Björn del Togno – 20 Jahre

Foto: Varvara Kandaurova

Es war 2002, als der in Saarbrücken lebende Björn del Togno seine DJ-Karriere lancierte und in den Folgejahren die regionale, aber auch überregionale Szene mit seinen DJ-Sets bespielte und seinen Namen auf immer mehr Flyern und Events platziert sah. 2006 startete er eine zwei Jahre andauernde Residency im berühmt-berüchtigten Palazzo, 2013 eröffnete er mit dem Silodom in Saarbrücken einen eigenen Club mit, wo er bis heute regelmäßig spielt. Mit Pirates Are Loud folgte 2018 dann das eigene Label. Genau dort ist bereits im Mai mit „Lovewarriors“ eine EP mit vier Originalen sowie fünf Remixen erschienen. Ein Aufruf zu Frieden und ein gebührender Output, um seine 20 Jahre als aktiver Bestandteil der Szene zu zelebrieren. Darüber hinaus ist del Togno Mitgründer, Vorstand und Resident-DJ vom Musik- und Kulturareal „Sektor Heimat“ in Saarbrücken und Gründer der Non-Profit-NGO Wiwo e.V.

Björn, Glückwunsch zum 20-jährigen DJ-Jubiläum, wie geht’s?

Vielen Dank. Geht mir bestens, ich habe nichts zu motzen. War schon beim Sport, hab lecker gegessen, Blumen gegossen, quasi alles erledigt. Nur zum Friseur könnt ich ma wieder.

Das geht uns in der Redaktion oftmals ähnlich. Zwei Jahrzehnte Künstlerdasein, wie rekapitulierst du diese Zeit – kannst du dich noch an deine Anfänge erinnern?

Wunderbare Frage, endlich kann ich mal den Märchenonkel raushängen lassen und Erzählungen mit „Damals …“ beginnen. Damals, als die Gummistiefel noch aus Holz waren, als im Sixpack noch acht Flaschen waren und so weiter. Und Onkel bin ich vorgestern tatsächlich geworden. Jedenfalls begann alles im dunklen Keller in meinem Elternhaus. Dort gab es zwei Turntables und ein Mischpult. Nach der Schule wurde dort täglich geübt, statt Hausaufgaben zu machen. Ich denke, diese Priorisierung war in Ordnung. Ich war 15 oder 16 Jahre alt zu der Zeit. Wobei ich meine erste Platte gespielt habe, als ich drei Jahre alt war. Also 1985. „Ob-La-Di Ob-La-Da“ von den Beatles. Dann nahmen die Dinge ihren Lauf, auf Privatpartys musizieren, DJ-Contest gewinnen, dadurch dann erster Gig in einem Club, weitere Anfragen und so weiter. Generell war und ist die Techno-Kultur etwas ganz Besonderes, was einem sehr viel Energie, Freude und Liebe gibt, ja, auch irgendwie Familie, Rückhalt und Gemeinschaft. Es hat sich aber auch viel getan bzw. geändert über die Jahre. Die Szene ist nicht zuletzt aufgrund der Digitalisierung extrem gewachsen. Es ist jetzt viel einfacher, aufzulegen oder ein Lied zu produzieren. Eigentlich muss man ja nur noch im Takt auf Play drücken. Jedenfalls gibt es daher immer mehr DJs und Produzent*innen, die fixen ihre Crowd an, und schon wächst und wächst das Ganze immer weiter.

Was sowohl Vor- sowie Nachteile hat, oder?

Genau. Auf der einen Seite sehr gut, wenn eine Technowelle voller „Gude Laune Alda“ durch die Gesellschaft schwappt, auf der andern Seite geht Qualität verloren. Früher hat man Platten von seinen Lieblingsmusiker*innen lange vorbestellt und sich unendlich gefreut, wenn endlich der Paketbote geklingelt hat. Heute kauft man einen Track und hat ihn morgen schon wieder vergessen. Aber das ist Entwicklung. Investieren wir eben einfach ein bisschen mehr Zeit in das Suchen von Liedern, die einen wirklich berühren. Ansonsten, finde ich, waren in der Vergangenheit Themen wie Respekt, Gleichberechtigung, Diversität und Co. irgendwie authentischer. Man hört diese Begriffe zwar heute überall und liest sie auf allen Flyern und Clubbeschreibungen. Aber hat das oftmals nicht rein marketingtechnische Gründe, weil man das eben gerade so macht? Ich meine, wie viele Menschen werden jedes Wochenende an Clubs abgewiesen, weil sie nicht die passende Uniform tragen. Dieses „Jeder ist willkommen und wir respektieren alle“ habe ich in den Anfängen jedenfalls intensiver und echter empfunden.

Club ist ein gutes Stichwort. Du bist nicht nur als DJ und Produzent unterwegs, sondern auch Teilhaber eines Clubs und Mitbegründer bzw. Vorstand eines Kulturareals. Erzähle uns mehr zu den Projekten und vor allem zu den Herausforderungen nach der Pandemie und den Plänen für die nahe Zukunft.

