
„Ein Label für neue zeitgenössische Instrumentalmusik und Künstler*innen, die sich nicht an Formate halten.“ Mit dieser Ankündigung hat das in Hamburg neu gegründete Label Blue Marble die Katalognummer BLU0001 veröffentlicht. Janus Rasmussen und David Bergmüller kollaborierten dabei auf dem Titel „Ado“. Bis dato sind auf dem Imprint drei EPs und einige wenige Remix-EPs erschienen. Mit „Utopian Traveller“ von Martin Rott sowie „#4“ von Illuminine, seines Zeichens A&R des Labels, sind im Oktober respektive November außerdem die ersten zwei Langspieler erschienen.
Das Jahr war für Kevin Imbrecht, wie Illuminine mit bürgerlichem Namen heißt, ein sehr arbeitsreiches: „… zeitgleich war es aber auch das lohnendste Jahr in meinem Leben. Die Albumveröffentlichung von ,#4‘ und die Release-Shows in meiner Heimat Belgien sind gerade vorbei. Ich bin sehr glücklich, dass alles so gut gelaufen ist und ich bin auch irgendwie erleichtert, dass die Musik von ,#4‘ endlich von allen gehört werden kann. Lange Zeit war dieses Album meine Art Geheimnis und es fühlt sich gut an, dass die Musik nun ihr eigenes Leben führen kann und ihren Weg zu den Hörer*innen findet.“
Wie der Titel dabei bereits verrät, ist es sein viertes Werk: „Es hat sich natürlich viel verändert, seitdem ich 2015 mein erstes Album veröffentlicht habe. Neben unserer Gesellschaft hat sich auch die Musikindustrie stark verändert. Als ich zum Beispiel anfing, ,#1‘ zu schreiben, waren Spotify oder andere digitale Streamingdienste in der Öffentlichkeit noch nicht so bekannt. Natürlich verändert man sich auch als Mensch im Laufe der Jahre. Ich habe Illuminine als junger Mittzwanziger gegründet und jetzt bin ich Mitte dreißig. Aber eine Konstante ist mir aufgefallen – dass ich immer noch jeden Tag zur Gitarre greife, so wie früher. Ich brauche die Musik sehr, um meine Gefühle auszudrücken.“
Dabei dient dieses Album auch als eine Art Neustart, hatte Imbrecht in seiner Vergangenheit doch oftmals mit gesundheitlichen Schwierigkeiten zu kämpfen: „Dieses Album ist in der Tat die größte Errungenschaft in meinem Leben. Und ich bin sehr stolz darauf. Im Jahr 2018 wurde bei mir Autismus diagnostiziert. Ein Verdacht, den ich schon lange hatte, die Diagnose hat mir geholfen, viele vergangene Ereignisse besser zu verstehen. Und natürlich auch, warum bestimmte Dinge für mich schwieriger sind. Das hat auch Auswirkungen darauf, wie ich Musik mache. Bei diesem Album hatte ich wirklich das Bedürfnis, meine eigene kleine Welt zu schaffen. Ein Universum, in dem ich so sein konnte, wie ich wollte, und in dem ich keine alltäglichen Schwierigkeiten oder Hindernisse überwinden musste. Es fühlte sich befreiend an. Deshalb habe ich dieses Album auch ganz allein gemacht, vom Schreiben über die Aufnahme bis hin zum Abmischen, um mir selbst und meinen Gefühlen so nahe wie möglich zu sein.“
Passend zum neuen Kapitel in seinem Leben ist auch die neue Rolle als A&R bei Blue Marble: „Eines der besten Dinge, die im Jahr 2023 passiert sind. Ich hatte mit Ferryhouse mehr als fünf Jahre lang zusammengearbeitet. Da diese Kollaboration sehr viel Spaß gemacht hat und wir alle eine Vorliebe für gute Instrumentalmusik haben, beschlossen wir, ein neues Label zu gründen. So wurde Blue Marble geboren. Betrachte es als einen ,kreativen Pool‘, in dem sich Künstler*innen aus dem Genre der zeitgenössischen Instrumentalmusik in ihrem Tempo entwickeln und Kooperationen eingehen können. Als A&R ist es wirklich schön, verschiedene Künstler mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenzubringen.“
Besonders die erste EP im April 2023 macht dabei deutlich, welche Vision und Idee hinter Blue Marble stecken: „Die Musik und die wunderschönen Visuals von Anna Chocholi sind das perfekte Beispiel dafür, wie sich Blue Marble anfühlt. Wir hatten mehr als ein halbes Jahr lang alles vorbereitet und waren deshalb sehr stolz, als wir im April alles veröffentlichen konnten. Dann haben wir die Musik von Klaus Sahm, Martin Rott und Illuminine-bezogene Arbeiten veröffentlicht. Die Musik kann auf den ersten Blick unterschiedlich klingen – von beschwingter Ambient-Elektronik bis hin zum intimen Solo-Piano – aber der Kern ist derselbe: leidenschaftliche Künstler*innen, die die Grenzen des Instrumentalen ausreizen und eine Art warmes und sicheres Gefühl vermitteln.“
Für 2024 hat das Team rund um das Label bereits zahlreiche Projekte geplant, darunter auch abseits des rein musikalischen Kosmos: „Wir arbeiten derzeit mit neuen spannenden Künstler*innen zusammen, die 2024 ihre ersten Singles und EPs veröffentlichen werden. Einige Künstler wird man bereits kennen, andere nicht. Das gilt auch für die visuelle Komponente. Wir möchten neue Dinge schaffen, die auf die Musik zugeschnitten sind, damit sie sich gegenseitig verstärken können. Wir haben ein sehr kreatives und flexibles Team, sowohl vor als auch hinter den Kulissen, und ich bin sicher, dass uns tolle und überraschende Dinge erwarten.“
Auch das Album „Utopian Traveller“ von Martin Rott passt perfekt in die Philosophie des Labels. Rott selbst sagt: „Der Raum zwischen Tradition und Fortschritt, Natur und Technologie, die Spannung zwischen Vertrautem und noch Undefiniertem hat mich immer fasziniert. In der Zukunft meiner Träume wurde die Notwendigkeit erkannt, dass jene scheinbaren Gegensätze harmonieren sollten, anstatt einander zu bekämpfen. Stell dir vor, du könntest durch eine solche Utopie reisen. Was würde auf deinen EarPods laufen?“
Aus dem FAZEmag 142/12.2023
Text: Lisa Bonn
Foto: Jana As
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