Einst war sie hinter den Kulissen eine feste Größe in der Techno-Szene, hat sich als Tourmanagerin, Labelassistentin und kreative Direktorin bei Gigolo Records sowie als Managerin von Terminal M und Gründerin der PR-Agentur Carousel PR einen Namen gemacht. Nach ihrem Rückzug aus der Musikindustrie und der Geburt ihres Sohnes fand sie eine neue Berufung in ihrem Leben und ist nun international bekannte Domina in Berlin. Heute ist Bella Lugosi, so ihr Künstlername, nicht nur eine preisgekrönte Domina, sondern bleibt auch musikalisch aktiv. 2022 veröffentlichte sie eine EP mit DJ Hell und Radio Slave, kurze Zeit später kollaborierte sie mit dem Witch House-Pionier Mater Suspiria Vision. Zudem plant sie, mit ihrem eigenen Label Dressing For Pleasure Records Musik für BDSM-Sessions zu veröffentlichen. Durch ihre Karriere spannt Bella Lugosi einen faszinierenden Bogen zwischen der Kunst des DJings und der Welt des BDSM, indem sie Menschen auf einzigartige Reisen mitnimmt – sei es durch die Macht der Musik oder die Intensität einer Session.
Bella, du hattest eine beeindruckende Karriere in der Musikbranche und hast für ziemlich renommierte Plattenfirmen gearbeitet. Kannst du uns mehr darüber erzählen und wie diese Erfahrungen deine Sicht auf die Musikindustrie geprägt haben?
Es war schon immer mein Traum, in der Musikbranche zu arbeiten. Ich komme aus einer sehr musikalischen Familie, mein Großvater hat neun verschiedene Instrumente gespielt. Ich habe mit 13 Jahren angefangen, Gitarre und Bass zu spielen, und einer meiner ersten Jobs war in einem Instrumentenladen. Eine Vertreterin von Virgin Records kam von Zeit zu Zeit in den Laden, weil sie in einen unserer Gitarrenverkäufer verliebt war. Einmal schenkte sie uns VIP-Karten für ein Konzert von A Perfect Circle, ich war damals etwa 17 Jahre alt. Ich weiß noch, wie ich dachte: „Wow, was für ein Traumjob!“ Ich wollte genau wie sie sein. Ich spielte in Bands und wusste, dass ich eine Karriere in der Musik machen wollte. 2002 zog ich nach Boston und studierte Musikproduktion und -technik und absolvierte ein Praktikum in den Q Division Studios.
Ich glaube, ich war schon immer ein Fetischist, und einige meiner ersten Fetische waren Vintage-Gitarren und Musikgeräte. Als ich beschloss, dass die Arbeit im Tonstudio zu erdrückend und zu sehr ein Boy’s Club war, und sich mein Musikgeschmack von Rockmusik zu elektronischer Musik verschob, wechselte ich zur Event-Promotion und zum Booking. Zusammen mit meiner besten Freundin Ariana, die man vielleicht als Dark-Acid-Techno-Queen aus New York kennt, DJ Volvox, begannen wir, unsere eigenen Partys zu veranstalten und internationale Acts zu buchen. Damals beschloss ich, nach Berlin zu ziehen, um in die dortige Szene einzutauchen, und es war mein damaliger Held DJ Hell, der bemerkte, was ich tat, und mich 2008 mit einem Visum nach Berlin holte. Nach meiner Zeit bei Gigolo habe ich bei Terminal M für Monika Kruse gearbeitet, bevor ich meine eigene PR-Agentur Carousel PR gegründet habe.
Mit deiner eigenen Agentur hast du mit vielen bekannten Künstler*innen zusammengearbeitet. Welche sind die prägendsten Erinnerungen für dich aus dieser Zeit?
Die Gründung meiner eigenen PR-Agentur war eine natürliche Fortsetzung der Arbeit, die ich bereits bei Gigolo Records geleistet hatte. Bei Gigolo war ich nicht nur Hells Tourmanagerin und leitete die kreativen Projekte des Labels, sondern ich war auch die interne Pressekoordinatorin während Hells „Teufelswerk“-Albumkampagne. Ich hatte den Überblick über die Kampagnen, die von beauftragten Agenturen wie Rebel Butterfly und EPM durchgeführt wurden, und setzte mich mit Magazinen und Journalist*innen in Verbindung. Ich erinnere mich an das befriedigende Gefühl, das Magazin in den Händen zu halten und Plattenkritiken oder Interviews mit dem Künstler zu lesen – damals, als gedruckte Musikmagazine noch florierten. Abgesehen davon, dass ich die physischen Exemplare des Albums selbst in den Händen hielt, empfand ich die Arbeit in der Öffentlichkeitsarbeit als sehr befriedigend. Ich hatte das Glück, mit meiner Firma Carousel PR mit einer ganzen Reihe von Künstlern zusammenzuarbeiten und erfolgreiche Kampagnen zu realisieren, u.a. für DJ Sprinkles, Hardfloor, Gregor Tresher, Butch, Glitterbug, Dusty Kid, Boxer Recordings und die Dokumentation „Speaking in Code“. Die meisten Platten, die ich promotete, fielen in die Kategorien House und Techno, aber ich hatte auch viel Spaß daran, Platten zu promoten, die aus dem Rahmen fielen, wie Downtempo, elektronischer Jazz und Trip-Hop.
