Die neue Form des Musikkaufens – twelve x twelve Digital Vinyl

Die neue Form des Musikkaufens – twelve x twelve Digital Vinyl / Foto: Benjamin Held

Wo hört man Musik wohl länger und andächtiger: Beim Auflegen einer Platte oder beim Stöbern durch Spotify? Obligatorische Frage, die obligatorisch viele Leute aus dem Bekanntenkreis bestätigen können. Bei Streaming-Diensten sinkt die durchschnittliche Hördauer pro Track jährlich – wir skippen Musik im gleichen Rhythmus, in dem wir uns auch Bilder und Videos auf sozialen Medien anschauen. Dass die Verfügbarkeit von wirklich jedem Song per Streaming manchmal nicht  die Wirkung auslöst, die limitierte Tonträger auf uns hatten, war eigentlich nicht vorhersehbar: Wie oft haben Menschen geflucht, wenn sie nicht die gesuchte CD im Laden fanden. Und wie vielversprechend war die Idee, genau diese und noch viel mehr Musik im digitalen Raum verfügbar machen zu können?

Als Musikliebhaber hat sich der deutsche Soziologe Hartmut Rosa aus Jena schon oft Gedanken über den Zusammenhang von Verfügbarkeit von Musik und Musikerlebnis gemacht. Seiner Meinung nach drückt das Gewicht der Milliarden anderer Songs, die wir ja auch alle erleben wollen, auf den aktuellen Track. Deswegen können wir die Wiedergabe des derzeitigen Lieds nicht mehr bis zum Ende durchhalten und machen uns mit dem Skippen auf, mehr Tracks erleben, fühlen, in Reichweite bringen zu können.

So weit, so gut. Doch wie kommt man im allgegenwärtigen digitalen Raum aus dem Dilemma der ständigen Verfügbarkeit raus?

Dafür treffe ich mich gleich mit Philipp Köhn, seines Zeichens Co-Gründer und CXO der Berliner Webinfrastruktur-Plattform twelve x twelve.  Seit 2021 arbeitet das Team an der Idee, Musik exklusiv und damit persönlich und individuell von Künstler*innen an ihre Zuhörer*innen zu bringen. Und damit neben der Limitierung der Reize gleichzeitig eine Möglichkeit zu eröffnen, wie Künstler doch ihr Geld mit Musikverkäufen machen können. Die Idee heißt Musik-NFTs, also exklusiv signierte Musikdateien aus der Blockchain, die den Eigentümer des Musikstücks klar zuordnen. Oder nochmal ganz von vorne: NFT bedeutet „Non-Fungible Token“. Dieses Token ist ein Zertifikat auf einer Blockchain, das man kaufen kann. Und zwar nur so oft, wie es Urheber*innen des NFTs möchten. Urheber*innen sind in unserem Fall Musiker*innen, die bestimmen können, ob sie eine, zwanzig oder 100.000 Tokens ihres Songs in die Welt lassen wollen. Das Token gibt dem Käufer dann Zugang zu dem Audiomaterial und optional auch zu exklusivem Merch, Visuals oder persönlichen Messages oder Making-ofs.

Die NFT-Technik ist vor allen in der visuellen Kunst in den letzten Jahren schon längst ein riesiges Phänomen geworden und machte bisher unbekannte und weiterhin anonyme Digital-Künstler*innen zu den wirtschaftlich-erfolgreichsten Kreativen unserer Zeit: „Merge“ von Murat Pak wurde für 91,8 Billionen US-Dollar verkauft. Aber auch Produzent*innen und DJs aus dem Dunstkreis des FAZEmags haben ihre Werke für horrende Summen, die sie niemals über Streaming-Dienste eingespielt hätten, über NFTs verkauft. Mit dabei waren Steve Aoki, Aphex Twin oder auch Scooter. Twelve x twelve möchte an dieser Stelle aber einen anderen Weg gehen und exklusive Musik nicht über große technische Hürden vertreiben, sondern für jeden erreichbar machen – soweit die selbst gewählte Limitierung der Künstler*innen das zulässt. Gleich zu Beginn hat das Berliner Start-up große Unterstützung der Major-Labels bekommen: Ihre ersten Künstler waren Haftbefehl, Rammstein-Sänger Till Lindemann oder Die Drei ???. Doch auch erlesene Artists der elektronischen Musik bieten exklusive und in den meisten Fällen auch nicht mehr erhältliche, weil ausverkaufte Releases an: Allen voran das Berliner Label Innervisions, der Stuttgarter Solee oder FAZEmag-Kolumnist und DJ Marc DePulse sind die Vorreiter bei twelve x twelve.

