
Ein Vierteljahrhundert elektronische Musikgeschichte – das ist 25 Years Cocoon Recordings. Als das Label vor 25 Jahren von Sven Väth in Frankfurt ins Leben gerufen wurde, stand am Anfang die Idee, Künstler der hauseigenen Bookingagentur auf Tonträgern zu vereinen. Was mit der Vision von Alben, Singles und Mix-CDs begann, startete mit einem Statement, einem Klassiker: „Various Artists Compilation – Cocoon A“. Dieses aufwendig gestaltete Box-Set mit sechs Vinyl-Schallplatten und zwölf Künstlern setzte mit seinem minimalistischen, zeitlosen Design Maßstäbe und entwickelte sich zu einem absoluten Sammlerstück. Über die Jahre wurde die Compilation-Reihe zu einem der Markenzeichen des Labels.
Von Beginn an war Cocoon Recordings Bühne und Sprungbrett zugleich. Wegweisende Künstler wie Dominik Eulberg veröffentlichten hier ihre Debütalben, während aktuelle Club-Hits wie „Geht’s Noch“ von Major-Labels gepickt wurden. Dieses Fundament trägt das Label bis heute. Zum 25-jährigen Jubiläum kehrt Cocoon Recordings zu seinen Wurzeln zurück: mit einer wertigen Vinyl-LP-Box, die den ersten Teil eines zweiteiligen Jubiläumsprojekts markiert. „25 Years Cocoon Recordings – Volume One“ vereint exklusive Beiträge internationaler Künstlerinnen und Künstler, die den Sound und die Vielfalt des Labels in den letzten zwei Jahrzehnten geprägt haben, ergänzt um frische Talente, die die Zukunft mitgestalten. Wir haben mit Sven Väth, Gründer des Labels Cocoon Recordings und Lichtfigur des deutschen Techno, über die ersten Jahre sowie die auch nach 25 Jahren unveränderten Werte und die aktuelle Compilation gesprochen.
Wie und wann entstand die Idee, drei Jahre nach deinem Aus bei Eye Q und Harthouse Cocoon Recordings zu gründen?
Ich hatte nach Eye Q und Harthouse eine Phase, in der ich viel getourt bin und viel erlebt, aber auch gespürt habe, dass etwas fehlt. Cocoon war für mich nie nur ein Label, es war von Anfang an ein kultureller Raum, ein Ort für Visionen. Ich wollte Künstlern eine Plattform geben, auf der sie sich frei entfalten können, jenseits von Trends. Das war 1999. Ein Jahr später kam dann die „Compilation A“. Damit war Cocoon Recordings geboren. Dazu kam, dass ich schon Ende der 90er-Jahre begonnen hatte, Cocoon als Eventreihe in Frankfurt zu etablieren. Bereits 1996 fanden erste Partys unter dem Namen Cocoon statt. Daraus entwickelte sich bald auch eine eigene Bookingagentur, und 2000 folgte schließlich die Gründung des Labels Cocoon Recordings. Die Idee war, ein ganzheitliches Ökosystem für elektronische Musik zu schaffen: Events, Booking und Veröffentlichungen aus einer Hand, getragen von einer klaren künstlerischen Vision und unabhängig von Majors.
Welche Erinnerungen verbindest du mit dem ersten Release, der „Compilation A“?
Die Veröffentlichung der „Compilation A“ war ein ganz besonderer Moment für mich und unser Team. Wir haben damals mit Künstlern wie Ricardo Villalobos, Anthony Rother, Marco Carola, Chris Liebing und Johannes Heil gearbeitet, allesamt Musiker, die am Beginn einer spannenden Entwicklung standen und den Spirit von Cocoon von Anfang an verkörpert haben. Das Zusammenstellen der Compilation war eine Mischung aus Aufregung und Verantwortung. Jeder Track sollte nicht nur den Zeitgeist widerspiegeln, sondern auch unsere Offenheit für musikalische Innovation zum Ausdruck bringen. Für uns war die „Compilation A“ weit mehr als nur ein Sampler, sie war ein Manifest und ein kuratierter Querschnitt unserer musikalischen Haltung: roh, direkt, unabhängig und experimentierfreudig. Die erste Auflage der Compilation erschien damals als weißes Vinyl, limitiert auf 1.000 Stück, und war am ersten Tag ausverkauft. Das Gefühl, dass diese Idee, Cocoon auch als Label zu etablieren, direkt so große Resonanz gefunden hatte, war eine schöne Bestätigung und der Anfang einer echten Familie. Diese Veröffentlichung hat mich gelehrt, wie eng Musik, gemeinsames Visionieren, Freundschaft und der Mut zum Risiko zusammengehören und wie aus einer Vision ein Kollektiv werden kann.
Was verrät das Tracklisting über die musikalische Vision von Cocoon Recordings?
