Boys Noize – Spaß und Euphorie im Studio

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Dreieinhalb Jahre nach „Out Of The Black“ hat Boys Noize sein neues Album „Mayday“ veröffentlicht. Es ist der vierte Longplayer des Berliners, der bürgerlich Alexander Ridha heißt. Sein Sound ist immer grenzüberschreitend, als eine Art Wanderer zwischen den Musikwelten hat er dementsprechend auch immer mit vielen verschiedenen Künstlern wie Chilly Gonzales, Skrillex oder Mr. Oizo zusammengearbeitet.

Das neue Werk verbindet Punk-Energie, modernen Techno und klassischen Rave. Kollaborateure sind unter anderem Polica, Hudson Mohawke, Benga, Remy Banks und Spank Rock.

Für das Juniheft hatten wir Alexander zum Interview gebeten, das wir nun komplett präsentieren: 


Du kommst gerade aus dem Studio …?

Ja, genau. Ich bin gerade am werkeln und rummachen für die ganzen Shows, ich designe gerade ein Set.

Es geht also bald los …?

Genau, die erste Show ist in Barcelona, beim Sónar Festival und dann geht für mich das Touring wieder los, das ist der Startschuss sozusagen. Die Albumtour wird dann wahrscheinlich im Winter kommen.

Erstmal die ganzen Festivals …

Im Sommer ist das ja so ein bisschen schwierig mit den Clubs …viele schließen dann ja auch.

Hast du am Wochenende auch gearbeitet …?

Ehrlich gesagt, weiß ich gerade gar nicht so richtig, welcher Tag heute ist.

Warte, ich guck nach für dich.

(lacht) Also, ich muss jetzt die ganze Zeit nicht auflegen. Ich habe sozusagen Reisestopp seit ein paar Monaten. Aber das heißt natürlich nicht, dass ich nicht arbeite oder im Studio bin usw. oder gerade noch was anderes mache. Im Moment ist es vom Reisen her relativ entspannt.

Ich hatte mir das erste Mal für ein Album freigenommen. Letztes Jahr hatte ich irgendwie vom Winter bis Ende April und Oktober bis jetzt eigentlich fast keine Gigs. Das hab ich auch das erste Mal so gebraucht, um in diesen kreativen Prozess reinzukommen.

Das war also eine ganz bewusste Entscheidung?

Witzigerweise habe ich die ersten zwei Alben immer so zwischendurch irgendwie gemacht, zwischen den Wochenenden und so zwischen Dienstag und Mittwoch oder Donnerstag. Aber jetzt im Laufe der Jahre hat sich das etwas geändert. Jetzt brauche ich erst ein bisschen meine innere Ruhe, bevor ich in so einen Tunnel, in so eine kreative Zone reinkomme.

Ist dir das denn schwer gefallen, keine Gigs zu spielen?

Nee, das ist auf jeden Fall auch eine Erleichterung. Also, das Touring, da bin ich natürlich auch glücklich, dass ich jetzt so viele Jahre schon unterwegs bin. Aber es hört natürlich auch nicht auf, wenn man nicht selbst sagt, es soll aufhören (lacht). Und wenn man dann natürlich einen Song schreibt oder einen Track produziert und den fertig macht, dann ist das auch eine große Genugtuung und dann merkt man vor allem auch erst, was das dann auch tatsächlich noch an Arbeit bedeutet, also der spaßige Part ist ja sozusagen, Sounds zu kreieren und die zusammenzupacken und dann irgendwie da so ein paar Loops zusammenzuschustern, aber das dann wirklich so in eine Struktur zu bringen und auch in ein Arrangement, das mich dann auch inspiriert, das ist dann nochmal eine andere Geschichte, weil, ich sag mal für mich persönlich ist es einfacher, einfach so einen House- oder Techno-Track zu produzieren und den irgendwie auf fünf Minuten auf ein Thema runterzuspielen. Aber jetzt für das Album und für die Musik, die ich dann auf meinen Alben release, die ist ja dann noch ein bisschen komplizierter von der Struktur her, also nicht wirklich so Songstrukturen, aber man weiß nicht so genau, was als nächstes kommt – das ist dann auch wiederum das Spannende auch für mich selbst, solche Momente zu kreieren.