Der nächste Schritt bei twelve x twelve im elektronischen Kosmos ist ein durchaus interessanter für alle FAZEmag-Leser*innen: Mit Embassy One hat die Digital-Plattform eines der größten Imprints im Techno-Bereich mit an Bord. Während hier das Artists-Roaster normalerweise von Moby bis zu Westbam geht, lässt sich auch das erste NFT-Release gut hören: Keine Geringeren als Drumcode-Boss Adam Beyer, DJ-Wizard Roger Sanchez und Melodic-House-Duo Eli & Fur remixen zwei legendäre Tracks: Einmal das Deep-House-Classic „Raining Again“ von Betoko und zum anderen den vor 30 Jahren auf Sven Väths Kultlabel Eye Q erschienenen Track „No Fate“ von Zyon. Damit gibt Label-Boss Konrad von Löhneysen zum Auftakt ein sehr besonderes, nirgendwo anders erhältliches Bonbon an alle Raver*innen, die sich mal mit Musik-NFTs beschäftigen wollen. Grund genug, bei Phillip von twelve x twelve mal persönlich nachzuhaken, ob man in naher Zukunft nicht mehr um NFTs herumkommt:

Phillip, erzähl uns doch kurz, wie sich twelve x twelve entwickelt hat und wo die Reise hingehen soll.

Wir haben uns die Musikindustrie angeschaut und gemerkt, wie sehr sich die Einnahmequellen von Künstler*innen und Labels weiterentwickelt haben. Wo man früher direkt nach dem Album-Release hohe Verkäufe und damit eine gewisse Zeit und Freiheit für die Produktion neuer Musik hatte, hat sich beim Streaming dahingehend alles verändert: Künstler*innen müssen ständig Musik machen, um an Einnahmen zu kommen. Darüber hinaus ist die Musik selbst homogener geworden, weil Artists sich den Algorithmen und damit den Hörgewohnheiten anpassen, um im Modell Streaming erfolgreich zu sein. Wir haben ab März 2021 versucht, einen anderen Weg zu gehen. Wir wollten digitales, exklusives Eigentum, Sicherheit für Künstler*innen und Labels, ein intensiveres Hörerlebnis und eine enge Künstlerbindung der Fans erreichen. Den Anfang machte Scooter. Mit ihnen releasten wir das erste NFT-Album Europas – zunächst noch auf der Opensea-Plattform und nicht auf unser eigenen.

So fand Scooter, wenn sie sich selber auf der Plattform suchten, zunächst nur E-Scooter-NFTs und ähnliche Dinge. Und für die Fans war der Weg zum Albumkauf sehr kompliziert und aufwendig. Deswegen haben wir mit unserem Start-up twelve x twevle alles daran gesetzt, der Musikindustrie und den Fans zu zeigen, wie man einen einfachen, musikgerechten Marktplatz erstellt. Niemand braucht hier technisches Vorwissen, niemand muss in Kryptowährung investieren und niemand muss 10.000 Euro bezahlen. Und die Künstlerseite kann auf Features zugreifen, die perfekt zu ihrem Produkt passen. 2022 kamen dann fast alle relevanten Major-Labels dazu und damit Projekte wie Haftbefehl oder Die Drei ???, die ihre Releases über NFTs  zeigten.

Die neueste Zusammenarbeit mit Embassy One wird nun als „Digital Vinyl“ veröffentlicht. Was meint ihr damit?

Der Begriff spielt darauf an, was Vinyl früher war und was es heute sein könnte. Natürlich ist es bei uns ein rein digitales Angebot, gespickt mit der digitalen A-, B- und zusätzlich mit einer neuen C-Seite. Das Audio-Release wird ergänzt mit einer passenden visuellen Komponente und verschiedenem exklusiven Content dazu: Das können Konzertkarten, Audionachrichten, Merch, Meet & Greets, private Workshops oder persönliche Listening-Sessions mit den Künstler*innen sein. Unsere Form des Releases hat auch die Ästhetik der Artwork-Gestaltung geändert: Oft handelt es sich hier um generative Kunst. Diese kann einerseits unverkennbar die DNA der Künstler*innen zeigen. Anderseits kann auch der Eigentümer des Tokens einen Einfluss auf die Cover-Gestaltung seines Releases ausüben.

