Swedish House Mafia – Back in Black

Manche Bands feiern ihr Comeback, weil sie nach 25 Jahren den großen Musikdurst ihrer Fangemeinde stillen wollen. Manch anderen steht der Kopf nach einer „großen Reunion-Tour“, obwohl sie nie wirklich weg waren. Andere Acts bemerken mit Blick auf ihr Bankkonto, dass es Zeit wird für eine monetär bedingte Rückkehr. Wiederum anderen Bands hält man einen Köder von einer Milliarde Euro vor die Nase, wenn sie mit einem neuen Album auf eine neue Tour gehen – doch Pink Floyd lehnten ab. Und dann gibt es diese Künstler*innen, die nach neun Jahren Projektpause einfach wieder gemeinsam im Studio aktiv werden und die Festival-Community „rocken“ wollen. Welcome back, Swedish House Mafia!

Sonntag, 17. April 2022, Indio, Kalifornien/USA. Eine riesige Menschenmasse. Alle richten den Blick auf die große Mainstage. Die Lichter in der Open-Air-Area gehen aus. Dunkelheit. Nur leichte Nebelschwaden der Effektmaschinen verteilen sich über die zig Tausenden in der Crowd. Es ist nahezu so still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Dann … im Hintergrund der Bühne … erscheint auf einer bombastischen Leinwand eine Art visueller Heiligenschein, der sich in 3-D-Manier bewegt. Frenetischer Beifall und eine jubelnde Menge, die das große Comeback einer der erfolgreichsten, beliebtesten und bekanntesten Acts im Bereich der elektronischen Musik einläuten. Nach mehr als zehn Jahren sind Steve Angello, Axwell und Sebastian Ingrosso zurück beim Coachella Festival. Zusammen mit dem kanadischen Sänger und Rapper The Weeknd performen sie eine Show, die das internationale und offizielle Comeback der skandinavischen Supergroup bedeutet. Im Fokus: natürlich neuer Soundstuff ihres vor zwei Tagen veröffentlichten Albums „Paradise Again“, allen voran die Single „Moth To A Flame“, das im Herbst letzten Jahres erschien und schon jetzt knapp 300 Millionen Mal auf den weltweiten Streamingplattformen geklickt wurde. Beim Coachella 2022  springen Swedish House Mafia als „Ersatz“ für Kanye West ein, der seinen Auftritt abgesagt hatte. Als „Lückenfüller“ ist die Performance der drei Schweden aber keinesfalls anzusehen – im Gegenteil, haben doch global gesehen Millionen Fans auf die Rückkehr der Swedish House Mafia immer gehofft. Anzeichen hierfür gab es bereits in den Jahren 2018/2019, als SHM einige Shows gespielt hatten. Im Gepäck: eine Mischung aus alten Songs und neuen Nummern – was uns an dieser Stelle zu der Frage führt: Wie hat sich die Musik der Swedish House Mafia verändert? Oder: Hat sich die Musik der Swedish House Mafia überhaupt verändert? Letztere Frage kann eindeutig beantwortet werden mit: ja.

Wer kennt ihn nicht, den Megahit „Don’t You Worry Child“ von Swedish House Mafia feat. John Martin?! Ein Millionen-Dollar-Baby, Platz 1 in zahlreichen Ländern, darunter UK, Schweden, Australien. Top 10 in Deutschland und in den USA. 41 Mal Platin international, sechsmal Gold. Für mehr als acht Millionen Plattenverkäufe. Eine Grammy-Nominierung in der Kategorie „Best Dance Recording“, rund eine Milliarde Aufrufe auf YouTube, Spotify & Co. Das ist sie – die Bilanz, nur für die eingangs erwähnte Nummer. Und diese Bilanz ist lediglich ein minimaler Auszug dessen, was die Karrierelaufbahn der drei teilweise aus Kindheitstagen befreundeten Musiker, DJs und Produzenten widerspiegelt.

