Ante Perry & Phil Fuldner – „Wir packen House wieder auf die Karte“

Manchmal gibt es ihn: diesen einen Moment, diesen einen „Aha“- und „Oho“-Moment, der einem die Augen öffnet. Fragt man Ante Perry und Phil Fuldner – unsere Mix-Verantwortlichen für den Monat März – nach diesem Moment, würden ihnen vermutlich 50 davon oder mehr einfallen. Die beiden kennen sich schließlich seit über 20 Jahren, haben Musik zusammen gemacht, für dasselbe Label gearbeitet und bezeichnen sich gar als „Zwillingsbrüder“ – jedenfalls im Geiste. Doch auch wenn die beiden so manche fabelhaften Erinnerungen zusammenschweißen, so war es doch dieser eine Gig im vergangenen Jahr, der nun dafür sorgt, dass die Freundschaft des Duos ein weiteres Level erreicht und neue, (noch) ambitionierte(-re) Wege einschlägt. Die Rede ist von ihrem gemeinsamen B2B-Set beim Sunset Beach Festival 2024 in Haltern am See, wo Perry und Fuldner vor über 10.000 Menschen performten und ähnlich ekstatische Emotionen auslösten wie bei ihrem B2B auf dem Mainfloor der Ruhr-in-Love, das allerdings schon fast zwölf Jahre zurückliegt. Umso größer das Verlangen, die neu generierten Synergien auf neue Projekte zu übertragen, von denen die beiden gleich mehrere an den Start bringen. Was es damit auf sich hat und wie Ante Perry und Phil Fuldner House wieder auf die Karte packen wollen, erfahrt ihr im großen Interview.

Phil & Ante – über 20 Jahre Freundschaft! Eine Anekdote von jedem, die eure gemeinsame Zeit perfekt beschreibt?

Ante: Während meiner Zeit als A&R-Manager bei Polo Records war Phil für einen Gig auf Sylt gebucht. Am Vorabend legte er allerdings noch in Österreich auf – sagen wir, es war eine intensive Nacht. Der Flug? Verpasst. Also improvisierte er: erst Zug, dann Taxi bis nach Dänemark, und dann überredete er kurzerhand einen Skipper, ihn per Boot nach Sylt zu bringen. Zehn Minuten vor seinem Set sprang er barfuß an den Strand und lief direkt zum DJ-Pult. Die Crowd hat gefeiert, als wäre das alles genau so geplant gewesen.

Phil: Das war definitiv kein Business as usual. Aber unvergessen bleibt auch der Morgen nach unserem Gig im Pacha München. Geplant war, am nächsten Tag zum Love Family Park nach Hanau zu fahren. Nach zwei Stunden Schlaf klingelte mein Hoteltelefon – Ante wollte sicherstellen, dass ich reisebereit bin. War ich natürlich nicht. Ich lag im Post-Alkohol-Koma und habe absolut nichts gehört. Irgendwann hämmert es an der Tür, und da steht Ante – in Boxershorts, mit nassen Haaren und Sonnenbrille – wie ein verdammter Drill-Sergeant. Ohne seine Aktion hätten wir es nie nach Hanau geschafft. Am Ende half nur ein Reparaturbier – oder zwei.

Was schätzt ihr am anderen besonders?

Ante: Phils Charme. Der Typ kann wirklich alle um den Finger wickeln. Schwiegermutter approved.

Phil: Antes Stimme. Der Bassbariton ist Feuerlöscher und Brandbeschleuniger zugleich.

Ihr nennt euch selbst Zwillingsbrüder. Ernsthaft?

Ante: Musikalisch definitiv. Äußerlich gibt’s eventuell kleine Abweichungen.

Phil: Wobei man da genau hinsehen muss. Unsere Mütter hätten uns fast bei der Geburt vertauscht.

Und was geht euch beim anderen auf den Sack (natürlich mit einem Augenzwinkern)? 

Ante: Phil liebt das Wort „Appendix“ und benutzt es so oft wie möglich. Ich frage mich, ob er irgendwann eine wissenschaftliche Abhandlung darüber schreibt.

Phil: Ante hat aufgehört zu rauchen. Ich mochte unsere kleinen Zigarettenpausen – obwohl ich selbst gar nicht rauche. Das war einfach ein schönes Ritual. Jetzt fehlt manchmal etwas.

Euer gemeinsames B2B beim Sunset Beach Festival 2024 in Haltern am See scheint ein Gamechanger gewesen zu sein. Was war so besonders?

Ante: Ich glaube, an diesem Tag, bei diesem Event wurde uns beiden klar: Wir müssen viel öfter zusammen auftreten – am liebsten auf großen Bühnen. Da lag etwas in der Luft. Eine besondere Magie, die uns und das Publikum gleichzeitig erwischt hat. Es war spontan, intensiv, auf den Punkt. 10.000 Menschen und alle waren Teil von etwas. Und das war ja nicht unser erstes Mal – wir standen schon vor über zwölf Jahren bei der Ruhr in Love zusammen auf dem Mainfloor. Ein legendäres Video davon gibt’s übrigens noch auf YouTube. Damals noch mit CDs.

