André Galluzzi – Der Dirigent

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André Galluzzi – Der Dirigent

Auch wenn der digitale Fortschritt längst Einzug hält, ist André Galluzzi einer der wenigen, für den eine Umstellung nie infrage kam und wahrscheinlich auch nie infrage kommen wird. Seit Beginn seiner Karriere vertraut er auf den berüchtigten warmen Klang und bestreitet auch die für ihn typischen Sets von sieben bis zehn Stunden Länge durchweg mit Vinyl. Wie viele Platten er insgesamt in seinem Leben jemals besessen hat, kann er schon lange nicht mehr beziffern. Mit der Auferstehung seiner Partyreihe „WE PLAY VINYL“ will der in Frankfurt geborene Wahlberliner die Kunst des Vinyl-Auflegens wieder aktiv fördern.

Die Schallplatte erlebt gerade einen ungeahnten Aufschwung und gilt damit wieder als etabliertes Medium, denn die schwarze Scheibe zieht sowohl Gast als auch Artist unterbewusst immer wieder in ihren Bann. Es ist eine Art tiefer Rausch, den sie verursachen kann, dem André selbst jedes Mal zum Opfer fällt und ohne den er seine Extended-Sets wahrscheinlich nie bestreiten könnte. „Wenn du mit Platten spielst, spielst du automatisch anders“, bestätigt André. „Es ist nicht so hektisch und der Klang ist auch einfach ein ganz anderer.“

Die Renaissance der Platte geht durchaus auch mit einer Entschleunigung der Feierkultur einher: Einem gewissen Trend, der sich durch viele verschiedene Aspekte unseres schnelllebigen Alltags zieht und vielleicht auch ein Grund dafür ist, dass Vinyl heute wieder eine hohe Wertschätzung erfährt. André Galluzzi in diesem Zusammenhang als Trendsetter zu verstehen, wäre jedoch unangebracht, wenn man bedenkt, dass partielle Entschleunigung, teils extremer Expressionismus und Unkonventionalität vor allem seine Sets seit jeher charakterisieren. Genau das, was viele DJs für sich neu entdecken, wusste Galluzzi schon seit Beginn seiner Karriere zu schätzen. „Es geht mir um das Puristische. Wenn du die Leute an diese Effekthascherei gewöhnst, dann fehlt ihnen auf einmal etwas bei so einem hypnotischen und trippigen Set. Daher fange ich damit gar nicht erst an. Natürlich entschleunigt das, aber es weckt auch das Interesse. Die Platte darf auch mal sechs Minuten durchspielen. Ich vergleiche das gerne mit der Filmindustrie: Ich muss mir keinen Film mit unzähligen Spezialeffekten anschauen, bei dem ich von der Story schnell gelangweilt bin. Wenn du geile Schauspieler hast und die Story passt, dann brauchst du keine Effekte.“

Dieser persönlichen Überzeugung entstammt auch die Idee für das Projekt „WE PLAY VINYL“: Eine Eventreihe, deren erste Ausgabe bereits 2011 stattfand und die im August 2015 mit einem mittlerweile um Live-Acts ergänzten Roster ihre Renaissance im Berliner Watergate feierte. Es geht Galluzzi um Künstler, die ihr Medium wie ein Instrument bedienen, die eine physische Verbindung zu ihrer Musik eingehen. Es geht ihm nicht darum, andere zu diffamieren. „Was jetzt besser ist, digital oder Platte, das will ich gar nicht bewerten. Das bleibt Geschmackssache“, stellt er klar. Ihm geht es einzig und allein darum, der Kunst des Plattenmischens eine eigene Plattform zu geben. „Angepeilt sind drei Veranstaltungen im Jahr in Berlin. Es kann aber auch gut sein, dass es bald vier werden“, verrät Galluzzi. „Bereits dieses Jahr werden wir auch international. Die Nachfrage ist tatsächlich da. Das ist großartig.“ André ist es hierbei auch wichtig, sich persönlich um das Booking zu kümmern. Das lässt sich der gebürtige Hesse nicht nehmen. „Das Gute ist ja, dass ich über die vielen Jahre sehr viele Bekanntschaften machen durfte. Der Nachteil ist aber, dass einige das Auflegen mit Platten leider auch nicht mehr durchziehen möchten oder können.“

Kaum verwunderlich, wenn man sich in der Clubszene umschaut. Durch die oft vernachlässigte Ausstattung der Clubs hinsichtlich der Turntables wechselten viele ehemalige Vinyl-Akrobaten auf den auch beim Reisen komfortablen USB-Stick. Mit der stetigen Zunahme an Pressungen, Verkauf sowie Konsum von Vinyl erlebt die Szene jedoch einen noch vor Jahren unvorhersehbaren Boom. Aber vor allem junge Talente, die eine Faszination für dieses alte Medium entwickeln, haben es aus oben genannten Gründen schwer, Fuß zu fassen. Resonanz, Holz-Platten, wackelige Tonabnehmer. Wenige Lokalitäten machen sich die Mühe, einem Newcomer-DJ vernünftiges Equipment zu organisieren. Das ist auch André Galluzzi bewusst: „Wir haben deshalb ab dem nächsten Sommer eine Talentschmiede im Club Der Visionäre geplant, wo eh schon ein reger Austausch zwischen den verschiedenen Gruppen stattfindet. Die Idee ist, dort mit den neuen DJs auch ein wenig back2back zu spielen, mit ihnen zu interagieren und sie anzuhören. Wenn ich merke, dass jemand talentiert ist, dann kann ich mir gut vorstellen, denjenigen auch mal zur ,WE PLAY VINYL’ ins Watergate oder auch ins Ausland mitzunehmen. Neben mir und einem weiteren Headliner können dann Newcomer ihr Können beweisen. Schon öfter habe ich zu meinen Veranstaltungen neue Artists für das Warm-up eingeladen, die mir empfohlen wurden. Ich hatte auch mal meine ersten Gigs und daher finde ich es wichtig, neue Talente zu fördern! Es ist ja schon schwer genug, bekannt zu werden – und als Vinyl-DJ sowieso.“

Während des Interviews wird klar, welche Leidenschaft in ihm für diese Idee brennt. Kein Wunder, denn hier treffen zwei große Steckenpferde des Großmeisters aufeinander. Auf der einen Seite ist André passionierter DJ, auf der anderen war er auch immer ein engagierter Veranstalter. Schon mit knapp 14 Jahren organisierte er seine ersten, damals noch illegalen Partys. Kurz nach der Schließung des alten Ostguts, in dem er als erster Resident überhaupt auftrat, initiierte er die Partyreihe Submerge, bei der er nicht selten auch bis zu zwölf Stunden lang selbst hinter den Decks stand. Hier schließt sich der Kreis, denn seine letzte eigene Reihe ist nun auch Namensgeber für die kommende „Submerge EP“, mit der er sein Debüt auf OVUM feiert. Des Weiteren füllt natürlich noch sein eigenes Label ARAS seinen Kalender. „Noch in diesem Monat erscheint eine Remixversion meines Albums ‚Alcatraz’ mit Mike Shannon und Jacek Sienkiewicz und dann gibt es auch noch einen neuen Remix von mir für Guido Schneider, der auf Cocoon erscheinen wird.“

Aus dem FAZEmag 057
Review: André Galluzzi – Alcatraz (Aras)
Text: Janosch Gebauer
www.andregalluzzi.com