
Als Rave-Kind begann Willy Cardiak seine musikalische Laufbahn bereits im Alter von fünf Jahren, damals entdeckte er das Klavier für sich. Als Teenager tauchte er in die Metal-Szene ein, über die er irgendwann in den elektronischen Kosmos gelang. In den über eineinhalb Jahrzehnten seines Schaffens komponierte Cardiak mehr als 300 Stücke und veröffentlichte Werke auf renommierten Labeln wie Ministry of Sound, Omny Lab, Rave Alert und mehr. Anfang 2023 explodierte seine internationale Karriere förmlich dank des Titels „Push Up“, mit dem er über 200 Millionen Streams auf allen Plattformen generierte und sogar Calvin Harris dazu brachte, ihm einen Remix seiner Single „Miracle“ in Zusammenarbeit mit der Sängerin Ellie Goulding anzubieten. Heute hat Creeds eine monatliche Hörerschaft von 8,5 Millionen Menschen allein auf Spotify. Nachdem er seine Produktionen und musikalischen Favoriten in Clubs und auf Festivals auf der ganzen Welt in DJ-Sets geteilt hat, setzt sich inzwischen die Live-Version von 100 Prozent Creeds durch, die ihm sehr am Herzen liegt. Melodien treffen auf Hard-Techno-Rhythmen, die wiederum von einer urwüchsigen Energie angetrieben werden. Das Ganze wird auf der Bühne durch die Stimme von Helen Ka veredelt. Ein hochspannendes Projekt, das wir im exklusiven Cover-Interview durchleuchten.
Willy, wie geht es dir, und wie waren die ersten Wochen des Jahres für dich?
Hallo, FAZEmag-Team, bei mir läuft alles bestens. Grundsätzlich folgt 2024 dem Weg von 2023, das das beste Jahr meiner Karriere war. Mein Team arbeitet so gut daran, das bereits Vorhandene weiterzuentwickeln, ich könnte nicht glücklicher sein. Ich hatte bereits die Möglichkeit, auf großen Bühnen wie dem EDC Mexico zu spielen, sowie in einigen der besten Clubs in Frankreich gemeinsam mit Helen Ka. Momentan kann ich nicht klagen.
Lass uns von vorne beginnen. Wie waren deine ersten Schritte in der Musikwelt und wer bzw. was hat dich besonders beeinflusst?
Ich war schon immer von Musik umgeben. Ich komme aus der Metal-Szene und wurde schon immer von verzerrten und schmutzigen Klängen angezogen. Nebenbei ist mein Vater ein großartiger Musiker, wenn auch ohne eine richtige Musikkarriere zu haben; er hat mich seit meinem fünften Lebensjahr Klavier spielen lassen, so konnte ich mich schon früh in meiner Kindheit musikalisch ausdrücken.
Nach zehn Jahren am Klavier war ich von den Stunden aber irgendwann gelangweilt, also kaufte er mir einen Synthesizer und einen Computer, genau zu der Zeit, als ich elektronische Musik entdeckte. Das war damals eine riesige Offenbarung für mich, denn ich konnte mein Klavierwissen auf verzerrten und elektronischen Melodien anwenden. Was für ein Kick das damals war! Auch wenn ich voller Liebe für Techno bin, wird meine größte Inspirationsquelle wohl immer von Bands wie Muse, Queen und anderen instrumentalen Acts gespeist werden. Melodie wird immer meinen Weg zur Musikgestaltung bestimmen, und diese Acts sind ein riesiger Teil meiner musikalischen Reise bis heute. Daneben fühle ich mich von buchstäblich allem beeinflusst; vom Klang einer Flasche auf einem Glas bis zum neuesten Skrillex-Song – Musik ist überall.
Wie und wann hast du entschieden, selbst Künstler zu werden?
Um ehrlich zu sein, habe ich mich nie als „professionellen“ Künstler gesehen. So wie Videospiele wie Call of Duty und FIFA für manche Leute die größten Hobbys sind, war bzw. ist es für mich, auf einem Computer Sounds zu erzeugen. Ich bin nie so glücklich wie dann, wenn ich meine Zeit mit Ableton verbringen kann. Letztendlich lag die Entscheidung also irgendwie nicht in meiner Hand, ich hätte auch ein nur mittelmäßig erfolgreicher Künstler sein können, den Drang, Klänge zu erzeugen, werde ich wohl nie verlieren.
Das Klavier hat seit deinem fünften Lebensjahr eine bedeutende Rolle in deinem Leben gespielt und genau damit faszinierst du nun in den größten Venues. Wie und wann hast du begonnen, beide Welten zu vereinen?
