T78 – Beats zum Ausrasten

Die Ansätze, denen Manuel Tessarollo in seiner Karriere nachgeht, sind gleichermaßen interessant als auch abwechslungsreich. Sein Social-Media-Auftritt gleicht einer Comedy-Show, seine DJ-Sets kennen quasi keine Ruhephasen und auch sein Label Autektone gehört mit seinem eigenen Sound zu einer Ausnahmeerscheinung. Die Qualität der jeweiligen Variablen ist dabei stets herausragend, was in der Summe zu außerordentlichen Erfolgen führt. Nicht nur bespielt T78 mittlerweile die größten und renommiertesten Clubs und Festivals, im Januar 2020 landeten zehn Tracks von T78 in den Beatport-Techno-Top-100, darunter „Hardcore“ auf Filth on Acid von Reinier Zonneveld auf Platz eins. Sowohl 2019 als auch im Folgejahr zählte er zu den erfolgreichsten Künstler*innen auf der Plattform. Seine Tracks werden von sämtlichen Techno-Größen wie Carl Cox, Pan-Pot, Richie Hawtin und Amelie Lens gespielt. Mit durchschnittlich einer halben Million Zuhörer*innen pro Monat auf Spotify zählen Titel wie „The Antidote“, „Megator“, „Acid Lick“ oder sein Remix zu „The Outsiders“ von Christian Cambas zu waschechten Mega-Hits in seinem Metier. Dabei ist diese Karriere mitnichten die erste, der Tessarollo in seinem Leben nachging – bereits in den 00er-Jahren war er mit unzähligen Pseudonymen in verschiedenen Genres erfolgreich. So sehr, dass selbst Moby ihn via Social Media zu einer Kooperation angefragt hat. Lest ein Interview über Leidenschaft, Verrücktheit und den Wandel der Zeit, in der ein Hashtag wie #onlybombs zum Inbegriff von gutem Techno avanciert.

Manuel, lass uns am Anfang beginnen. Du stammst aus Bassano del Grappa in Italien, korrekt?

Genau, ich komme aus dem Nordosten Italiens, ungefähr eine Stunde von Venedig. Eine recht touristische Region, wo im Sommer immer viele Deutsche vorbekommen, die z.B. unterwegs zur berühmten Strandregion von Jesolo sind. Ich war ungefähr fünf oder sechs, meine Eltern hörten schon immer gerne Disco und Dance-Musik, also hatten diese Stile schon immer einen gewissen Einfluss auf mich. Meine Mutter hat mich sehr oft mit in den Plattenladen genommen, als sie ihrer Leidenschaft nachging und neue Musik kaufen wollte. Es war die Ära von Duran Duran, die damals förmlich omnipräsent waren. Ihre Musikvideos, z.B. zu „Wild Boys“, liefen zu dieser Zeit überall. Irgendwann habe ich meine Mutter gefragt, ob sie mir das Vinyl kauft und statt einfach nur die normale EP zu kaufen, hat sie mir das limitierte Mix-Vinyl von 1985 besorgt, wo neben „Wild Boys“ auch „Save a Prayer“, „The Reflex“ und „Careless Memories“ in der Super-Extended-Version drauf waren. Zusätzlich lag im Plattencover noch ein großes Poster bei, das danach jahrelang in meinem Zimmer hing.

Und das war der Startschuss für die eigene Plattensammlung?

In der Tat. Das sorgte allerdings nicht immer für gute Stimmung zu Hause, denn wir besaßen nur einen Plattenspieler. Also wurde manchmal sehr angeregt diskutiert, wer denn jetzt die nächste Platte spielen darf. 1989 gab es ein für mich dann sehr monumentales Ereignis – ein Freund besuchte die Familie in Belgien und erzählte mir nach seiner Rückkehr von einem Typen, dessen älterer Bruder regelmäßig den damals legendären belgischen Club Boccaccio besuchte. Mein Freund hatte ein Tape mitgebracht, das wohl kürzlich in dem Club aufgenommen wurde. Das, was ich dort zu hören bekam, war total abgedrehtes Zeug. Dennoch hat es mich nicht losgelassen, und je öfter ich diese Kassette, die ich übrigens heute noch habe, anhörte, desto mehr faszinierte sie mich. Einige Jahre später fand ich heraus, dass dieses Genre als New Beat tituliert wurde, eine Mischung aus EBM, Hi-NRG und Acid House. Ich war zu diesem Zeitpunkt zwölf Jahre alt, es gab kein Internet und die Möglichkeiten waren demnach mehr als begrenzt. Irgendwann gab es in Italien aber ein Magazin mit dem Namen „TREND Discotec“, das sich mit Clubkultur und der Szene auseinandersetzte. So habe ich also im Laufe der Zeit immer mehr Infos über die Tracks dieser einen Kassette herausgefunden. Eine lange und intensive Recherche.