Das Tracklisting der Cocoon-Compilation-Serie offenbart die musikalische Vision des Labels als ein lebendiges, sich ständig weiterentwickelndes Gesamtwerk, das eine Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schlägt. Über die Jahre hinweg versammelt jede Compilation exklusive Tracks etablierter Künstler ebenso wie frischer Talente, die gemeinsam den unverwechselbaren Cocoon-Sound prägen. Dieser Sound ist tief in Techno und House verwurzelt, zeigt aber auch Offenheit für benachbarte Genres wie Electronica und Ambient. Die Tracklistings repräsentieren eine Haltung, die sich durch kompromisslose Authentizität, kreative Risikobereitschaft und die Förderung von Individualität auszeichnet. Musik bei Cocoon soll nicht glattgebügelt und funktional sein, sondern roh, ehrlich und eigenständig, dabei stets Raum für Überraschungen und innovative Ausdrucksformen lassend. Durch die Kompilationen schafft das Label einen kreativen Dialog innerhalb seines Netzwerks, verbindet langjährige Begleiter mit neuen Stimmen und ermöglicht eine kontinuierliche Entwicklung des Sounds. Somit spiegeln die Tracklistings nicht nur den musikalischen Kosmos des Labels wider, sondern sind Ausdruck einer kulturellen Familie, die durch gemeinsame Werte von Experimentierfreude, Gemeinschaft und künstlerischer Tiefe zusammengehalten wird. Sie sind ein fortwährendes Manifest, das die Essenz von Cocoon Recordings als Plattform für künstlerische Freiheit und als nachhaltigen Beitrag zur elektronischen Musik verkörpert.

Warum waren und sind Compilations so elementar für das Label?
Compilations sind für Cocoon Recordings von elementarer Bedeutung, weil sie das Label als lebendige Plattform für musikalische Innovation und Gemeinschaft repräsentieren. Sie ermöglichen es, das vielfältige Spektrum an Künstlern und Stilen zu zeigen, die den Cocoon-Sound prägen, und fungieren als musikalischer Spiegel für das Label und seine Geschichte. Durch Compilations können etablierte Künstler und vielversprechende Newcomer auf einer gemeinsamen Bühne präsentiert werden, was den kreativen Dialog innerhalb der Szene fördert und den musikalischen Wandel sichtbar macht. Zudem bieten sie die Möglichkeit, den Cocoon-Sound in seiner ganzen Tiefe und Komplexität darzustellen und einen roten Faden durch die Entwicklung elektronischer Musik zu ziehen. Die Compilations sind damit weit mehr als einfache Sampler, sie sind Ausdruck des kollektiven Geistes, der Experimentierfreude, der Authentizität und der Verbundenheit, die das Label ausmachen. Wichtig ist außerdem, dass wir unabhängig von Trends Künstler und deren Musik veröffentlichen wollten. Bei uns ging es immer um die Musik selbst, nicht darum, aktuellen Strömungen hinterherzulaufen. Aus diesem Grund sind Compilations seit den Anfängen ein unverzichtbarer Bestandteil von Cocoon Recordings, fungieren als Sprungbrett und Bühne und tragen maßgeblich zur Identität und zum kulturellen Erbe des Labels bei.
Inwiefern hat sich die Vision des Labels im Laufe der Jahre gewandelt?
Die Grundidee ist geblieben: Integrität, Qualität, Emotion. Aber klar, wir haben uns weiterentwickelt. Cocoon ist heute nicht nur Label, sondern Movement, Family, Plattform. Früher war es Techno, heute ist es Techno und mehr. Aber immer mit Seele.
Wofür stand Cocoon damals und wofür steht es heute?
Damals stand Cocoon für Aufbruch, Selbstbestimmung und Eigenständigkeit. Heute steht das Label für Kontinuität, Tiefe und Vertrauen. Wir sind gereift, aber nicht alt – und immer noch hungrig.
Wie würdest du die ersten Jahre von Cocoon Recordings beschreiben?
Es war eine echte Aufbruchstimmung, in der viele junge Talente und etablierte Acts zusammenkamen und gemeinsam den Sound der elektronischen Musik mitgestalteten. Wir waren voller Energie, intensiver Leidenschaft, aber auch chaotisch. Es gab viele Höhen und natürlich auch Enttäuschungen, nicht jeder Track funktioniert, nicht jede Partnerschaft hält. Aber das gehört dazu. Es war real. Diese Zeit hat das Fundament gelegt, auf dem Cocoon heute steht.
Gibt es einen charakteristischen Cocoon-Sound?
Ja, aber nicht im klassischen Sinne. Es ist weniger ein Klang als ein Gefühl. Der Cocoon-Sound ist warm, hypnotisch, monoton, treibend. Das Stück muss etwas riskieren und eine Geschichte erzählen. Und vor allem Raum für Interpretation lassen.

