Tensnake – Melodien für Millionen

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Ein milder Wintertag in Hamburg. Das Eis der Kältewelle auf der Binnenalster verzieht sich nach und nach im Angesicht der über die Temperaturen spottenden Sonne. Schaut man sich den Kalender an, so wünscht sich wohl kaum einer der Bewohner der Hansestadt noch einen winterlichen Rückfall. Die Zeichen stehen auf Frühling – wenn auch noch etwas zaghaft, aber unübersehbar – und die Laune der Menschen steigt mit jedem Zehntel Grad. Und so ein Jahreszeitenwechsel, der braucht natürlich einen Soundtrack. Den liefert der ortsansässige Marco Niemerski, dessen Karriere seit vielen Jahren unter dem Namen Tensnake recht gut an Fahrt aufgenommen hat und der nun sein Debütalbum „Glow“ veröffentlicht.

Der Hotelname klingt englisch, das Interieur folgt der Vorlage und versprüht klassisch-britische Eleganz. Jeden Moment könnte Mr. Bond um die Ecke kommen, aber in diesem Fall sind es ein DJ, ein Promoter und ein Fotograf. Die letzten Bilder für das Cover-Shooting werden in einem Salon gemacht, der die oben bereits erwähnten Stilkriterien ebenfalls erfüllt. Samtene schwere Sessel, raumhohe und vollgestopfte Bücherregale und eine Minibar, die vor allem Gin beinhalten. Ein Hauch von Filmset nach Reißbrett, aber dennoch sehr gemütlich. Und nachdem die letzten Aufnahmen im Kasten sind, werden endlich die Sessel getestet. Es kehrt so etwas wie Ruhe ein, auch wenn das für Marco nur relativ sein kann. Gerade erst ist er aus New York zurückgekommen, wo er zwei Interviewtage hatte. Das Interesse am neuen Album ist auch dort sehr groß. „In Amerika tut sich gerade einiges, das ist sehr spannend. EDM ist stark im Kommen. Auch wenn das hierzulande eher ein Schimpfwort ist und mit Skrillex oder diesem Festivalsound in Verbindung gebracht wird, in den USA wird es als Sammelbegriff für alles, was elektronisch ist, benutzt.“
Jahrelang haben dort HipHop oder Rock regiert, und nun explodiert förmlich elektronische Musik in vielen Schattierungen. Ebenso explosiv erscheint das neue Album des 39-Jährigen. 16 Songs, ein Juwel, durch und durch ein Album. Keine einzelnen Tracks, sondern ein gut inszeniertes Stück Popmusik, das natürlich einen gewissen Clubbackground nicht leugnen kann, das aber definitiv seine Stärken in seiner Gesamtheit und Homogenität hat und auch viel Zitate nicht nur offen, sondern auch zwischen den Zeilen parat hat. Eine kleine Zeitreise, die aber stets in der Gegenwart endet. Ein rundum gutes Packet, mit dem Tensnake jenseits des großen Teichs nicht nur auf großes Interesse seitens der Presse stoßen kann. Diesseits natürlich auch. Sein neues Label Virgin /Universal hat darüber hinaus auch die Kapazitäten, „Glow“ weitreichend zu bewerben. Und mit Rummel hat der Hamburger mittlerweile auch schon genügend Erfahrung gemacht.

Du steuerst nach deinem Erfolg mit „Coma Cat“ vor vier Jahren momentan wieder auf eine große Aufmerksamkeitswelle zu. Wie war eigentlich die Zeit nach der ersten Welle?
Das ging natürlich wieder etwas runter und das war auch durchaus gewollt, weil ich auch erstmal damit klar kommen musste. Andererseits war es natürlich auch nicht so, dass ich den Rummel nicht wollte, schließlich habe ich mich ja auch für die Lizenzierung der Single durch Defected entschieden, um das größer werden zu lassen. Aber es war schon etwas ungewohnt, in Läden gebucht zu werden, wo eigentlich ein komplett anderer Sound gespielt wird und wo man sich ein bisschen anpassen muss, wenn man den Club nicht leer spielen will. Da muss man auch erstmal schauen, wo man überhaupt hin möchte. Ich wollte kein zweites „Coma Cat“ machen und es nochmal und nochmal kopieren – das hätte vielleicht auch gar nicht funktioniert. Ich habe dann erstmal wieder ganz bewusst zurückgeschaltet und auf Mirau, meinem eigenes Label, veröffentlicht.

Wann und wie hast du dich dann mit dem Album beschäftigt?

