Jedes Raver-Kind weiß, dass eine Nacht musikalisch völlig verschiedene Gesichter hat. Das Warm-Up, die Peaktime und die Früh-Morgen-Stunden bis zum bitteren Ende. Jede dieser Phasen ist eine Kunst für sich, denn zu jeder Nacht- und auch Tageszeit muss man die Crowd anders anpacken. Was sich für viele nach lustigem Vorglühen anhört, ist alles andere als gelacht: das Warm-Up in einem Club zu spielen. Bestenfalls für den Headliner, welcher dann mit einer geschickten Auswahl der aktuellen Beatport-Top-20 die Menge in den Rausch versetzen darf. Nun gut, das war überspitzt.
Warm-Up also. Jene einleitende Phase, die die Nacht eröffnet. Nämlich dann, wenn das Tür- und Garderobenpersonal noch hektisch über den Floor huscht und manch Veranstalter schon in Panik gerät, da weder eine Schlange vor der Tür steht noch genügend Leute bei Facebook zugesagt haben. Es ist jener sensible Einstieg, den man als DJ nicht mit 110 dB und Bass auf Anschlag eröffnen sollte, damit es den ankommenden Gästen direkt die Jacke auszieht oder sich das Barpersonal beim Schnippeln der Cocktailfrüchte in die Finger schneidet. Es ist also genau diese Phase, in der man einfach ganz ruhig und sanft in die Nacht hineingleitet und vielleicht auch ein paar neue Produktion testet, die jetzt nicht unbedingt im Klatschpappen-Genre angesiedelt sind.
Hat man den Smooth-Groove dann einmal gefunden, wäre es ratsam, Pitch-Wheel und Sync-Button nicht gleich bei 130 BPM in Einklang zu bringen – ausgenommen man bespielt den Hacke-Floor. Denn schließlich geht es ja darum, den Prügel so lange wie möglich im Zaum zu halten. Es gilt zudem als ungeschriebenes Gesetz, dass es völlig uncool ist, die Tracks des Headliners zu spielen. Gut, dem einen ist es egal, dem anderen geht direkt das Messer in der Tasche auf. Vorher einmal fragen bietet sich an.
Cool auch, wenn ihr eure 20 Freunde am Start habt, die Punkt Mitternacht den Support für euch auf ein Maximum geschraubt haben und bereits die allseits verachteten Robben-Wechselgesänge („uhä-uhä“) anstimmen. Natürlich machen sie das nicht auf der Tanzfläche sondern direkt hinter dem Pult um die bereits anwesenden fünf Gäste gleich wieder zu vergraulen. Schön auch, wenn alle ihre Jacken und Taschen unter dem Pult in mühevoller Kleinarbeit übereinander gestapelt haben. Aber wehe es fummelt einer daran herum und plötzlich fällt das Kartenhaus zusammen. Denn ich habe heute leider keine Taschenlampe für euch.
Punkt 2 Uhr, sämtliche Substanzen haben ihre finale Wirkung entfaltet und ihr kommt aus dem Labern nicht mehr heraus. Aber hey: „Talk to the hand, nervt bitte jemand anderen“. Und: „Nein, die Remixanfrage kann ich leider auch gerade nicht abschließend bearbeiten, auch wenn du mir jetzt schon zum dritten Mal dein Getränk anbietest.“ Immerhin ist der Floor mittlerweile fast so voll wie der DJ. Es wird also höchste Zeit zu übernehmen.
Was für den Warm-Up-DJ gilt, gilt auch für jeden anderen Aktiven hinter dem Pult: Umfassende Technik baut man bestenfalls vor der Veranstaltung auf. Im Dunkeln Kabel zu verlegen und die richtigen Steckplätze zu ertasten kann nicht nur seine Zeit dauern, es nervt auch denjenigen, der gerade spielt. Und das kennt jeder aus eigener Erfahrung – es bringt dich einfach aus dem Konzept. Der Warm-Upper hat ein nahezu perfektes Set hingelegt, wenn der Headliner Probleme hat, daran anzuknüpfen, den Vibe zu halten und die Menge jetzt erst Recht in Ekstase zu versetzen. Aber das ist manchmal auch gar nicht schlimm, denn wir sind längst aus der Zeit heraus, wo man das Warm-Up als lästiges Vorprogramm bezeichnet. „Support your local heros“ ist auch ein Grund, warum immer mehr Clubs auf die Fähigkeiten ihrer hiesigen Künstler setzen. Und das ist auch gut so.
Ich hatte in den vergangenen Jahren selbst ein paar Mal die Ehre, den Floor für großartige Acts anzuwärmen und weiß daher um die besondere Herausforderung und das Fingerspitzengefühl, was man beweisen muss. Daher gebührt jedem guten Warm-Upper mein größter Respekt.
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