Zur Pandemie kann ich nur sagen, ich bin sehr froh, dass wir in Deutschland leben. Es hat zwar anfangs etwas gedauert, aber es wurde unfassbar viel getan für die Clubszene. Es entsteht eine weltweite Krise, für die wohl niemand etwas kann, weil es einfach Natur und evolutionsbedingt so ist, dann füllt man ein paar Zettel aus, schickt diese ab und bekommt seine Kosten gedeckt. Das ist schon verrückt. Was ich während der Zeit und kurz danach spannend fand und ich mich immer wieder gefragt habe: Welche Musik funktioniert denn eigentlich, wenn es wieder losgeht? Was wollen die Menschen hören, vor allem die jüngere Generation zwischen 18 und 20 Jahren, die ja bis dato noch nie in einem Club waren? Läuft alles wie vorher? Gibt es neue Trends? Ein Resümee habe ich für mich noch nicht gezogen. Ansonsten sind wir sehr froh mit unserem Areal in Saarbrücken. Wir haben da unseren Club Silodom, ein Café und eine Warehouse-Location, die wir sechsmal im Jahr bespielen. Alles schön am Wasser gelegen am Rande eines Naturschutzgebiets. Der Ort ist jetzt schon wunderbar und wird in den kommenden Jahren wachsen und gedeihen. Das Programm für die kommenden sechs Monate steht. Von Clubveranstaltungen, Outdoor-Konzerten, Open-Air-Kino, Weinverköstigungen bis Straßenfesten ist alles dabei. Saarbrücken ist jedenfalls zusammen mit Barcelona meine Lieblingsstadt. Also, wer noch nicht hier war, sollte schnell kommen. Einfach bei mir melden, dann geb ich ne Limo aus (lacht).

Welche Meilensteine sind dir in den zwei Jahrzehnten besonders in Erinnerung geblieben?

Irgendwie fällt mir da als Erstes die Loveparade 2001 ein. Mit einem alten Peugeot 206, inmdem wir dann irgendwann auch zu fünft übernachtet haben, sind wir nach Berlin gedüst. Irgendwo geparkt, ausgestiegen und dann ging’s quasi los. Aus allen Richtungen in der ganzen Stadt wummerte Musik. An der Lautstärke konnte man sich orientieren, in welche Richtung man gehen musste. Und dann war man irgendwann mittendrin und es war schlichtweg überwältigend. Ein Gänsehautmoment nach dem anderen. Siegessäule, eineinhalb Millionen sich freuende, tanzende Menschen. Rechts Sonne, links Regen, in der Mitte ein Regenbogen und dann läuft „Insomnia“ von Faithless. Oder mein erster Besuch im alten Tresor. Ich war 17, bin die Treppe dort runter. Nebel, Stroboskop, Feuchtigkeit, Detroit-Techno. Sichtweite maximal ein Meter, man musste sich vortasten. Es war wundervoll. So Geschichten könnte ich noch einige erzählen. Jedenfalls wurde dadurch immer wieder klar, dass Musik und die Technokultur der für mich richtige Weg sind. Herausfordernd war es für mich für mich irgendwann zwischen 2006 und 2008. Mein damaliger Resident-Club musste schließen und ich war auch überregional noch nicht so oft gebucht. Aber es ging weiter, die Musik und die Leidenschaft haben gewonnen.

Du betreibst ein NGO mit Fokus auf Uganda und Kamerun. Das finden wir großartig. Erzähle uns etwas darüber.

Das ist mein Herzensprojekt. „Wiwo“ heißt der Verein und ist komplett non-profit orientiert.

Ich bin schon immer viel gereist, vor allem durch Afrika und Südamerika. Auf Reisen lernt und sieht man sehr viel und hat aufgrund weniger Alltagsverpflichtungen viele freie Hirnkapazitäten für Kreatives sowie Ideen. Vor allem bei meinen Touren durch die afrikanischen Länder ist mir immer wieder diese unglaubliche Herzlichkeit der Menschen begegnet. Bei so einer Reise ist auch die Idee zum Verein entstanden. Es gab einen Arzt in Kamerun, der Woche für Woche unentgeltlich Dörfer anfährt um dort Menschen ohne finanzielle Möglichkeiten zu behandeln und zu operieren. Ich war bei einer Kampagne dabei, bei der er mit seinem Team 42 Stunden am Stück gearbeitet hat. Teilweise nachts mit Kerzen und Taschenlampen, weil es dort keinen Strom gab. Um seine Arbeit zu optimieren, brauchte er unter anderem ein Auto. Dieser Umstand hat mich nicht mehr losgelassen, ich musste ihm irgendwie ein Auto besorgen. Zu Hause angekommen habe ich davon in meinem Freundeskreis berichtet. Zwei Monate später war der Verein gegründet und wir fingen an, mit Kuchenverkäufen und Musikveranstaltungen Geld zu sammeln. Knapp ein Jahr später hatte der Mann sein Auto. Er fährt jetzt, zehn Jahre später, immer noch. Wir haben mittlerweile Projekte in acht Ländern durchgeführt. Die größten in Uganda, da haben wir ca. 300 Patenkinder und darüber hinaus drei Schulen finanziert. Aktuell bauen wir mit unseren Partnern vor Ort eine Inklusionsschule.