Kurze Zeit später ging die Italo-House-Welle los, nicht wahr?

Und wie, Italo explodierte und war überall, in jeder Werbung, zu hören. An jeder Ecke poppten neue Compilations auf, es war ein unglaublicher Hype. Clubs öffneten Sonntagnachmittags von 14 bis 19 Uhr für Publikum, das zu jung für die Samstagnacht war. Und das war quasi das erste Mal, dass ich diese Musik nicht nur zu Hause oder in den Medien zu hören bekam, sondern in einem waschechten Club mit guter Anlage und einem Paar 1210er mit einem Mixer dazwischen. An diesen Nachmittagen habe ich meine Zeit fast ausschließlich damit verbracht, den DJ zu beobachten, während alle anderen an der Bar standen oder nach Mädels Ausschau gehalten haben.

Hast du zu dieser Zeit entschieden, auch DJ zu werden?

Das ist eher schleichend passiert. Nachdem ich immer mehr Musik aus dem Radio aufgenommen hatte, habe ich auf verschiedenen Privatpartys mit Kassetten „aufgelegt“. Diese musste ich immer wieder an die richtige Stelle spulen, um dann einen halbwegs vernünftigen Mix hinzubekommen, der meist in einem harten Cut endete. Meine Musiksammlung ging damals schon in eine etwas alternativere Richtung und ich habe versucht, einen Bogen um die ganz kommerziellen Titel zu machen. Ich habe ältere Freund*innen oder deren ältere Geschwister angefleht, beim DJ, der Samstagnachts aufgelegt hatte, ein Promo-Tape zu kaufen. Denn ich war ziemlich sicher, dass in der Nacht ganz andere Sachen liefen. Und so war es. Das war alles wesentlich experimenteller, treibender und interessanter. Irgendwann habe ich quasi jeden Samstag eine Busreise nach Vicenza oder per Zug nach Brescia auf mich genommen, um zu einem ordentlichen Plattenladen zu gelangen. Das war für mich jedes Mal eine wahre Offenbarung, besonders weil ich durch die Verkäufer vor Ort endlich von Gleichgesinnten umgeben war, mit denen ich meine Leidenschaft teilen konnte, und weil ich mich in diesen paar Stunden auch weitergebildet hatte. Ich habe unzählige Male Kino- und Restaurantbesuche mit Freund*innen abgelehnt, nur um mein Geld für Platten zu sparen. Mir war meine Plattensammlung wichtiger, als Zeit mit meinen Freunden zu verbringen, die mich dafür selbstverständlich als verrückt ansahen (lacht). Nach ein paar Jahren, in 1992, bin ich zu meinem Großvater gegangen und habe gesagt „Opa, ich möchte mir unbedingt zwei 1210er Technics kaufen, mit dem einen Plattenspieler zu Hause kann ich nicht ordentlich mixen.“ Ich hatte ihm angeboten, ihm im Gegenzug dafür im Sommer für drei Monate auf seinem Bauernhof zu helfen, wenn er mir dafür das Geld vorstreckt. Er willigte ein. Und dann ging es irgendwann typisch auf Geburtstagspartys und kleineren Events los. Irgendwann sind wir von einer Wohnung in ein größeres Haus gezogen, wo ich den Keller nutzen konnte und sogar Platz für rund 20 Leute hatte. Unser Zuhause wurde also zu einem Treffpunkt meiner Clique. Und so selbstverliebt das vielleicht klingen mag, in dieser Zeit bin ich in Sachen Mixing und Track-Auswahl recht schnell wahnsinnig gut geworden.

