Thomas Schumacher – Ohne Techno? Niemals!

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Thomas Schumacher gehört wohl zu den sympathischsten Produzenten und DJs aus Deutschland. Doch nicht nur das, er bringt auch Unmengen an Erfahrung mit – schließlich steht er schon seit Anfang der Neunziger hinter den Plattentellern. Seine Veröffentlichungen schickten ihn bereits mehrfach um die ganze Welt und ließen ihn dabei viele andere Musiker-Kollegen und Gleichgesinnte kennenlernen. In den kommenden Zeilen erfahrt ihr mehr über seine Arbeit sowie anstehende Projekte.

In diesem Monat erscheint eine neue und zugleich die zweite EP von dir und Victor Ruiz auf deinem Label Electric Ballroom. Mit seinem Wohnsitz in São Paulo lebt Victor nun nicht gerade in der unmittelbaren Nachbarschaft. Wie kam es zu dieser deutsch-brasilianischen Kollaboration, Thomas?

Wir haben uns 2014 in São Paulo kennengelernt, während ich in Brasilien auf Tour war. Christian „D-Nox” Wedekind war es, der uns einander vorgestellt hat und dem ich an dieser Stelle ausdrücklich danken möchte. Ich habe dann viel später von Victor erfahren, dass er Jahre zuvor bei einem Gig von mir im Club „D-Edge” in São Paulo war und mein Set maßgeblich dazu beigetragen hat, dass er zum Techno kam. Das war schon was Besonderes, als er mir das erzählt hat, schließlich ist er ein absoluter Top-Produzent und DJ. Seitdem treffen wir uns regelmäßig, ob hier in Berlin oder in São Paulo, und haben einfach viel Spaß. Ab und zu spielen wir auch b2b-Sets, das nächste Mal dann auf dem Helene Beach Festival. 

Da es nun schon eure zweite Platte ist, scheint ihr gut zu harmonieren. Wie verlief eure gemeinsame Zeit im Studio und in welchen Bereichen könnt ihr euch gegenseitig gut ergänzen?

Wenn es um Kollaborationen geht, sind wir beide erfahren, und dennoch kommen wir regelmäßig nicht mehr aus dem Staunen heraus, wenn wir zusammen produzieren. Ich empfinde die Abläufe als sehr organisch, wir vertrauen und verstehen uns und dadurch entsteht bei den Sessions eine großartige Dynamik. Victor hat ein überragendes Ohr – der mischt auf dem Kopfhörer, da fällt einem die Kinnlade runter. Außerdem bewundere ich sein Gespür für das Essenzielle. Wir ergänzen uns einfach gut. Ich bin wirklich stolz auf unsere beiden EPs – die „Apollo“-EP und die „Soulforce“-EP – und freue mich, wenn die Tracks ein Eigenleben entwickeln, Teil der Geschichte anderer werden. Mit „Apollo” habe ich zum Beispiel mein Set auf der Fusion 2016 begonnen, und das hat nicht nur bei mir prägende Eindrücke hinterlassen.

Neben eurer Arbeit an eigenen Stücken habt ihr auch einen Remix zu Depeche Modes „Everything Counts“ gefertigt. Du selbst hast ja schon für einige tiefschürfende Acts Remixe gemacht wie z. B. Afrika Bambaataa. Wie fühlte es sich an, mit einer Band zusammenzuarbeiten, die so viele Menschen und ganze Generationen geprägt hat? Welche Rolle spielte diese Gruppe in deiner Jugend und musikalischen Entwicklung?

Vorweg, der Remix für Depeche Mode ist eine Hommage an meine absolute Lieblingsband, die auch Victor sehr verehrt. Es handelt sich dabei aber nicht um einen offiziellen Remix, daher enttäuschen wir seit dem berüchtigten Facebook-Video aus dem Studio leider viele Freunde und Fans, die den Remix kaufen wollen. Eigentlich haben wir ihn nur für uns zum Spielen gemacht. Wer allerdings zu unseren DJ-Gigs kommt, der kann den Remix hören. Für mich war Depeche Mode auf jeden Fall durch und durch prägend, meine erste selbst gekaufte Vinyl war 1983 „Construction Time Again” und seitdem bin ich, wie so viele aus meiner Generation, ein großer Fan der Musik.