Du sagtest ja mal, du willst keinen Sound ein zweites Mal verwenden und dass du dich selbst überraschen willst. Mayday kam am 20. Mai raus. Hast du dich überrascht und was würde denn wohl der 16-jährige Alex dazu sagen?

Ich bin sehr, sehr glücklich über das Album. Ich habe mich die letzten zwei, drei Jahre eigentlich schon damit befasst und habe auch im Laufe der Zeit die besten Ideen immer wieder zusammengesammelt. Ehrlich gesagt war „Strictly Raw“, ein Minialbum das letztes Jahr erschienen ist, eher schon so eine Art, wie soll man es sagen, Müll. Da stehe ich natürlich auch dahinter. Aber das ist so, wie wenn man in der Küche steht und man kocht irgendwie so ein Gericht – dann war „Strictly Raw“ sozusagen die Knochen, die man dann den Hunden gibt.

Aber es schmeckt doch trotzdem …

Ja, es schmeckt trotzdem und es hat auch seinen Sinn und seinen Raum und findet auch seinen Platz. Aber im Laufe der letzten zwei, drei Jahre habe ich die besten Ideen, die mich am meisten irgendwie flashen, gesammelt und von daher bin ich auf jeden Fall auch glücklich mit der Zusammenstellung des Albums. Ich weiß ja auch, dass ich es den Leuten nicht gerade einfach mache von dem Style oder wie auch immer. Aber das ist mir dann auch nicht so wichtig. Am wichtigsten ist für mich das, was ich persönlich denke und fühle. Und es ist auf jeden Fall super (lacht). Und so die Referenz als 16-Jähriger, finde ich auch ganz wichtig, gerade auch im Clubkontext. Und das dann wiederum auch für mich als DJ. Der Ursprung meiner Musik ist ja immer noch gedacht dafür, Musik zu sein, die ich als DJ spielen kann. Wenn man als DJ unterwegs ist, spielt man meist vor etwas jüngeren Leuten, so zwischen 18 und 30 oder so. Das heißt, die Musik hat immer etwas Jugendliches, und ich versuche mich ehrlich gesagt sehr oft an diese Momente zu erinnern, als ich damals im Plattenladen gearbeitet habe und das erste Mal das Daft-Punk-Album gehört habe oder das erste Mal irgendwie Acid House entdeckt habe oder das erste Mal auf die Loveparade gegangen bin und Westbam gehört habe und der irgendwie so krassen Breakbeat-Kram gespielt hat und wie mich das damals hat fühlen lassen, das ist auf jeden Fall etwas sehr, sehr Wichtiges, woran ich oft denken muss, wenn ich Musik mache. Weil man sich als Produzent, glaube ich, auch ganz oft verfrickeln kann in so Sounds, und dann verliert man so ein bisschen dieses Musikalische. Und rein vom Musikalischen denke ich oft daran, wie kann man dieses Gefühl transportieren, dieses Unbeschwerte, diese Freude an der Musik, und das war ehrlich gesagt auch ein wichtiger Punkt für das Album. Bei der Selektion der Tracks für das Album habe ich das auch ein bisschen so entschieden, dass ich die Tracks nehme, die auch den Spaß, den ich auch im Studio hatte, reflektieren und vielleicht dass es auch so rüberkommt. Zum Beispiel der Track mit TEED, der hat so dieses Gefühl, das ich so damals auch hatte, als ich das erste Mal raven gegangen bin, diese Freude und Euphorie, und wir hatten auch großen Spaß zusammen im Studio. Mir war das auch wichtig, dass ich so einen Song auf dem Album auch habe.