Wie bist du, nachdem du dich aus der Musikbranche zurückgezogen hast und Mutter geworden bist, zu deiner Arbeit als professionelle Domina gekommen? Wie hat sich dieser Übergang für dich gestaltet?
In einem fremden Land Mutter zu werden, kann eine sehr isolierende Erfahrung sein. Ich glaube, viele Frauen finden sich in der Rolle der Mutterschaft verloren. Aber das wollte ich nicht zulassen. Als mein Sohn etwas älter war und in die Kita ging, begann ich, tief in mich zu gehen. Ich hatte eine erfolgreiche Karriere in der Musikbranche hinter mir, aber was nun? 2017 wurde ich für eine Modenschau/Performance in einem Fetischclub in Berlin gecastet und spielte die Rolle einer Domina. Anscheinend war ich ein Naturtalent und so überzeugend, dass mich nach dem Auftritt viele Leute angesprochen hatten, ob ich nicht Sessions machen möchte. Mir war das völlig fremd, aber da ich aus der Gothic-Szene komme und die Gothic- und Fetisch-Szene in Bezug auf Mode und Musik eng miteinander verbunden sind, beschloss ich, es zu versuchen. Ich hatte vorher keine Erfahrung mit Sexarbeit. Ich komme aus Amerika, wo Sexarbeit nicht legal ist. In Deutschland, wo Sexarbeit erlaubt und reguliert ist, befand ich mich plötzlich in dieser geheimnisvollen und bizarren neuen Welt, in der ich mich überraschend stark fühlte, fast so, als käme ich nach Hause. Ich hatte das Glück, in einem der damals berühmtesten Studios Deutschlands bzw. der Welt zu arbeiten, dem Studio Avalon, das heute leider geschlossen ist, in dem Frauen diese eindringlichen Erlebnisse für Männer schufen, die dankbare und hingebungsvolle Spielzeuge waren. Ich habe an meinen Fähigkeiten gefeilt. Ich bin jetzt seit sechs Jahren eine professionelle Domina und kann mir nicht vorstellen, etwas anderes zu tun.
Wie hat dein Hintergrund in der Musikindustrie deine Arbeit als Domina beeinflusst, wenn überhaupt?
Im Studio Avalon gab es eine erstaunliche Musiksammlung. Eines meiner ersten unvergesslichen Erlebnisse war, als ich einen Kollegen zu einer Session begleitete und die Musik extrem düster und atmosphärisch war. Ich erinnere mich, dass ich zurück ins Büro rannte, um zu checken, was gespielt wurde, und es war „Benevolence“, das Album von Deutsch Nepal aus dem Jahr 1993. Zu diesem Zeitpunkt begann ich wirklich zu verstehen, welchen Einfluss Musik in BDSM-Szenen hat. Ich merkte, dass es mir Spaß machte, Playlists für meine Sessions zu erstellen, die die Reise, auf die ich meine Gäste mitnahm, supporten sollten. Ich wurde schon immer für meinen Musikgeschmack gelobt, aber im Laufe der Jahre kamen auch Gäste aus anderen Ländern zu mir, weil sie eine Verbindung zu der Musik spürten, die ich in meinen Sessions spielte.
Du bist mittlerweile durch die ganze Welt gereist, hast über 100 Fetischfilme und sogar für Netflix gedreht. Die Netflix-Doku trägt den Namen Risque Business. Wie war diese Erfahrung für dich?