Phil: Tatsächlich haben wir schon bei so vielen Gelegenheiten back 2 back gespielt, dass wir da extrem routiniert sind. Deshalb haben wir uns für Haltern auch nicht groß einen Plan zurechtgelegt – wir wollten einfach frei spielen. Und genau das hat diese Dynamik entfacht. Wir haben unfassbares Feedback auf dieses Set bekommen, von Leuten, die meinten, dass da so eine besondere Energie drin war. Das war der Moment, in dem wir dachten: Okay, da geht noch viel mehr.

Ein Resultat dieses Auftritts ist eine Reihe von gemeinsamen Gigs. Gibt’s schon Infos?

Ante: Klar. Wir spielen wieder beim Sunset Beach Festival, beim Stone Dance Festival – und beim Juicy Beats Festival haben wir sogar unseren eigenen Floor. Außerdem wird Phil quasi Resident bei allen „Ante Perry & Friends“-Veranstaltungen, wo wir neben Solo-Sets meistens am Ende noch B2B spielen.

Ihr sagt, ihr wollt „House wieder auf die Karte packen“. Ist es wirklich so schlecht um das Genre bestellt?

Ante: House war, ist und bleibt unser Ding. Ich will nicht sagen, dass es verschwunden ist, aber in Deutschland gibt’s kaum noch Clubs, die das regelmäßig anbieten. Auch große Festivals setzen aktuell wenig auf House und schieben lieber härtere Sounds nach vorne.

Phil: Das ist vor allem ein deutsches Problem. International sieht’s anders aus – House ist in vielen Ländern nach wie vor riesig. Dort gibt’s auch viel mehr House-Acts. Hierzulande kann man die relevanten Künstler*innen fast an einer Hand abzählen. Tech-House hingegen wird viel angeboten und gespielt. Ist übrigens auch ein wichtiger Bestandteil meiner Sets. Ich mag es durchaus auch gerne mal etwas härter.

Welche Acts und Labels aus dem House-Bereich stehen bei euch derzeit hoch im Kurs?

Ante: Atjazz, Mousse T, Kid Simius, Hatiras und Cinthie liefern gerade richtig ab. Defected ist für mich sowieso seit Jahrzehnten eine Bank, aber auch Phoenix Music und Spacedisco Recordings aus Toronto hauen konstant starke Releases raus. Und dann natürlich Kittball Records – die feiern dieses Jahr ihr 20. Jubiläum, absolut verdient!

Phil: Kolter finde ich aktuell richtig spannend, und die Toy-Tonic-Crew hat ein paar Künstler, die ich sehr feiere. Generell merkt man gerade eine schöne Renaissance von prägenden Acts wie Roy Davis Jr. oder Theo Parrish – wobei die ja eigentlich nie weg waren, nur ihr Einfluss auf die jüngeren Acts wird wieder stärker spürbar. David Bay finde ich auch sehr interessant, und wenn’s um Labels geht, checke ich immer gerne Public Possession, Stories oder No Art – da kommt fast immer etwas Spannendes.

Speed-House und Speed-Garage aus UK sind derzeit voll im Trend – ist das noch House oder kann das weg?

Ante: Safe House! Ich feiere es total, dass solche Sounds wiederkommen. Ich spiele die Tracks auch – meistens ein paar BPM langsamer, aber sie haben definitiv ihre Berechtigung.

Phil: Fand ich schon immer geil, weil ich auch eine große Liebe für Drum & Bass und Jungle habe. Das ist für mich die perfekte Brücke zwischen schnellen Breaks und House-Vibes.

Ihr seid nicht nur hinter den Decks wieder vereint, sondern auch im Studio. Was kommt da gerade bei euch raus?

Ante: Unsere erste gemeinsame Nummer war „One Look“, die auf meinem Album „Welcome To Perrydise“ gelandet ist. Eine richtig treibende House-Nummer – und Phil hat auch die Vocals beigesteuert. Und jetzt gibt’s bald Nachschub: Wir haben gerade einen brandneuen Track zusammen fertiggestellt.

Phil: Genau! Die Nummer ist zwar nicht klassisch housy quantisiert, aber definitiv House mit einer Prise Deepness. Der Sound ist so vielseitig, da gibt’s noch viel zu entdecken. Und ich habe mich gefreut, mal wieder ans Mikro zu gehen – diesmal nicht für einen kompletten Vocal-Part, aber für eine prägnante Hook, die sich durchzieht.

Am 8. März steigt eure Daytime-Party in der legendären Mischanlage Essen. Wie kam das zustande?

