Wie nähert man sich einem Künstler, mit dem man schon unzählige Male gelacht, diskutiert, gestritten und gefeiert hat? Vorsichtig? Sicher nicht. Respektvoll? Ansatzweise. Neugierig? Stets aufs Neue. Tom Novy ist seit 30 Jahren DJ und scheut sich auch nach 30 Jahren nicht, seine mitunter kontroverse Meinung zu vertreten. Altersmilde gibt es hier nicht. Das macht jedes Interview mit dem Freund des House zu einem großen Spaß. Also fangen wir an.
Du bist länger in der Musik- und DJ-Szene aktiv als viele andere Protagonisten, hast viele Höhen, aber auch einige Tiefen durchleben müssen. Was gibt Musik dir noch?
Höhen und Tiefen gehören zu einem Künstlerdasein wie die Luft zum Atmen. Man lernt bekanntlich ja nichts aus seinen Siegen, sondern nur aus den Niederlagen. Deswegen bin ich mittlerweile als Mensch und auch als Künstler viel gefestigter. Man befreit sich von seinen Ängsten und glaubt mehr an sich und sein Schaffen. Musik ist mehr oder weniger mein ganzes Leben. Wenn ich Musik höre oder spiele, bin ich woanders. Es ist wie eine eigene Sprache für mich. Eine Welt, in der vieles, was einen bewegt, neu definiert wird. Deswegen waren Texte in meiner Musik immer wichtig – und das sind sie immer noch.
Auch wenn Vinyl zurückkommt: Streaming ist das Maß aller Dinge und für die heranwachsende Generation die wichtigste Art und Weise, Musik zu hören. Die Einkünfte, die Künstler durch das Streaming generieren, sind oftmals mikroskopisch klein. Wie gehst du mit dieser veränderten Situation um?
Na, ich passe mich dem so gut an, wie es geht, da ich dort natürlich auch mitspielen will. Schließlich will ich ja, dass die Menschen meine Musik hören und auch teilen. Ich bin nicht der größte Fan von dem ganzen Streaming, zumal ich noch nie der Auffassung war, dass es gut für die Musik oder gar die Gesellschaft ist, wenn ein Unternehmen 75 % Marktanteil hat. Das ist mir, wenn ich ehrlich bin, zu einseitig – und immer wird und wurde so viel Macht missbraucht. Siehe Facebook oder Google usw. Aber so war es immer. Damals hofften wir alle auf VIVA- und MTV-Rotationen, heute auf Spotify-Playlisten.
Alle fünf Jahre – zyklisch gesehen – ist House auf einmal wieder der heiße Scheiß. Du hast nie aufgehört, House zu spielen und zu produzieren. Manchmal etwas progressiver und manchmal etwas melodiöser. Warum ist House „still a feeling“?
House ist der Ursprung von allem und Disco die Grundlage. Hätte Mr. Moroder den Klick nicht auf 4/4 gesetzt, wäre das vielleicht gar nicht so weit gekommen. Oder doch? Ich komme ja ursprünglich vom Hip-Hop. Die ersten Sound-Sachen und die Wärme von House haben mich jedoch immer fasziniert. Mit House erreicht man die Seelen der Menschen. Techno ist da eher einfacher gestrickt. Da geht es um Druck und eine Halle voller Menschen, die sich austoben wollen. House ist filigraner und komplizierter, aber auch liebevoller. Für mich war House immer meine große Liebe – mit all seinen Facetten. Ich würde im Übrigen sagen, dass viele aus der heutigen Technofraktion eigentlich nur House spielen. Solomun und die Diynamic-Gang – das sind in meinen Augen progressive House-DJs. Genau wie die Sachen von Stil vor Talent oder Moon Harbour. Das ist House in all seiner Vielfalt. Ich habe nie aufgehört, House zu spielen – genau deswegen. Und man sollte doch als Künstler für etwas stehen. Wenn du dich die ganze Zeit nach dem derzeitigen Trend richtest und auf einmal EDM oder dann wieder Techno machst, stehst du am Ende für gar nichts mehr und bist kein glaubhafter Künstler.
Es gibt wieder deutsche Dance-Superstars. Robin Schulz, Alle Farben und Felix Jaehn geben der jungen Generation das, was sie haben will: schöne Melodien zu tanzbaren Arrangements. Wie erklärst du dir den Erfolg dieser Acts?
