Rest In Peace, Achim Szepanski. Vor zwei Tagen erreichte uns die traurige Nachricht, dass Electronic-Music-Visionär Achim Szepanski verstorben ist. Nachdem er selbst in den Experimental-Noise-Bands P.D und P16.D4 als Musiker mitgewirkt hatte, gründete er 1991 das futuristische, progressive Label Force Inc., das, nach dem Vorbild des Detroiter Techno-Labels Underground Resistance, in Opposition zu kommerziellen Major-Labels stand und Missstände in der Gesellschaft thematisierte. 1994 gründete Szepanski zudem das Sublabel Mille Plateaux, bezogen auf die Idee eines postmodernen oder auch postrukturalistischen Modells der gesellschaftlichen Wissensorganisation. Zu Ehren des fortschrittlichen Pioniers der elektronischen Musik präsentieren wir euch zehn wichtige Tracks, die auf Force Inc. erschienen sind.
1. T’N’I – Anecdote (Deep Kick Mix) (1991)
Actionreich, spannend, neu. Es ist 1991, Achim Szepanski gründet das Label Force Inc. neu, Techno befindet sich in Europa in seinen Aufbrüchen. Eines der ersten Releases: Anecdote von T’N’I. Hinter dem Projekt stecken Thomas Gerlach, später bekannt unter dem Namen (DJ) Tonka und Ian Pinnekamp aka Ian Pooley – beide zwei Pioniere und Größen im Bereich der House-Musik aus Deutschland. Unter dem Namen T’N’I (Thomas and Ian) produzierten sie auch Techno. „Anecdote“ erschien im Deep Kick Mix und im Techno Mix auf der „Low Mass E.P.“ und klingt nach einer Mischung aus Computerspiel Action-Film oder Krimi-Intro. Irgendwas zwischen Chiptune, Breakbeat, und New Beat und als einer der frühen Techno-Tracks aus Europa wegweisend. Neben der EP erschien „Anecdote“ auch auf Compilations wie European Techno At It’s Best oder Tekknophobia.
2. Love Inc. – Trance Atlantic XS (1992)
Wir springen ein Jahr nach vorne. Neben Techno und House bilden sich auch weitere Stile der elektronischen Musik neu heraus und finden in Europa eine Plattform. Was The KLF schon mit ihrer Pure-Trance-Serie propagiert haben, manifestiert sich langsam als eigene Richtung, wobei im Endeffekt doch alles irgendwo als Techno bezeichnet wird. Hinter Love Inc. (nicht zu verwechseln mit dem kanadischen Dance-Act („You’re A Superstar) verbirgt sich der Kölner Wolfgang Voigt. Auch er bildet mit „Trance Atlantic“ quasi eine Serie. Während „Trance Atlantic Excess“, ein knapp elfeinhalbminütiger Track bereits ein Jahr vorher auf dem belgischen Label Trance Atlantic erschienen ist, erscheint „Trance Atlantic XS“ mit etwa 13 Minuten auf Voigts erster EP auf dem Label von Szepanski. Acid-Elemente treffen auf tribale Drums und SuperSaw-Elemente (zweiteres zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Trend) und bewegen sich irgendwo zwischen Techno, Trance. Akustisch hätte man das Ganze thematisch auch fast schon als „Sandstorm“ bezeichnen können, wobei das kommerzielle Release von Darude erst etwa sieben Jahre später erschien und wesentlich kürzer ausfiel.
3. Alec Empire – Hetzjagd (Auf Nazis!) (1992)
Wie eingehend erwähnt, machte Force Inc. als progressives Label nicht nur progressive Musik, sondern thematisierte abseits des Rave-Hedonismus auch politische, gesellschaftskritische Themen. Radikal deutlich wird dieses etwa im Tracknamen des Interpreten „Hetzjagd (Auf Nazis!)“, besonders wenn man bedenkt, dass es sich doch um einen (fast) instrumentalen Track handelt, wenn man die eingehenden und sich später wiederholenden Worte „Der neunte Schuss ging sauber durch die Stirn“ ignoriert. Hintergründe waren verstärkt zunehmende rassistisch motivierte Vorfälle in Hoyerswerda, Rostock oder Mölln in den frühen 90er-Jahren.
Alec Empire wurde auch besonders als Gründungsmitglied der Band Atari Teenage Riot bekannt, die sich ebenfalls 1992 formierten und als Begründer des Genres Digital Hardcore, das sich zwischen Techno, Punk, Breakbeat, Industrial, Metal und Noise bewegt, gelten. „Hetzjagd (Auf Nazis!)“ erschien 1992 auf der EP „SuEcide (Pt. 2)“ als A1 und bewegt sich irgendwo zwischen Breakbeat Hardcore, Drum ˈnˈBass und Early Rave. Uns erinnert es ein wenig an die Debüt-Single von The Prodigy, „Charly“, aus dem Jahr 1991.