Ante: Ich habe ja letztes Jahr im November meine „Ante Perry & Friends“-Reihe im Studio Freischütz am Schwerter Wald gestartet – eine Location mitten im Grünen, die perfekt funktioniert. Mein Partner Econvent hat sich dann umgehört und kam mit der Idee, die Mischanlage der Zeche Zollverein als nächsten Spot anzugehen. Ich musste nicht lange überlegen. Diese Location ist einfach next level. Wir haben direkt losgelegt, die Genehmigungen besorgt – und Phil hat Clueso und seinen Bruder Martin Hübner für ein DJ-Set an Bord geholt. Jetzt ist das Event ausverkauft, und wir freuen uns extrem auf den Tag.

Phil: Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht, dass wir früh starten – ab 16 Uhr geht’s los. Wir haben festgestellt, dass Daytime-Partys unfassbar gut funktionieren, vor allem an so einem ikonischen Ort. Zollverein ist nicht irgendein Industriegebäude – das ist Geschichte pur. Früher haben hier riesige Trichter Kohle und Erz gemischt, heute bringt der Bass den Beton zum Vibrieren. Die Resonanz auf das Event zeigt: Es wird groß.

Die Zeche Zollverein verbinden viele eher mit Techno – nicht unbedingt mit House. Passt das überhaupt zusammen?

Ante: Absolut. Klar, Zollverein hat durch Events wie Third Room eine starke Techno-Historie. Aber House gehört genauso hierher – immerhin ist Detroit der Geburtsort von Techno und House. Es geht doch um die Energie, nicht ums Genre. Und unsere Crowd ist eine ganz andere.

Phil: Genau! Wir machen zwar in gewisser Weise eine Art After-Work-Event, was die Startzeit angeht – aber garantiert nicht vom Sound her. House bringt Groove und Soul in diese Kulisse, und wir sind sicher, dass es einfach passt. Wer das verpasst, wird es spätestens nach den ersten Videos bereuen (grinst).

Was, würdet ihr sagen, ist eure Mission?

Ante: House ist für mich mehr als Musik – es ist eine Haltung. Ein Raum, in dem alle gleich sind, in dem Herkunft, Status oder Geschlecht keine Rolle spielen. Gerade jetzt, wo so viel auseinanderdriftet, brauchen wir Orte, die verbinden. Unsere Mission ist es, genau diese Räume zu schaffen – Clubs, Festivals, Events, bei denen die Leute einfach zusammenkommen, tanzen, feiern und für ein paar Stunden den ganzen Wahnsinn da draußen vergessen.

Phil: Musik war schon immer der beste Klebstoff für Gemeinschaft. House-Music erst recht. Sie ist eine Einladung – zu Toleranz, Offenheit und Lebensfreude. Und genau das braucht es mehr denn je. Wir wollen mit unserer Musik Menschen zusammenbringen, gute Vibes verbreiten und für ein bisschen mehr Leichtigkeit sorgen. Klingt simpel, ist aber wichtiger denn je.

Und was bringt 2025 sonst noch für euch?

Ante: Meine Events im Studio Freischütz waren der Anfang, Essen wird ebenfalls fett – und es geht weiter. Im Mai folgt das nächste große „Ante Perry & Friends“ in Schwerte, aber wir planen noch weit darüber hinaus. Wir legen gemeinsam auf den großen Festivals auf, sind aber auch solo unterwegs – von Clubs in Deutschland bis zu internationalen Bookings in Kroatien oder der Schweiz. Die beiden monatlichen Radioshows bei Sunshine Live sind für mich ein Highlight, da kommen in diesem Jahr spannende Gäste ins Hauptstadtstudio nach Berlin. Und dann gibt’s natürlich neue Releases: auf beanape von dem Berliner Kixen, dem Schweizer Robin Hassler und von mir natürlich. Mein DJ-Kurs für Kids in Berlin bei der tollen Musikschule Tomatenklang liegt mir auch sehr am Herzen – House-Music braucht Nachwuchs.

Phil: Ich habe zu Jahresbeginn viel Zeit im Studio verbracht, und jetzt steht eine Reihe an Releases an, darunter Kollaborationen mit Matthias Tanzmann und wahrscheinlich auch mit Defex. „Phil’s Licks“ geht in die nächste Runde – am 2. Mai bringe ich Toy Tonics ins Oma Doris nach Dortmund. Und dann wird Ibiza ein großes Thema dieses Jahr. Was genau passiert, verrate ich noch nicht, aber es wird spannend. Generell: Wir sind viel unterwegs, viel gemeinsam, aber auch viel solo. Starke Locations, guter Sound, feine Drinks – und überall alte und neue Freundinnen und Freunde. Genau so soll es sein.

Aus dem FAZEmag 157/03.2025
Text: M.T.
www.philfuldner.com
www.anteperry.com