
Isabelle Beaucamp ist überall zu Hause. Und sie ist überall. Während das Wort „Durchstarter“ meist inflationär genutzt wird, trifft es im Falle der Aachenerin zu 100 Prozent zu. Um all das zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf ihre Karriere. Kaum ein Jahr ist es her, dass sie ihren allersten Club-Gig in Rom feierte. Seitdem ist sie Resident zweier Partyreihen, Symbiotikka im KitKat Berlin und Ehrenklub im Kölner Odonien, spielt bei Rave The Planet und im Bootshaus, tourt von Israel und Italien bis Frankreich, steht mit einem Fuß in der Modeszene und veröffentlicht bald ihren ersten eigenen Techno-Track. Ihr Erfolg ist kein Zufall.
Wer bereits das Vergnügen hatte, eines ihrer Sets zu erleben weiß, wie ansteckend ihre eigene Energie sich auf das Publikum überträgt. „Die positive Resonanz der Raver*innen bedeutet mir alles, dass sie einen guten Abend haben, jedes Mal etwas Neues erleben und dass ich sie mitreißen kann“. Natürlich wird innerhalb der Szene viel von Positivität und guten Vibes gesprochen. Bei Sets von Isabelle Beaucamp ist das aber tatsächlich der Unique Selling Point. Während harte und schnelle Beats durch die Boxen hämmern, springt und tanzt sie mit, als hätte sie selbst Eintritt dafür bezahlt, lächelt in die Menge und zieht so die Menschen in ihren Bann. Es bereite ihr extrem viel Spaß Energie freizusetzen, neue Genre-Mixes auszuprobieren und fernab jeder Konvention ihren ganz eigenen musikalischen Weg in der Clubszene zu gehen. „Ich glaube am meisten hat es mir geholfen, mich mit den Ravern*innen zu connecten. Dadurch potenzieren wir gemeinsam die Energie einer Party auf ein neues Level“. Beaucamp vermittelt bodenständige Lebensfreude und spielt dabei knallende, wummernde Techno-Sets, die sich keinem Stil unterordnen, sondern mit Einflüssen von Trance, Detroit, Trap, Acid und Breakbeats ständig neu erfinden. „Zu den unterschiedlichen Stimmungen, die wir alle an einem Partyabend durchleben gehören Elemente des Düsteren, Geheimnisvollen, des Ausrastens – genauso wie zartere Vocals, das Anklingen von Melodien und die Flummi-Freude aus den 90ern“. Sie selbst glaubt, aufgrund ihrer Veranlagung zur Synästhesie käme ihr zugute, dass Töne bei ihr mit Farben verbunden seien und somit die Sets nicht nur akustisch, sondern auch in ihrer eigenen Vorstellung jedes Mal ein buntes Bild entstehen ließen. „Ich liebe es bei Techno fremde Genres mitaufzugreifen und einzubinden, z. B. Klänge aus Klassik, Hip-Hop, Trap und Pop.“
Ihr erster eigener Track „Lâche – toi“ (dt. „Lass dich fallen“) macht da keine Ausnahme. „Als ich während meiner Schulzeit in Frankreich vor Leuten auftreten musste und aufgeregt war, wurde mir immer gesagt ‚Lâche-toi Isabelle‘. Dann habe ich gemerkt, wie viel Freude ich am Theater spielen und am freien Sprechen später vor Gericht und bei UN-Versammlungen entfalten konnte“. UN-Versammlungen? Richtig gehört. Bis vor Kurzem arbeitete Isabelle noch Vollzeit bei den Vereinten Nationen in New York als Juristin. Als wäre ihr Lebenslauf nicht jetzt schon ein Bonbon. Nun liegt ihr Fokus aber ganz klar auf ihrer musikalischen Karriere, was wiederum den Bogen zu ihrem Debüt „Lâche – toi“ spannt. Der Track ermutige „sich mehr zuzutrauen und sein eigenes Ding zu machen. […] Ich habe einfach ungeahnt viel Freude und Energie hiermit entwickelt und werfe mich daher jetzt zu 100 Prozent dort rein. Weil ich das so möchte“. Ihre Liebe zu Techno sei aber nicht typisch in Berlin, ihrer selbsternannten Wahlheimat, sondern in Köln entstanden, als es dort noch die Papierfabrik gab. Zudem habe sie Boys Noize bei Auftritten in Paris während ihres Studiums begeistert. „Ich komme ursprünglich aus Aachen, wo der Musikbunker angeblich Europas erster Club war“. Egal, wo es sie hin verschlug, irgendwie ist Techno schon immer ein Teil des Ganzen gewesen. Vielleicht war alles nur eine Frage der Zeit.
