Tiësto – Driving to the Top

Tiësto – Driving to the Top / Foto: Christopher DeVargas

Kastellaun, im Jahr 2008. Die Massen strömen unaufhaltsam auf die größte Area von Nature One, dem Open Air Floor. Denn im Timetable steht: Tiësto. 90 Minuten wird er spielen. Schon damals konnte man den Niederländer in die Schublade mit der Aufschrift „Legenden der Musikgeschichte“ stecken. Und heute, 15 Jahre später? Ist Tiësto noch immer omnipräsent, tritt auf den biggest Festivals all over the world auf und veröffentlicht in unregelmäßigen Abständen einen Floor-Burner nach dem anderen. So erschien beispielsweise am 21. April 2023 auf Atlantic Records gleich ein ganzes Album. Titel: „Drive“. Die ersten Hit-Singles „The Motto“ (feat. Ava Max), „Don’t Be Shy“ mit Karol G, und „The Business“ waren bereits Vorboten des musikalischen Werks – und allesamt stiegen sie auf hohe Positionen der Dance- und Club-Charts ein. Zeit für ein Resümee dieser einzigartigen Karriere.

Rund 40 Millionen verkaufte Tonträger; allein fast vier Millionen Einheiten gingen mit der Single „Jackie Chan“ über die realen und virtuellen Ladentheken. Drei Grammy-Nominierungen – einmal hat er den wichtigsten Musikpreis der Welt sogar gewonnen, mit seinem „Tiësto’s Birthday Treatment Remix“ zur John-Legend-Nummer „All Of Me“ in 2015. Neun Studioalben, zig Compilations, darunter seine wohl wichtigste: „In Search Of Sunrise“, die heute längst Kultstatus hat, zudem aber seit geraumer Zeit von DJ-Kollege Markus Schulz aus Florida fortgeführt wird. Auch unterstützt er als Mentor diverse Künstler*innen und verhalf unter anderem Martin Garrix, Hardwell und KSHMR zu internationalem Ruhm.

Tiësto ist es zudem auch zu verdanken, dass elektronische Clubmusik ihren Weg in den Mainstream geschafft hat – vom Underground in die Charts. Unzählige Gold- und Platin-Auszeichnungen schmücken die Regale des heute 54-Jährigen, der im Laufe der Zeit zu einem der einflussreichsten, erfolgreichsten und beliebtesten DJs und Musikproduzenten avanciert ist. Auf allen großen Mainstages der weltweiten Festivals hat er gespielt und spielt er immer noch. Die DJ-Residency in Las Vegas wäre ohne sein Tun und Mitwirken heute nicht existent. 11 Milliarden Streams auf sämtlichen Plattformen bestätigen den Erfolgskurs des Niederländers, der das Genre Electro und Dance-Pop maßgeblich geprägt und mitentwickelt hat, indem er eine musikalische Brücke zwischen den Sparten gebaut hat. Nun ist er endgültig angekommen, im Crossover-Segment, und dort fühlt er sich auch pudelwohl. So hat Tiësto mit „Drive“ nun ein Album auf den Markt gebracht, mit dem er sein Produzenten-Können erneut unter Beweis stellt und seine Vielfältigkeit und Kreativität unterstreicht. Tijs Verwesthas – wie Tiësto bürgerlich heißt – ist mit „Drive“ soeben auf die Zielgerade seines schöpferischen Schaffens eingebogen und bringt unverkennbare Sounds schnittig und sexy in die Clubs und auf die Dancefloors der Festivals rund um den Globus. Mit „Full Speed“ in die Charts!

