Anklepants – Mit Motoren hinter den Ohren

Reecard farché sculpt 4
Ursprünglich schuf Reecard Farché die Figur Anklepants für einen Comedy-Porno. Der wurde aber nie realisiert. Stattdessen avancierte die einzigartige Maske mit ihren teils bizarr anmutenden Funktionen zum Mittelpunkt wilder Live-Shows. Farché ist ein Experte auf dem Gebiet der Animatronic. Er hat schon für Filme wie Star Wars III oder Prometheus gearbeitet. In seiner Anklepants-Maske steckt jede Menge Technik. Ein selbstgebauter Controller mit Mikrofon ermöglicht ihm weitere Live-Interaktionen. Es ist ein Gesamtkunstwerk, aus Performance, Technologie und exzessivem Klangfeuerwerk, das man gesehen haben muss. Uns beantwortete der aufsehenserregende Künstler einige Fragen.

In Interviews wirst du immer auf deine Maske angesprochen. Dennoch wäre es toll, wenn du auch uns ein wenig mehr über ihre Geschichte und ihre technischen Funktionen erzählen könntest…
„Ja, das sind Fragen, die mir stets gestellt werden. Trotzdem hier ein paar Hintergrundinfortmationen zur Technik und Geschichte: Das Gesicht ist in Latexschaum gegossen, ein Material, dass seit den späten Zwanziger Jahren/frühen Dreißiger Jahren häufig bei der Produktion von Animatronic Wesen und für Prosthetic Effects Makeup verwendet wurde. Mittlerweile wird dafür aber meist Silikon genommen. Das leichte Gewicht von Latexschaum ist hauptsächlich der Grund dafür, warum ich ihn einsetze. Dennoch werde auch ich in der nahen Zukunft auf Silikon zurückgreifen. Das Gesicht basiert auf der üblichen Methode, Prosthetic Makeup zu erstellen, unter Zugabe von Animatronics, die in das sehr tiefe Profil und unter die teils dünne Haut passen müssen. In diesem Fall ist das eine Maske zum Aufziehen, aber für bessere Fotos oder Videos könnte das auch auf das Gesicht geklebt werden, um um es realistischer ausschauen zu lassen. Das Verfahren beginnt mit Designs, Zeichnungen und/oder Photoshop Konzepten. Das wird dann auf einen lebensechten Abdruck meines Kopfes/meiner Schultern übertragen, der von Kollegen gemacht wird. Das ist der einzige Teil, den ich nicht selbst erledigen kann. Dieses Negativ wird dann zu einem Gipsabdruck von mir,  So entsteht eine Vorlage aus Silikon und Glasfasern. Mit dieser Methode können viele solche Kopien meines Kopfes produziert werden, aber in diesem Fall brauchen wir nur eine. Danach kann die Skulptur mit dem Lehm meiner Wahl begonnen werden. Nachdem sie komplett ist, ist es Zeit eine zweiteilige Glasfaserform zu erstellen, in die später der Latexschaum gegossen wird. Manchmal variieren die Gussmaterialien. In diesem Fall wird es wie erwähnt in Latexschaum gegossen. Wenn die Glasfaserform komplett ist, ist es an der Zeit, den Lehm vom Negativ, mit dem wir das Gesicht geformt haben, zu entfernen. Dann bereiten wir die Form vor, um Latexschaum einzuspritzen. Der Kern dieser, die Glasfaserversion meines Kopfs,  ist an verschiedenen Stellen mit vier dehnbaren Netzgeweben präpariert. Dadurch bekommt die Haut an zerbrechlichen Stellen Halt. Hiernach ist es Zeit, die Bestandteile des Latexschaums für die finale Haut so zu mixen, wie man sie haben möchte. Das entscheidet über den Weichheitsgrad oder die Härte. Nachdem der Schaum gemixt ist und Geliermittel hinzugefügt wurde, beginnt er zu erhärten. Er wird dann in eine große Spritze geschüttet und dann vorsichtig in die Form gespritzt. Das lässt man dann weiter erhärten und bringt es vorsichtig in den Ofen, wo es bei 80 – 85 Grad etwa 1,5 Minuten lang backen darf. Danach wird die Form von der Latexschaumhaut getrennt und wird gewaschen und getrocknet. Jetzt kann das Nähen behinnen, das Anmalen der Haare und so weiter.  Während des eben geschilderten Vorgangs fangen schon die Animatronics an. Der Innenteil für die Nase im Gesicht wird gemacht, mit genug Platz, damit die Technik auch hinein passt. Jetzt können wir die Blechscheiben auf eine Metalllatte spannen, was der Nase ein Rückgrat verleiht. Dazu kommen die Antriebsräder aus Aluminium, die auf den Motoren montiert sind. Die lassen durch Kabel die Nase auf und ab bewegen. Die Motoren, das Rückgrat und andere Teile aus Aluminium und Blech sind alle auf dünnem Fiberglas montiert, das ist wie eine Art Schädelkappe, ein leichtgewichtiger Helm, auf dem alle Komponenten sitzen. Alles sehr dünn, so das es das Gesicht nicht verzerrt. Die Motoren befinden sich direkt hinter meinen Ohren und machen ziemlichen Lärm.“

