Chromeo – Ästhetisch und irgendwie dirty

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Wie würde es wohl klingen, wenn Woody Allens Kultfilme wie „Manhattan“, „Der Stadtneurotiker“ oder „Broadway Danny Rose“ statt in den schwarzweißen Straßenschluchten des East Village auf dem grellbunten Dancefloor des mythenumwehten New Yorker Tanztempels Studio 54 gespielt hätten? Die kanadischen Electro-Funk-Exzentriker Chromeo liefern mit ihrem neuen Album „White Women“ die augenzwinkernde Antwort.

Sie sind anders, als alle anderen. Ganz anders. Seit mehr als zehn Jahren geben die beiden im Big Apple beheimateten Kanadier Patrick Gemayel alias P-Thugg und David Macklovitch aka Dave 1 nun schon nach Mitternacht die nerdy Disco-Lords, die die Massen mit ihrem sexy Arschwackelsound aus Funk, Soul, Electro, Pop und einem subtilen, tiefschwarzen Underdog-Sarkasmus zum Schwitzen bringen. Chromeo stehen für kompromisslosen Retrofuturismus ohne Wenn und Aber, bei dem man sich oft nicht zwischen tanzen oder grinsen entscheiden kann, wie das Duo bereits auf hart abgefeierten Liebhaber-Singles a la „You’re So Gangsta“, „Fancy Footwork“ oder dem aktuellen Outtake „Over Your Shoulder“ bewiesen hat. Der intellektuelle Gegenentwurf zu inhaltslosen 70er- und 80er-Jahre-Discostereotypen, obwohl man sich stilistisch in genau dieser Periode mehr als reichlich bedient. P und 1 bewegen sich elegant zwischen Tanzfläche und Feingeistigkeit; schnappen sich das Beste aus der goldenen Ära zum Coolness-Make Over, schrauben noch einen modernen E-Beat drunter und veredeln das Ganze mit beißend sarkastischen Lyrics über verunglückte Dates, eifersüchtige Boyfriends oder fast gehirntote It-Girls – so wie auf dem gut geölten Funky-Biest „Sexy Socialite“. Daves ganz persönlicher Psychotherapie, wie der Chromeo-Sänger feixend berichtet.

„Ich würde sogar sagen, dass die ganze Platte die totale Therapie für mich ist! Ich musste ziemlich lange in Los Angeles an den Songs arbeiten und habe eine Weile mit diesem merkwürdigen Mädchen rumgehangen. Der Text hört sich auf den ersten Blick zwar ganz lustig an, aber im Grunde meine ich es bitter ernst: You’re a sexy socialite I wish you were a socialist – ich hätte mit ihr lieber ein paar wirklich wichtige politische Themen diskutiert, aber sie war zu beschäftigt mit anderen Dingen. Es sind Girls wie sie, die mich inspirieren. In einer anderen Nacht war ich mit einer Frau unterwegs, die mir die ganze Zeit von all ihren katastrophalen One-Night-Stands erzählte. Dass die Jungs sich alle als totale Nieten herausgestellt hatten und so. Als ich wieder in meinem Hotelzimmer war, schrieb ich sofort den Song ‚Old 45’s‘.“

Wobei P-Thugg und Dave 1 jede Menge Empathie für ihre namen- und gesichtslosen Geschlechtsgenossen im Ärmel haben. Chromeos ganz eigener Antihelden-Charme, der sich auch auf dem vom Schaffen des Starfotografen Helmut Newton beeinflussten Albumtitel „White Women“ widerspiegelt. „Newtons Bilder waren gleichzeitig ästhe- tisch und irgendwie dirty, Highclass und billig bis hin zum Vulgären. Er hat es geschafft, einen gewissen Schockfaktor mit einem hohen künstlerischen Anspruch zu verbinden. So sehe ich auch unsere Musik“, die man allerdings durchgehend mit einem kräfti- gen Schuss Erwachsenenhumor würzt und auch vor echten Botschaften nicht zurück- schreckt. „Ich bin Jude und bringe diesen typisch jüdischen Sinn für Selbstironie in die Lyrics ein, den man auch bei Woody Allen oder Larry David findet. Normale Popphrasen sind mir zu platt. Ich würde niemals in einem Song ‚Baby, I love you‘ schreiben, sondern eher ‚ich bin eifersüchtig, aber zu cool, um es zuzugeben‘. Statt über Sex zu schreiben, erzähle ich lieber von den viel interessanteren Begleiterscheinungen: Facetten wie De- pression, Trauer oder Wut, so wie in ‚Jealous (I Ain’t With It)‘. Im Grunde ist dieser Track ein Stück über unterdrückte Gefühle. Man muss sich immer fragen: Was ist mit all den unglücklichen Typen, die nicht regelmäßig oder sogar nie Sex bekommen? Oder mit den Mädchen, die keinen Bock haben? Was, wenn man sich so auf den Sex gefreut hat und es einfach mies war? Wir wollen alle mit einschließen und Musik für alle Rassen und Klas- sen machen. Ob man flachgelegt wird, oder nicht.“ Echte Pop-Demokratie eben. Wenn auch mit neurotischen Tendenzen. / Thomas Clausen


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Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe #027 – Mai 2014