Wie kam es zu ersten Club-Gigs?

Im Sommer 1995 bin ich mit einem Freund und seiner Familie in ihr Sommerhaus an die Adriaküste gefahren. In der Gegend gab es einige Clubs, und wir hatten endlich das Alter erreicht, um den Türsteher passieren zu dürfen. Dort lernte ich dann den Resident-DJ kennen, mit dem ich mich auf Anhieb sehr gut verstand. Damals bedeutete Resident ja noch, dass man jeden einzelnen Abend bestritt. Und in solch einer touristischen Gegend haben die Clubs ja jeden Tag geöffnet. Er war also sehr glücklich, wenn er für ein bis zwei Stunden abgelöst werden konnte, um auch mal an die Bar zu gehen. Er fragte mich irgendwann, ob ich im Laufe der Nacht übernehmen wolle. Und wie der Zufall es wollte, hatte ich natürlich ungefähr 100 Platten mit in den Urlaub genommen (lacht). Also bin ich nach Hause, holte diese zwei Kisten und hatte meinen ersten halbwegs offiziellen Gig. Es lief supergut, alle waren begeistert und ich bin stolzgeschwellter Brust zurück in die Heimat, wo ich quasi jedem Menschen, der mir begegnete, erzählte, dass ich in diesem einen Club am Meer aufgelegt hatte (lacht). Ein Jahr später, einige Wochen vor der Sommersaison, rief mich der Manager dieses Clubs an, und fragte, ob ich nicht Lust hätte, jeden Sonntagnachmittag dort aufzulegen. Ich hatte Glück, dass ich nicht zum Wehrdienst gerufen wurde und konnte zusagen. Das Problem war allerdings, dass ich noch keinen Führerschein hatte und jede Woche jemand anderen fragen musste, mich die zwei Stunden hin- und zwei zurückzufahren. Ich habe vier Jahre dort gespielt.

Ein wahrscheinlich lukrativer Job.

Leider gar nicht. Unter der Woche habe ich in einer Fabrik gearbeitet, die Plastikeinheiten für z.B. Werkzeug- oder Sortiment-Boxen herstellte. Im Prinzip war das alles nur ein Mittel, um meine Vinyl-Leidenschaft zu finanzieren, denn jeden Tag nach Feierabend bin ich kurz unter die Dusche gesprungen, um dann vier bis fünf Stunden aufzulegen, ohne Ausnahme. Viele meiner damaligen Freundinnen waren zunächst total angezogen von der Tatsache, dass ich DJ war, ehe sie feststellten, dass mein Alltag für sie ein recht eintöniger war und mich verließen.

Wie hast du es dann über die Grenzen Italiens geschafft?

Irgendwann habe ich die Namen von meinen Vinyls, vermehrt von deutschen Künstler*innen, auf den Flyern von riesigen Events wie MAYDAY gesehen und damit festgestellt, dass ich ohne eigene Musik diese Spirale aus Residencies, die nicht im Ansatz meine Rechnungen bezahlen konnte, niemals verlassen werde. Also habe ich mir Equipment zum Produzieren gekauft und habe mich in die Materie eingearbeitet. Das war Ende der 90er-, Anfang der 00er-Jahre. Ende 2002 habe ich dann mein erstes internationales Booking gespielt und meine Karriere begann, an Fahrt aufzunehmen. Irgendwann habe ich dann fast mehr produziert als aufgelegt. Und zwar so viel, dass ich mir verschiedene Aliase zugelegt habe, weil die Stile ebenfalls variierten.

Damals ein völlig normales Unterfangen, heute eher unvorstellbar.