Brauchst du denn dazu nochmal eine Distanz, nachdem du fertig produziert hast, um wieder in dieses Gefühl reinzukommen?

Absolut. Ich hab mir bei dem oder auch bei den letzten Alben, die ich produziert hab, Zeit genommen, und auch bei dem Octave-Minds-Album mit Chilly Gonzales war es ähnlich. Wir haben die Songs geschrieben und produziert und dann lässt man sie wieder liegen. Und so war es auch bei Mayday. Weil es mir natürlich wichtig ist, so zeitlose Musik wie es geht zu produzieren, so dass ich mir das auch in fünf Jahren nochmal anhören kann. So Tracks wie Overthrow lagen dann schon mal ein Jahr da. Und dann hat man gesehen, was die Zeit den Tracks auch antut. Heutzutage geht das ja auch so schnell mit irgendwelchen Styles. Dann ist heute das wieder in und dann kommt wieder was Neues aus England und das ist aber nach einem halben Jahr wieder alles übern Kopf geschmissen. Ich versuche davon eigentlich immer relativ frei zu sein. Natürlich bin ich daran interessiert, einen frischen Sound zu präsentieren. Aber ich versuche auch eher, irgendwie eine Platte zu releasen, die nicht davon beeinflusst ist, was jetzt gerade hot ist oder was jetzt eben nicht hot ist. Das ist bei mir nicht so wichtig.

Wen würdest du denn als deinen größten Kritiker bezeichnen? Wie findet denn deine Familie das so? Du hast ja neulich an Muttertag noch ein Foto von deiner Mutter gepostet.

Ich glaube, meine Mutter hat am Anfang meine Musik nicht so richtig verstanden (lacht). Aber natürlich ist mir deren Meinung auch wichtig. Mittlerweile sind die auch Fans. Die wichtigste Kritik bekomme ich aber von den anderen Produzenten, die ich auch schätze. Wenn mir Mr. Oizo sagt, er findet das Album geil, dann reicht mir das schon als Feedback für alles. Oder ich hab es jetzt auch Justice vorgespielt oder meinem Kollegen Siriusmo, die fanden es alle super und das ist dann für mich ehrlich gesagt schon Genugtuung, weil die sich ja auch mit der Produktion auskennen, und ich versuche, ganz ehrlich, mit dem Album andere Produzenten, die ich schätze, zu beeindrucken (lacht). Das ist wahrscheinlich so ein Produzentending. Das ist aber schon mit das wichtigste Feedback, wenn Leute, die ich gut finde als Produzenten, sagen, dass es ihnen gefällt.

Stichwort andere Produzenten. Martyn sagte neulich in einem Interview, dass er lange keine Kollabos gemacht hat, unter anderem, weil ihm das Selbstvertrauen in die eigene Musik fehlte …

Das ist ein interessanter Punkt. Ich hab ja die ersten Alben komplett alleine produziert. Ich habe immer wenig Leute für meine eigene Musik reingelassen. Für mich ist es – und das habe ich auch über die letzten zwei, drei Jahre gelernt – ein interessanter Prozess, mit jemandem im Studio zu sein, der einfach einen komplett anderen Hintergrund hat und eine ganz andere Meinung und vielleicht auch eine ganz andere Herangehensweise auch an die Musik. Für dieses Album war ich relativ offen, mich nicht zu sehr auf mein Eigenes zu beschränken in der Weise. Ich bin ganz oft einfach in Situationen gekommen, wo man dann halt auf einmal mit Hudson Mohawke oder mit TEED, der Twolife singt, einmal im Studio ist, einfach nur weil man vorher auf einem Konzert war und Bier trinken und dann sagt man „Ja, gut, komm wir jammen mal ein bisschen rum“. Das waren dann so Momente, die ich dann auch festhalten wollte und nicht von vornherein sagen „Ich hab hier ein Konzept und das soll so und so sein“. Das war alles relativ intuitiv. Und so ist es mit meiner Musik, ich kann relativ schwer sagen, „Ok, ich will jetzt ein Album machen, das soll so sein und das ziehe ich jetzt durch“. Das passiert bei mir irgendwie nie, weil ich dann immer irgendwie im Studio bin und in der Situation etwas höre oder ich habe mir eine neue Drummachine gekauft oder ein neues Plugin und ich höre irgendeinen Sound und dann baut sich die Musik eher so auf. Und so ist es auch mit den Kollaborationen auf dem Album. Die sind halt relativ organisch entstanden, und das ist cool. Da wollte ich jetzt nicht sagen, ich will ein Album machen mit nur Kollaborationen oder eins komplett ohne, ich finde das ist jetzt eine ganz okaye Mischung. Die meisten Tracks habe ich immer noch alleine gemacht.

