Sennheiser hat einen neuen HD-Headphone herausgebracht. Das Referenzmodell 490 Pro (Plus) wurde speziell für Studioanwendungen konzipiert und ermöglicht es, blinde Flecken bei der Audiowiedergabe zu erkennen. An dieser Stelle könnte der Artikel prinzipiell schon beendet sein. Denn der deutsche Hersteller hat sich über Jahrzehnte einen derart unangreifbar guten Ruf erarbeitet, dass es mehr der Worte gar nicht benötigt. Mit diesem Vertrauensvorschuss würde er blind gekauft. Ein Senneiser-Headphone empfiehlt sich von selbst. Wir haben uns das gute Stück dennoch näher angesehen.
German Understatement
Was die Verpackung betrifft, gibt der HD 490 Pro (Plus) sich herstellertypisch unprätentiös. Ist der blauweiße Produktkarton geöffnet, stößt man sogleich auf ein schlichtes, textilüberzogen schwarzes Case. Die sehr geräumige Box ist dreilagig ausgeführt. In der dreidimensionalen Bodenfläche ist der Hörer mit bereits eingestöpseltem 1,8-m-Anschlusskabel passgenau verstaut. Die umklappbare Mittelfläche weist zahlreiche Taschen auf, darunter eine mit Reißverschluss, in der sich ein Paar alternative Ohrpolster befinden. Zusätzlich ist ein drei Meter langes Audioanschlusskabel beigefügt – ein Segen für alle, die zwischen weiter auseinanderstehenden Gerätschaften wandern müssen. Ein zweites Kopfpolster gehört ebenfalls zum Lieferumfang. Das 3-Meter-Kabel und die Kopfpolster sind übrigens die einzigen Zugaben, die die Pro-Plus-Version von der einfachen HD-490-Pro-Variante unterscheiden. Beide Kabelausführungen verfügen über vergoldete Miniklinke- und Klinke-Stecker, Letztere werden in bewährter Manier einfach auf die Ersteren geschraubt. Am anderen Kabelende sorgt ein 4-Pin-Stecker für die Befestigung mit der Hörmuschel. Das Kabel wird einseitig geführt, um eine ungestörte Bewegungsfreiheit zu gewährleisten. Sehr schön: Je nach Studioaufbau hat man die Wahl, das Verbindungskabel in der linken oder rechten Muschel einzustecken. Der nicht genutzte Anschluss wird mit einer Blendkappe verschlossen. Um das Kabel zu abzuziehen, muss man einen kleinen Sicherungs-Pin am Anschlussstecker eindrücken. Die glatten Kopfhörerkabel sind erstaunlich fein, sodass sie nicht durch ihr Eigengewicht am Hörer zerren. Dank ihrer gummierten Ummantelung wirken sie trotzdem sehr zugstabil und lassen Verknotungen erst gar nicht zu. Wenige Zentimeter vor dem Muschelanschluss sind kurze Wendel eingearbeitet, damit der übertragene Klang weder durch Körperschall noch Kabeleigengeräusche negativ beeinflusst werden kann.
Federleichter Minimalismus
Der Hörer bringt kaum spürbare 260 Gramm auf die Briefwaage, was für einen professionellen Studiokopfhörer wohl so ziemlich das Geringste sein dürfe, was sich überhaupt erreichen lässt. Dafür hat Sennheiser aber auch alles ausgespart, was irgendwie Gewicht erzeugen könnte. Keinerlei Verschraubungen, Hartkunststoff bei den Rahmen, Schalen, Seitenbügeln und Gelenken. Der Kopfbügel ist ein dünner, flexibler Edelstahlstreifen. Der minimale Materialeinsatz macht den HD 490 Pro optisch höchst elegant, ohne dass selbst bei intensiver Nutzung jemals die Befürchtung aufkäme, irgendetwas könnte Schaden nehmen. Wir kennen DJ-Kopfhörer, die weniger bruchsicher sind, obwohl sie weitaus höheren Belastungen als ein Studiomodell standhalten müssten. Die ergonomische Bauweise der beiden angekletteten, kissenartigen Kopfpolster reduziert die Zahl der Kopfkontakte auf wenige Punkte. Zusammen mit einer neuartigen Achsengeometrie gewährleistet das Design einen rutschfreien Sitz bei jeder Kopfform und prädestiniert den HD 490 Pro somit für endlose Studiosessions ohne Druckgefühl. Wie durchdacht der Headphone ist, zeigt sich an weiteren Details. Für schwer sehbehinderte Personen sind am linken Bügel drei plastische Punkte abgesetzt – sogenannte Braille-Blindenschrift für den Buchstaben L, mit der erfühlt werden kann, wie herum der Hörer aufgesetzt werden muss. Dank weicher Ohrpolsternute können zudem Brillenträger*innen ihre Sehhilfe fast widerstandsfrei auf- und absetzen.