Aber wie genau läuft es denn ab, wenn ich mir ein NFT bei euch kaufe?

Jeder, der sich im Internet schon einmal einen Account geschaffen hat, wird keine Probleme haben, sich auf twelve x twelve zurechtzufinden. Die Musik selbst gibt es meist in zwei Ausführungen: Entweder, die Künstler*innen wollen, dass man ihre Musik nicht vervielfältigen und bearbeiten kann – dann kann man den Track in unserem Player in höchster Qualität streamen. Oder Künstler*innen geben ihr Werk frei zum Bearbeiten – dann gibt es ein Audiofile zum Download. Manchmal kann man dann auch an diesem Track weiterarbeiten, ihn remixen oder bootlegen.

Und kannst du mir sagen, für welche Leute die NFT-Musik besonders interessant ist? Geht es hier mehr um Tech-Nerds oder um ganz normale Fans?

Sowohl, als auch und noch viel mehr. Wenn man sich die Fanbase eines Künstlers anschaut, kann man die ziemlich einfach in verschiedene Gruppen einteilen. Und am Ende fällt auf, dass die Superfans, die wirklich alles von ihren Künstler *innen wissen wollen, nur höchstens zwei Prozent der gesamten Fans ausmachen. Aber gleichzeitig sind sie für einen sehr großen Teil der Einnahmen der Künstler*innen verantwortlich. Mit dem digitalen Vinyl gibt man ihnen noch mehr Gelegenheiten, ihren Künstler*innen nah zu sein: Für sie gibt es das neue Album, die Künstler*innen treffen sie im Metaverse oder sie bekommen eine persönliche Nachricht dazu. Das alles ist sozusagen eine digitale Fan-Deluxe-Box, die sowohl für Künstler*innen als auch für Fans eine enge Bindung erzeugen kann. Die Fans können so ihre Lieblingskünstler*innen mit einem Musikkauf direkt unterstützen, und der Künstler ist in der Lage, seine treuesten Fans eindeutig zu identifizieren und ihnen direkt weitere Inhalte und Erlebnisse anzubieten.

Denkst du denn, dass Musik-NFTs in fünf oder zehn Jahren ganz normal für jeden Musikkonsumenten sein werden?

Also, klar ist erst einmal, dass vor allem der Streaming-Markt noch unfassbare Wachstumspotentiale haben wird. Es wird weltweit immer mehr Menschen geben, mehr und besseren Zugang zum Internet und die nachfolgenden Generationen werden Streaming besser und schneller adaptieren als no-digital-native Generationen heute. Aber, wenn Musik jederzeit und überall kostenlos zur Verfügung steht, verliert sie, zumindest subjektiv, an Wert. So ist Streaming Fluch und Segen zugleich für Künstler und Labels. Und genau in die Lücke stößt unser Produkt „Digital Vinyl“. Wir bekommen zurzeit immer mehr Partner und es werden in der nächsten Zeit immer mehr Releases auf unserer Plattform umgesetzt. Wir gehen davon aus, dass es vermehrt zum Standard wird, WEB3-Produkte zu integrieren – als exklusive Remixe oder Sample-Packs, oder als Pre-Release ein paar Wochen vor dem Streaming-Release.

Da man als Künstler*in mit NFTs deutlich mehr Umsatz machen kann, wird das Thema auch bald Chart-relevant werden und die Runde in der kreativen Brache machen. Für eine Generation, die mit Streaming aufgewachsen ist, kann NFT wirklich ein neues Ritual werden, was aktives Hören in den Vordergrund rückt und Zugehörigkeit mit den Lieblingskünstler*innen ausdrückt. Es geht darum, Musik wieder zu besitzen und seine Künstler*innen zu supporten. Es werden sich hoffentlich neue Arten entwickeln, wie man Musik zusammen mit Freunden genießt, auch online, und dann kann es doch sehr inspirierend sein, zusammen dem exklusiven Material zu lauschen.

Wir glauben nicht an eine Zukunft, in der Musik nur gestreamt wird.

 

Aus dem FAZEmag 136/06.2023
Text: Bastian Gies
Foto: Benjamin Held
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