Es war sehr aufregend, mit dem Produktionsteam zu arbeiten. Koreanerinnen und Koreaner sind beim Thema Sex eher konservativ, im Gegensatz zu anderen asiatischen Ländern wie Japan oder Taiwan zum Beispiel. Es gab ein umfangreiches Auswahlverfahren, zu dem ein Videointerview mit dem Team in Seoul und ein persönliches Interview mit dem Produktionsteam in Berlin gehörten, das Monate vor den Dreharbeiten stattfand. Jeder, der schon einmal im Reality-TV mitgemacht hat, weiß, dass die Shows nach einem Drehbuch ablaufen. Aber das Drehbuch basierte auf unseren Interviews, und ich fand das Team sehr professionell, wirklich neugierig auf unsere Welt, und wir wurden sehr respektvoll dargestellt. Da die Sendung recht locker und humorvoll ist, war ich etwas besorgt, dass sie sich über Femdom oder Kink lustig machen könnten. Ich hätte nicht mitgemacht, wenn ich gedacht hätte, dass sie BDSM als eine Art komischen Witz darstellen würden. Deshalb war ich erleichtert und dankbar, dass sie etwas geschaffen haben, das visuell unterhaltsam, aber auch menschlich und respektvoll gegenüber der wichtigen Arbeit ist, die wir leisten.
Du hast dich kürzlich weiter mit Musik beschäftigt, eine EP auf MISBHV Recordings veröffentlicht und mit Mater Suspiria Vision zusammengearbeitet.
Ich saß eines Tages zu Hause und bekam zufällig eine Nachricht von DJ Hell, dass er mit Radio Slave im Studio war und sie mich für ein paar Vocals haben wollten – und zwar sofort! Ich nahm die Parts zu Hause auf und schickte sie sofort an die Jungs und ehe man sich versah, gab es eine EP mit zwei Tracks, „Latex Lover“ und „Let’s Misbhv“. Hell und Matt sind Legenden und die Geschwindigkeit, mit der alles zusammenkam, war erstaunlich. Die Zusammenarbeit mit Cosmotropia de Xam von Mater Suspiria Vision kam zustande, weil ich schon in der Witch-House-Ära ein Fan seiner Arbeit war und ich durch unseren gemeinsamen Freund Juju Christian, dem der Plattenladen Art Box in Ravensburg gehört und der im Club Douala quasi zuhause ist, eine persönliche Verbindung zu ihm hatte. Ich fragte Christian, ob Cosmo an einer Zusammenarbeit interessiert sei und er sagte mir, ich solle es versuchen. So kam ich mit Cosmo in Kontakt und wir fingen an, uns über unsere Einflüsse in Film und Musik auszutauschen und man konnte sehen, dass die Chemie zwischen uns stimmte. Kurz darauf beschlossen wir, gemeinsam an einem Filmprojekt zu arbeiten, das meine erste Hauptrolle in einem abendfüllenden Film wurde: „Liaisons Dangereuses X“. Darin geht es um eine Frau, die in der Großstadt lebt, nach Liebe sucht und mit einer dunklen Doppelgänger-Erfahrung kämpft. In ihrem verzweifelten Versuch, Liebe zu finden, erliegt sie allmählich dem dunklen Begleiter in ihrem Inneren.
Wie war es, mit Mater Suspiria Vision in Amsterdam live aufzutreten, und was können die Fans von euren kommenden Auftritten in Berlin erwarten?
Cosmotropia de Xam ist auf allen Ebenen eine so produktive kreative Kraft, und alle Filmprojekte, die er macht – ich glaube, er ist jetzt bei 43 Filmen angelangt – werden durch Alben und Live-Auftritte ergänzt. Wir beschlossen, die Dreharbeiten zu seinem zweiten Film „Videobrain“ in Amsterdam mit einem Live-Auftritt zu verbinden. Die Show fand im OT301 statt, einem berühmten besetzten Punkhaus in Amsterdam. Es war die perfekte Location, wir haben einige Klassiker aus dem Mater-Suspiria-Vision-Backkatalog gespielt, und obwohl wir auf der Bühne sehr nervös waren, denke ich, dass unser Auftritt visuell atemberaubend war. Der gesamte Auftritt wurde gefilmt und auf eine DVD geschnitten, „Mater Suspiria Live in Amsterdam“. Wir haben die Aufnahmen vom Soundboard mit Multikameraperspektiven und visuellen Überlagerungen kombiniert, um ein beeindruckendes akustisches und visuelles Erlebnis zu schaffen. Demnächst erscheint auch der Soundtrack zu „Liaisons“ mit meinem Gesang und der Musik von Mater Suspiria Vision.
Du arbeitest an deinem eigenen Plattenlabel, Dressing For Pleasure Records, das Musik für BDSM-Sessions veröffentlichen wird. Welche Vision steht hinter diesem Label?