Total. Damals gab es Deals, dass man einem Label pro Monat z.B. drei Titel schickte und dafür regelmäßig Betrag X erhielt. Anfang des neuen Jahrtausends habe ich dann als Activator erste Schritte im Hardstyle gemacht, das Genre war damals für mich gänzlich neu. Vor allem in den Niederlanden, Deutschland und in UK war der Stil ja omnipräsent und eine riesige Sache, ehe er dann viel später auf die gesamte Welt überschwappte. 2010 war ich dieses Genres aber überdrüssig und wollte etwas anderes machen, etwas Langsameres und Softeres. Ich habe als „Acti“ einen Abstecher in die EDM-Ecke gemacht, allerdings ohne diesen Bigroom-Charakter. Es war eher deepe Bassmusik fast ohne Hi-Hats. Diese Zeit war unglaublich wertvoll, denn für mich stellt sie quasi das Fundament der Sachen dar, die ich heute mache. 

Dein heutiges Projekt sowie dein Label Autektone hast du 2016 lanciert.

Ende 2015 entschied ich mich, meiner Liebe zum Techno Ausdruck zu verleihen, ja. Meine ersten Produktionen, die ich persönlich unheimlich gut fand, brachten aber nur wenig bis gar kein Feedback von Labels oder Promoter*innen. Ich hatte die Faxen irgendwann dicke, immer auf Dritte angewiesen zu sein, um meinen Sound in die Welt zu tragen. Also habe ich im Mai 2016 Autektone gegründet.

Die heutigen Zahlen und Chart-Platzierungen sind beeindruckend, das Label gehört zu den erfolgreichsten auf Plattformen wie Beatport.

Danke für die Blumen. Ich bin allerdings ziemlich sicher, dass ich ohne Pandemie noch wesentlich weiter wäre. Der erste Track, der international auf recht große Resonanz stieß, war „Fisto“, als Carl Cox im Frühjahr 2018 damit begann, ihn rauf und runter zu spielen. Das Besondere daran war, dass der Track zu einem der absoluten Höhepunkte seiner Sets avancierte. Ein paar Monate später ist mein Remix zu Christian Cambas‘ „The Outsiders“ erschienen, den er ebenfalls immer wieder spielte. Daraufhin sind Acts wie Amelie Lens und Deborah de Luca auf mich aufmerksam geworden und haben die Tracks auch gespielt. Ich glaube, das war der wahre Anfang von T78. Mir ist bewusst, dass diese Aussage für viele vielleicht als unsympathisch gelten mag, aber meiner Meinung nach war die Qualität bereits vorhanden und ich wusste, dass ich nur entdeckt werden musste. Ich höre oftmals, dass Leute durch diese beiden Tracks zu mir gefunden haben und dann von meiner restlichen Diskografie beeindruckt sind.

Mittlerweile ist das Label sechs Jahre alt und verfolgt dabei ein recht eigenes Genre – welche Philosophie verfolgst du dabei?

Als ich das Label und zeitgleich mein neues Alias gegründet hatte, war ich mir darüber im Klaren, dass die Zeiten sich verändert hatten im Vergleich zu meiner ersten Karriere 15 Jahre zuvor. Einfach ein paar Titel veröffentlichen und schauen, wo die Reise hingeht, wäre heute womöglich zu wenig, um zu Erfolg zu gelangen. Zeitgleich wollte ich mich aber auch nicht in die gleiche Schublade wie alle anderen begeben, mir schwarze Klamotten anziehen und einen auf superernst machen. Denn das bin ich einfach nicht. Es gab 2016 schon erste Anzeichen, dass Techno bald das beliebteste Genre, noch weit vor EDM, sein würde. Also habe ich mich genau an diese Vorzeichen gehalten. Beim Techno fehlte mir allerdings oft auch die Abwechslung – es war ein Mix aus Gefühlen. Jedenfalls bin ich auf die Idee gekommen, gewisse Parameter aus beiden Welten zu kombinieren. Markante Drops mit technoidem Gerüst. Der Name Autektone ist eine Kombination aus zwei Wörtern: Techno und Autochthon, das beim Wein eine besondere, einheimische Rebsorte bedeutet. Das Label steht für Einzigartigkeit, seit dem ersten Tag wollte ich einzigartige Techno-Musik liefern, die zwar Inspiration aus verschiedenen Musikquellen nimmt, aber am Ende frisch und unwiderstehlich ist. Am Anfang habe ich das Label nur mit dem Ziel betrieben, meine eigene Musik zu veröffentlichen, aber ich habe langsam eine neue Generation von DJ-Produzent*innen „infiziert“, die meiner Vision gefolgt sind, und heute ist es eine Tatsache, dass Autektone eines der etabliertesten Labels in Deutschland und sogar Europa ist. Es gibt seit ein paar Jahren Labels und Künstler*innen, die unseren Sound versuchen zu kopieren, aber ich bin so selbstbewusst zu sagen, dass wir dafür schon zu weit fortgeschritten sind mit unseren Ideen und unserem Handeln. Und wir denken schon jetzt über die nächsten großen Schritte nach. Zuviel kann ich jetzt natürlich nicht verraten, aber ich bin ziemlich sicher, dass Acid spätestens Ende dieses, Anfang kommenden Jahres nur noch ein kleines Detail innerhalb unserer Szene sein wird.