„Don’t You Worry Child“, eine EDM-orientierte, radiotaugliche Nummer, die sowohl in der Zielgruppe 16+ als auch in der „Generation Golf“ auf großes Interesse stieß. Mainstream? Definitiv. Clubby? Absolut! Ein Ohrwurm mit „Dreh mal lauter!“- und Mitsing-Garantie. Sonnenbrille aufgesetzt und mit dem Cabrio über die Highways gedüst. Der perfekte Soundtrack für einen Roadtrip. Yeah! Das war 2012. Und heute, zehn Jahre später, im Jahr 2022? Kommen Swedish House Mafia nicht nur mit einem neuen Album um die Ecke, sondern – wenn man so will – auch mit neuem Sound. Denn stilistisch haben sich die Jungs ohne jeden Zweifel weiterentwickelt, in eine Richtung, die vom Mainstream weggeht und eher im clubbigeren Underground zu finden ist. Bevor der Redakteur dieses Artikels jetzt aber von den Lesern gesteinigt wird, sei gesagt: vom puren Underground sind Swedish House Mafia (wohl absichtlich) noch weit entfernt. So haben die Tracks definitiv das Zeug zum Dancefloor-Burner der „dirty sticky floors“, aber in den Katakomben eines illegalen U-Bahn-Raves läuft gewiss „krasserer Stoff“. Und das ist auch völlig in Ordnung so. Schließlich hatten Angello, Axwell und Ingrosso auch nicht vor, deepest Techno zu produzieren. Die Absicht, so liest man in diversen Interviews diverser Medien, war, „adult sound“ zu produzieren. Und erwachsen geworden sind die drei musikalisch zweifelsfrei. Denn das Album „Paradise Again“ ist – wenn man charakteristische Merkmale als Stempel benutzen möchte – dark, düster, geheimnisvoll, mystisch, neblig. Das tiefschwarze Cover mit den drei weißen Kreislinien skizziert also eins zu eins den musikalischen Inhalt des 17-Trackers, der auf Republic Records am 15. April veröffentlicht wurde. Eine ausführliche Review zu „Paradise Again“ findet ihr übrigens in den Neuvorstellungen dieser FAZEmag-Ausgabe. Hier an dieser Stelle geht es nun weiter mit einem Interview mit der Swedish House Mafia.

Beziehungsweise: Es hätte mit einem Interview weitergehen können! Doch dieses ist aus nachvollziehbaren, wenn auch für uns bedauerlichen Gründen, in sprichwörtlich letzter Minute geplatzt. Die Fragen waren bereits formuliert und beim Label eingereicht. Auch lagen sie bereits den Künstlern vor. Doch aufgrund der Generalproben zum Auftritt beim Coachella Festival musste das Interview kurzerhand gecancelt werden. Ein Nachholtermin stand unterdessen zu dieser Zeit nicht zur Wahl, da das Magazin wenige Tage später in den Druck ging. Aber: Halb so wild. Interviews mit Steve, Axwell und Sebastian könnt ihr in den internationalen Untiefen des World Wide Webs zuhauf finden. Wir richten unser Augenmerk jetzt lieber mal auf die bevorstehende Tournee, auf Details des Albums und auf die Historie der Swedish House Mafia.

Beginnen wir mit der Tournee. Mit der Welt-Tournee 2022. 44 Stopps zwischen dem 29. Juli und 13. November dieses Jahres. Mit ihrer Live-Performance kommt die Swedish House Mafia auch zu fünf Shows nach Deutschland:

25.10.2022       LANXESS Arena, Köln

27.10.2022       Olympiahalle, München

05.11.2022       Festhalle, Frankfurt am Main

06.11.2022       Mercedes Benz Arena, Berlin

08.11.2022       Barclays Arena, Hamburg

Karten gibt es ab rund 64 Euro auf allen bekannten Ticketbörsen.

„Until One“ (2010) und „Until Now“ (2012), so die Titel der Alben, die die Swedish House Mafia bislang veröffentlicht hat und die mehr als zehn Millionen Fans in ihren Platten- oder CD-Regalen stehen haben. Mit „Paradise Again“ folgt nun roundabout eine Dekade später der Nachfolger. 17 Titel, darunter Kollaborationen mit Mapei, Connie Constance, Jacob Mühlrad, The Weeknd, A$SAP Rocky, Seinabo Sey, Ty Dolla $ign & 070 Shake. Und Sting. Picken wir uns einmal zwei Tracks aus diesem reichhaltigen Musikportfolio heraus und nehmen sie unter die Lupe: „Moth To A Flame“ und „Redlight“.

