„Was ich an Techno liebe, ist, dass es verlangt, dass man sich selbst in Frage stellt, sich neu erfindet.“ Gemäß dieser Maxime arbeitet Thomas Schumacher seit über 20 Jahren als DJ, Produzent und Labelchef – es brachte ihm zahlreiche Hits ein. Einer davon ist „When I Rock“. Wie der Track 1997 entstanden ist, das erzählt uns der gebürtige Bremer und Wahlberliner hier:
Statt des aktuell beliebten Kick-Rumble hast du damals eine treibende Bassline verwendet. Wie hast du sie kreiert?
WIR („When I Rock“) habe ich 1997 produziert und damals gab es den aktuellen Kick-Rumble-Produktions-Style nicht. Ich denke, es wäre technisch auch sehr schwierig gewesen mit den Mitteln, die wir damals zur Verfügung hatten, solch eine exakte Tiefenstaffelung hinzubekommen. Dennoch war aber auch die klassische Kombination aus 909-Kick und fetter Bassline eine anspruchsvolle Hürde beim Abmischen. Viele jüngere Produzenten können sich wahrscheinlich kaum vorstellen, wie es ist, wenn man nur mit den Ohren mischt, ohne visuelle Hilfe durch Plug-ins. Zudem waren die EQs deutlich eingeschränkter im Funktionsumfang, parametrische Mitten zum Beispiel waren Luxus und Hochpassfilter mit mehr als 24 Dezibel Flankensteilheit gab es nicht.
Zudem hatte ich zu der Zeit in meinem Studio keine externen Kompressoren oder Limiter – es ging auch ohne. Die Bassline habe ich mit einem Waldorf Pulse+ programmiert, ein LFO moduliert die Lautstärken-Amplitude und abhängig von der gespielten Note wird die Schwingung schneller bzw. langsamer. Ich habe diesen Synth aufgrund des satten Sounds und der vielen Modulations-Möglichkeiten sehr gemocht. Das Teil hat heute einen Ehrenplatz in meinem Studio und funktioniert auch weiterhin, der Bassline-Sound, den ich für WIR programmiert habe, lebt im Preset 19.
Die Drumsounds haben klassischen Drummaschine-Klänge als Basis. Wie hast du sie bearbeitet? Wie funktioniert das Zusammenspiel mit der Bassline?
Obwohl die Drumsounds ursprünglich von klassischen Maschinen stammen, sind die, die ich in WIR verwendet habe, komplett von Vinyl gesampelt. Ich besaß 1997 keinen Drumcomputer und daher habe ich meine sämtlichen Drums von Platte gesampelt. Das war ein spannender und kreativer Prozess und ich habe schnell gelernt, die einzelnen Drum-Sounds zu verfremden oder zu layern. Als Sampler habe ich einen EPS 16+ von Ensoniq in der Rack-Version benutzt und ich liebte es, vor allem die Kicks mit den internen Filtern zu bearbeiten – zum Beispiel die Hallfahne mit einem LFO-modulierten Hochpassfilter zu versehen. Das war auch immer ein wenig Fummelei, weil die LFOs nicht synchron zum Midi-Signal arbeiteten. Die Kick und Bassline habe ich damals zwangsläufig ziemlich roh übereinander gelegt, es ging halt nicht anders. Aus heutiger Sicht klingt es nicht ganz so bassgewaltig, wie man es gewohnt ist, dafür aber rough und dreckig und das gefällt mir.
Ein wesentlicher Bestandteil eines Technotracks ist die Kickdrum. Wie gehst du an sie heran und an welchen Sound-Quellen bedienst du dich dabei?
Das gibt es die unterschiedlichsten Herangehensweisen. Grundsätzlich arbeite ich aber bis heute mit Samples, wenn es um (Kick-)Drums geht, das passt am besten zu meinem Workflow. Über all die Jahre habe ich mir eine sehr umfangreiche Sample-Library aufgebaut, da gibt es sehr viele Drum-Sets, die ich von Schallplatten aus meiner Sammlung gesampelt habe. Die klassischen Maschinen habe ich selbstverständlich auch in meiner Library und das in allen erdenklichen klanglichen Versionen – also zum Beispiel die Roland TR-909-Kickdrum von Tape/Kassette/8bit-Sampler abgesampelt. Oder durch die fettesten Kompressoren geschickt und wieder gesampelt – was das Herz begehrt. Außerdem habe ich noch viele der ersten Sample-CDs aus den 90ern, die jetzt gerade wieder ihm Rahmen des Rave- und Acid-Revivals herrliche Schätze bereithalten. Insbesondere möchte ich da „X-Static Goldmine“ erwähnen. Für die aktuellen Kick-Rumble-Drums benutze ich meistens Samples meines italienischen Kollegen Dino Maggiorana. Dino hat es total drauf, diese spezielle Mischung hinzubekommen und dankenswerter Weise versorgt er mich regelmäßig mit frischen Samples.