Reecard farché Sculpt prep for moulding

Welche Technik ermöglicht dir das Performen deiner Musik?
„Für jeden Track, den ich spiele wurde eine Sequenz für die Bewegungen des Gesichts programmiert. Ich kann aber jederzeit einen Knopf am Mikrofon drücken und diese Sequenz überschreiben. Das Akzelerometer in meiner linken Hand ist aktiviert und mein Gesicht folgt der Hand. Wenn ich zum Beispiel meine Hand hebe, geht das Gesicht herunter. Gleichzeitig kann auch der Voice Pitch moduliert werden. Hand hoch – runterpitchen, Hand runter – hochpitchen. Es gibt auch noch einen Knopf, der die Sequenz überschreibt und die Wellenform der Stimme lenkt, um die Gesicht hoch/Gesicht runter Motoren zu steuern. Das sind nur ein paar der einfacheren Funktionen des Mic/Controllers und der Gesichtsbewegungen.
Das Animatronic Kontrollsystem, das die Motoren antreibt und viele andere Dienste, sind ein maßgeschneidertes Hardware und Software Setup. Angetrieben von MAX MSP/MSP/M4L. Es enthält vielfache Patches in der Ableton Live Session.“

Wie bereitest du deine Shows vor? Welchen weiteren Vorteile hat der Controller?
„Was die Musik angeht, da arbeitete ich für gewöhnlich am Tag vorher an meinem Set. Ich ändere es meistens, schaffe Variationen von existierenden Stücken und füge oft auch unveröffentlichte, unvollendete Arbeiten ein und improvisiere damit. Generell kommen viele improvisierte Vocals dazu, auch Real-Time-Sampling und Modulationen von so vielen Parametern wie möglich. So bleiben die Dinge immer im Fluss. Je mehr ich mich mit den Akzelerometern bewege und Parameter moduliere, desto lebendiger wirkt die ganze Sache. Ich mache auch Aufwärmübungen für meine Stimme, meist dreißig Minuten bis zur kompletten Spiellänge des Sets. Ich lade alle Batterien für die Show, die sich im Anzug und im Mikrofon befinden. Und natürlich fülle ich auch den Tank auf. Ich gehe auch sicher, dass alle kabellosen Verbindungen funktionieren und dass das Streaming sauber abläuft. Ich habe verschiedene Sensor Input Bildschirme in meinen M4l Paches, die zeigen mir, ob alles okay ankommt. Ich lasse mein ganzes Bühnengear in Betrieb, so dass ich die Elektronik in meinem Anzug anschalte kann.
Ob nun der face_control_2 ein Vorteil oder Nachteil ist, das ist egal, denn darum geht es nicht. Es ist einfach ein Controller mit Mikrofon, sechzehn Knöpfen, zwei Joysticks und einem Akzelerometer. Das erlaubt es mir, in viel präziserer, körperlicher Art mit der Software zu interagieren. Alle Bewegungen meines Oberkörpers bringen das Akzelerometer in bestimmte Positionen um Parameter zu modulieren. Ich vermute, dass es sich ein wenig so anfühlen muss,  wenn man unsichtbare Glieder hat. In diesem Sinne ist es also ein Vorteil. Ich kann so viele Dinge gleichzeitig modulieren. Das wäre mit keinem, auf dem Markt existierenden Controller möglich. Und dadurch, dass die menschliche Stimme so flexibel und direkt ist, kann ich sehr einfach sehr kontrastreiche Strukturen und Klänge erzeugen. Es ist ein sehr spontanes Instrument und es ist toll, damit zu improvisieren.“

Deine Musik ist eine wilde Mischung aus verschiedenen Genres. Machst du sie hauptsächlich für die Show, oder auch für das einfache Hören/Konsumieren?
„Ich würde sagen für alle Zwecke. Viele Stücke wurden auch als Soundtracks für ungedrehte Filmszenen gemacht. Live bringe ich viel mehr Improvisation. Die Stücke sind auch weit mehr entstellt. Die Klangreise wird dadurch ein wenig lebendiger für die Zuhörer des Gigs.“

Was war die seltsamste Bühnenerfahrung für dich? Wo spielst du am liebsten?
„Nachdem ich immer ausgiebig davor gewarnt habe, dass man nicht mein Gesicht berühren soll, scheint nun genau das jeder zu versuchen. Auch wenn sich das für einen kurzen Moment schön anfühlt, verletzt es mich doch innen drin.  Die Leute wollen mich stets anfassen und damit auch mein eigentliches Ich. Und sie stellen sich an, um von meinem einmaligen Samen geduscht zu werden.
Ich spiele überall. Es ist aber besonders schön, an kleinen, engen Orten zu spielen, so dass die Leute nahe dran an meinem schönen Gesicht sein können und sehen, wie ich funktioniere. Solange das Soundsystem toll ist und die Monitore laut, damit ich auch durch mein Gesicht etwas hören kann.“

Wie wirst du deine Shows weiterentwickeln?
„Als nächstes werde ich die facé_tar dazuholen. Ein Gitarren-Controller. Damit kann ich viel mehr Parts spielen und das Arrangement noch mehr manipulieren. Der Körper dieses Controllers wird aus einer animatronischen Bauchrednerpuppe bestehen. Die ist dann das zweite Mitglied bei Anklepants. Momentan bin ich das einzige.
Zur gleichen Zeit, oder vielleicht etwas später kommen noch Visuals von einem Projektor  dazu, die in Echtzeit vom facé_control_2 und der facé_tar gesteuert werden.“

So wird sich die Ankeplants-Liveshow groß weiterentwickeln. Dem folgen dann auch viele weitere Gesichter und Charaktere, die von anderen menschlichen Mitgliedern dargestellt werden und die auch maßgeschneiderte Instrumente spielen, die alles und jeden manipulieren. Damit würde die Freude beginnen. / Benedikt Schmidt

www.reecardfarche.com
www.soundcloud.com/anklepants 

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