Welche Releases haben dich und das Label am meisten geprägt?
Es gab so viele prägende Releases, aber sicherlich gehören Roman Flügels „Geht’s Noch“, Legowelts „Disco Rout“, Koletzkis „Mückenschwarm“, mein Track mit Anthony Rother „Komm“, Extrawelts „Titelheld“, Guy Gerbers „This is Balagan“, das Album „Animals“ von Minilogue, Gregor Treshers „About a Good Place“, Ricardo Tobars Album „Collection“, Prydz’ Remix von „The Beauty and the Beast“, Butchs „Countach“, Rampas „2000“, meine letzte EP „Feiern“ und aktuell die beiden EPs von Jonathan Kaspar, „Twofold“, dazu. Diese Veröffentlichungen zeigen die musikalische Bandbreite und Qualität, die Cocoon seit jeher auszeichnen.
Was passiert nach dem Buchstaben-Zyklus? (Derzeit bei Compilation V)
Wir sind bei V – vier Buchstaben fehlen noch. Danach? Dann kommt Ö, Ü, Ä. Vielleicht aber auch A2, B2 … hahaha … Vielleicht kommt etwas ganz Neues. Das Schöne an Cocoon ist: Wir machen, was sich richtig anfühlt. Keine Formel. Nur Intuition.
Wie ist das A&R-ing heute geregelt und wie kann man euch Demos zukommen lassen?
Ingo, Edgar und ich sitzen da wirklich mit Herzblut dran. Wir hören uns Unmengen an Demos an, aber es geht nicht darum, irgendein Schema zu bedienen. Es muss diese Cocoon-DNA haben, Persönlichkeit und diesen besonderen Spirit. Wer uns Demos schicken will, sollte nicht einfach nur einen Link schicken, sondern auch erzählen, was hinter der Musik steckt. Oft kommen Demos über Freunde oder Künstler, mit denen wir schon gearbeitet haben, oder Dubplates, die extra für mich geschnitten werden. So entsteht ein riesiger Pool, aus dem wir auswählen — das macht den Job für uns spannend und lebendig.
Warum setzt ihr weiterhin auf Vinyl?
Weil Vinyl Seele hat. Wir glauben an Musik als Kunstform, nicht nur als Hintergrundrauschen. Ein Vinyl-Release bedeutet Commitment – von Künstler und Label. Und es bleibt. Digital ist vergänglich, Vinyl lebt.
Wie haben sich die Hörgewohnheiten durch Streaming verändert – und wie wirkt sich das auf euer Label aus?
Klar, die Monetarisierung ist aktuell wirklich schwierig, aber wir jammern nicht darüber. Für uns ist Streaming ein tolles Fenster zur Welt, eine Möglichkeit, Menschen überall zu erreichen. Trotzdem machen wir keine Musik für Algorithmen, sondern eben für Menschen, Tänzer und Liebhaber, die sich mit Musik wirklich verbinden wollen. Das bleibt unser Fokus.
Welche Tipps gibst du jungen Künstlerinnen und Künstlern heute?
Bleib dir treu. Hör auf dein Herz, nicht auf Trends. Hab Geduld, Erfolg über Nacht ist eine Illusion. Und ganz wichtig: Umgib dich mit Menschen, die dich verstehen, nicht nur mit denen, die dir sagen, was du hören willst.
Welche Werte sind dir als Labelchef wichtig in Bezug auf Künstlerverträge und Fairness?
Transparenz. Respekt. Augenhöhe. Langfristigkeit.
Erzähl uns von der Release-Planung zum 25-jährigen Jubiläum.
Zum 25-jährigen Jubiläum von Cocoon Recordings haben wir ein ganz besonderes Release geplant: „25 Years Cocoon Recordings – Volume One“. Es ist der erste Teil eines zweiteiligen Jubiläumsprojekts, das exklusiv Beiträge von internationalen Künstlern vereint, die über die Jahre den Sound und die Vielfalt des Labels maßgeblich geprägt haben – von etablierten Namen bis zu spannenden Newcomern. Die Compilation umfasst 15 sorgfältig ausgewählte Tracks und erscheint als 5×12“-Vinyl-Boxset mit spektralreflektierender Folienveredelung, ein echtes Sammlerstück für Fans und Liebhaber. Mit diesem Release wollen wir die Brücke schlagen zwischen der Geschichte und der Zukunft des Labels. Der zweite Teil folgt zu einem späteren Zeitpunkt und wird die Reise fortsetzen. Die Veröffentlichung zu Volume One ist für den 7. November 2025 geplant.
Pre-order „25 Years Cocoon Recordings – Volume One“.
Aus dem FAZEmag 164/10.2025
Text: Sven Schäfer
Fotos: Daniel Woeller