Meine Vision ist es, ein Imprint für elektronische Musik und andere kreative Projekte zu gründen, die die Überschneidung von Musik, Fetischkultur und visueller Kunst erforschen. Ich möchte Musik speziell für BDSM-Sessions veröffentlichen. Das ist natürlich ein sehr breites Spektrum, was die Genres angeht, aber im Allgemeinen soll die Musik während einer Session die Reise erleichtern und sie nicht überwältigen. Es geht darum, eine Atmosphäre zu schaffen, und das ist etwas, das DJs verstehen. Der Name Dressing For Pleasure ist von dem berühmten Buch mit demselben Titel inspiriert. Es ist eine Sammlung alter Fetisch-Fotos, viele davon aus dem Fetisch-Magazin Atomage, von Menschen, die sich zu Hause in extravaganten Gummi- und Leder-Looks kleiden. Ich war daran interessiert, die Parallelen zwischen musikalischer und körperlicher Glückseligkeit zu erforschen, indem ich meine musikalische und kreative Vergangenheit mit meinen Kenntnissen in Körperarbeit, Psychologie und bizarren Fetischpraktiken verband – das Ergebnis ist eine sehr persönliche kreative Vision. Die erste EP wird eine Compilation namens „Subspace Volume 1“ sein und ich habe bereits Tracks von Carl Finlow und Antoni Maiovvi unter Vertrag. Es sind tiefe, hypnotische Synthie-Tracks, in denen man sich verlieren kann. Ich arbeite mit Trevor Jackson an dem Logo-Design.
Du hast erwähnt, dass du Playlists für deine Sessions erstellst und dass du für deine Musikauswahl bekannt bist. Führe uns doch mal durch den Inhalt dieser.
Ich habe jede Menge Playlists, je nach Art der Session und des Stücks. Ob Dark Ambient, sexy Techno, Lofi-House, Dark Jazz-Noir oder moderne Klassik. Einmal habe ich eine Heavy-Gummi-Session mit einem Krüppel in einem Latex-Vakuum-Bett gemacht. Ich stand einfach über ihm und rauchte und benutzte seinen Mund als Aschenbecher. Der Soundtrack dazu war „Songs of Gods and Demons“ von einem meiner Lieblings-Dark-Ambient-Künstler, Lustmord. Es war so kraftvoll. Es waren keine Worte nötig. Nur diese grüblerische, unheimliche Klanglandschaft um uns herum.
Welche Parallelen siehst du zwischen DJing und BDSM, vor allem wenn es darum geht, Menschen auf eine Reise durch Musik und Erfahrung mitzunehmen?
Ich habe schon oft gesagt, dass meine Sessions ein bisschen so sind, als würde ich den Körper von jemandem auflegen. Wie bei einem guten DJ-Mix ist die Storyline ein wichtiger Bestandteil einer guten SM-Session. Eine dynamische Reise, die von abwechselnden Momenten der Spannung und Entspannung unterbrochen wird. Es gibt ein Intro, mit dem du jemanden aufwärmst und seinen Kopf auf das Spiel einstimmst, um ihn in den Bann zu ziehen. Dann gibt es Wellen von Schmerz und Vergnügen, die genau getaktet sind. Das alles baut sich zu einem euphorischen Höhepunkt auf, bevor es zum Ende hin abklingt. Ein gutes Beispiel dafür ist meine Session-Playlist auf Spotify, die genau auf eine zweistündige Session abgestimmt ist. Die Playlist beginnt mit „Antennaria“ von Biosphere und baut sich langsam auf, mit genau der richtigen Menge an cineastischem Drama, Trip-Hop, eiskaltem Elektro und etwas Carlos Perón. Jedes BDSM-Studio hat irgendwo eine CD-Kopie von „La Salle Blanche“. Es ist ein Klassiker (lacht). Bevor es mit ein wenig verlorenem Jazz ausklingt und schließlich in den glückseligen Schlusstrack von William Basinksi übergeht. Ich schaue während der Sessions nicht gerne auf die Uhr, also habe ich die Playlists auf die Länge der Session abgestimmt. So weiß ich genau, wo wir sind und die Musik passt perfekt.
Zu guter Letzt: Welchen Rat würdest du jemandem geben, der wie du von einer eher konventionellen Karriere zu einer unkonventionellen wechseln möchte?
Es gibt nie einen Grund, Angst zu haben. Unsere Zeit auf dieser Erde ist begrenzt und die Welt ist derzeit ziemlich verrückt, also ermutige ich jeden, seinem Herzen und seinen Träumen zu folgen. Viele Jahre lang war es mein Traum, in der Musikindustrie zu arbeiten, und das habe ich erreicht. Habt keine Angst, euch neue Ziele zu setzen und neue Wege im Leben zu gehen. Vor allem Frauen. Bleibt dran, strebt weiter, entwickelt euch als Person und Künstlerin weiter.
Aus dem FAZEmag 150/08.2024
Text: Rafael Da Cruz
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