Ahmet Sisman (The Third Room) im Interview

Seit vielen Jahren ist Ahmet Sisman als DJ, Produzent und Veranstalter in Essen aktiv. Er war Resident und Booker im legendären Goethebunker, ebenso wie im Studio, das im Frühjahr 2019 seine Pforten schloss. 2017 startete er zusammen mit Almedin Alibegovic (VNNN) „The Third Room“, anfangs noch als Clubreihe, später mit Events in außergewöhnlichen Off-Locations im Ruhrgebiet und als Label.

Vom 7. bis zum 9. August sollte eigentlich „The Third Room Open Air Garden“ mit DJs wie Roman Flügel, Gerd Janson und Blawan stattfinden, die Veranstaltung wurde nur wenige Tage vorher abgesagt.

 

Erzähle uns doch kurz, wie „The Third Room“ entstanden ist?

Als ich Mitte 2017 der Booker vom Studio wurde, hatte ich ebenfalls das Bedürfnis eine neue Marke ins Leben zu rufen. Damals fing es mit einer monatlichen Partyreihe im Club an, was sich dann später auf Off-Events in besonderen Locations im Ruhrgebiet ausgeweitet hat. Seit Anfang 2019 haben wir mit der Mischanlage eine neue feste Homebase und zudem haben unser langersehntes Label gegründet. Dazu kommt das frische Mastering-Studio hinzu, was ich auch als Dienstleistung anbiete. Diese drei Disziplinen ergänzen sich gegenseitig und bilden das Fundament der Marke bzw. ihrer Philosophie.

Auch euch hat die Corona-Krise mit voller Wucht erwischt, wie bist damit umgegangen, persönlich und beruflich natürlich.

Die Corona-Krise hat uns alle so schnell und unerwartet getroffen. Ich glaube, keiner konnte Anfang des Jahres erahnen, welche Auswirkungen diese Pandemie auf die Musikindustrie haben wird. Ich kann es immer noch nicht ganz genau einschätzen, weil es ein sehr dynamischer Prozess ist.

Wir hatten dieses Jahr großes vor und es war eigentlich unser Expansionsjahr mit der Marke. Es ist wirklich erschreckend zu sehen, wie einfach externe Faktoren einem die ganze harte Arbeit kaputt machen kann. Das musste man erst mal verdauen. Ganz am Anfang der Krise war ich eigentlich sehr optimistisch gestimmt, weil ich die „freie Zeit“ für andere Projekte nutzen konnte, die ich sonst nicht habe. Aber je länger die Krise andauert, desto mehr merkt man, wie machtlos man gegenüber solch einem Phänomen ist. Diese Ohnmacht zu spüren ist für mich persönlich was völlig Neues und damit muss man erst mal umgehen können.

Es zeigt aber auch, wie fragil unser System ist. Sei es wirtschaftlich, kulturell oder politisch. Die Corona Krise zeigt viele Missstände in unserer Gesellschaft auf und daran muss sich was ändern. Das gilt auch für unsere Musikindustrie. Ich befürchte aber, dass wir nur bedingt unsere Lehren aus dieser Krise ziehen werden, weil wir uns insbesondere von den Entscheidungsträgern eine Lösung erhoffen, die eigentlich für diese Krise verantwortlich sind.

Wie würdest du das Krisenmanagement samt Hilfszahlungen von Bundes- und Länderseite bewerten?

Mir war es von Anfang an bewusst, dass ich mich auf staatliche Hilfen kaum verlassen kann. Dann kamen die Soforthilfe-Zahlungen von der Bundesregierung und ich war positiv überrascht. Aber wenn man sich die daran geknüpften Bedingungen durchliest, ist es letztendlich nichts anderes als eine Farce. Man hat den Kulturbereich in Stich gelassen und ich würde sogar behaupten, diese Branche geopfert zu haben, weil sie ja zu den Superspreading-Events gehört. Wer auch immer das so festgelegt hat, es wurde ja nicht eine Studie in Deutschland dazu gemacht, bzw. habe ich davon nichts gehört. Geschweige von einem Pilotprojekt, wie man z. B. Events in Corona-Zeiten erfolgreich umsetzen könnte. Der Wille war nicht mal da. Es wurde einfach alles dicht gemacht und danach kam gar nichts.

