T-Bone-Brains – Testcard #22: „Fleisch“

testcard fleisch #22
Seit Jahren wird die Veganwelle von einer Bücherschwemme begleitet. Jonathan Safran Foer schreibt „Tiere essen“, Karen Duve startet den Selbstversuch „Anständig essen“. Und so weiter. Es gibt vegane YouTube-Channel (VeganEveryDay), vegane Mode (Umasan) und vegane Musik ist seit Straight Edge kein großes Ding mehr. Aber Fleisch ist mehr als Whitewashing für Chris Martin, den Gemüsebono der Nuller-Jahre. Daran erinnert der Popkulturreader „Testcard“ aus dem Mainzer Ventil Verlag mit Aufsätzen über „Männliches Fleisch und weibliches Gemüse“, über den Zusammenhang zwischen Body Modification und Formfleisch, über „Veggies in Sitcoms“ und einer „Text-Kontext-Analyse zu Lady Gagas Fleischkleid“. Man schaut zurück, bis der Leib Christi erscheint, wenigstens aber bis 1985, als „Meat is Murder“ von The Smiths erscheint. Seitdem hat sich viel getan. Die „Human-Animal-Studies (HAS)“ etablieren sich in den Akademien. Die Tierrechtsorganisation PETA wirbt damit, dass Vegetarier besseren Sex haben und „für die populäre Kampagne Lieber nackt als im Pelz posierten nackte Models und Prominente als Botschafterinnen. Diese Kampagne bediente inhaltlich wie auch ästhetisch die üblichen Stereotype, um für mediale Aufmerksamkeit zu sorgen: junge, weibliche, nackte Idealkörper prominenter Frauen.“ Und „mit ihrem Fleischkleid verortet sich Lady Gaga gleich in mehreren Diskursen; im Rahmen der MTV Video Music Awards etwa im Kontext Pop, wo Fleischbeschau längst zum Alltag geworden ist, denn das weibliche Fleisch ist eine starke Ressource. Lady Gaga macht aus der metaphorischen Fleischbeschau eine konkrete und präsentiert sich mit Fleischlappen behangen.“ Das ist dann schon schwer durch den Diskursfleischwolf gedreht. Fest steht: Das tierische Fleisch in Zeiten des fortschreitenden Veganismus hat keinen guten Leumund. Doch bizarrerweise hat die Popkultur das menschliche, tierische, persönliche, synthetische Fleisch in all seinen Erscheinungsformen integriert – auf derart umfassende Weise, dass sich die 304 testcard-Seiten mühelos füllen und abwechslungsreich präsentieren: Wie die Auslage einer Landschlachterei vorm Osterwochenende. / Jan Drees

testcard – Beiträge zur Popgeschichte
#22: „Fleisch“, Ventil Verlag, 304 Seiten, 15 Euro
www.testcard.de