Entstanden ist es eigentlich 2012. Ich wusste anfangs nur, dass es keine Sammlung von Clubtracks werden sollte. Musikalisch inhaltlich entstand das Konzept beim Prozess selbst. Es muss in voller Länge eine Existenzberechtigung haben, dass man es vom
Anfang bis zum Ende durchhören möchte – also nicht nur „Coma Cat“ plus drei andere Hits und dann Füllmaterial. Ich muss es selbst mögen und habe mich an Alben aus den 80er- und 90er-Jahren orientiert. Du kennst eine Maxisingle, und dann entscheidest du
dich, das komplette Album zu kaufen. Du kannst dann den einen Song nicht mehr hören, entdeckst aber gleichzeitig ein anderes Juwel. Da baut man eine ganz eigene emotionale Bindung zum Album auf, das möchte ich bestenfalls schaffen.


Wie kam die Wahl des Labels zustande? Ist jemand auf dich zugekommen oder war es umgekehrt?

Das Album war fertig, bevor ich irgendein Label kontaktiert habe. Ich wollte alle Aufnahmen abschließen, bevor mir irgendjemand reinredet und mich verunsichert. So ein Prozess dauert eh schon ziemlich lang und oft weiß man als Kreativer selbst nicht mehr, ob man auf dem richtigen Weg ist. Es war mir sehr wichtig, dass ich das alleine durchstehe. Zuerst habe ich das Album den Kollegen aus meinem Umfeld gegeben wie Permanent Vacation, Future Classic oder auch DFA. Aber die haben nicht so reagiert, wie ich es mir gewünscht hatte, wussten nicht so richtig, wie sie damit umgehen sollten, da es ihnen wohl zu wenig nach Tensnake klang. Und dann sah ich nur noch eine Möglichkeit und habe es den Majors angeboten. Das Feedback aus der Ecke hat mich dann allerdings auch überrascht, denn letztlich konnte ich mir nun die Plattenfirma aussuchen. Ich habe mich schließlich für Virgin entschieden, weil das Label auch eine gute Historie hat und im elektronischen Crossover-Pop-Bereich eine große Rolle gespielt hat.

Warum hat es denn eigentlich so lange gedauert, bis es veröffentlicht wurde? Angekündigt wurde es ursprünglich für letztes Jahr, der Termin wurde mehrmals verschoben.
Das hat eigentlich einen ganz banalen Grund. Die Plattenfirma hat es verschoben, weil sie es einfach gut vorbereiten wollten und mehr Zeit brauchten. Ursprünglich geplant war, eine erste Single im März/April letzten Jahres zu veröffentlichen, und dann im Oktober das Album folgen zu lassen. Ich hätte vertraglich darauf bestehen können, aber letztlich will ich ja auch, dass alles perfekt läuft. Aber langsam kann ich echt nicht mehr, ich will das Ding endlich draußen haben. (lacht)

Ist diese Warterei nicht anstrengend? Ich könnte mir vorstellen, dass man auch immer wieder Schübe bekommt, doch noch etwas zu ändern.
Ständig! Aber man muss sich dann irgendwie lösen, und eine ganze Zeit lang habe ich es mir auch nicht mehr angehört.

_MG_91985Es sind einige Vocal-Tracks auf dem Album, von denen die meisten von der australischen Sängerin Fiora gesungen werden. Wie bist du auf sie gekommen?
Ein gemeinsamer Freund aus Berlin, der auch produziert, hat sie mir empfohlen. Ich hatte die Hälfte des Albums fertig, wollte unbedingt noch eine weibliche Stimme haben, wusste aber nicht wirklich wen. Er hat mir ein paar Sachen gezeigt, und obwohl sie schon sehr kommerzielle Sachen mit Armin van Buuren oder Seven Lions gemacht hatte, war ich von ihrer sehr Stimme begeistert und habe ihr dann „See Right Through“ zugeschickt, was ja dann im letzten Jahr als Single erschien. Eigentlich ein ziemlich langweiliger Track mit gleichen Chords und fast schon einem stumpfen Techhouse-Loop. Aber was sie daraus gemacht hat, finde ich sehr beeindruckend. Für mich sind Lyrics nicht so wichtig, ich achte da mehr auf Melodien und Rhythmik. Für sie sind die schon wichtig und wenn dann jemand so eine Ebene drauf packt, dann finde ich das natürlich sehr toll. Wir haben uns in Hamburg getroffen – sie lebt ebenfalls in Berlin – und weitere Songs aufgenommen. Die Chemie stimmt, und es passt natürlich auch für die angestrebte Homogenität des Albums, dass Fiona den größten Teil der Vocaltracks übernommen hat.

