Trance im September

Angehört von Damian Duda

Wenn man den Markt in der heutigen Zeit betrachtet, stellt man fest, dass nicht nur viele neue Künstler aus dem Boden steigen, sondern viele von ihnen durch extrem junges Alter auffallen. Ich finde das erstaunlich, und es regt durchaus zum Nachdenken an, wie viele Produzenten und DJs teilweise sogar schon in den DJ Mag Top 100 vertreten sind, die jünger sind als ich selbst. Das hat es früher so nicht gegeben. Ich bin gerade erst 25 geworden, und meine Idole aus früheren Zeiten waren immer mindestens eine zweistellige Alterszahl
voraus, sprich unter anderem ATB, Armin van Buuren, Markus Schulz, Paul Oakenfold, Paul van Dyk, die auch alle schon seit 15 Jahren und mehr erfolgreich im Geschäft sind. Insofern sind Aktualität und Erfolg glücklicherweise keine Alters-, sondern eine Qualitätsfrage.

 

 

Der in London geborene und Wahl-Kanadier Max Graham, der seine DJ-Karriere 1990 begann, aber erst zehn Jahre später als Produzent einstieg, bringt auf seinem eigenen Label Re*Brand eine entzückende Ballade namens „Still There’s You“ mit der Stimme von Jeza heraus. So wunderschön verträumt und melodisch gehört diese Produktion eindeutig zu den wesentlichsten Vocalnummern des Sommers. Der argentinische Youngster Tomas Heredia steuert einen Remix für die Peaktime bei, den ich persönlich schwächer als das Original finde. Eine instrumental-progressive Abrundung bekommt das Paket mit „Sona“.


Julius O’Riordan könnte einigen wenigen als studierter Jurist bekannt sein, worauf er zukünftig wieder mehr seinen Fokus legen möchte, nachdem er im März nach 15 Jahren seine wöchentliche Radiosendung beim britischen Top Radiosender BBC Radio 1 an den Nagel gehängt hat. Die meisten jedoch kennen Judge Jules als einen der legendärsten Trance-Protagonisten und Moderatoren unserer Zeit. Zusammen mit Labelmanager von Mondo Records Dale Corderoy, der bereits mit den Hits „Kyrie“ und „Rock Guitar“ in der Vergangenheit positiv Aufsehen erregte, kommt aktuell auf Paul van Dyks VANDIT die Kollaboration „Give Me A Reason“, unterstützt von einer Neuinterpretation des Berliner Duos
Daniel Reaves & Nils von Ahorn mit leicht acidem Einfluss.


Eine Mischung aus alten Hasen und jungen Talenten bringt Torsten Stenzel hervor. Als „YORK presents Lifted Emotion & Purple Stories“ und den beiden Titeln „Vinicity“ und „Wake Up“ bietet er auf seinem eigenen Label Planet Love Records dem jungen Ukrainer Stepan Kalashnikov alias Lifted Emotion in Kooperation mit dem polnischen Duo Leszek Stachowiak und Jacek Czeszak von Purple Emotion die Möglichkeit, deren Musik flächendeckend zu präsentieren. „Wake Up“ ist als typische B-Seite gedacht und zeichnet sich durch stampfige Beats und spacige Loops aus. Der Haupttitel „Vinicity“ ist im Original ein wunderschönes Progressive mit tiefer Basslinie, piano-orientiertem Break und finalem Ausbruch von Melodien. Unterstützung kommt von York selbst und einem smoothen Vocal-Edit mit Gesang von Lola Grover.

 

Wardt van der Harst und Willem Van Hanegem, die auch zur neuen Generation angesagter Künstler gehören, widmen ihr neuestes Tech-Trance-Meisterwerk auf ihrem gerade genannten eigenen und auch relativ neuen Imprint vor allem ihren russischen Fans. „Moscow“ wurde nach der ASOT 550 Episode, die sie mit großem Erfolg in der Hauptstadtgespielt haben, benannt. Mit ihrem facettenreichen und sehr individuellen Sound haben sich die beiden bereits einen guten Namen in der Szene gemacht, der sich nicht nur durch renommierte Kooperationen mit u.a. Jochen Miller, Michael Woods, Leon Bolier oder auch Remixen für Cosmic Gate, Armin Van Buuren oder Sean Tyas bestätigen lässt, sondern auch durch wiedererkennende Produktionen wie „Shotgun“, „Impact“ und „Beta“.


Eine weitere urbane Anspielung erschufen die drei Amerikaner Elevation zusammen mit Tim Grube & Mike Hovsepian auf Coldharbour Recordings. „City of Angels“ war eine der ganz frühen unveröffentlichten Hymnen von Markus Schulz’ im Februar veröffentlichten „Los Angeles ’12“-Compilation. Nach sechs Monaten und ziemlich hoher Rotation gibt es nun die offizielle EP mit einigen Ergänzungen und der inoffiziellen Nominierung als eines der besten Releases des Jahres für das Label. Neben der ursprünglichen, bereits sehr ansprechenden Version wurde die Veröffentlichung mit einen zusätzlichen „Deep Mix“ überarbeitet, der sich im Vergleich zum eher peakigen Original bestens für ein Warm-Up-Set eignet. Den offiziellen Remixpart übernahm hier Madis Sillamo aus Estland und leistet wie üblich einen sehr guten „Beat Service“.


Auch das Brüderpaar Julian Dziewulski und Mateusz Dziewulski aus Olsztyn in Polen, die als Skytech regelmäßig auf Coldharbour Recordings releasen, haben trotz der symbolischen Nachfrage „What’s Wrong“ mit ihrer aktuellen Single auf jeden Fall nichts falsch gemacht. Der Track erscheint in zwei Versionen, einem regulären „Original Mix“ und einem aufgepumpten „Skytech Stadium Mix“, der einfach nur rockt. Bereits in der Vergangenheit ist mir dieser Act mit „Sirens“, „Intensity“ oder „Motion“ sehr positiv aufgefallen und erscheint momentan aus produktionstechnischer Sicht als einer der vielversprechendsten des Landes im Bereich des Trance-Sounds mit leicht dreckigen Basslinien und massiven Schub, aber emotionalen Höhepunkten. „Lights Out“, der dritte Track im Bunde des Pakets packt mindestens genauso gut beim ersten Hören wie die Titelnummer.

So groß die Altersdifferenzen zwischen den kooperierenden Produzenten teilweise sind, so sehr ergänzen sich diese auch gegenseitig. Die jungen Produzenten sind motiviert, kreativ, haben Lust, aber auch meist die Zeit, in ihre Weiterentwicklung zu investieren. Die älteren Produzenten können vor allem ihre Erfahrung, administrative Kenntnisse und entsprechende Promotion nutzen, um den jungen Talenten adäquate Plattformen zu bieten, aber sich auch selbst an ihren Ergebnissen orientieren. Von dieser sehr positiven Entwicklung profitieren sie letztendlich selbst, da Aktualität und Variabilität in vielerlei Hinsicht geboten wird und somit eine Art Verdrängung der älteren durch die jüngere Generation nicht zum Tragen kommt. Es hat also jeder Künstler selbst die Freiheit zu entscheiden, wann es Zeit für seinen musikalischen Ruhestand wird – wenn überhaupt.