Um ehrlich zu sein, waren meine Klavierkenntnisse zunächst der einfachste Weg in den Techno. Als absoluter Neuling hatte ich überhaupt keine Kenntnisse von Sounddesign bzw. Mixing oder Mastering, also war das Stapeln von Melodie und Kicks der einzige Weg, den ich gefunden habe, um elektronische Musik zu machen. Zuerst waren es schlecht gemischte Tracks mit einer Zwei-Akkord-Progression und einem einfachen Lead obendrauf, und ich war so glücklich darüber. Nach Jahren des Experimentierens habe ich die Melodie beiseitegelegt, um mich auf Sounddesign und technische Fähigkeiten zu konzentrieren; ein Weg, den viele Produzent*innen einschlagen, um die Klangqualität zu verbessern, glaube ich. Am Ende fühle ich mich jetzt wohler dabei, Melodien wieder mit gut ausbalancierten Elementen zu verbinden. Es gibt immer noch so viele Dinge zu lernen, es ist eine endlose Reise, und deshalb liebe ich diese Materie so sehr.
Wie haben deine Heimatstadt und -region deine Musik und deine Entwicklung als Künstler bisher beeinflusst?
Nun, als ich damals anfing zu produzieren, war ich der Einzige in meiner Gruppe von Freunden, der harte elektronische Musik liebte und auch der Einzige, der produzierte, also stammt meine Inspiration nicht wirklich aus meiner Heimatstadt. YouTube und MySpace und SoundCloud waren im Grunde genommen meine besten Freunde (lacht). Natürlich habe ich diese Leidenschaft mit vielen meiner Kumpels geteilt, aber am Ende war es wohl die Party- bzw. Rave-Szene. Ich habe bei diesen Nächten so viel über Hardcore-Musik und Freiheit gelernt, ein Teil von mir wird diesem Movement immer dankbar sein.
Du bist nicht nur ein fantastischer DJ und Live-Act, sondern auch ein überaus erfolgreicher Produzent mit vier Gold- und sieben Platinplatten. Wie würdest du deine Diskografie von deinen ersten EPs bis heute zusammenfassen?
In meinen Augen verlief meine Karriere oft wie im Schneckentempo. 15 Jahre bin ich bereits in der Musikproduktion, aber vor einem Jahr war ich kurz davor, wieder in einer Fabrik zu arbeiten. Jahre der Arbeit, des Lernens und der absoluten Hingabe, ohne allzu sehr an Geld oder Ruhm zu denken; das ist zweifellos die Routine eines jeden Produzenten, und ich denke, jeder wird dasselbe sagen: Gib niemals auf, mach weiter, was du am meisten liebst, und sicherlich werden dann gute Dinge passieren. Ich weiß, das klingt superkitschig, aber ich fühle, dass man mit genügend Hingabe und etwas Zeit erstaunliche Dinge erreichen kann. Wenn ich zurückblicke, waren meine ersten EPs eine Reise zu mir selbst; ich versuchte förmlich herauszufinden, wie man ein Schloss aus zerbrochenen Steinen baut. Jetzt fange ich allerdings erst an zu begreifen, wie man vernünftig baut. Es ist immer noch ein langer Weg, aber zumindest steht mein Schloss jetzt (lacht).
Der Track „Push Up“ war zweifelsohne ein bedeutender Schub in deiner Karriere, nicht wahr?
Definitiv. Ich war in einem Club, als ein bestimmter Track lief, den ich kannte. Ich konnte aber weder den Namen noch den Künstler nennen. Es war ein alter Track mit einfachem Aufbau: Intro, Stille, Melodie, die jeder kennt, ein Drop und eine weitere Melodie. Es war erstaunlich zu sehen, dass ein 20 Jahre alter Track eine derart massive Wirkung auf die Menge hatte, selbst in einem ziemlich aktuellen Mix. Als ich nach Hause kam, habe ich mir vorgenommen, etwas Ähnliches zu machen, einfach zum Spaß und um zu den Grundlagen zurückzukehren, indem ich eine eingängige Melodie und einen oldschool Reverse-Bass-Kick mache. Der Track, um den es ging, war „Assimilation“ von DJ Arne & Mirko Milano. Ich habe tagelang versucht, eine schöne Melodie zu finden, es hat nie funktioniert. Und als ich es am wenigsten erwartet hatte, während einer Session, als ich eine tiefe und lange Klangdesign-Sitzung mit Wavetable von Ableton machen wollte, fand ich diese kleine Melodie – nur mit einer Sinuswelle, einem LFO auf FM und Hall klang es ziemlich cool. Ich habe versucht, alles auf den Kickbass zu legen, und sofort habe ich es dort gelassen. Ich bin superglücklich, dass es so gut funktioniert hat, aber ich könnte gar nicht so richtig erklären, warum. Ich glaube, es geschah zur richtigen Zeit mit der richtigen Präsenz in sozialen Netzwerken.