Die neue Offenheit
Was die Bauart betrifft, weicht Sennheiser mit dem HD 490 Pro von den meisten klassischen Studiokopfhörern ab. Zwar ist er mit seinen großen ovalen Hörmuscheln ohrumschließend. Jedoch folgt er nicht dem geschlossenen, sondern einem offenen Prinzip. Man befindet sich unter dem Hörer also nicht in einem isolierten Klangraum, sondern bleibt für Umgebungsgeräusche empfänglich. Ebenso dringen die Innenhöhrerklänge leise nach außen. Erkennbar wird die Durchlässigkeit sofort an den leicht konkaven Metallgitterflächen an den Muschelaußenseiten. Diese vom Hersteller „Open Frame Architecture“ getaufte Konstruktion verringert Resonanzen, verbessert den Klirrfaktor und sorgt für eine bemerkenswerte Wiedergabegenauigkeit. Schließlich müssen die beiden großen 38-Millimeter-Treiber auf der Muschelinnenseite nicht gegen einen sich aufbauenden Schallstau ankämpfen. Sie können somit freier schwingen.
Bassrohr fürs Bassohr
Zusammen mit der speziellen Muschelgeometrie, die die Wandler in einem leichten Winkel zum Gehör positioniert, wird ein authentisches Klangbild produziert, wie man es von hochwertigen Monitorboxen kennt. Ganz nebenbei erhöht die offene Konstruktion die Luftzirkulation, was sich wiederum positiv auf den Tragekomfort bei Marathonnutzung auswirkt. Um zudem ordentlich Dampf und Dynamik auf den Kessel zu bekommen, haben die Sennheiser-Entwickler*innen kraftvolle Neodym-Treiber sowie ultraleichte Schwingspulen verbaut. Es innovatives Extra stellt schließlich der Niederfrequenzzylinder pro Hörerseite dar: ein kleines Bassrohr, das die Aufgabe hat, den niedrigen Frequenzen klar konturierten Schub zu verleihen. Die Klangsignatur lässt sich darüber hinaus durch die Ohrpolster etwas ändern. Ähnlich wie bei den FiiO-Hifi-Kopfhörern, die wir in der letztmonatigen FAZEmag-Ausgabe getestet haben, liefert der niedersächsische Hersteller zwei unterschiedliche Polsterpaare mit: ein betont weiches aus Velours, das den Klang harmonisch warm übermittelt und somit ideal fürs Produzieren geeignet ist. Das festere Stoffpolster flacht den Sound hingegen hörbar ab, macht ihn neutraler und sollte dann zum Zuge kommen, wenn es um das detailgenaue Abmischen geht.
Sennheiser HD-490 Pro (Plus) für …?
Wer glaubt, der HD-Neuling aus dem Hause Sennheiser richte sich ausschließlich an Profistudios, hat nur zum Teil Recht. Natürlich wird er auch dort Einzug halten, das gehört zum guten Ton. Heim- und Projektstudioproduzent*innen können von dem 490er Pro aber mindestens genauso profitieren. Denn er ermöglicht es, durch seine offene Bauweise und den wahlweise neutralen oder warmen Klang einen kraftvollen Studiosound zu simulieren, wie ihn die meisten aufgrund kleiner Räume und Nahfeldabhören sonst nicht zu Gehör bekämen. Er ist also Quasi-Ersatz für ein geräumiges und mit allen Boxenschikanen ausgestattetes Studio. Zudem hilft er, Produktionsfehler aufzuspüren und auszumerzen, die gerade Rookies machen: Die Überlagerung von ähnlichen Instrumenten und damit Frequenzen gerade im Bassbereich, wodurch sich die gefürchteten soundmatschig blinden Flecken bilden. Wer es mit der Studiosimulation auf die Spitze treiben möchte, sollte die im Casedeckel beigefügte Lizenz für das dearVR-MIX-Plug-in ausprobieren. Es verwandelt DAWs virtuell in akustisch idealisierte Mixing-Studios. Mit dem HD-490 Pro- und Plug-in-Paket jedenfalls können zumeist eh nicht hochbegüterte Einsteiger*innen und Halbprofis teure Investitionen in Hardware-Beschallungstechnik erst einmal hinausschieben. Die geforderten 399 Euro (HD-490 Pro) bzw. 465 Euro (Pro Plus) sind sinnvoll angelegt. Wer also nur die einleitenden Sätze dieses Artikels gelesen und daraufhin den Sennheiser gekauft hätte, würde einmal mehr nicht enttäuscht. So geht Imagepflege.
Aus dem FAZEmag 147/05.2024
www.sennheiser.com
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