
In Berlin ist der Konsum von Drogen in sexuellen Kontexten längst keine Randerscheinung mehr. Der sogenannte Chemsex – also Sex unter dem Einfluss stimulierender Substanzen – ist in der Hauptstadt stark verbreitet.
Sichtbar wird das nicht nur in der Clubszene oder auf Dating-Plattformen, sondern zunehmend auch in medizinischen und sozialen Einrichtungen. Der Begriff „Chemsex“ bezeichnet den gezielten Konsum von Substanzen wie Methamphetamin, GHB oder Kokain, um sexuelle Erlebnisse zu intensivieren.
Besonders in der queeren Szene ist der Begriff inzwischen etabliert. Auch wenn es keine exakten Zahlen gibt, belegen Abwasseranalysen und die Zahl drogenbedingter Todesfälle, dass der Konsum in Berlin massiv gestiegen ist.
2023 starben 271 Menschen durch Drogen – doppelt so viele wie zehn Jahre zuvor. Ein Ort, an dem sich dieser Wandel manifestiert, ist die erste „ChemKon“, organisiert von der Bundesinitiative sexualisierter Substanzkonsum (BISS) in Zusammenarbeit mit Infektiologe und Aktivist Martin Viehweger.
Die Konferenz brachte Ende März in der Charité rund 250 Fachleute aus Wissenschaft, Drogenberatung, Psychologie und Partyszene zusammen. Ziel war es, Wissen zu bündeln und neue Wege in der Prävention und Therapie zu diskutieren.
Viehweger spricht offen über die Ambivalenzen des Themas. „Der meiste Gebrauch von Substanzen ist ohne Probleme assoziiert“, erklärt er. Gleichzeitig warnt er vor gefährlichen Dynamiken:
„Der problematische Substanzgebrauch birgt halt doch recht große Risiken und Gefahren für Leib und Leben.“ Für ihn sei die gesellschaftliche Dimension entscheidend: „Ich versuche eher nach der Frage zu schauen, was es über unsere Gesellschaft aussagt, dass wir unser Sexerlebnis immer weiter optimieren müssen.“
Auch in der Praxis zeigen sich Fortschritte. Conor Toomey von der Berliner Schwulenberatung sieht Berlin mittlerweile gut aufgestellt: „Inzwischen gibt es hier in der Stadt niedrigschwellige Angebote wie Drug Checking, wo wir in Kontakt mit Konsument*innen kommen können, und auch erste Angebote, um den Konsum zu reduzieren, ohne komplett abstinent werden zu müssen.“
Dennoch bleibt der Bedarf hoch. „Jedes Mal, wenn wir dazu ein Angebot machen, sind die Plätze sofort ausgebucht“, betont er. Ein anonymer 33-jähriger Kalifornier, der seit Jahren in Berlin lebt, hat den Alltag im Chemsex-Kosmos am eigenen Leib erfahren.
„Einmal bin ich von dort gleich in das Nachbarhaus zum nächsten Typen“, erzählt er beim Spaziergang durch Schöneberg. „Ich habe damals in einem Frühstücksrestaurant in Kreuzberg gearbeitet“, berichtet er, „die Küchenchefs hatten immer eine Line Kokain oder Speed für Mitarbeiter*innen, wenn sie müde aussahen.“
Über Dating-Apps sei er immer wieder auf den Hashtag „#chemsfriendly“ gestoßen. Was für Außenstehende harmlos klingt, war für ihn das Tor zu einer Parallelwelt voller Drogen, Sex und Eskapismus – auch mitten am Tag.
Die Intensität dieser Welt brachte ihn jedoch an einen Punkt, an dem er Hilfe suchte. Als sich seine Tage nur noch um Arbeit und Sexpartys drehten und Suizidgedanken aufkamen, entschloss er sich zur Reha. „Nach den vier Monaten dort blieb ich zunächst lange abstinent“, erinnert er sich.
Die Rückkehr in den Alltag blieb jedoch herausfordernd. Sein Restaurant entließ ihn während der Reha – „offenbar war das legal, obwohl ich nicht mehr in der Probezeit war“. In der Therapie lernte er, seine Freizeit neu zu gestalten, las Bücher, knüpfte Kontakte zu nüchternen Freunde.
Doch der Verzicht hatte einen Preis: „Ich hatte kaum Sex“, gibt er offen zu. Als er wieder Partys besuchte, konsumierte er zunächst nicht. „Es war wie eine Wette gegen mich selbst.“ Doch irgendwann fiel er zurück: „Ah, fuck it!“
Quelle: Siegessäule.de
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