Das sind zum Teil Jungs, die von den Majors sehr gepusht werden. Sicher, die Sachen sind ganz gut zum Teil. Nicht unbedingt meins, aber ich kenne die ganze Show. Du hast einen Hit gemacht in deinem Kinderzimmer und der geht ab. Dann stürzen sich alle darauf. Majors und Manager und große Agenturen rufen an. Erzählen dir, was du hören willst. Eigentlich hast du aber nur ein Cover von Chaka Khan gemacht oder einen Edit auf SoundCloud hochgeladen und auf einmal bist du Popstar. Ich war da selbst schon und es war toll eine Zeit lang. Als die Labels und Agenturen mir am Ende gesagt haben, was ich zu tun oder zu lassen habe und wie sich meine Musik anhören soll, habe ich davon abgelassen. Ich bin vom Major zurück zum Indie und bin wieder mein eigener Herr geworden. Das Musik-Business braucht aber diese Protagonisten. Und auch die junge Generation will lieber Stars in ihrem Alter.
Wie sieht es aus mit neuer Musik von Tom Novy? Was kommt in Bälde?
Die letzte Single „Magic Happens“ lief ja echt ganz gut. Disco und so. Gerade gibt es ein paar Remixe von unserem Hit „Touch Me“. Auch die finde ich sehr gelungen. Auf der Compilation sind zwei neue Tracks von mir. Der eine mehr House und vorwärts rollend, der andere mehr Progressive. Ich denke, ich setze mich nach dem Sommer an ein neues Album. Ich habe bereits drei oder vier gute Demos gemacht. Zwischendurch gibt es immer wieder mal einen Remix oder so. Jetzt gibt es ja erst mal eine FAZE-Compilation.
Nach welchen Kriterien hast du den Download-Mix zusammengestellt?
Ich finde, ein Mix sollte viele Facetten zeigen. Den Hörer mitnehmen auf eine Reise. Bei einem DJ-Mix kann man tiefer gehen als im Club. Ich habe eine lange Liste gemacht von Sachen, die ich gut finde, und Sachen hinzugefügt, die dann exklusiv auf dem Mix zu finden sind, unveröffentlichte Mixe oder Tracks.
Welche Künstler findest du aktuell spannend?
Es gibt viele, die ich beobachte. Dario D’Attis, Chasing Kurt, Kyodai, Rodamaal, Manoo, Bicep, Coeo, Harry Romero und viele mehr. Ich höre am Tag, wenn ich kann, mindestens zwei Stunden Musik und suche neue Sachen aus allen Genres. Da steckt immer noch der Platten-Sammler-Trieb in mir. Den richtigen Track zur richtigen Zeit spielen, den keiner kennt und hat. Jäger und Sammler halt.
Wenn du nicht in Sachen Musik unterwegs bist, kennt man dich als liebenden Familienvater und engagierten Gastronomen. Nicht nur in München, sondern auch in Zürich hast du dich mit spannender Gastronomie beschäftigt. Was genau reizt dich daran? Was muss passieren, damit du die Musik und das Reisen an den berühmten Nagel hängst?
Das wird nie passieren. Ich bin mit Leib und Seele DJ. Ich denke, jeder, der mich kennt, weiß das. Gastronomie hat mir immer schon gefallen. Genauso wie das Veranstalten von Events. Ich mag es, Leuten einen tollen Abend zu bescheren. Egal, ob mit Musik oder gutem Essen oder guten Drinks. In der Gastronomie ist man noch näher am Menschen. Ich mag Menschen und ich mag es, wenn sie mit mir eine gute Zeit haben.
Ein DJ ist nicht zu jeder Zeit das perfekte Vorbild für die Familie und seine Kinder. Was möchtest du deinem Sohn vermitteln, wenn du zu Hause und nicht auf Reisen bist?
Maxi und ich sind die besten Freunde. Er weiß, was ich von Beruf mache. Er war schon auf Tagesveranstaltungen dabei. Er liebt Musik und tanzt für sein Leben gerne. Meine Familie ist mein Ein und Alles. Ich habe 30 Jahre die Welt bereist und mich quasi selbst entwurzelt. Ich war im Ausland verheiratet und bin erst seit zwei Jahren wieder daheim. Seit Januar bin ich Opa und seit Sommer letzten Jahres haben wir noch die Emma, die Sechsjährige meiner Freundin. Ich möchte meinen Kindern Werte vermitteln, das habe ich immer versucht. Anstand, Höflichkeit, Nächstenliebe, Güte. Die Dinge, die die sogenannte gute Kinderstube ausmachen. In unserer heutigen Gesellschaft ist das wichtiger denn je, glaube ich. Darüber hinaus ist Bildung ein wichtiger Faktor, aber auch ein freier Geist und ein gesunder Körper sind bei uns Thema.
Wie sieht für dich der perfekte Tag aus?
Es gibt viele perfekte Tage. Mit Familie und Freunden Zeit verbringen und schöne Dinge tun. Am Strand oder aktiv. Egal. Aber auch ein Tag, an dem man sich um sich selbst kümmert. Die Seele mal baumeln lässt. Ein produktiver Studiotag. Es ist recht einfach, glücklich im Leben zu sein. Ich brauche dafür nicht viel: meine Familie, meine Freunde, mein Zuhause und meine Arbeit – und alles ist gut.