Wie hast du reagiert, als du von der ersten Goldplatte erfahren hast?
Es hat mich umgehauen. Ich war wirklich erstaunt von den ganzen Nachrichten. In meinem Kopf waren Goldene Schallplatten etwas, das riesige Headliner bekommen würden; niemals hätte ich gedacht, dass es mir passieren könnte! Ich fühle mich vom Support des Publikums supergesegnet und ich möchte die Gelegenheit ergreifen, mich bei allen zu bedanken, die es möglich gemacht haben. Ich hoffe, die Zukunft wird genauso sonnig sein wie die Gegenwart.
Wie können wir uns deinen Workflow im Studio vorstellen? Was sind deine Lieblingstools in Bezug auf Software und Hardware?
Ich habe grundsätzlich drei Möglichkeiten, ein Projekt zu starten: mit einer Melodie, die ich am Klavier finde; mit einer Sounddesign-Sitzung, ohne auch nur zu wissen, wohin ich gehe oder mit einem coolen Sample, das ich online finde. Ich arbeite mit Ableton und lasse mich einfach treiben. Ich weiß nicht, was auf dieser Reise passieren wird. Ich liebe es, meine Fantasie zu nutzen und viele Dinge auszuprobieren. Viele meiner Projekte dauern 15 Minuten und am Ende ist der finale Track nur drei Minuten lang, nur weil ich vier verschiedene Drops, zwei verschiedene Build-ups, fünf Hooks ausprobiere. Unfälle und Zufälligkeiten sind ein großer Teil des Schaffensprozesses. Ich persönlich benutze hauptsächlich Software wie Serum, Fabfilter Suite, Valhalla und Diva. Das ist alles, was man braucht meiner Meinung nach.
Wie hat sich dein Sound im Laufe der Zeit verändert und weiterentwickelt?
Ich denke, abgesehen von den vielen Genres, die ich ausprobiert habe – wenn man sich meine SoundCloud ansieht bzw. hört, findet man etwas melodischen Techno, Psytrance oder Dubstep – war die Hauptentwicklung das Mixing und die Klarheit der Tracks. Wenn die Erkundung abgeschlossen ist, glaube ich, dass das Hauptziel darin besteht, die Qualität zu verbessern, damit man spürt, dass es professionell klingt. Ich habe seit Tag 1 danach gesucht und spüre, dass es nun so weit ist.
Am 15. März hattest du ein neues Release, eine Art Familienprojekt. Kannst du uns mehr darüber erzählen?
Das stimmt. Neben meinen Hard-Techno-Projekten mache ich auch einige Trap-Beats, und mein Cousin ist Rapper, also haben wir etwas gemeinsam gemacht. Ich habe die gesamte EP produziert, gemischt und gemastert, wir sind superglücklich damit. Sein Künstlername ist DAVI‘, und wir haben über einen Remix eines der EP-Tracks namens „KOX!E“ nachgedacht. Es war großartig, harte Musik mit originalen französischen Rap-Texten zu machen. Sein musikalisches Universum ist wirklich weit vom Techno entfernt, und beide miteinander zu verbinden, war superinteressant. Es hat mir erlaubt, einen anderen Ansatz zur harten Musik auszuprobieren, den ich wirklich geliebt habe.
Du hast gerade deine Debüt-Tournee in Südamerika gespielt. Welche waren deine Highlights dabei?
Ehrlich gesagt war es eine der besten Erfahrungen, die ich je gemacht habe. Zum ersten Mal einen ganzen Monat lang mit meiner Freundin und meinem Videografen unterwegs zu sein, war so cool. Ich könnte dabei keinen Ort über einen anderen stellen, von Chile über Mexiko bis hin zu Argentinien, Brasilien und Kolumbien haben wir so herzliche Menschen und Kulturen erlebt, es war wirklich herzerwärmend. Jeder Ort und jedes Publikum waren absolut erstaunlich, wir hatten das Gefühl, dass Hard-Techno gerade die ganze Welt erobert, es fühlte sich so gut an, Musik auf einem anderen Kontinent zu spielen. Natürlich war EDC Mexico unglaublich, eine der größten Menschenmengen, vor denen ich je stand, und die Reaktion des Publikums war sensationell. Ein riesiges Dankeschön auch an Basscon für diese Möglichkeit, so ein tolles Team, mit dem ich supergerne arbeite!
Im vergangenen Dezember hast du deine Live-Show aus Audio/Light ebenfalls mit Helen Ka präsentiert. Ihr wart dafür mit 15 Leuten unterwegs. Erzähle uns mehr zum Konzept.