Autektone bietet sowohl bekannten Acts als auch Newcomer*innen eine Plattform.

Für mich macht es keinen Unterschied, ob ich Tracks von einem Star oder einem gänzlich unbekannten Künstler veröffentliche. Meiner Meinung nach herrscht sowieso ein riesiger Unterschied zwischen sehr bekannten DJs und einer Top-Produzent*in. Meiner Meinung nach sind das zwei völlig verschiedene Berufszweige. Wenn es meinen Geschmack trifft, veröffentliche ich diesen Track – total egal, welchen Hintergrund die Künstler*in mitbringt. Sehr oft bekomme ich Sachen zugeschickt, die für meinen Geschmack zu 70 Prozent fertig sind. Ich könnte so hochnäsig sein, sie abzulehnen und die Artists damit zu anderen Labels zu schicken. Was ich aber oft mache, ist, den Acts anzubieten, dass wir gemeinsam noch an den restlichen 30 Prozent feilen und damit das gewisse Etwas auf Hochglanz polieren. In den meisten Fällen stimmen die Acts zu. Und dann gibt es auch noch „Autektone Dark“, unser Sub-Label, bei dem es um Sachen geht, die unter Umständen nicht ganz so spektakulär sind, mir aber dennoch gefallen. Knaller sind sie alle.

Womit wir dann bei #onlybombs wären, oder?

Haha, so in etwa, ja. Die Idee dazu kam 2016. Ich habe Profile in den wichtigsten Kanälen erstellt und mir zum Ziel gesetzt, Dinge anders zu machen als die breite Masse. Es sollte freundlicher, witziger und zugänglicher für die Leute dort draußen werden. Durch diese Idee, mit ein paar guten Ideen von Freund*innen, ist der Hashtag #onlybombs entstanden. Eigentlich total bescheuert, zumal es ja richtig „Bombs only“ heißen müsste, aber auch das war mir irgendwie egal (lacht). Techno wird überall auf der Welt verstanden und ich als Italiener darf mit meinem Maccheroni-Englisch auch mal einen Fehler machen (lacht).

Generell ist dein Social-Media-Auftritt ein sehr besonderer. Du scheinst nicht nur ein guter DJ und Produzent zu sein, sondern auch Comedian.

Nun ja, bis vor wenigen Jahren habe ich Social Media gehasst, um ehrlich zu sein. Ich habe die Tatsache verflucht, dass ganz offensichtlich nur die Acts einen vollen Tour-Kalender haben, die auch eine beachtliche Anzahl an Follower*innen haben. Als ich 2016 mein neues Projekt gegründet habe, wollte ich es zumindest einmal im Leben versuchen, regelmäßigen und zeitgleich spaßigen Content zu veröffentlichen. Sind Videos hinterm DJ mit einem XXL-Break im Blitzlichtgewitter nicht total langweilig geworden mit der Zeit? Ich weiß auch so, dass ich ein geiler DJ bin – dazu brauche ich am Montag nicht auch noch die Bestätigung von meinen Fans, die nicht im Club waren. Ja, ich poste solche Videos auch, aber es macht mir wesentlich mehr Spaß, meiner Kreativität freien Lauf zu lassen und auch mal meinen Humor zum Vorschein zu bringen. Ich war an dem Punkt, dass ich mich viel zu alt für den Quatsch gefühlt habe, aber ich gebe mittlerweile einen Scheiß darauf, dass ich 40 Jahre alt bin und Scherze im Internet mache – über mich oder die Szene im Allgemeinen – und dabei womöglich meist total bescheuert aussehe. Mein Publikum ist in der Regel jünger als ich, also darf ich nicht auf alt um die Ecke kommen. Ich hole mir dafür Inspiration bei TikTok oder ähnlichen Kanälen und münze das Ganze auf meine Welt im Studio oder zu Hause um. Und ja, manchmal nötige ich meine Familie dazu, mir dabei zu helfen. Und dann stehe ich da und fordere meine Frau auf, mich mit einem Basketball oder einem Stück Pizza zu bewerfen. Na und? Umso weniger Gedanken ich mir über meinen Social-Media-Auftritt mache, desto besser wird es am Ende. Es geht darum, real zu sein. Und dann wird es automatisch gut. Meine Musik bringt dich zum Ausrasten, und das ist die Hauptsache. Die Leute sehen mich aufgrund meines Internet-Auftretens mittlerweile eher als einen Freund, mit dem man einen draufmachen kann, als einen geheimnisvollen Superstar mit Allüren.

