William Orbit – Audiovisuelle Pinselstriche

 

Foto: Eve Pentel

William Orbit, ein Name, der seit Jahrzehnten tief verwurzelt mit der Musik ist. Als einer der weltweit erfolgreichsten Produzenten arbeitete er mit Superstars wie Madonna, Sting, Katie Melua, Blur, All Saints, Pink, aber auch mit Innovator*innen wie S’Express, Martin Gore, Daniel Miller, The Fall oder den Cocteau Twins zusammen und entwickelte seinen charakteristischen elektronischen Sound. Nach seinem 2014er Album „Orbit Symphonic“ war es sehr still um den 65-jährigen Musiker, doch mit neuer Lust, neuer Inspiration, Pinselstrich und dem Feuer, das er schon Mitte der 90er-Jahre spürte, meldete sich der legendäre William Orbit zurück – mit seinem zwölften Studioalbum „The Painter“. Lest nachfolgend unser Interview mit ihm.

Acht Jahre sind seit deinem letzten Album vergangen. Was hast du in dieser Zeit gemacht und wann kam die Idee bzw. die Initialzündung für das neue Album?

Ich hing am Meer im kalifornischen Redondo Beach ab und fragte mich, was ich mit meinem Leben anfangen sollte, und dann entdeckte ich eine bis dahin unausgelebte Leidenschaft. Auch unversuchte. An einem Tag grübelte ich noch, am nächsten hatte ich etwas ganz Neues in der Hand: einen Pinsel. Wir sind nur Werkzeuge unserer Werkzeuge.

Wie kann man sich den Prozess bei dir vorstellen? Hast du von Anfang an ein ziemlich fertiges Konzept oder entwickelt sich das alles im Laufe der Zeit?

Wenn es sich nicht gerade um einen Kurzfilm handelt, beginne ich aus einer Laune heraus oder aus einem empirischen Moment der Neugier und schaue dann, wohin es führt. Natürlich nur bis zum Schluss, wenn sich eine Struktur herauskristallisiert hat und ich den Punkt auf das „i“ setzen und den T-Strich ziehen muss.

Auf deinem letzten Album hast du mit einem Chor und einem Orchester zusammengearbeitet, wie war das? Für „The Painter“ hast du dich wieder klassisch für einzelne Musiker*innen entschieden. Wie wählst du sie aus? Es sind ja sowohl alte Weggefährten als auch Newcomer – aus aller Welt.

Orchester und Chöre machen im Studio immer am meisten Spaß, da ist Adrenalin im Spiel. Jeder gibt sein Bestes und ich muss nicht an den Reglern drehen. Was die Gäste des Albums angeht, so hatte ich sie alle schon eine Weile im Kopf, damit sie auch genau zu der Atmosphäre meines Traumraums passten.

Wie du ja schon erwähnt hast, hast du die Malerei entdeckt. Dementsprechend hast du auch das Cover selbst entworfen und gemalt. Wie gehst du dabei vor, welche Rolle spielt die Musik?

Beim Malen überhaupt keine. Dafür ist es ein Fest des Podcast-Diskurses oder der Literaturwerke. Ein allegorischer Gedankengang kommt mir in den Sinn und dann bringe ich die Ölfarben auf die Palette. Das wird ziemlich chaotisch. Manchmal feuere ich Pulver auf die nasse Leinwand und male mit den Händen oder ich tauche alles in Lösungsmittel. Ich verwende sehr breite Pinsel, winzige Pinsel mit feiner Spitze und alle Größen dazwischen. Genau wie bei meiner Musik.

Wie sieht ein typischer Studiotag bei dir aus? Hast du irgendwelche Rituale?

Haha, es ist ein Sofa. Und da Kissen und Schwerkraft ihre eigenen physikalischen Eigenschaften haben, gibt es mehr als nur die TV-Fernbedienung, die nach Belieben verschwindet. Entweder das oder ich bin in London in einem großen Weltklasse-Studio wie den RAK Studios oder den Abbey Road Studios.

Planst du eine Albumtour? Wie wird sie aussehen?

Lebendig. Mitreißend. Aufregend. An einzigartigen Schauplätzen. Mit Tanz!

