
Mit „Betty Ford“ veröffentlichten Roman Flügel und Jörn Elling Wuttke unter ihrem Alter-Ego-Projekt im Jahr 2000 einen Track, der bis heute als Referenz für kompromisslosen, psychedelisch aufgeladenen Techno gilt. Der verzerrte Basslauf, die treibende Energie und die unberechenbare Struktur machen den Track damals wie heute zu einer Ausnahmeerscheinung auf dem Dancefloor und zu einem der größten Club-Hits des Jahres 2000. Im „Track-Check“ werfen die beiden einen Blick unter die Haube des Stücks und erklären, wie die Nummer entstanden ist.
Wie kommt man im Studio in den richtigen Vibe, um einen Track wie „Betty Ford“ zu produzieren? Dauert es eine Weile, braucht es die richtige Uhrzeit oder was ist eure Herangehensweise?
Jörn Elling Wuttke: „Betty Ford“ entstand 1999 unmittelbar, nachdem wir die Produktion an Sven Väths „Contact“-Album abgeschlossen hatten. Es könnte sein, dass die Energie, der Humor und ein gewisser Wahnsinn dieser Aufnahmesessions direkt in den Entstehungsprozess zu „Betty Ford“ eingeflossen sind.
Roman Flügel: Damals haben wir ja quasi im Studio gewohnt, es wurden ständig Tracks produziert oder zumindest erste Ideen festgehalten.
Im Arrangement ist viel Raum für Ekstase und Ausbrüche aus gewohnten Strukturen – ist dieser Flow während einer Live-Session entstanden oder sind die Breaks detailliert geplante Sounddesign-Tricks, die später editiert worden sind?
Jörn Elling Wuttke: Wir suchten ein interessantes Drumsample und sampelten einen Loop von der Human-League-LP „Travelogue“. Roman spielte ihn im Ensoniq ASR 10 ab und pitchte ihn hoch – so entstand der steppende Rhythmus, der den Track trägt. Ergänzt wurde er durch eine 4/4-Bassdrum für mehr Druck. Diese Einheit wurde abgemischt, auf DAT aufgenommen und erneut gesampelt. Dadurch konnten wir im Sequenzer feine Rhythmusvariationen einbauen. Für die Bassline entschieden wir uns – ganz nach dem Motto „Stumpf ist Trumpf“ – für einen Oktavbass aus dem KORG 707, den wir per Gain am Pult verzerrten.
Während elektronische Tanzmusik oft in sehr etablierten Formen produziert wird, reizt „Betty Ford“ mit sehr eigensinnigen, charakteristischen Momenten. Wie wichtig sind euch die Erwartungen an bestimmte Songstrukturen während des Produzierens?
Jörn Elling Wuttke: Ich fand es Anfang der 2000er sehr befreiend, traditionelle und konservative Technostrukturen zu verlassen. Wir hatten uns ja bereits mit Acid Jesus, The Primitive Painter, Sensorama und bei den ersten beiden Alter-Ego-Alben eingehend mit klassischen Produktionsmustern befasst. Die damals sehr gut funktionierenden Liveauftritte mit Alter Ego ermutigten uns, neue, eskalierende Elemente in unsere Tracks einzubauen und cluborientierter zu arbeiten.
Roman Flügel: Schranz war damals angesagt, aber ehrlicherweise nicht unbedingt mein Favorit. Jörn und ich hatten einfach Spaß im Studio – „Betty Ford“ entstand eher aus einer spielerischen Natur heraus. Der Titel, angelehnt an die bekannte US-Entzugsklinik, passte perfekt zu unserem augenzwinkernden Ansatz.
Wir müssen über die Kickdrum reden, die eine ständige Evolution durchläuft. Wie ist sie entstanden und wie moduliert ihr sie so stark?
Roman Flügel: Der Ensoniq ASR 10 Sampler war damals unser zentrales Tool. Mit verschiedenen Loop-Modes und dem Modulation-Wheel konnten wir den Drum-Loop vorwärts und rückwärts modulieren und seine Länge variieren – so entstanden die stolpernden, noisigen Rhythmusfiguren.
Gibt es Dinge, die ihr in einem 2025er-Remake anders machen würdet? Wie haben sich eure Studios seitdem entwickelt?
Jörn Elling Wuttke: Ich finde „Betty Ford“ als Statement und Zeitdokument perfekt – da würde ich nichts verändern. Mein Studio hat sich seitdem eher zurückentwickelt. Ich habe bei meinen letzten Tracks nur Hardware (TB-303, Korg Electribe, Vocoder), einen kleinen Mixer und ein Roland Space Echo verwendet.
Roman Flügel: Mein Studio-Setup unterscheidet sich heute gar nicht so stark von damals. Nur die Software hat viel mehr Power. Wenn man sich aktuell produzierten harten Techno anhört, merkt man, wie „frisiert“ Sound heute sein kann, quasi wie auf Steroiden. Ich denke, man müsste „Betty Ford“ heute etwas pimpen, aber die ursprüngliche Idee ist nach wie vor unschlagbar.
Aus dem FAZEmag 160/06.2025
Web: www.instagram.com/joern_elling_wuttke, www.instagram.com/roman_fluegel