Man muss sich das mal vorstellen können: Wir haben seit mehr als fünf Monaten ein Berufsverbot, keine Perspektive und sollen einfach diese Tatsache so hinnehmen. Die Gespräche mit den örtlichen Behörden in den letzten Monaten und Wochen haben rein gar nichts gebracht. Wir sind auf uns allein gestellt.

Am vorletzten Wochenende wolltet ihr eigentlich eure Veranstaltung „The Third Room Open Air Garden“ über die Bühne bringen, musstet aber kurzfristig absagen. Warum?

Im Nachhinein ist wohl die Antwort sehr einfach: Es sind keine Veranstaltungen mit geselligem Charakter aktuell erlaubt. Das ist quasi die Essenz von unserem Geschäftsmodell. Ein Rave ohne ein Miteinander ist einfach nicht vorstellbar. Man kann es sich schönreden, dass es auch anders geht, aber eigentlich belügt man sich damit selbst.

Natürlich spielen andere Faktoren auch eine Rolle, wie z. B. die bestehende Angst gegenüber dem Virus, veränderte Gewohnheiten bei der Freizeitgestaltung und die Attraktivität von illegalen und „regelfreien“ Raves usw. Das Mind-Setting unserer Gäste hat sich teilweise geändert und das habe ich persönlich so nicht wahrgenommen, weil man anscheinend in seiner eigenen Blase gelebt hat.

Wie lange lief dazu die Planung, wie habt ihr das Konzept entwickelt?

Die Idee gab es schon länger, quasi einen gemütlichen Pop-up-Open-Air-Garden mit guter Musik zu öffnen, aber die Genehmigungen haben ihre Zeit in Anspruch genommen, was für städtische Verhältnisse immer noch sehr schnell war, aber trotzdem mussten wir alles auf den letzten Drücker auf die Beine stellen. Ich musste dann das Booking innerhalb von einer Woche fix machen und mit der Bewerbung rausgehen. Unsere Szene ist aktuell im Tiefschlaf und ich wollte Nägel mit Köpfen machen, damit wir was Besonderes auf die Beine stellen können, was sogar deutschlandweit einmalig ist. Zumindest dachte ich, dass in NRW nicht ansatzweise sowas angeboten wird.



In einen Statement auf Facebook zur Absage warst du ratlos, was die Gründe anging, warum die Veranstaltung nicht angenommen wurde. 

Ich wollte einfach mal die Meinung anderer Leute einholen, weil ich von dem Erfolg des Konzeptes absolut überzeugt war und ich irre mich eigentlich selten. Das ist auch erst mal eine Erfahrung, die man machen muss. Die Gründe habe ich oben teilweise schon erläutert. Vielleicht bin ich erst jetzt in der Realität angekommen, dass nämlich solche „halbgaren“ Events nichts taugen und wir jetzt die Füße stillhalten müssen, weil uns nichts anderes übrigbleibt. Es ist auch aktuell schwer eine Prognose zu treffen.

Wie ist denn nach dieser Absage die Stimmung bei euch? Wie sieht das weitere Vorgehen aus?

Ein ist klar geworden: Wir machen keine Events mit irgendwelchen strikten Hygiene- und Sicherheitsmaßen, die den Vibe der Veranstaltung zerstören. Solange die Zeit für ein geselliges Miteinander nicht reift ist, werden wir die Füße stillhalten müssen.

Ich werde mich anderen Projekten, wie z. B. dem Label, meiner eigenen Musik, meiner Mastering-Tätigkeit und weiteren Ideen widmen. Viele davon sind natürlich ein Teil der Musikindustrie, die vor einem ganzen großen Fragezeichen steht, wann es überhaupt irgendwie wieder losgehen kann. Die ganze Branche ist von Ticketverkäufen abhängig. Zudem ist mir bewusst geworden, ein zweites Standbein außerhalb der Musikbranche aufzubauen, denn die Pandemie wird uns noch sehr lange begleiten und eventuell sogar ein neues Zeitalter einleiten.

 

 

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