
Gegen das Vergessen: Am heutigen #throwbackthursday widmen wir uns einem sehr unschönen Thema, von dem man sich wünschen würde, dass es nie dazu gekommen wäre. Gestern auf den Tag jährte sich das Loveparade-Unglück aus Duisburg zum 14. Mal. Wir sind immer noch fassungslos und blicken auf die große Katastrophe einer ganzen Pop- und Jugendkultur.
Techno ist tot. Techno lebt. Techno ist ausverkauft. Techno ist nicht mehr Techno. Eigentlich egal, denn der 24. Juli 2010 markierte nicht nur den Ausverkauf und den Niedergang des Techno und der elektronischen Musik sowie einer eigentlich damals schon längst in die Jahre gekommenen und überholten, glücklichen, friedlichen 90s-Rave-Kultur, sondern, und das ist die wahre Tragödie, sorgte für den Tod von 21 jungen Menschen, 652 verletzte Besucher und zahlreiche Traumatisierungen. Was nie hätte genehmigt werden dürfen, hat vermutlich den einen oder anderen Techno-Jünger oder einfach nur Party-Gänger aus dem Ruhrgebiet und weit über dessen Grenzen hinaus damals noch sehr erfreut, wurde die 2009 für Bochum geplante Parade doch im Vorjahr abgesagt. Rückblickend wissen wir: das wäre für Duisburg auch besser gewesen. Viele Fragen bleiben bis heute offen. Doch die Besucher von damals dürften sich wohl mehrheitlich kaum mit der Situation vor Ort beschäftigt haben. Denn sie wollten vor allen Dingen eins: Party. Makaber, wenn man bedenkt, was an dem Tag passiert ist. Viel makabrer erscheint jedoch die Rolle der Verantwortlichen. Führten diese die Besucher in ein vorhersehbares Unglück, bei dem aus Profitgier, zu Marketing-Zwecken und aus dem Wunsch, die Loveparade unbedingt durchzuführen und in der eigenen Stadt zu haben, Menschenleben leichtfertig aufs Spiel gesetzt wurden?
Wir wollen und können aus unserer Position niemanden die Schuld zuschieben. Doch wäre es wohl, auch vor allen Dingen für die Angehörigen, angebracht und notwendig gewesen und auch für weitere Veranstaltungen, die Verantwortlichen vor Gericht angemessen in ihrer Rolle zu benennen und genau festzustellen, welche Fehler letztendlich zur Katastrophe führten. Das war der zweite Skandal nach der Katastrophe an sich: der Gerichtsprozess dazu. Am 4. Mai 2020 wurde das Verfahren gegen die letzten Angeklagten eingestellt, gegen weiter schon vorher. Wegen der Verjährung und zu erwartenden Einschränkungen aufgrund der Covid-19-Pandemie. Nach 184 Sitzungstagen endete der Prozess ohne Urteil. Wer sich im Nachhinein die Situation vor Ort anschaut, dem dürfte es selbst als Laie logisch erscheinen, dass ein Unglück naheliegend war. Zigtausende Menschen durch einen mehreren Hundert Meter langen Tunnel zu schicken, und über eine Rampe zwischen meterhohen Wänden, die gleichzeitig als Ein- und Ausgang fungiert – das klingt schon bei einer kurzen wörtlichen Beschreibung, ohne die Bilder zu haben, bedrohlich. Dann kommt da noch das Paradox, dass genau dieser Name Loveparade ja seit Jahren für eine hohe Menschenmasse stand – Masses in motion. Man wollte die Massen und den großen Namen der Veranstaltung – aber schickte diese durch einen ungeeigneten Zu- und Ausgang – anstatt die Loveparade in der Stadt selbst zu lassen, wählte man das Gelände des alten Güterbahnhofs. Das Wichtigste ist wohl, das aus dem Ganzen gelernt wird. Ein abgeschlossener Gerichtsprozess hätte dabei wohl noch weiterführend geholfen. Eine Auswirkung ist, dass Sicherheitskonzepte für Veranstaltungen in Deutschland verschärft wurden.
Der 24. Juli 2010 markiert nicht nur das Ende der Loveparade, sondern popkulturell gesehen auch das Ende einer ganzen Jugendkultur in ihrer damaligen Form. Eine Kultur, die fortan unter Trauer stand. Die Loveparade stand für die Technokultur als Massenphänomen wie keine andere Veranstaltung. Doch ihre tragische Geschichte zeigt auch, was mit einer Subkultur passieren kann, wenn diese kommerziell ausgeschlachtet wird und nur noch höher, schneller, weiter kennt. Schon in den 90er-Jahren wurde der Ausverkauf von Techno kritisiert, die Kommerzialisierung der Loveparade. 2001 erfolgte die Aberkennung der Demonstrationsrechte, als schon längst überall Werbebanner, Massentourismus und mediale Totalausschlachtung der Parade an der Ordnung waren. Besonders in den letzten Jahren wirkte die Parade auf so manchen echten Szenegänger eher wie eine riesige Ballermann-Veranstaltung. Die Insolvenz der Lopavent GmbH, das zweimalige Ausfallen der Parade und der Verkauf an eine Fitness-Studio-Kette sowie letztendlich der Umzug der Parade von Berlin ins Ruhrgebiet bis hin zur Katastrophe markieren einen Wandel, der zeigt, was ein Ausverkauf der elektronischen Musik als Marketinginstrument bedeuten kann. Fragt sich, inwiefern die heutige Kommerzialisierung der elektronischen Musik wieder Züge von damals angenommen hat und was daraus gelernt wurde.
2022. Rave The Planet. Die Loveparade ist wieder da. Wieder in Berlin. Dr. Motte und sein Team wollen es besser, richtig machen. Motte, Gründer der Loveparade, war damals, 2010, schon lange bei der Loveparade ausgestiegen, nahm sogar bereits Jahre zuvor an der Gegenveranstaltung, der Fuckparade, teil. Die neue Parade soll über Crowdfunding finanziert werden, wieder als Demo durchgeführt werden und nicht als Marketing-Massen-Event. Das Politische der Technokultur soll wieder in den Vordergrund treten, wieder echte Szeneakteure statt szeneexterne Fitness-Akteure etc. in die Parade involviert. Aus dem Niedergang der Loveparade und der Katastrophe soll gelernt werden und das Erbe der Technokultur in ihren zwischendurch verlorenen Spirit weitergeführt, wieder ins Leben erweckt. Auch wenn die Finanzierung teilweise schwierig ist, findet die Parade 2022 und auch 2023 erfolgreich statt. Die dritte Ausgabe steht dieses Jahr vor der Haustür. Ein Revival, das aus der Geschichte gelernt hat und der Technokultur ein Stück weit ihre Seele zurückgibt. Auch, wenn das die Toten von damals nicht zurückholt, so holt es jedoch den eigentlichen Spirit der Technokultur zurück, für die es spätestens 2010 so aussah, als sei dieser verloren gegangen. The story continues – wie, das entscheiden wir alle als Techno-Community.