„Berlin Undercover“ – Eine Hommage an den Sound der Hauptstadt

BB Deng

Berlin, Berlin, du bist so wunderbar. Keine andere Stadt auf der Welt verkörpert die elektronische Musikkultur derart wie die Metropole an der Spree. Aber das ist ja bekanntlich nichts Neues. Neu ist hingegen die jüngste Compilation des Labels Sound of Berlin, die als Katalognummer 023 und unter dem Titel „Berlin Undercover“ veröffentlicht wird. Dahinter verbirgt sich eine kunterbunte Hommage an den Berliner Sound aus vier Jahrzehnten, von Prog-Rock der 1970er und New Wave der 1980er bis hin zu Trance der 1990er und Downtempo der Nullerjahre – alles ins 21. Jahrhundert versetzt und zu einer riesigen Dosis Big-Room-Grooves, pulsierendem Electro-Funk, glitzerndem Synth-Pop, rauchigem Deep House und pulsierendem Techno verarbeitet. Für die Umsetzung des Konzepts haben die Label-Verantwortlichen aus dem Vollen ihres Repertoires geschöpft und zehn Künstler*innen zusammengetrommelt, die sich jeweils eine ikonische sowie für sie persönlich bedeutsame Nummer zur Brust genommen haben, um daraus ihre eigene Cover-Version zu basteln. Vertreten sind CYRK, Low Volume, Northern Vector, Olin, Marc Houle, Cleymooe, Anton Kubikov, Dan Curtin sowie der gebürtige Iraner Namito und die in Hongkong geborene BB Deng. Wir haben die beiden zum Interview gebeten.

Namito, Foto: Ben Wolf

Hallo, ihr beiden. Ihr seid ja jeweils zu völlig unterschiedlichen Zeitpunkten und mit verschiedenen Motiven in die deutsche Hauptstadt gezogen. Was waren eure Beweggründe und wie habt ihr die Anfangszeit erlebt?

Namito: 1985. Ich war 13 Jahre alt und der Krieg zwischen dem Iran und dem Irak dauerte bereits fünf Jahre an. Meine Eltern befürchteten, dass ich an die Front geschickt werden würde und beschlossen, dass ich ohne sie in West-Berlin bei meinem Onkel besser aufgehoben war. Ohne mich zu fragen, bereiteten sie meinen Umzug in die Hauptstadt vor. Trotz des Krieges wollte ich nicht weg, und so war der Anfang meines Lebens in Berlin ziemlich schwierig.

BB Deng: Ich war damals DJ in Asien und besaß einen eigenen Club. Während dieser Zeit reiste ich gelegentlich nach Berlin oder in andere europäische Städte und legte dort auf. Obwohl ich einen Vertrag bei einer großen Agentur in China unterschrieben hatte, fasste ich den Entschluss, nach Berlin zu ziehen. Nicht nur, weil es das Epizentrum der elektronischen Underground-Musik war, sondern auch, weil ich das Gefühl hatte, hier wirklich „atmen“ zu können und die passenden Leute zu treffen. Ich war mit dem Leben in China nicht mehr zufrieden und bereit, mich neuen Herausforderungen zu stellen, nachdem Peking 14 Jahre lang mein Zuhause war. Die Anfänge in Deutschland waren schwieriger, als gedacht: Eine neue Sprache erlernen, sich neu sozialisieren und nach künstlerischen Entfaltungsmöglichkeiten in einem höchst kompetitiven Umfeld suchen – man musste sein ganzes Leben auf den Kopf stellen. Letztlich war es die richtige Entscheidung. Ich bin sehr glücklich, hier zu sein.

Du bist nach wie vor viel in Asien unterwegs und spielst regelmäßig auf den größten Festivals des Kontinents. Für die meisten westlichen Anhänger*innen der elektronischen Musik ist die Szene dort wohl eher eine unbekannte Variable, insbesondere in China. Erzähl uns etwas über die Gegebenheiten dort.

BB Deng: Die Szene in Asien ist in den letzten zwei Dekaden stark gewachsen, auch in China. Künstler*innen aus der westlichen Welt erfreuen sich auf den großen Festivals des Landes großer Beliebtheit, was es wiederum für die lokalen Artists schwierig macht, wahrgenommen zu werden. Es gibt weniger Möglichkeiten, elektronische Underground-Musik zu releasen, da es weniger Labels gibt und der Zugriff auf den westlichen Markt schwer zugänglich ist. Einen Anteil daran trägt natürlich auch die Regierung, die eine strikte Zensur bzw. Regulierung von künstlerischen und kulturellen Unternehmungen vornimmt. Mit meinem Label Ego Riot möchte ich versuchen, die Grenzen zwischen West und Ost aufzuweichen und Brücken zu bauen.