Hardtechno erlebt gerade jedenfalls einen zweiten Frühling. Gutes Timing, die Fühler genau jetzt auszustrecken. Dessen ist sich die Produzentin bewusst. „Nach den Lockdown-Phasen der Pandemie gibt es diese unausgesprochene und unheimlich dynamische Aufbruchsstimmung in allen Bereichen der Gesellschaft, so eben auch in der Musik“. Gerade die Post-Covid-Entwicklung im Bereich Techno zeige, dass Raver*innen heute sehr aufgeschlossen gegenüber Neuem seien und sich inspirieren ließen. „Gleichzeitig spüren wir den Trend, dass Techno im Schnitt schneller und härter wird. Es ist ein Aufbruch und vielleicht auch eine Entladung an Energie in einer Zeit, die politisch sowie klimatisch unsicher ist und in der wir merken, dass wir uns im Tanzen und in der Musik freischwimmen können“. Isabelle plädiert dafür (pun intended) „Dinge anzupacken und auszuprobieren, auf die man neugierig ist und seiner eigenen grenzenlosen Power zu vertrauen. Das funktioniert hinter den Decks und es funktioniert im Leben, nur so kann sich ein Potential entfalten“. In ihrem Fall keine Worthülsen, sondern ein Lifestyle. Diesen verknüpft sie neben der Musik auch mit Mode. Kunst, Literatur, Fashion – alles greife ineinander, besäße Querverbindungen und entwickle sich gegenseitig weiter. „Man sieht es ganz eindeutig an den Rave-Outfits der 90er. Früher bunt und flippig, viel Glitzer und dann plötzlich alles schwarz“. Mode würde mit der Musik mitziehen, „düsterer und brutaler“ und gleichzeitig eine faszinierende Eleganz entwickeln.
Zum Beispiel sei Berghain-Türsteher und Berlin-Ikone Sven Marquardt mit seinen Fotos und Projekten eine Inspiration für sie. Im weiteren Verlauf des Gesprächs erzählt sie von Kobosil und Marquardt auf der Mailänder Fashion Week, der „Balenciaga Pose“ und dem „Brutalismus 3000 Phänomen: Raver und trotzdem sehr elegant und Symbol für Avantgarde“. Neue Models seien jetzt auch DJs, Perfomer*innen, Tänzer*innen und Künstler*innen aller Arten. Ihre Faszination und Begeisterung für die Modewelt sind ihr deutlich anzumerken. „Ich selbst habe Kollaborationen u. a. mit Vertere Berlin und einem Fashionweek-Showroom aus Paris. Es passiert gerade so viel. Ich kann es kaum erwarten mit meiner eigenen Fashionline in die Startlöcher zu gehen“. Vereinte Nationen, Modedesign, Musikproduktion – was für einige Menschen wie drei verschiedene Leben klingt, nimmt Isabelle Beaucamp in kürzester Zeit mit. Stichwort Energie und Selbstbestimmung und so. „Seitdem ich meinen Bürojob gekündigt habe und freiberuflich arbeite, definiere ich Freizeit anders. Alles geht Hand in Hand, weil ich tue, was mir Freude bereitet. Wochenenden seien zwar sehr durchgetaktet aber an privaten Einschränkungen könne sie auch wachsen. „Ich werde sehr viel resilienter und stress-resistenter, organisierter und robuster und die Freude am Job leidet darunter zum Glück nicht. Zudem habe sie ein Umfeld, dass ihr dieses Leben noch einfacher macht.
Ihr enger Freundeskreis unterstützt sie von Beginn an, auch bei vielen organisatorischen Aufgaben. Sie sei dankbar für ihre Agentur, ihren Manager und „allem voran habe ich meine Fan-Base, die teilweise sogar mit mir mitreist und mich so sehr darin bekräftigt weiterzumachen, dass ich gar nicht ans Aufhören denken könnte“. Vielmehr stehen bereits weitere Pläne und Träume in der Warteschlange. Ein Auftritt beim Awakenings, Club-Gigs in Südamerika und last but not least: ein Nachfolge-Track zu „Lâche – toi“, der – natürlich – ganz anders klingen könnte als sein Vorgänger. „Anders“ passt ohnehin zu Isabelle. So würde sie sich beispielsweise eine Zusammenarbeit mit The Blaze wünschen. „Ihre Musik hat nichts mit Techno zu tun, aber gerade deshalb wäre die Schnittstelle so spannend. […] Zusammen könnten wir ganz neue Dimensionen in Techno-Raver*innen hervorrufen. Wer weiß, vielleicht kommt es ja eines Tages zu einer gemeinsamen Produktion“. Bei Isabelles Werdegang wäre auch das ehrlich gesagt keine Überraschung mehr. „Zwei Dinge in meinem Leben sind sicher: Ideen werden mir nie ausgehen und einen Masterplan würde ich, wenn ich ihn hätte, morgen wieder umwerfen.“
Aus dem FAZEmag 137/07.2023
Text: Michael Scharsig
Foto: Yasmine Bennis
www.instagram.com/isabelle_beaucamp