Seitdem ich meine musikalische Reise begonnen habe, wollte ich immer Klavier auf der Bühne spielen. Leider war es aufgrund monetärer und logistischer Investitionen aber nur schwer bis gar nicht möglich. Dank der Aufmerksamkeit, die ich im Moment erhalte, können wir mit dem entsprechenden Team etwas Großartiges aufbauen. Das Live-Set basiert auf meinen eigenen Kompositionen, wir haben ein Bühnenklavier, einen Moog und einen Roland Juno, der mit Ableton auf der Bühne betrieben wird. Das gesamte Live-Set implementiert Helen Kas Stimme in viele Tracks und reicht von Hard-Techno bis Hardcore. Es fühlt sich toll an, live spielen zu können und eine Art Rock-Gefühl in einer Szene zu kreieren, die eigentlich von DJ-Acts dominiert ist. Ich liebe das Auflegen, aber live zu spielen, ist ein ganz neues Gefühl. Wir hatten unsere erste Vorstellung beim Transmusicales Festival in Frankreich im letzten Dezember und bekamen eine großartige Resonanz vom Publikum, jetzt sind wir im Sommer bei vielen großen Festivals in Frankreich und können es kaum erwarten.
Nebenbei seid ihr auch durch Frankreich getourt und hattet neun ausverkaufte Shows. Damit sollte der Hype um deine Person komplett sein, oder?
Die Shows waren grandios, ja. Diese fanden im Zusammenhang mit meinem Projekt mit Helen Ka statt, mit der ich seit drei Jahren zusammenarbeite. Sie ist eine großartige Songwriterin und Sängerin, und gemeinsam machen wir Hardcore- und Technomusik. Das Publikum, das uns bekannt gemacht hat, ist größtenteils französisch, also ist es immer unglaublich, in Frankreich zu spielen. Wir sind so glücklich, die Menschen um uns zu haben, das französische Publikum lässt uns wachsen und gibt uns Tag für Tag Kraft, es ist ein absolutes Vergnügen, für sie zu spielen. Im Moment zielen wir hauptsächlich auf internationale Shows für das Solo-Projekt Creeds ab, aber es ist uns wirklich wichtig, das zurückzugeben, was uns Frankreich mit dem Projekt Creeds & Helen Ka gegeben hat, und bei jeder ausverkauften Show scheint es, als würde es größer und größer.
Auch in Deutschland sind einige Shows geplant. Wie sieht eure Agenda für das restliche Jahr aus?
Grundsätzlich ist der Kalender für 2024 bereits voll und 2025 wird auch sehr schnell gefüllt werden, das ist großartig. Wir exportieren das Live-Set nach Deutschland und zu anderen europäischen Festivals wie z.B. dem Dour Festival. Unsere Agentur No-Hour leistet eine fantastische Arbeit, um alle Projekte in riesigen Venues auf der ganzen Welt zu verbreiten. Es ist so überwältigend, wir könnten nicht glücklicher sein. Wir bereiten auch Touren in Asien, Nord- und Südamerika und in Australien vor.
Ich bin superaufgeregt zu entdecken, wie meine Musik an diesen Orten aufgenommen wird. Ich wurde immer sehr herzlich vom deutschen Publikum aufgenommen, ich habe eine besondere Liebe für das Land. Als französische Techno-Fans haben meine Freunde und ich Deutschland als das Mutterland des Technos betrachtet, in dem wir alle spielen wollen. Und jeder Club, in den ich gegangen bin, war perfekt. Es ist lustig, denn viele Clubs in Frankreich werden von der deutschen Clubkultur beeinflusst: keine Handys erlaubt, keine riesige Lichtshow, alles dreht sich um die Musik und den Respekt füreinander, das ist wirklich mein Eindruck von Clubs in Deutschland, und ich liebe es.
Wie sieht deine weitere Agenda für 2024 aus?
Ich glaube, jeder Künstler in seiner bzw. ihrer Entwicklungsphase veröffentlicht möglichst viel, um das Publikum zu erreichen. Jetzt bin ich wählerischer, was ich wie und wann veröffentliche. Ich habe viele Zusammenarbeiten mit Künstler*innen, die ich liebe, Leute wie Neika, Protokseed, Vortek’s, Billx, Gonzi und JKLL, die super Freunde sind. Und ich darf auch mit internationalen Künstlern wie Crystal Fighters, SMACK, Ben Nicky und anderen zusammenarbeiten, die ich immer gehört und geliebt habe, das ist fantastisch!
Aus dem FAZEmag 146/04.2024
Text: Lisa Bonn
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