Nicht nur auf deinem eigenen Label Electric Ballroom, auch auf Noirs Imprint Noir Music bist du aktuell sehr präsent. Deine EP „Natural Rhythm“ stürmte die Beatport-Charts, überzeugt musikalisch, aber auch durch ein interessantes Cover. Mit welchen Gerätschaften entstanden die Titel „Falling“ sowie „On-Off“ und worauf legst du bei deinen Produktionen im Allgemeinen besonderen Wert?

Die „Natural Rhythm“-EP ist meine vierte und wohl auch erfolgreichste Veröffentlichung auf Noir Music. Ich freue mich natürlich, dass meine neuen Titel so gut angekommen sind. Es ist das zweite Mal, dass ich mit zwei Titeln gleichzeitig in den „Beatport Techno Top 10“ gelandet bin. Wow und danke! Die Tracks sind innerhalb von einer Woche entstanden, was immer ein gutes Zeichen ist. Noir und ich haben dann 2–3 Wochen getestet, ich habe noch ein wenig Feintuning betrieben, und das war es dann auch. Am Ende lagen zwischen Abgabe des Masters und dem Releasedate keine 3 Wochen, das ist ideal.

Was die Produktion angeht, so versuche ich, mich von den technischen Aspekten und Tricks möglichst zu befreien. Meine DAW ist Logic Pro X, damit kenne ich mich wirklich gut aus und habe den besten Workflow. Workflow ist sowieso das A und O für mich beim Produzieren. Wenn man im Flow ist, dann kommt auch sehr häufig was Gutes dabei raus. Daher sind Tracks, die in relativ kurzer Zeit entstanden sind, für mich oftmals die besten.

Mit „Natural Rhythm“ hat sich die Arbeit mit Noir Music aber noch nicht erledigt. Im Gegenteil, wie es scheint. Was kannst du uns noch über deine Verbindung zu Noir, dem Künstler und Labelbetreiber, erzählen? Welche Pläne habt ihr für die Zukunft geschmiedet?

Noir aka Rene Kristensen ist für mich eine Ausnahmeerscheinung. Er ist erfolgreich als DJ, ein mit allen Wassern gewaschener Produzent und darüber hinaus ein brillanter Label-A&R. Nicht ohne Grund gehört Noir Music in unserer Szene zu den erfolgreichsten Plattenfirmen der letzten Dekade. Wir schätzen einander und ich kann ihm vertrauen, das ist viel Wert in unserem Business. Ich weiß zudem, dass Noir meine Musik schon seit den Neunzigern mag und spielt. Am Ende des Tages stimmt die Chemie zwischen uns. Somit ist Noir Music neben Electric Ballroom zu einem prima zweiten Standbein für mich geworden. Was die Zukunft angeht, so freue ich mich bereits jetzt auf die Follow-up-Single zur „Natural Rhythm“-EP, die sehr acidlastig sein wird, so viel kann ich schon mal verraten. Ich hoffe, die Platte kommt noch vor Ende des Sommers raus!

Seit einigen Jahren schon präsentierst du deinen Hörern und Fans auch eine tolle Radioshow, die du neben Musik auch mit allerlei Hintergrundinfos zu Künstlern, Labels und Releases ausschmückst. Eine tolle Sache, die sich von vielen anderen Podcast-Reihen abhebt. Die Rede ist natürlich von „My Electric Ballroom“. Doch nun hast du mit „Now“ noch eine Schippe obendrauf gelegt: Eine neue, noch informativere und interaktivere Reihe ging online! Welche Idee steckt hinter „Now“ und wieso findet sie eigentlich unter neuem Namen statt?