Namito, gibt es Ereignisse deiner langjährigen Berlin-Zeit, die du als Meilensteine bezeichnen würdest? Du vermisst sicher die guten alten Zeiten im Sternradio und im Tresor, oder?

Namito: Es gab viele Höhen und Tiefen. Zu den Meilensteinen zählt sicherlich meine Residency im Tresor 1995, ja. Erwähnen muss ich aber auch Andreas Grosser – ein Typ, der mich kaum kannte und mir sein Studio im Wert von Hunderttausenden Euro überließ und es mir über 20 Jahre lang zur Verfügung stellte. Leider ist er letztes Jahr von uns gegangen. Ich verdanke ihm alles. Bezüglich der zweiten Frage: Ich bin ein Mensch, der ständig versucht, sich neu zu erfinden. Ich vermisse die alten Zeiten also nicht. Ich bin froh, dass ich sie erlebt habe!

Du lebst jetzt schon fast 40 Jahre in Berlin und bist mit der Szene bestens vertraut. Wie würdest die aktuelle Entwicklung der (elektronischen) Berliner Subkultur bewerten? Was gefällt bzw. missfällt dir?

Namito: Darüber habe ich letztens mal mit einem Freund gesprochen. Ich liebe es, dass die Leute in den Clubs nach wie vor superoffen sind – im Allgemeinen, aber auch gegenüber neuen musikalischen Abenteuern. Verärgert bin ich über die Glorifizierung mancher Clubs und die miserable Bezahlung der Künstler*innen. Das ist sehr despektierlich und einfach nur ein Spiel der Macht.

Es ist an der Zeit, um über „Sound of Berlin“ zu sprechen. Erzählt uns etwas über eure Beiträge zur Compilation.

Namito: Energy 52s „Café Del Mar“ hat meine Karriere maßgeblich beeinflusst. Ich erinnere mich noch an die Euphorie, die er beim ersten Hören in mir ausgelöst hat. Ich war damals sehr beeindruckt von Kid Paul als DJ. Eine Cover-Version dieses Meisterstücks anzufertigen, fühlte sich fast heilig an.

BB Deng: New Order war immer eine meiner Lieblingsbands und ist es auch heute noch. Zuletzt wurde ich von Mark Reeder zu einer Live-Performance der Band in Berlin eingeladen. Ich war so bewegt von dem Konzert, dass ich mich dazu entschied, den Song „Bizarre Love Triangle“ zu covern.

Wir sind sicher, dass die beiden Tracks nicht die einzigen waren, die euch für eine Cover-Version in den Sinn kamen …

Namito: Das stimmt. Anfangs wollte ich „Shake The Disease“ von Depeche Mode covern, denn dies war der erste Track, der mir nach meinem Umzug nach Berlin im Kopf hängen blieb. Die elektronischen Sounds waren unglaublich. Ich habe dann aber irgendwann gemerkt, dass ich zu „Café Del Mar“ einen (noch) persönlicheren Bezug habe.

BB Deng: Witzigerweise habe auch ich ursprünglich einen Track von Depeche Mode in Betracht gezogen: „A Question Of Time“. Einen 80s-Synth-Wave-Song zu covern, klang sehr interessant und herausfordernd für mich, da sich die Konfrontation mit vielen Lyrics und Melodien weniger Remix-mäßig anfühlt, sondern nach einem echten Cover.

Was ist eure persönliche Geschichte mit dem Label?

Namito: Nun, ich war die erste Person, die auf Sound of Berlin releast hat (lacht).

BB Deng: 2021 kam der A&R-Verantwortliche von Sound of Berlin, Pawas Gupta, auf mich zu und fragte mich, ob ich nicht eine EP auf dem Label veröffentlichen wolle. Wir hatten uns vorher nie getroffen. Ich war sofort begeistert von der Sound-of-Berlin-Philosophie und meine EP wurde mit Wohlwollen aufgenommen. Ich bin sehr dankbar dafür, gerade weil ich ja noch ein recht frisches Gesicht in Berlin bin.

Schließen wir das Interview doch mit einer Berlin-Anekdote von euch. Was war das Verrückteste, das ihr in der Stadt erlebt habt?

BB Deng: Ihr meint verrückt im Sinne von eine Wohnung zu finden oder die Clubtoiletten aufzusuchen? Spaß beiseite, ich denke, es waren meine Auftritte bei Paraden wie Rave The Planet oder Zug der Liebe. So etwas gibt es in Asien nicht und es ist einfach nur irre, wenn quasi die ganze Stadt involviert ist.

Namito: Womöglich, als ein Kind neben dem Dancefloor auf der Loveparade 1999 zur Welt kam.

„Berlin Underground“ (Sound of Berlin 023) ist am 2. Juni erschienen.

 

Aus dem FAZEmag 136/06.2023
Text: Hugo Slawien
Foto Namito: Ben Wolf
www.soundofberlin.net