Kommen wir mal aufs Album als Format zu sprechen. Du magst ja das Format … Es gibt aber durchaus auch Musiker, für die ist es nicht oder nicht mehr relevant.

Ich denke, ganz objektiv von außen, ist es so, dass ein Album überhaupt nicht wichtig ist, um eine Karriere zu starten oder touren zu können. Man braucht ja eigentlich nur einen Song, der läuft den Sommer über und dann schießt man noch einen hinterher. Das funktioniert auf jeden Fall. Wenn jetzt andere Künstler sagen, ich mache kein Album, weil das braucht ja keiner, das kann ich schon von zwei Seiten sehen. Von der einen Seite könnte man denken, er ist einfach nur viel zu faul (lacht) und hat keine Ahnung oder keine Vision. Oder es ist tatsächlich so, dass es nicht interessant genug ist. Für mich persönlich spielt das Album schon noch eine große Rolle als Produzent, weil man das zum einen auch als Spielwiese sehen kann, um Dinge zu zeigen, die man sonst nicht einfach in einem Track zeigt oder man kann so ein bisschen auch ausholen und mehr Tiefe zeigen als Musiker und als Produzent. Und zum anderen sind Alben für mich auch Meilensteine. Ich finde es ganz schön jetzt so, im Nachhinein zurückzublicken auf meine alten Alben und eine Zeit damit in Verbindung zu setzen und ein gewisses Gefühl und was ich zu der Zeit gedacht habe. Von daher ist es mir schon wichtig, das weiter zu machen, für mich selbst. Das ist halt das Ding. Wenn man ein Album macht, macht man das – oder ich mache das – ausschließlich für mich selbst, um mich selbst damit auch zu befriedigen, dass ich irgendwie so eine Zeit zusammenhalte und zusammenfasse. Und diesmal ist da ja auch sogar ein bisschen mehr, steckt da sogar ein bisschen mehr dahinter. Das Album als solches soll auch gar nicht nur alleine für sich stehen. Das hat ja auch noch so ein bisschen die ganze andere Seite des Artworks und der Videos und der ganzen Idee, die dahinter steht. Und ich finde das für mich auf jeden Fall noch ein sehr spannendes Thema. Nochmal ein anderer Aspekt ist ja der des physikalischen Albums. Dadurch dass das weggefallen ist in den letzten Jahren – es gibt keine CDs, es gibt kein Vinyl, keiner kauft’s – ist damit natürlich auch so ein bisschen noch das Album gestorben für viele Leute. Das ist für mich persönlich als Plattenliebhaber auch ein bisschen schade, weil ich immer noch Platten kaufe und mir dann das Artwork angucke und mir die Credits durchlese und gucke, was da im Detail noch so abgegangen ist und das ist dann noch so ein physikalisches Ding, was man irgendwie immer mal wieder aus dem Regal ziehen kann und damit auch Gefühle und Momente in Verbindung bringt. So habe ich das zumindest immer noch mit meinen Platten, die ich kaufe. Da brauche ich nur eine rausziehen und das ist fast schon wie eine Erinnerung, die man gleichzeitig damit zieht und das finde ich ein bisschen schade, dass das verloren gegangen ist im Digitalen. Da ist es natürlich nicht ganz so, wenn man einen Folder mit MP3s findet. Ich lege persönlich einen großen Wert auf das Album.