„Now” ist mein neustes Baby und ich bin wahnsinnig stolz und aufgeregt. Das Konzept von „My Electric Ballroom” war von Anfang an, auf Musik und Moderation zu setzen, denn ich habe einfach was zu erzählen und die Leute finden es gut, wenn man sie anspricht und einbezieht. Und weil die Resonanz auf „My Electric Ballroom” durchweg positiv war, aber immer wieder der Wunsch nach regelmäßigen Folgen kam, dachte ich mir: „Ich habe ja sonst nichts zu tun, dann ab jetzt wöchentlich.“ Spaß beiseite. Einen wöchentlichen Podcast mit hohem Moderations-Anteil zu machen und dabei mit den Leuten zu interagieren, das ist schon eine Herausforderung. Genau das hat mich dabei aber auch so gereizt. Denn es gibt für mich als DJ und Produzenten an sich nichts Besseres, als mich mit meinen Fans bzw. Hörern auszutauschen. Ich möchte wissen, was die Leute, die meine Musik mögen, denken und fühlen, und möchte auch deren Ideen hören und einbeziehen. Ich werde also vor, während und nach jeder Sendung viele Fragen stellen und mir das, was an Input reinkommt, genau anhören und möglichst umsetzen. Die Leute gestalten den Podcast mit. Ich kann mir auch vorstellen, eine Rubrik wie „Demo of the month” zu machen. Oder ein Interview mit einem Kollegen – aber wen ich befrage, das entscheiden die Leute. Außerdem wird es Podcasts geben, in denen ich zu 100 % Hörerwünsche erfülle. Das Ganze wird dann über meine Social-Media-Kanäle laufen, darauf freue ich mich.

Wird es bei einer reinen Audio-Reihe bleiben oder wäre auch eine Bildübertragung für dich interessant?

Mein Team und ich arbeiten bereits daran, denn es macht ja vollkommen Sinn, solch ein Konzept auch visuell umzusetzen. Gerade bauen wir Kameras hier bei mir im Studio auf und ich hoffe, wir können schon bald loslegen.

Noch eine Frage zur (Trend-)Entwicklung im Bereich der elektronischen Musik. Du bist schließlich schon viele Jahre dabei, bist DJ, Produzent und Labelbetreiber, hast Trends kommen und gehen sehen. Wie ist deine Einschätzung zur aktuellen Situation, wo stehen wir gerade, wohin entwickeln wir uns? Weniger Tech-House, mehr Trance? Schnellere Rhythmen, minimaler Style? Oder anders herum? Welchen Eindruck hast du?

Ich sehe die Entwicklungen natürlich aus der Sicht eines DJs, der in der Technoszene verwurzelt ist, und das, was ich da sehe, gefällt mir gut. Es gibt außerordentlich gute Musik, sehr spannende Produzenten und Labels, die regelmäßig fette Releases raushauen. Natürlich ist mir auch nicht entgangen, dass Techno jetzt – mal wieder – „angesagt” ist, wobei das für jemanden wie mich, der nun schon ziemlich lange Techno produziert und der zudem auch noch in Berlin lebt und viel auflegt, komisch klingt. Hier, in meiner Welt, war und ist Techno immer angesagt und das wird auch so bleiben. Was ich mir gut vorstellen kann, ist, dass acidlastiger Techno in den kommenden Monaten explodieren wird.

Das DJing bringt dich regelmäßig in nahe und ferne Länder. Welche Touren stehen für die zweite Jahreshälfte an, wo wirst du dich auf ein Wiedersehen freuen und wohin wird dich die Musik zum ersten Mal führen?

In der zweiten Jahreshälfte geht es wieder nach Südamerika. Ich liebe es, dort zu spielen, Brasilien ist ein echter Hotspot für Techno geworden. Aber auch Argentinien macht viel Spaß. Dann werde ich auch zum ersten Mal in Chile spielen, darauf habe ich total Lust. Hoffentlich werde ich dort auch ein wenig Zeit zum Herumreisen haben. Außerdem bin ich endlich wieder in Kanada unterwegs, einem traumhaften Land mit einer sehr coolen Szene. Weihnachten und Neujahr werde ich in Australien verbringen: Dort werde ich in mehreren Städten spielen – ich bin ja durch meine Frau quasi halb Australier. Die Aussies können auch richtig gut feiern, ein bisschen verrückt sind die. Und die Familie kommt natürlich mit. Dennoch, Deutschland ist und bleibt für mich mein Lieblingsland, hier feiern die Leute immer noch am krassesten und man merkt einfach, wie organisch unsere Musikkultur hier gewachsen ist. Ich kann mir dieses Land ohne Techno überhaupt nicht mehr vorstellen.
Aus dem FAZEmag 065/07.2017
Text: Gutkind
Foto: nickdetothphotography