gelandet wäre und den Spirit aufgesaugt und die Insel mitgestaltet hätte. Kannst du benennen, wie dich Ibiza erfüllt und erobert hat und dich immer noch fasziniert?
Ibiza hat mich sofort verzaubert. Die Freiheit, die Exzentrik, diese Mischung aus Hedonismus und Spiritualität – das war für mich wie ein Magnet. Ich habe dort nicht nur gefeiert, sondern auch gelernt, was Musik in ihrer reinsten Form bedeutet. Die Balearen-Beats, die magischen Sonnenaufgänge, die Art, wie sich die Menschen dort verlieren und gleichzeitig finden – all das hat mich geprägt. Ibiza ist für mich ein Zustand, ein Gefühl. Es ist ein Ort, an dem ich immer wieder Energie tanke, an dem ich mich selbst finde und immer wieder neu definiere.
Die Corona-Krise hat der Szene viel genommen, aber letztlich sind in jener Zeit sowie in der Zeit danach auch deine Compilation „What I Used To Play“, dein Album „Catharsis“ und dieses Buch hier entstanden. Ist es für dich zumindest eine Art Kompensation für das Verpasste?
Es war eine Zeit der Reflexion, aber auch der Kreativität. Natürlich hat mir das Auflegen gefehlt – die Energie, das unmittelbare Erleben von Musik mit Menschen. Aber diese Pause hat mir auch Raum gegeben, Projekte anzugehen, die vielleicht sonst länger gebraucht hätten. „What I Used To Play“ war eine Reise zurück zu meinen musikalischen Wurzeln, „Catharsis“ ein Ausdruck meiner tiefsten Emotionen, und dieses Buch ist eine Hommage an das, was mich all die Jahre begleitet hat. Es ist kein Ersatz für das, was wir verpasst haben – aber es hat mir geholfen, all das, was in mir brodelte, auf eine andere Art zu kanalisieren.
Was würde wohl der aktuelle Sven dem jüngeren Sven Väth am Anfang seiner Karriere noch mit auf den Weg geben? Trägst du überhaupt den Gedanken, dass du irgendetwas anders machen würdest, wenn du noch einmal die Möglichkeit dazu hättest?
Ich glaube, ich würde meinem jüngeren Ich nur eines sagen: Vertraue deiner Intuition. Sie hat mich immer geleitet – in Momenten des Zweifels, bei großen Entscheidungen. Würde ich etwas anders machen? Wahrscheinlich nicht. Jeder Fehler, jede falsche Abzweigung hat mich genau dorthin gebracht, wo ich heute bin. Es gab Risiken, Herausforderungen, Momente der Erschöpfung – aber ich habe mich immer treiben lassen von dem, was mich wirklich bewegt. Und genau das würde ich jedem mitgeben: Folge dem, was in dir brennt.
Das neue Jahr läuft gerade an, wie blickst du auf 2025?
Mit großer Vorfreude. 2025 wird ein Jahr der Transformation. Meine T.R.A.N.C.E World Tour steht bevor – ein Konzept, das tief in die Essenz dessen eintaucht, was Tanzrituale und Ekstase bedeuten. Ich spüre, dass die Energie in der Szene gerade besonders intensiv ist, dass sich etwas bewegt. Und persönlich? Ein neues Kapitel beginnt. Die Geburt meines Sohnes wird eine bedeutende Erfahrung – nicht die erste solche, aber doch wieder einzigartig. Es ist immer etwas Besonderes, neues Leben willkommen zu heißen, und ich bin gespannt auf das, was kommt.
Sven Väth – 4 Decades Behind the Decks: A Journey of Music, Magic, and Euphoria Label
Sven Väth (Herausgeber, Autor)
Christian Arndt (Redaktion)
Englisch/Deutsch
344 Seiten
Hardcover im Vinyl-Format 12Inch
Design: Schultzschultz
Studio Väth e.V., Berlin, 2024
ISBN 978-3-00-079892-4
149 Euro
www.cocoon.net/sven-vath-4-decades-behind-the-decks
Aus dem FAZEmag 157/03.2025
Text & Interview: Tassilo Dicke
Fotos: Daniel Woeller
www.cocoon.net