„Drive“. Warum eigentlich „Drive“? „Drive“ ist ein Konzeptalbum, das uns mitnimmt auf eine epische Ausgeh-Nacht – zu einem Erlebnis, auf das sich Tiësto besser versteht als die meisten anderen. Diese Reise durch das Nachtleben beginnt mit „All Nighter“, mit dem sozusagen der Startschuss für das erfolgt, was im Laufe der Nacht alles Verrücktes passieren wird. Es ist ein Startschuss mit Ansage: „It’s an all-nighter, baby / Stayin‘ all night up, no sleep / It’s about to get crazy / Twenty-four-hour party”, heißt es im Refrain des Songs. Als Nächstes werden wir von Ava Max in „The Motto“ dazu ermuntert, to „drop a few bills and pop a few champagne bottles”. Gesagt, getan, und spätestens um „10:35” (p.m.) ist die Party mit dem gleichnamigen Song in vollem Gange. Zeit, sich dem wahren Geschäft des Abends, „The Business“, zu widmen und den Dancefloor anzusteuern! Dort werden wir von Gesangsgästen wie A Boogie wit da Hoodie („Chills (LA Hills)“), Charli XCX („Hot In It“), The Black Eyed Peas („Pump It Louder“) und Karol G („Don’t Be Shy“) erwartet. An dieser Stelle des Albums wechselt der Vibe in den House-Modus. Da fliegen die Emotionen hoch! Kaum verwunderlich, dass man sich auf dem Dancefloor gleich mal schockverliebt („I’d Bet“) – und damit auch die verführerischen Afterhour-Feelings von „Back Around“ ihren Platz haben. Den Abschluss des Albums bildet „Yesterday“. Es ist der Song, den man im Morgengrauen spielt. Die Magie der Nacht hebt sich so langsam, doch man will nicht loslassen und am liebsten alles gleich noch einmal von vorne erleben. Ganz egal, wo und in welcher Situation man „Drive“ hört: Der Nervenkitzel des Dancefloors ist förmlich mit Händen zu greifen. Zeit, ihn mal wieder selbst zu erleben!

Stichwort Hit-Single „The Business“: Als wir Tiësto vor einiger Zeit in einem Interview gefragt haben, wie sich das Business in den letzten Jahren so verändert habe, erzählte er uns exklusiv: „Die Musikindustrie verändert sich ständig. Als Künstler war und ist es mir wichtig, mit jeder dieser Veränderungen zu wachsen und mich anzupassen. Die größte Veränderung hat sich im Jahr 2020 vollzogen, da wir alle Wege finden mussten, die Musik zu teilen und zu genießen, die wir normalerweise ja in einem Club hören und zu der wir dort feiern würden. Oder auf Festivals natürlich. Eine der großen Veränderungen in den letzten Jahren war, wie global die Musik geworden ist. Ich bin seit Jahrzehnten weltweit auf Tournee, aber die Skills meiner Musik, so viele Menschen auf der ganzen Welt so schnell per Streaming zu erreichen, sind unglaublich und faszinieren mich.“

Vom Underground des Trance zum Mainstream des EDM – so beschreibt mancher Kritiker den Werdegang des Niederländers. Da mag etwas dran sein, denn es lassen sich wohl kaum „Traffic“ (2003) und „The Business“ (2020) musikalisch miteinander vergleichen. Während Tiësto seit 20 Jahren einen Hit nach dem anderen veröffentlicht, hat er sich aber auch als Compiler einen großen Namen gemacht. Unvergessen: die CD-Reihe „In Search Of Sunrise“. Siebenmal zeichnete Tiësto hier für die Track-Auswahl und die Mixing-Skills verantwortlich – ehe er das Zepter an seinen Landsmann Richard Durand übergab, der es ab Ausgabe 14 an Trance-Pionier Markus Schulz weiterreichte. Mit „In Search Of Sunrise“ hat Tiësto eine bis dato nicht dagewesene Sound-Compilation auf den Markt gebracht, die das Feeling und den Spirit – wie der Name schon sagt – des puren und endlosen Sommers schaffen soll. Wunderbare Trance-Klänge. Und noch heute gehören die ersten acht Tiësto-Ausgaben (erschienen zwischen 1999 und 2008) ins CD-Regal eines jeden Trance-Fans. Und mit „Drive“ steht dort künftig ein weiterer Meilenstein der Musikindustrie.

Aus dem FAZEmag 135/05.2023
Text: Torsten Widua
Foto: Christopher DeVargas
www.tiesto.com