Anna Reusch – Angekommen

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Sie war gerade erst 14 Jahre alt, als sie in ihrer Heimat – dem Erzgebirge – ihre ersten nächtlichen Discobesuche abhielt und anschließend am riemenbetriebenen Plattenspieler ihres Vaters mit dem Auflegen begann. Sie wurde in einer klassischen Musikerumgebung groß. Der Vater hatte seinerzeit eine eigene Band, in der er Gitarre spielte. Schlagzeug und Keyboard waren auch nicht weit entfernt. Nur ein Jahr später, drei Jahre vor der Volljährigkeit, spielte Anna Reusch im Euro Palace das Vorprogramm für Acts wie Kai Tracid, ehe sie kurz darauf aus Lustlosigkeit pausierte. Mit 23 startete sie erneut. Nach wenigen Jahren ist sie nun mit der „Basara EP“ zur Mainzer bouq.-Familie gestoßen.

Generell sieht sich die blonde Schönheit noch oft mit dem Klischee des auflegenden Models in Verbindung gebracht und führt eher unfreiwillig einen Kampf gegen dieses Bild: „Bei meinen ersten Auftritten wurde mein FHM-Model-Image dazu verwendet, mich zu verkaufen. Ich war natürlich froh, überhaupt ein Engagement zu haben, auch wenn es eher Diskos in Autobahnnähe waren, die anfragten. Es war alles neu für mich, und ich ließ die Veranstalter gewähren. Relativ schnell merkte ich aber, dass Menschen nur kamen, um zu schauen, und nicht wirklich, um zuzuhören – was für einen DJ eher suboptimal ist. DJs wie Julia Siegel und Michaela Schäfer prägen ein solches Verhalten. Genau so wollte ich nie sein. Ich möchte anspruchsvolle Musik spielen und kein gutaussehendes Püppchen sein, das zufällig vorne steht. Meine Leidenschaft für Musik soll im Vordergrund stehen, nicht mein Aussehen. Frauen wie Nina Kravitz, Ida Engberg und Nicole Moudaber spielen gute Sets, begeistern Menschen und genießen den Respekt der anspruchsvollen Feiergemeinde. Das ist eine tolle Entwicklung, die mir Hoffnung macht.“

Mit ihrer EP auf bouq. platziert sich Anna soundtechnisch gekonnt zwischen treibendem Techno und pumpendem Techhouse. „Wir wollten eine EP, die genau meinen Stil widerspiegelt – richtungsweisend, ohne Kompromisse und ohne Druck. Es ist ein charmanter Appell daran, dass es nicht immer aufwendig oder aufreibend sein muss, genussvoll zu feiern.“ Insgesamt scheint Anna in der letzten Zeit im Studio entspannter geworden zu sein: „Bei meinem ersten Studioaufenthalt mit Kris Menace verstand ich nur Bahnhof und war baff, wie schnell er sich Melodien aus dem Ärmel schüttelte. Anfangs hatte ich auch nicht das Verständnis für die Langwierigkeit des gesamten Prozesses. Meine zweite Studiostation war Junkx Music in Mülheim. Der hatte oft eine Zicke zu bändigen. Als ich dann mit Peter Jürgens zusammenarbeiten durfte, war es schon viel einfacher und in Sachen Sound kamen wir ebenfalls gut zusammen. Bei ihm konnte ich bequem zwischen Techno und Techhouse gleiten. Hauptsache, es macht Spaß. Meine ersten Produktionen sind im Vergleich zu den aktuellen sehr bunt und auf Wiedererkennungswert ausgelegt. Heute ist es mir wichtiger, dass die Nummer schiebt, groovt und sich gut in meine Tracklist einreiht.“ In den vergangenen Jahren wurde Anna Reusch oftmals zu bouq.-Events eingeladen. Ende 2014 kam dann der Anruf von Rimah Khalouf, seines Zeichens A&R des Labels. „Namen wie Butch und Santé sind diesen Weg schon gegangen – und das sehr erfolgreich. Dass sie mich als weiteres Talent ausgemacht und in ihren Familienkreis aufgenommen haben, hat mich sehr gefreut und geehrt zugleich. Ich fühle mich bei ihnen Zuhause. Ich mache Musik, weil mir nichts mehr Spaß macht. Und diese Leidenschaft – ohne kommerziellen oder profilierenden Hintergrund – verbindet uns. Darüber hinaus sammeln sich bei ihnen Kompetenz und Innovation, wovon ich viel lernen kann.“

Ihren Auftritt beim diesjährigen Love Family Park nennt Anna ihren persönlichen „Befreiungsschlag“. Als hätte man ihr einen Stempel auf die Stirn gedrückt, auf dem „angekommen“ steht. „Abgesehen davon, dass der Park an sich so ein inspirierender Tag war, spiele ich seither freier. Ich habe nicht mehr das Gefühl, mich Track für Track beweisen zu müssen. Ich habe seit diesem Jahr auch eine Residenz im Frankfurter Tanzhaus West bei Move. Die Erfahrung, regelmäßig vor Stammpublikum zu spielen, möchte ich nicht mehr missen. Dort kann ich experimentieren, neue Tracks testen und – wie damals mit 15 – in der Disco mit einer Art Familie feiern.“

Die kalte Jahreszeit wird Anna Reusch für weitere Sessions im Studio nutzen. Anfragen von einigen Labels sowie potenziellen Kollaborateuren liegen bereits vor. Doch jetzt wird erstmal zur „Basara EP“ getanzt. / Triple P

Aus dem FAZEmag 045/11.2015