Besonderen Drive machen die Vocals. Wie sind sie entstanden?
Ende der 80er-Jahre habe ich viel Hip-Hop gehört, Eastcoast, Westcoast – einfach alles. Daher hatte ich ein großes Faible dafür, auch noch in den 90ern, als Techno mich durch und durch geprägt hat. So kam es, dass ich bei einem Freund im Auto ein “Tony Touch Tape” gehörte habe und am Ende eines der Freestyles hat der Rapper kurz Acapella gerappt und ich fand sowohl die Aussage als auch die Stimmung grandios. Den Teil habe ich dann rausgeschnitten und für WIR benutzt. Ein paar Jahre später bekam ich einen Anruf aus einem Studio in den USA und am Telefon war Black Thought von The Roots. Er war es nämlich, den ich gesampelt hatte, was mir aber nicht klar war. Mir ging in dem Moment schon ein wenig der Arsch auf Grundeis aber er und die Jungs von The Roots waren extrem entspannt und cool drauf. Die hatten bis dato noch nie was mit Techno zu tun gehabt und fanden es ordentlich, was ich mit dem Vocal angestellt habe. Die Geschichte hatte ein wunderbares Ende: Auf „Phrenology“, dem 2002er Album der Band, gibt es den Track “Thirsty” und dahinter versteckt sich nicht anderes als WIR von mir.
Sehr prägnant ist der Tapestop-Effekt vor dem letztem Break. Wie erzeugst du solche Arrangement-Effekte?
Viele der Hip-Hop- und Scratch-Effekte im Break kommen von Hip-Hop-DJ-Schallplatten aus der Zeit. Die waren vollgepackt mit kurzen Loops zum mixen, cutten und scratchen. Den Tapestop-Effekt und auch den “Nadel-über-die-Platten-ziehen”-Effekt habe ich aber selbst aufgenommen, war ja nicht so schwer.
Wie ist dir die Idee zu „When I Rock“ eigentlich gekommen? Welche Stimmung war damals im Studio?
Die Idee ist mir im Auto gekommen, als ich das oben bereits erwähnte Rap-Vocal gehört habe und mir dachte – wieso nicht mal Techno mit Hip-Hop-Samples mischen? Das Rap-Vocal fand ich extrem düster und aufputschend und das hat gut zu meinem Style gepasst. WIR habe ich an einem Tag produziert, ich kann mir noch gut daran erinnern. Das war alles ein Flow und die Ideen schossen nur so aus mir heraus. Durch meine Hip-Hop-Platten hatte ich auch sofort reichlich Sample-Material am Start. Wobei WIR dann nicht sofort eingeschlagen ist. wie man heute meinen könnte. Anfänglich hatten viele DJs ziemliche Hemmungen solch einen unkonventionellen Track zu spielen und dementsprechend war WIR auch erstmal kein Hit. Das änderte sich allerdings schlagartig. als Carl Cox auf den Titel aufmerksam wurde und began, ihn in seinen Sets und auch in seiner BBC-Radioshow zu spielen. Erst dann ging die Post ab, dafür aber richtig. Wir haben mal über den Track gesprochen und für ihn war das auch eine perfekte Mischung – Hip-Hop-Samples und Techno. Ich werde Carl dafür immer dankbar sein, denn WIR markierte den Start meiner internationale Karriere.
Noch mehr Track-Checks:
Markus Suckut – Infinity (SCKT)
Len Faki – Robot Evolution (Figure)
Da Hool – Meet Her At The Loveparade
Ian Pooley – Celtic Cross (Force Inc.)
Chopstick & Johnjon – Pining Moon (Suol)
Butch – Countach (Cocoon)
Isolée – Beaut Mot Plage (Playhouse)
SBTH – Ribolla (Lossless)
Matthias Meyer – November Rain (Watergate)
Axel Boman – Purple Drank (Pampa Records)
Sascha Funke – Mango (BPitch Control)
Format:B – Chunky (Formatik)
CamelPhat & Elderbrook – Cola (Defected)
Justus Köhncke – Timecode (Kompakt Records)
Frankey & Sandrino – Acamar (Innervisions)
Oxia – Domino (Kompakt)
Andhim – Tosch (Superfriends)
Gabriel Ananda – Ihre persönliche Glücksmelodie (Karmarouge)
Ninetoes – Finder (Kling Klong)
Die Vögel – Blaue Moschee (Pampa Records)
Aus dem FAZEmag 094/12.2019
Foto: Sergio Loes
www.thomasschumacher.com