Nile Rodgers ist auch einer deiner Kollaborateure…

Das war 2012, als ich über einen Freund mitbekommen habe, dass Nile Rodgers oft mit jungen Produzenten zusammenarbeitet. Ich hatte die Hoffnung, dass er meine Sachen mag und habe ihm einfach über Facebook eine Nachricht geschrieben. Ich habe mit nichts gerechnet, dachte, dass die Betreuung der Seite sowieso eine PR-Firma macht. Nach gut zehn Minuten bekam ich eine Antwort, von ihm persönlich. Er war gerade in Mailand und hatte eine Show mit Le Chic gespielt. Er kannte mich auch, „Coma Cat“ ebenfalls, und hatte sofort Lust auf eine Zusammenarbeit. Auf der Winter Music Conference im letzten Jahr haben wir uns dann getroffen und darüber gequatscht, was wir machen können. Ich war ziemlich aufgeregt, aber Nile ist vom Typ her ziemlich bodenständig und macht alles, damit man sich wohlfühlt. Was aber wirklich irre ist bei der Nummer, dass eine Best-Of-Platte von Le Chic die erste Platte war, die ich in meinen Händen hielt – aus der Sammlung einer meiner Brüder. Das sind meine Wurzeln!

Da schließen sich Kreise…

Er weiß von der Geschichte, das ist so verrückt und absurd. Wenn mir das jemand vor vier, fünf Jahren erzählt hätte…

Dein Bruder ist also nicht unschuldig an deinem musikalischen Werdegang?
In seiner Sammlung waren auch Shalamar vs. The Whispers oder Earth, Wind & Fire, darüber bin ich sozialisiert worden. Ich bin damals auf dem Land kurz vor Hamburg aufgewachsen, da gab es auch nichts anderes für mich als das Radio und die Plattensammlung, das hatte großen Einfluss auf mich. Ich habe natürlich auch andere Sachen gehört, hatte eine Indie-Phase, bin über meinen anderen Bruder an The Who, Small Faces und Ska gekommen und landete schließlich auch in einer 90er-Jahre-HipHop-Phase.

Kannst du erklären, wie sich was dann in deiner Musik widerspiegelt?
Das ist nicht bewusst, das passiert einfach auch so. Ich habe ein Faible für Melodien, habe keine Angst vor ihnen. Meine Schwelle ist da etwas niedriger. Andere würden es schon cheesy nennen. Disco zum Beispiel. Da gibt es dieses klischeebeladene und
aufgesetzte Bild – eher Parodie – und eben die Sachen, die da drunter bleiben, unaufgeregt zwischen Happiness und Traurigkeit. Da findest du die spannendsten Stücke, die zeitlos sind. So z.B. „She Can Love You“ von Chemise, das habe habe ich letztens noch gespielt, als ich in London war, und das funktioniert super. Aber von den Kids kennt das keiner.

Ist das auch eine Art Lebensgefühl, was sich da widerspiegelt?
Manchmal ja, tatsächlich. Wenn im Studio irgendwelche Synthie-Sachen entstehen, kommt diese Gefühl aus meiner Kindheit auf. Ich kann mich erinnern, wie ich mit meinem besten Kumpel damals in Unterhose vor der Glotze gesessen habe, wir C64 gezockt haben und aus dem Zimmer seines Bruders kam dieser Funk- und Boogie-Kram. Vielleicht ist es ja auch so etwas wie sich selbst in die Kindheit transportieren. Letztlich möchte ich ja ach mit meiner Musik viele Leute erreichen. Die ist nicht mega verkopft, hat vielleicht einen hedonistischen Ansatz und eine gewisse Eleganz – eben meine Art Musik auszudrücken.

Gibt es da eine Essenz, die da hängengeblieben ist, kann man das auf den Punkt bringen?
Ich glaube, es ist eher ein Gefühl, das hängengeblieben ist. Ich habe z.B. den „Miami Vice“-Soundtrack rauf und runter gehört. Da wusste ich noch gar nicht genau, was das war oder bedeuten könnte. Ich mochte es einfach, und es färbt natürlich ab. Wo wir jetzt darüber reden ist es vielleicht vielmehr eine Reise in die Vergangenheit, als mir beim Produzieren bewusst ist. Aber es ist mir auch wichtig, dass es nicht zur sehr darauf reduziert wird. Es ist ja kein Retroalbum, ich entwickle den Sound weiter.

 

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www.tensnake.com

Fotos: Bartosz Ludwinski