Dein Album ist Anfang Dezember erschienen, erzähle uns etwas über die Idee und die einzelnen Titel.

Ich beschloss, das Album während des ersten Lockdowns im Jahr 2020 zu machen. Ich hatte so viele gute Ideen auf meiner Festplatte geparkt und dachte mir, dass es eine Schande wäre, sie nicht alle fertigzumachen und zu veröffentlichen. Es enthält zehn Tracks, die alle Stile von Techno abdecken, die ich mag. Einige basieren auf dem, was ich als Kind gehört habe, andere auf dem, was ich Ende der 90er-Jahre als DJ gemacht habe, und wieder andere haben einen ganz persönlichen und einzigartigen Ansatz. Der berüchtigte Acid-Sound der Roland TB 303 ist wahrscheinlich das verbindende Element dieses Albums, aber ich habe es geschafft, ihn jedes Mal auf eine andere Art und Weise in jedem Track zu verwenden. Dieses Album ist das, was ich dem Publikum gerne vorspiele und quasi 100 Prozent ich. „Liquid Night“ ist der Opener und auch die Single, die das Album vorwegnahm. Dieser Track hat eine lange Geschichte, denn ich habe vor fast vier Jahren angefangen, ihn zu produzieren. Ich habe geduldig jeden Monat nur ein paar Stunden daran gearbeitet, weil ich etwas schaffen wollte, das sich im Laufe der Jahre mit mir verändern und weiterentwickeln kann. Deshalb kannst du in diesem Track verschiedene Elemente hören, die zu bestimmten Momenten meines Techno-Produzenten-Entwicklungsprozesses gehören. Das Schlagzeug ist von 2017, die Hintergrund-Arps und Synths von 2018, die 303 aus 2019/20 und die Kick/Bass stammt aus dem letzten Jahr. Manchmal macht das Warten das Ergebnis besser. „Panthor“ entstand aus der Zusammenarbeit mit NeroArgento, einem lieben Freund und guten italienischen Rocksänger, mit dem ich oft Studiosessions mache, bei denen wir unsere musikalischen Backgrounds zusammenführen und dabei immer etwas Interessantes herauskommt. Das ist vielleicht der Track, der auf dem Album am meisten zu „Modern Techno“ gehört, wo ich mich vielleicht weniger getraut habe. Die Entwicklung ist langsamer als beim Rest des Albums, aber der Sound ist wirklich sehr cool und überwältigend.„Torino 98“ ist wahrscheinlich einer meiner Favoriten hier, weil er an den italienischen Sound der späten 90er-Jahre erinnert, der meine Art, Musik zu machen, für immer beeinflusst hat. Torino ist eine Stadt, die viele Bedeutungen für mich hat und ich betrachte sie als die Hauptstadt der elektronischen Musik in Italien. In diesem Track habe ich versucht, einige Elemente auf einfache, aber gleichzeitig kreative Weise zu arrangieren. Inspiriert wurde ich dabei von italienischen Produktionen, die ab 1998 Gestalt annahmen, insbesondere von denen des Labels „BXR“. „Scorpia“ ist der letzte Track, den ich für das Album gemacht habe. Ich war sehr unsicher, weil ich eine ganz andere Richtung eingeschlagen habe als sonst. Ich wusste nicht, ob ich ihn in die endgültige Trackliste