Das ist beeindruckend. Trotz all dieser Reisen – wie sehr hat sich Saarbrücken auf dich als Künstler ausgewirkt?

Wir haben für unsere recht kleine Stadt auch aufgrund der Lage im Dreiländereck Deutschland, Luxemburg, Frankreich eine sehr große Kultur- und Musikszene. Wir arbeiten hier auch viel mit Freunden und Musiker*innen über die jeweiligen Landesgrenzen hinaus. Ansonsten waren meine beiden ersten Residencies in Saarbrücker Clubs und mein aktueller Lieblingsort, unser Silodom, ist ebenfalls hier. Es gibt hier sehr viele kreative Köpfe in der Stadt, daher hat sich die Stadt sicher irgendwie auf meine Musik ausgewirkt, wie genau, kann ich allerdings nicht beschreiben. Man wächst und entwickelt sich irgendwie zusammen.

Bereits im Mai ist auf deinem Label eine XXL-EP erschienen mit vier Originalen sowie fünf Remixen. Wie ist die Idee zu „PEACEWEAPON“ entstanden und wie bist du bei der Remixer-Auswahl vorgegangen?

Ich hatte einen recht guten Flow im Studio. Dann waren ziemlich schnell die vier Liedchen da. Ich dachte, irgendwie ist es spannender und vollkommener, wenn es noch weitere Interpretationen davon gibt. Ich habe lange überlegt, wen ich als Remixer anfrage. Wichtig war mir, dass es abwechslungsreich ist, und deshalb habe ich mich für die fünf Protagonisten PTU, Nocow, Momec, Avgusto und unser Nachwuchstalent und Clubeigentum Gieszack entschieden. Tausend Dank mal an der Stelle, dass alle sofort zugesagt hatten. Ich bin auch hochzufrieden mit den Mixes. Die Lieder sind schon vor weit über einem Jahr entstanden. Ich hielt das Release nur noch zurück wegen der Pandemie. Der Titel „Peaceweapon“ war verrückterweise schon vor dem aktuellen Krieg fix. Mir war oder ist es wichtig, auch mit meiner Musik eine Message zu transportieren. Ist jetzt bei Techno gar nicht so leicht, da ich jetzt nicht im Break anfangen kann zu singen. Aber dann eben durch den Titel. „Frieden“ war und ist für mich schon immer eine der wichtigsten Messages, die es zu verbreiten gilt.

Auch dein Label Pirates Are Loud hat sicherlich eine Message, oder?

Mir ist beim Label die künstlerische Freiheit enorm wichtig. Ich mag dem Label keinen Stempel geben oder etwaige Schubladen von 142,83 bpm aufdrücken oder Ähnliches. Das schränkt zu sehr ein irgendwie. Heute hat man Lust auf das, morgen auf etwas anderes. Wichtig ist, dass mich die Tunes irgendwie berühren und froh machen. Als nächstes kommt die erste EP von meiner Freundin Lea Lindner mit vier Remixes. Danach gibt es nochmal eine kleine Compilation, und alles Weitere ist noch geheim aka weiß ich in Wirklichkeit noch nicht. „Pirates are Loud“ ist irgendwie auch eine Wundertüte, auch für mich als Betreiber. Nur ohne Nieten, denn hier gibt’s nur Gewinne.

Der Sommer ist da, dein Tour-Schedule ist lang. Was sind deine Pläne, gerne auch außerhalb der Musik, für den Rest von 2022?

Ich plane, nichts zu planen. Ich reise ja gerne und habe noch ein paar Auftritte in spannenden Städten. Ich denke, da werde ich immer mal ein, zwei Tage dranhängen. Und ganz bestimmt noch ein Tourchen mit dem Camper durch Frankreich, vielleicht im Winter nach Island und zum Projekt nach Uganda müsste ich auch nochmal. Mal sehn, was passiert. Ansonsten genieße ich das Leben und spiele mein selbst erfundenes Lieblingsspiel. Das heißt „Urlaub“. Man tut einfach so, als sei man im Urlaub, obwohl man zu Hause ist. Man kann sich ein Land ausdenken, hört Musik von dort und kocht das passende Essen dazu. Macht Spaß und satt.

Aus dem FAZEmag 125/07.2022
Text: Triple P
Foto: Varvara Kandaurova
www.instagram.com/bjoerndeltogno