Kannst du uns die Phase vor ein paar Jahren, in der du keine Musik gemacht hast, genauer beschreiben? Was war die Ursache – ein kreatives Loch, ausgebrannt oder einfach mit anderen Dingen beschäftigt? Und was brachte die Motivation zurück?

Es war eine Phase der Inkonsequenz, ich stand vor einer für mich unüberwindbaren Mauer der Gleichgültigkeit und war sehr niedergeschlagen. Drastische Lebensereignisse trugen dazu bei. Und einige langjährige Beziehungen. Dann beschloss ich, etwas zu tun, was ich sonst nie tue: mir ein paar musiktechnische Online-Tutorials anzuschauen. Ungefähr in der dritten Lektion sprang der Funke über und ich war bereit loszulegen. Ich habe allerdings noch nicht wieder die Zeit gefunden, mit den Tutorials fortzufahren, bilde mich aber nach und nach weiter (ich bin ja auch ein perfekter Geek).

Auch wenn du natürlich auch heute noch für zahlreiche Künstler*innen produzierst und komponierst: Aber wenn du auf die 90er-Jahre zurückblickst, sind dort natürlich viele ikonische Werke entstanden. Welche Zusammenarbeit ist dir besonders in Erinnerung geblieben?

Das Offensichtliche ist „Ray of Light“ von Madonna, was das Ganze angeht. Aber ich habe auch so viele andere geliebt.

Gibt es ein*n Künstler*in, der auf deiner Liste noch fehlt? Mit dem du noch nicht zusammengearbeitet hast?

Ja, aber das ist nicht unbedingt ein*e Künstler*in. Ich habe eine*n Mathematiker*in im Sinn. Und ich würde gerne etwas mit einem diensthabenden U-Boot-Kapitän oder einer Sonareinheit der Marine machen.

Du bist kürzlich nach Venedig gezogen, wie kam es dazu? Was fasziniert dich besonders an dieser Stadt?

Ich wohnte an einem See im äußersten Süden Österreichs, als mich ein befreundeter Künstler fragte, ob ich mir die aktuelle Kunstbiennale in Venedig angesehen hätte. Ich war noch nie in dieser Stadt, obwohl ich auch italienische Wurzeln habe. Ich sagte, dass zu viel Kunst in einer Galerie mein Gehirn verwirrt und dass ich etwa drei gezielte Ausstellungen besuchen könnte, bevor ich überfordert wäre. Mein Freund wählte dann drei aus und beauftragte mich, nach meiner Rückkehr eine Kritik zu verfassen.

Ich kam in der Stadt an, verliebte mich auf der Stelle in sie, ging tagsüber mit ein paar Freunden aus, holte mir jede Menge Infos von unserem Bootsfahrer, taumelte schließlich kurz vor Schließung zur Biennale, nachdem ich beschlossen hatte, dass ich in dieser Stadt bleiben würde, sah mir ein paar Dinge an, kritisierte hauptsächlich die aktuellen Pavillons, war entsetzt über den britischen Biennale-Beitrag und fuhr mit einer Mission zurück nach Österreich – ok, ich wurde gefahren.

Eine Woche später hatte ich ein Haus. Mitten im Zentrum.

Wann können wir mit deiner Autobiografie rechnen? Und wie könnte sie heißen?

 Die schreibt sich von selbst, während ich einfach weitermache. Aber zuerst mein Buch bzw. Drehbuch – je nachdem, wie es sich entwickelt – mit dem Titel „The Stoned Detective“.

Was für Projekte stehen als nächstes an?

Das Leben in vollen Zügen zu genießen, im Geiste der Freundlichkeit, der Erkundung, des Abenteuers und der Demut. Und Intrigen. Lernen, lernen, lernen. Eintauchen in das Metaverse. Lernen, besser italienisch zu sprechen. Spaß an meiner Arbeit, an meinen Freund*innen und meiner Familie haben. Filme zu machen, in denen viel getanzt wird.

Gibt es ein Album, das du derzeit sehr gerne hörst?

Meines. Ganz im Ernst. Und all die Remixe und Spezialversionen. Klingt wie ein Selbstbetrug, aber ich genieße einfach das Gefühl eines Albums, das ich seit 25 Jahren nicht mehr gehört habe.

Aus dem FAZEmag 127/09.2022
Text: Tassilo Dicke
Foto: Eva Pentel
www.williamorbit.com