Warum ist dein Restaurant Hausfreund immer einen Besuch wert?
Wir sind ein echt nettes Restaurant. Unser Essen ist wirklich gut und ausgefallen. Unser internationales Küchenkonzept hat die Bayern ein wenig verschreckt am Anfang, aber jetzt lieben uns viele und die Nachbarn kommen gerne zu uns. Mein Team ist mittlerweile wie eine kleine Familie und wenn ich nicht da bin, dann besucht man eben Kirin, Andi, David oder Caro beim Hausfreund. Ganz egal – ich denke, man hat immer einen guten Abend. Unsere Preise sind für München echt human und unser eigenes Bier ist der Knaller. Wer also mal in München ist oder hier wohnt, sollte uns unbedingt besuchen. Einmal im Monat gibt es einen DJ-Stammtisch, der echt lustig ist. Aber auch sonst gibt es gute Events; von Kunst über Tastings bis Vatertag oder Hochzeit – alles geht mit dem Hausfreund.
Kommen wir zu Ibiza: Die sechste Saison im Lio und das gefühlt 25. Jahr auf der Insel. Was reizt dich an Ibiza immer noch? Was ist der Insel verloren gegangen und was hat sie hinzugewonnen?
Oh ja, ich bin wahrlich schon lange hier. Ibiza ist mein zweites Zuhause. Ich habe hier wirklich viele Freunde und erlebe die Insel jeden Sommer anders. Es gab viele Sommer und noch mehr unglaubliche Partys hier, auf denen ich gespielt habe. Allein meine 16 Jahre im Space jeden Sonntag auf der Terrasse sind für viele unvergessen und prägend gewesen. Für mich ist nichts verloren gegangen. Die Insel hat immer noch denselben Vibe, nur an manchen Orten nicht mehr. Aber es gibt ihn immer noch und fast überall. Der Spirit der Insel ist einfach zu erklären. Seit Jahrzehnten kommen Freigeister und gute Leute hier zusammen, um miteinander zu feiern und zu tanzen. Hier kann man sich frei fühlen. Frei von Zwängen und frei von Sorgen.
Worauf darf man sich bei timeless im Lio in dieser Saison freuen?
Das Lio ist mittlerweile für viele Besucher ein Lieblingsplatz auf der Insel. Okay, das Essen ist nicht ganz billig, aber mit der Show und der anschließenden Party durchaus den Spaß wert. Ich finde, hier hat sich Ibiza weiterentwickelt. Weg vom „Ich schleuse mal eben 5 000 Raver durch den Club und nehme 100 Euro Eintritt für Carl Cox und seine Freunde“-Konzept. Ich finde, das Konzept ist ein wenig überholt – und dadurch, dass so viele Partys ja auch nur noch mäßig laufen, sieht man ja, dass die Leute etwas anderes wollen. Es geht hier bei uns nicht so sehr ums Booking. Wir wären nur eine weitere Party, die mit riesigen und teuren Line-ups versucht, Welle zu machen. Bei uns geht es um gute Musik und das miteinander Feiern. Natürlich habe ich Gäste – und wir hatten große und auch kleine Gäste. Es geht aber mehr darum, dass eine gute Party die ist, bei der man die Zeit vergisst. „Was, schon so spät? Oh Mann, da hatte ich einen Riesenspaß.“ Wenn du mit so einem Gefühl morgens nach Hause kommst, dann haben wir alles richtig gemacht. Künstler buche ich kreuz und quer, aber ich bleibe im Genre House. Es gibt nämlich tatsächlich zu wenig gute House-Partys auf Ibiza.
Einiges ist auf Ibiza durcheinander gewürfelt worden in den vergangenen Monaten. Wie siehst du die musikalische Ausrichtung auf Ibiza in diesem Sommer?
Nun ja, nachdem Techno nur noch begrenzt funktioniert, werden viele den Fokus auf den ganzen Ethno- und Hippie-Quatsch legen, denke ich. Partys wie Wooohmoon und Saga sind angesagt. Acid Monday – oder war es Sunday? Bohemian Chic mit Worldmusic und Ethno-House. Was immer das sein soll. Der nächste große Star nach Solomun ist Black Coffee mit seiner Nacht. Oder aber die Engländer gehen wieder ab auf Disco. Glitterbox macht großen Spaß. Darüber hinaus feiert man auch gerne am Strand und tagsüber. Wir werden sehen, Ibiza war und ist immer für eine Überraschung gut. Ich freue mich, wenn ihr mich dienstags im Lio besuchen kommt, und verspreche euch, dass ihr großen Spaß haben werdet.
FAZEmag DJ-Set #75: Tom Novy – ab sofort und exklusiv bei iTunes & Apple Music
Aus dem FAZEmag 075/05.2018