Auch im ganzen schrecklichen EDM-Sound ist das natürlich so: Wer braucht da ein Album. Da machst du eine fette Single, die dann im Radio läuft und auf Spotify – und dann reicht das. Hat man ja schon tausendmal gesehen, wie viele junge Produzenten auf einmal zu DJs werden, weil sie einen Song produziert haben.

Lass uns mal über junge Produzenten sprechen. Bei vielen scheint diese Attitude, dass man sich nicht einem Genre zuordnen lassen will, da zu sein, bevor sie überhaupt einen eigenen Stil entwickelt haben. Ist das vielleicht auch so ein Generationsding? Hat das was mit Anpassung zu tun?

Da muss ich auf jeden Fall unterscheiden. Zum einen ist es schon die neue Generation an Produzenten heutzutage gewöhnt, dass es ganz natürlich ist, Styles und Genres zu vermischen. Das war, als ich angefangen habe, überhaupt nicht der Fall. Da war ich sozusagen tatsächlich ein Außenseiter mit noch zwei, drei anderen DJS. 2ManyDS waren damals die ersten, die wirklich da radikal rangegangen sind und das so gut präsentiert haben, Styles und Dinge zu vermischen – an die hat sich niemand rangetraut. Viele kamen damit am Anfang nicht klar, gerade hier in Deutschland, aber für viele inklusive mir war das eine Revolution.
Und gleichzeitig als es dann anfing, Anfang der Nuller-Jahre so mit Electroclash, als halt auf einmal der Punk-Sound mit Techno zusammen gemischt wurde, war das für mich auch sehr inspirierend und war auf jeden Fall auch erfrischend gerade nachdem House und Techno ganz klar auf zwei verschiedenen Seiten lagen. Die Berliner Techno-Szene hat sich darüber lustig gemacht, was die Hamburger da mit ihrem „Handtaschen-House“ machen oder in Köln oder so. Da war das alles noch ein bisschen anders.

Dass sich das jetzt im Laufe der Jahre geändert hat, das hat natürlich mit vielen Dingen zu tun, auch mit dem Internet und wie man jetzt auflegt und man kann alles im Bootleg machen, es ist alles einfacher als vorher. Aber das finde ich eigentlich super, dass es mittlerweile so ein Verständnis ist bei vielen jungen Produzenten.

Um auf die Konformität zu sprechen zu kommen: Also generell ist es ja schon ein gesellschaftliches Problem, was im Moment passiert, dadurch, dass das Internet eine Informationsquelle sozusagen ist und alle auf viele ähnliche Filter zurückgreifen, passiert gerade gesellschaftlich etwas Erstaunliches, so dass eigentlich überall fast schon dasselbe passiert – und dadurch entsteht natürlich so eine Art Konformismus. Und das ist auch im elektronischen Bereich zu sehen, also wieder um auf junge Produzenten zurückzukommen. Viele haben natürlich die Chance, jetzt Musik zu produzieren, nur mit dem Laptop, mit einem Programm, entweder Logic oder Ableton, das ist auch super, ich wäre wahrscheinlich genau so, wenn ich 14, 15 wäre, aber da entsteht auch so eine Art Konformismus, weil alle auf dieselben Sounds zurückgreifen. Alle benutzen entweder irgendwelche Soundpackages, alle benutzen entweder dieselben Synthies oder dieselben Samples, auf die auch jeder Zugriff hat und da ist es natürlich auf der einen Seite cool, dass irgendwie so Genres wie Rap mit Techno oder weiß ich nicht was entsteht. Aber da entstehen auch so eine Art Sounds, die dann weniger Substanz haben, die dann im ersten zwar erfrischend klingen, aber im zweiten dann auch wieder ganz schnell in Vergessenheit geraten, weil man ja wieder von dem Neuen zwei Tage später überrascht ist – und da kann man durch alle Genres durchgehen im elektronischen Bereich, da sind ja mehr als früher, wo sich alle kopiert haben. Heute ist es natürlich alles extremer geworden, weil alle produzieren können und alle das machen wollen, was gerade gemacht wurde.

