Actress – 13 Schachzüge

Foto: Jaxon Whittington

In der sich ständig weiterentwickelnden Welt der elektronischen Musik haben nur wenige Künstler einen solchen Genreübergreifenden musikalischen Fußabdruck hingelegt wie Darran Cunningham aka Actress. Als wahrer Klangalchemist hat er sich schon früh in seiner Karriere von jeglichen stilistischen Fesseln befreit und einen unverwechselbaren Sound geschaffen, der die herkömmlichen Definitionen von Techno und Electronica sprengt. Jetzt, wo er sein neuestes Werk „LXXXVIII“ auf dem legendären Ninja Tune Label veröffentlichte, lädt Actress uns auf eine Reise in die Tiefen seines Klangkosmos ein.

Die Veröffentlichung folgt auf das faszinierende „Dummy Corporation“ von 2022, mit dem Actress wieder in den Mittelpunkt der Underground-Clubkultur gerückt ist. Davor wurde sein 2020 erschienenes Album „Karma & Desire“, auf dem der Mercury Prize-Gewinner Sampha, Zsela und Aura T-09 als Kollaborateure mitgewirkt haben, sehr gelobt. „LXXXVIII“, benannt nach der römischen Zahl 88, ist der Beginn eines neuen Kapitels in Actress‘ klanglicher Erkundung. Wie eine kaleidoskopische Odyssee führt das Album die HörerInnen durch komplexe Klanglandschaften, in denen sich Ambient-Texturen, pulsierende Beats und jenseitige Melodien vermischen. Es ist ein Beweis für seine Fähigkeit, seit über 25 Jahren eindringliche Klangwelten zu schaffen, die gleichermaßen herausfordern und fesseln. Ein Thema hat den Briten bei diesem Album ganz besonders inspiriert: die Spieltheorie. Tatsächlich war tiefgreifendes strategisches Denken – das man eher mit Themengebieten wie Wirtschaft oder Schach in Verbindung bringt als mit künstlerischer Praxis – grundlegend für Actress‘ Prozess bei diesem Langspieler. So sehr, dass er sich während einiger Studio-Sessions Spieler für Online-Schach-Sessions einlud: „Es war lustig aber wahrscheinlich auch nur ein Weg, um etwas Zeit verfliegen zu lassen, während ich die Tracks geschrieben und komponiert habe. Meine Herangehensweise an Länge und Timing innerhalb einer Komposition ist mechanisch und oft verwirrend, aber das passt zu meinem Stil. Das fasziniert und befriedigt mich gleichermaßen. Die Technologie, die ich im Studioprozess entwickelt habe, hat im Vergleich zu den letzten Alben mehr Turbo, Mathe und Humor hat. Es waren quasi sowohl glückliche als auch traurige und dunkle Computer dieses Mal. Das Album zu produzieren und zu programmieren war komplex und knifflig und erforderte ein ziemlich tiefes Abhörsystem. Die verwendeten Mikrofone und die Art und Weise, wie der Algorithmus in den Kompositionen das Endergebnis mit sortierten menschlichen Medien verarbeitet hat, war definitiv eine Entwicklung.“ Beim Album-Titel spielte seine besondere Wahrnehmung in Sachen Formen und Zahlen eine wichtige Rolle: „Ich bin irgendwie besessen von diesen Formen. Die Bedeutung und der Kreislauf der Zahlen sind irgendwie so greifbar. Ich mag, dass {shift} und (8) einen Stern oder ein (*) Sternchen ergeben. Die offensichtliche Unendlichkeitsbeziehung quasi.“

Die Lead-Single des Albums „Push Power (a 1)“ wurde beim diesjährigen Glastonbury Festival in England uraufgeführt. Eines von vielen Highlights, rekapituliert Cunningham sein Jahr 2023. Erst kürzlich spielte er z.B. als Special Guest von James Blake: „Auch der Field Day war ein großartiger Moment, um mit Musikfans in Kontakt zu treten. Das wurde sehr geschätzt. Und an der Seite von James zu spielen war ein ganz besonderer Moment. Ich habe es geliebt, Teil der Produktion zu sein.“

Aus dem FAZEmag 142/12.2023
Text: Triple P
Foto: Jaxon Whittington
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