4. Space Cube – Dschungelfieber (1993)
Wieder Ian Pooley und DJ Tonka, allerdings ganz anders, als man sie später kannte. „Dschungelfieber“ ist ein ikonischer früher Track, der wieder aufzeigt, dass die Entwicklungen der Genres damals noch nicht so ganz klar abgegrenzt waren. „Dschungelfieber“, daher auch der Name, ist ein klassischer, stiltypischer Jungle-Track der 90er-Jahre. Gleichzeitig könnte man ihn auch beim Breakbeat Hardcore und beim frühen Happy Hardcore einordnen, der damals in Großbritannien entstand. „Dschungelfieber“ könnte als deutsche Antwort auf damalige Hardcore- und Rave-Musik und den gerade entstehenden Happy Hardcore aus UK verstanden werden. Der Track erschien auf der legendären Rauschen-Compilation von Force Inc., genauer gesagt auf Ausgabe vier. Erst 1994 erschien eine selbstständige EP mit Remixen und dem Original. Das Dschungelbuch lässt grüßen.
5. Cristian Vogel – Tales From The Heart (1994)
Cristian Vogel kommt im Gegensatz zu vielen anderen Produzenten, die auf Force Inc. veröffentlicht haben, nicht aus Deutschland, auch wenn sein Nachname das vermuten lassen könnte. Vogel wurde 1972 in Chile geboren. Aber Kenner sollten das eh wissen, da es ja schließlich um einen seit Jahrzehnten hochgeschätzten Techno-Musiker geht. „16 Bit The 8“, ein Track mit innovativen Titel und ebenso innovativen Soundset, erschien 1994 auf der „Intersynd E.P.“, Vogels zweiter EP auf Force Inc. Außerdem erschienen mehrere Alben des Künstlers auf dem Sublabel Mille Plateaux. Ein akustisches Feuerwerk elektronischer Musik, experimentell, distorted, unbequem und ein Genuss für anspruchsvolle Hörer des härteren Techno.
6. DJ Tonka – Flashback (1995)
Erneut Thomas Gerlach. Dieses Mal unter seinem bekanntesten Solo-Pseudonym, das der Mainzer Produzent ab 1995 für seine Release benutzte. Vor seinem bekanntesten und kommerziell erfolgreichsten Track „She Knows You“ (1998) auf seinem eigens gegründeten Label Uplifting Records, releaste er die ersten Tracks unter Tonka auf Force Inc. „Flashback“ war sein Debüt-Track unter diesem Namen und brachte House aus Deutschland, gemeinsam mit den weiteren Releases, auf ein neues Level. Groovy.
7. Nathalie De Borah – Heart But House (1995)
Auch die Resident-DJ aus dem Poison Club in Düsseldorf, Nathalie De Borah, bewies durch Force Inc., dass groovy House aus Deutschland funktionieren kann. Die Single „Heart But House“ erschien 1995 auf Force Inc. Eine rhythmische Mischung aus Funky und Samba.
8. Ian Pooley & The Jaguar – Unitled A1 (Two Space Cowboys On A Bad Trip EP) (1996)
Auch der zweite Kopf von Space Cube und TˈNˈI, Ian Pooley, veröffentlichte neben Tonka Solo-Releases im House-Genre auf Force Inc. Diese A-Seite der 1996 erschienenen EP „Two Space Cowboys On A Bad Trip” erschien 1996. Schlecht ist der Trip auf den uns Ian Pooley zusammen mit Alec Empire, der auch schon in unserer Aufzählung auftauchte, unter dem Pseudonym The Jaguar schickt, keinesfalls, außer vielleicht, wenn man eher liebliche Pop-Vocals maschineller elektronischer Musik bevorzugt.
9. DJ Rush – Pop Lock (1997)
Auch die Techno-Koryphäe DJ Rush veröffentlichte auf Force Inc. „Pop Lock“ erschien 1997 als A-Seite der EP „Rhythm, Drums & Style“. Nach Pop klingt das Ganze allerdings nicht. „Pop Lock“ zeichnet sich durch maschinelle Claps kombiniert mit Strings und einem progressiven Spannungsaufbau aus.
10. Welt In Scherben – I-1 (1998)
Last but not least haben wir einen Track von Thomas P. Heckmann unter seinem Pseudonym Welt in Scherben in petto. Unter den Namen bescherte er uns dank Achim Szepanskis Wirken ab den späten 90er-Jahren diverse Releases auf Force Inc., in denen er EBM-Einflüsse in technoide Gebilde integrierte.
Achim Szepanski, wir danken dir für dein Wirken und deinen Einfluss in der elektronischen Musikwelt. Mögen deine Verdienste noch lange, lange nachwirken.
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