Das war für mich schon immer ein Anreiz zu machen, was gegen alles ist (lacht). Dass ich eben etwas produziere, was man nicht gerade auf Platte kaufen kann oder was vielleicht zu zu … keine Ahnung was ist, das kann ich nicht definieren, aber bei mir entsteht dann so ein Gefühl der Gegenreaktion, dass ich etwas machen muss, wo sich keiner rantraut oder was nicht zu hören ist.

Das ist ja auch eine Art von Rebellion, Stichwort Punk …

Ja, so war das eben früher auch. Punk ist ja dadurch entstanden, dass der Glamrock oder dass halt Rock zu clean war und die wollten, dass das scheiße klingt (lacht). Und das war aber auch nicht nur so, weil sie in einer Garage waren, sondern das war auch Intention, sie wollten anders klingen und die wollten andere Dinge sagen als die anderen Bands sagen im Rockbereich, wo es sauberer zuging.

Sind Musik und Kunst oder die Gesellschaft generell zu unkritisch?

Das ist genau das, was wir angesprochen haben. Ein Freund von mir wohnt an einer Schule und hat mir erzählt, dass die Kids, die zur Schule gehen heutzutage, alle gleich aussehen. Da ist es nicht so, dass in einer Ecke die Punks sind und in der anderen Ecke sind die Grufties und in der anderen die Rapper oder weiß ich nicht was. Das ist auch irgendwie so witzig zu sehen. Aber das vermisse ich natürlich auch so ein bisschen, dass da einer rausgeht und eine Meinung hat und denkt. Das ist ein bisschen auch, was ich so Stück für Stück versuche zu kommunizieren. Und man kann natürlich schon auf demselben Festival spielen wie irgendwelche anderen mehr kommerziellen Acts, aber es kommt drauf an, dass es sich anders anfühlt und anders aussieht und sich anders anhört. Das hat ja auch was mit Identität zu tun. Ich glaube, es ist schon wichtig zu versuchen, das wieder zurückzubringen – gerade jetzt in der Dance-Szene. Das ist ja total schrecklich, dass da alles gleich ist, alle spielen dasselbe und alle hören dasselbe. Und das vermisst man schon – diesen Punk-Gedanken.

Apropos Punk-Gedanke … Du hast ja am 1. Mai deine eigene kleine Mayday veranstaltet … was war denn da mit der Polizei?

Am 1. Mai gibt’s ja immer die Proteste schon seit Jahren, brauchen wir nicht weiter drauf einzugehen, ist bekannt. Auf jeden Fall sah ich das als beste Gelegenheit, mein Album zu präsentieren, weil es zur Attitude passt und zu dem, was ich seit zehn Jahren mache. Jedenfalls haben wir ein Soundsystem aufgebaut mit den Kollegen von Musik und Frieden und ich habe mein Album einfach zweimal hintereinander durchgespielt und es war super, die Leute haben sich da angesammelt und irgendwann kam die Polizei und hat gesagt „Bitte die Musik ausmachen, sonst nehmen wir die Stereoanlage weg“. Das habe ich gemacht und das war’s. Und jetzt haben aber irgendwelche dummen Blogs – ich weiß nicht von wo die herkamen, auf jeden Fall nicht aus Deutschland – das dann aber gemischt mit irgendwelchen Protestvideos, die drei Blöcke weiter weg waren, wo die Polizei gerade krass am Fighten ist, aber das wurde dann vermischt mit unserer Veranstaltung: „Boys Noize‘s sound system got shot down by the police“ und „police violence“. Ey Leute, geht’s noch? Und dann bin ich auf eins dieser Blogs gegangen und dachte nur: „Wie dumm kann man eigentlich sein?“ Auf dem einen Foto sieht man, dass es eine friedliche Party ist und auf dem anderen Video sieht man, wie Bullen irgendwelche Leute zusammenschlagen und das ist auch eine ganz andere Ecke. Dann hab ich denen direkt geschrieben, dass es Null Aggressivität gab, es war alles friedlich. Die Polizei hat mich sogar relativ lange spielen lassen bevor die kamen, die sind sogar einmal durchgefahren und haben uns erst einmal weiter spielen lassen, bis die dann nach 90 Minuten sagten, ich sollte die Musik ausstellen. Das war voll friedlich. Und voll die guten Vibes. Das lief auch auf allen möglichen Plattformen, es war bei Twitter, Instagram. Überall konnte man sich Footage und Infos reinziehen. Das war echt Yellow-Press-Style.