You don’t have to put on the red light.

Those days are over.

You don’t have to sell your body to the night.

Vocals, die nach 01:48 Minuten bei der Nummer „Redlight“ einsetzen. Gesungen von einem der größten Superstars der Rock- und Popgeschichte: Sting. Den „alten Hasen“ unter den Leser*innen wird dieser Lyric-Part gewiss bekannt vorkommen, sind es ja die ersten Textschnipsel zum weltweiten Superhit „Roxanne“ von The Police. Sting, der Leadsänger der Band, hat nicht nur seine Vocals zu „Redlight“ beigesteuert, nein. Er hat sie extra für das Single-Release neu aufgenommen. Kein billiger Abklatsch also, kein Sample-Copying, kein Remastering des Originals. Wobei es fast so weit gekommen wäre! „Wir haben die erste Textzeile einfach aus einem YouTube-Video zu ,Roxanne‘ geklaut, als Platzhalter“, gesteht Axwell. „Wir fanden es echt cool, aber uns war auch bewusst, dass wir das Sample nie ganz ,clear‘ bekommen hätten wegen der Instrumente im Hintergrund. Aber gut, wir wollten es versuchen.“ So schickten Swedish House Mafia die unfertige Nummer an Sting, zur rechtlichen Freigabe. „Sting war total begeistert“, erklärt Axwell in einem Interview mit der Los Angeles Times weiter. „Der meinte: ,Hey, das machen wir! Und ich nehme das Vocal-Sample noch einmal neu auf‘.“ – Und „Redlight“ war geboren. Ein „schwarzer“, ein „verschleierter“ Stroboskop-Track mit großartigen Soundeffekten. Zuckende Laser im undurchsichtigen Nachthimmel – man kann sie förmlich sehen beim Hören.

Smooth, summer groovy, sphärisch, einprägsam – so ließe sich in etwa „Moth To A Flame“ beschreiben. Ein Titel, der in Zusammenarbeit mit The Weeknd umgesetzt wurde. Weniger dark und düster, eher bright und freudestrahlend. Ein fluffiger, poppiger Beat, nicht zu stark und nicht zu dominierend. Eine angenehme Stimme, wie sie Abel Makkonen Tesfaye alias The Weeknd eben hat, die dem ganzen Schaffenswerk eine seichte Note gibt. Ein Song, der ebenso auf jeder Beach-Party laufen könnte, wie auch auf der Gartenfete im heimischen Grün oder beim Barbecue. Doch auch die Festival-Community kommt bei diesem Track auf ihre Kosten, schließlich gibt es mit dem KAAZE-Arena-Mix eine Version, zu der beispielsweise 60.000 Partypeople auf einer Mainstage das tabulose Ausrasten zelebrieren könnten. Ein breites musikalisches Spektrum also, das Swedish House Mafia mit ihren Single-Veröffentlichungen abdecken. Das Album selbst, wie erwähnt: eher deep, non-EDM, und dennoch fast forward.

Ergo stellt sich die Frage: Darf man die Rückkehr von Swedish House Mafia als Comeback bezeichnen? Ja, definitiv. Denn von aufgewärmter Musik aus der Konserve kann bei „Paradise Again“ keine Rede sein! Jede Nummer spricht für sich, hebt sich von der anderen ab – und dennoch passt sie in das Gesamtkonzept, das Swedish House Mafia in 2022 fahren: erwachsener Sound, durchdachte Lyrics, hochqualitativ produzierte Tracks, Superstars und Insider als Koop-Partner, weit entfernt von Kirmes-Techno. Umso gespannter darf man auf die gleichnamige Welt-Tournee sein, die im Vorfeld bereits mit einem Großaufgebot an Showtechnik, Licht und Laser angekündigt wurde. Schauen wir zu guter Letzt noch auf die History der Swedish House Mafia – ein Rückblick von damals bis heute.

Aus dem FAZEmag 123/05.22
Text: Torsten Widua
Fotos: Sebastian Ingrosso
www.swedishhousemafia.com