aufnehmen sollte, und es war meine Frau, die mich dazu drängte. Sie kam ins Studio, während ich den Song aufnahm, und war sofort begeistert. Ich war ziemlich überrascht über ihre Reaktion, aber sie war sich zu 100 Prozent sicher, dass dieser Vibe, der vielleicht etwas kitschig klingt, sehr gut mit dem groovigen Club-Sound harmoniert. Als ein Pionier wie Frankie Bones mich bat, an „I Feel A Storm“ mitzuarbeiten, war ich sehr glücklich und unsicher zugleich. Der Gesang ist sehr lang und es war nicht einfach, ihn so zu platzieren, dass meine Hype-Elemente erhalten blieben. Ich wollte nicht das ganze Arrangement nur auf Beat-Loops aufbauen, was quasi die ursprüngliche Idee war, also habe ich viel Zeit investiert, um die richtige Formel zu finden. Ich denke, das Ergebnis ist eine Bombe mit einer verheerenden Wirkung auf der Tanzfläche (lacht). „The Cure“ ist der eklektischste Song, mit vielen Einflüssen aus UK-Breakbeat und Drum ‚n‘ Bass. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, an ihm zu arbeiten. Ich konnte Sounds mischen, die ich vorher noch nie verwendet hatte, und genau in dieses Experiment wollte ich ein paar Vocals einbauen, die in wenigen Worten das enthalten, was ich den Menschen in dieser Zeit großer Schwierigkeiten vermitteln möchte, in der Musik auch das Heilmittel sein kann. „Dominator“ ist der Höhepunkt des Albums. Ich wollte eine Fortsetzung von „Megator“ schaffen, das sich als großer Erfolg herausstellte, deshalb habe ich fast die gleiche Gewinner-Hardtrance-Formel verwendet, die darauf ausgelegt ist, die volle Kraft in großen Arenen auszudrücken. „Shuff-A-Tuff“ ist eine besondere Widmung an die gesamte Shuffle-Community auf der ganzen Welt, die mich mit viel Liebe und kraftvollen Videos in den sozialen Medien unterstützt. „Rave is your party“ ist meine Ode an den Sound von 91/92, meine Lieblingsmusikperiode, in der die Kreativität meiner Meinung nach überragend war, denn die Songs waren eine Mischung aus verschiedenen Stimmungen binnen vier bis fünf Minuten. Dieser Song bezieht sich auf Prophetia – „Rave Is Your Party“, den ich in der Schule in meinem Walkman rauf und runter gehört habe. Dank der sozialen Netzwerke habe ich MC Max Jam für die Wiederverwendung der Stimme kontaktiert. Der Track ist eine hektische Mischung aus Hoover Sound, Piano House und Rave Stabs. „Superbia II“ ist die Überarbeitung eines Subground-Tracks, den ich 2012 gemacht habe. In dieser neuen Version habe ich die Kick ersetzt und die Wobble-Sounds entfernt und den Platz einer bösen 303-Linie überlassen. Wenn du mich fragst, ist das ein echtes Juwel und man kann es tatsächlich als Song bezeichnen, denn es enthält einen reinen Rockteil mit komplettem Gesang inklusive Strophe und Refrain, verzerrter Gitarre und echten Drums. Lang lebe Techno ‚n‘ Roll (lacht).

Lass uns über dein Studio und deinen Workflow sprechen.