Du twitterst viel. Auch gerne?

Die Frequenz kann schon einmal zunehmen, wenn man etwas zu promoten hat. Durch Twitter kann ich immer schnell an irgendwelche Mini-News kommen. Mein Privatleben versuche ich schon aus der Social-Media-Welt rauszuhalten. Man muss da auch eine Balance finden. Ich hab’s auch nicht richtig raus, um ehrlich zu sein. Aber bei Snapchat zum Beispiel bin ich jetzt nicht wirklich aktiv wie viele andere und halte mir die Kamera ins Gesicht. Aber es ist schon witzig, wie Facebook funktioniert. Man postet, dass man ein neues Album fertig hat, fünf Jahre dran gearbeitet, „hier, hört es euch umsonst an“, und dann gibt’s drei Likes, aber wenn mein Hund dem Müllmann ins Bein beißt, 3.000 Likes (lacht).

Als Prince gestorben ist, war Twitter auch in Trauer. Das war insbesondere auch für viele Musiker ein schrecklicher Tag …

Absolut. Für viele Produzenten. Der hat echt alles so gut gekonnt und dann muss man ja auch einen Künstler finden, der sich so dermaßen der Industrie abgewandt hat … er hat ja wirklich irgendwann seinen Künstlernamen geändert und gesagt, ich spiele euer Spiel nicht mehr mit, und hat alles im Internet for free releast. Er hat ja so viele Alben, das hat man gar nicht mitbekommen, im Laufe der Nuller-Jahre umsonst über seine Website releast und hat so derbe sein Ding durchgezogen. Aber generell wenn man ihn als Musiker sieht, ist er der krasseste Musiker, wenn man ihn als Produzent sieht, ist er der krasseste Produzent, und wenn man ihn als Performer sieht, ist er der krasseste Performer. Er hat einfach alles mitgebracht, was man sich als Musiker wünschen kann und dann ist er auch noch so cool gewesen. Es gibt nur noch wenige von diesen Leuten: Bowie ist weg, Prince ist weg, wer bleibt dann noch? Kim Kardashian und Justin Bieber? (lacht) Einige wenige gibt es ja schon noch. Aber es ist schon erschreckend, was wir heutzutage in der Popkultur zu bieten haben. Ich glaube, es fehlt immer mehr an Charakteren, die anders sind, die was sagen. Es ist auch schwer, heutzutage. Alles ist irgendwie gleich. Alle benutzen dasselbe. Alles wird einem gleich präsentiert. Das macht es nicht einfacher für Leute, die sich da raushalten. Die lesen krasse Sachen, die schreiben und machen krasse Sachen. Das bekommt der 20-Jährige aber überhaupt nicht mit. Und das ist so ein bisschen das Problem. Wie kann man das präsentieren? Prince‘ Musik war schon immer, seit ich denken kann, bei mir zu Hause. Ich hab ja sogar mal einen Song von ihm performt (lacht), was die wenigsten wissen.

Das werden wir nachrecherchieren …

Das war vor YouTube (lacht).

Interview: Csilla Letay
Foto: Shane McCauley