Es gab Zeiten, da habe ich über 20 Synthesizer besessen. Aber als ich mit meiner Familie zusammengezogen bin, habe ich mich dahingehend extrem reduziert und mit der Zeit habe ich meinen Workflow auf komplett „in the box“ verlagert, sprich auf ausschließlich meinen Laptop. Es ist nicht sonderlich wichtig, was man hat, sondern wie man die wenigen Tools benutzt. Ich gehöre auch nicht zu denen, die den Sound von Vinyl so geil finden im Vergleich zu digitalen Files. Ja, ich mag die Haptik von Vinyl, aber das war’s auch schon. Ich würde nie wieder meine Platten in irgendeinen Club schleppen und mir einen Bandscheibenvorfall holen. Am 4. April wird eine EP mit dem Titel „Retro Future 2“ erscheinen, auf die ich mich sehr freue. Es ist der Nachfolger vom ersten Teil, der 2020 erschienen ist. In dieser Zeit während der Pandemie, wo es mit der Inspiration auch nicht immer so wunderbar geklappt hat, habe ich mich auf die Musik konzentriert, die ich als DJ immer gerne gespielt habe zu Pre-Pandemie-Zeiten oder sogar in den 90er-Jahren. Diese haben mir als Inspirationsquelle gedient. Ich habe Samples von damals geklärt und damit herumexperimentiert. Mittlerweile sitze ich gar nicht mehr so oft im Studio, zumal ich nun eine Familie habe und mich auch gerne ablenke. Aber bevor ich Papa wurde, saß ich gerne 13 bis 14 Stunden pro Tag im Studio, wo ich förmlich gewohnt habe. In dieser Zeit habe ich mir so viele Skills angeeignet, dass ich eben sehr, sehr schnell geworden bin. Von der ersten Idee zu einem fertigen Track dauert es bei mir oftmals keine zwei Stunden. Ich kreiere nur noch selten gänzlich neue Sounds, sondern entwickle die bestehenden immer weiter. Sounddesign ist eben der Teil, bei dem die meiste Zeit drauf geht. Daher arbeite ich auf dem Gebiet recht effizient und effektiv, zumal ich damit zeitgleich meinen Trademark-Sound noch weiter definiere. Bei Remixen gehe ich ähnlich vor, da arbeite ich im Durchschnitt zwei Tage dran.

Mit #onlybombs führst du auch bereits einen gleichnamigen Podcast und gehst bald auf Solo-Nacht-Tour. Was genau ist dort geplant?

Grundstein dieser Idee ist die Tatsache, dass ich dem Namen gerecht werde. Es gibt weder ein Warm-up noch ein ruhigeres Closing. Vom ersten bis zum letzten Track gibt es nur absolute Kracher zu hören. Das Leben ist zu kurz, um auf irgendetwas zu warten (lacht). Bei vielen Kolleg*innen, die drei bis vier Stunden auflegen, geht es davon maximal eine Stunde richtig ab. Daher dachte ich mir, warum nicht nur die volle Abfahrt liefern über solch einen langen Zeitraum? Dabei sind 99 Prozent der Musik, die ich auflege, meine eigenen Stücke bzw. von Autektone. Und die Fans lieben dieses Konzept.

Was steht außerdem auf deiner Agenda?

Wenn man sich meine Diskografie anschaut, stellt man fest, dass ich seit Jahren jeden Monat Output generiert habe. Nun wollte ich nach dem Album mal ein paar Wochen verstreichen lassen, bis ich wieder neues Material veröffentliche. Das Release am 4. April ist das nächste, im Mai kommen dann weitere Originale. In Sachen Remixe erscheinen in den nächsten Wochen bis zum Sommer ungefähr fünf, darunter z.B. für Ferry Corsten. Außerdem freue ich mich auf mein fünfstündiges Set, das ich im März in Rom spielen werde. Generell bin ich sehr froh über die Erfolge seit 2016, sowohl von mir als auch vom Label. Ich hoffe sehr, dass es so weitergeht. Natürlich bin ich kein Magier und es kann durchaus sein, dass wir auch mal Entscheidungen treffen, die nicht die besten sind. Aber auch das ist ok und wird uns nur schlauer machen, es danach besser zu machen. Bewusstsein, leidenschaftliche und aufrichtige Hingabe und Einzigartigkeit, das ist der einzige Weg für mich. Ich freue mich auf jeden einzelnen von euch dort draußen und ich kann euch garantieren, dass wir eine wunderbare Zeit haben werden. Ciao und #onlybombs.

 

Aus dem FAZEmag 121/03.22
Text: Matt Eagle
Credit: Manuel Galante / Ron Eskens
www.instagram.com/t78official