Deborah De Luca – Pure Entschlossenheit

Deborah De Luca – Pure Entschlossenheit

Geboren in einem der berüchtigtsten Viertel Italiens, verbrachte sie ihre Kindheit in Vele di Scampia in Neapel. Als Jugendliche zog sie nach Modena in den Norden Italiens, um Modedesign zu studieren. Sie arbeitete als Kellnerin und später auch als Tänzerin in Clubs, hatte zweitweise mehrere Jobs, ehe sie merkte, dass Musik ihre wahre Passion ist. „Du solltest dir von niemandem sagen lassen, was du werden kannst oder nicht“, erklärte sie in einem seltenen Interview. Genau diese Willensstärke hat sie dorthin gebracht, wo sie heute ist. Denn Deborah De Luca zählt heute zu den bekanntesten Akteurinnen im elektronischen Kosmos, betreibt seit 2013 ihr eigenes Label und umrundet im Jahr mehrfach den Erdball, um die wichtigsten Clubs und Festivals zu bespielen. Ende August ist mit „Devotion“ eine explosive, neue Techno-Version des legendären 90er-Jahre-Hits „Show Me Love“ von Robin S. auf NITRON erschienen, Deutschlands Dance-Label von Sony Music. Dabei hat die „Queen of Naples“, wie sie von ihren Fans genannt wird, dem Original aus 1993 einen neuen, äußerst technoiden Anstrich verpasst und dem ikonischen Vocal von Robin S. eine unerbittliche Bassline und einen markanten Groove hinzugefügt. Ein Hit, finden sowohl Kritiker, Musikliebhaber als auch ihre Fans. Ein Interview über Entschlossenheit, Ausdauer, Erfolge und sogar seltene Langeweile.

Deborah, die Festival-Hauptsaison ist in vollem Gange. Wie geht es dir zurzeit?

Hallo ihr Lieben. Mir geht es sehr gut, ich sitze im Flugzeug und bin auf dem Weg nach San Francisco, es geht natürlich in die Wüste zum Burning Man. Es ist mein erstes Mal, ich bin sehr aufgeregt!

Lass uns von vorne beginnen. Du stammst aus Vele di Scampia, einem der ältesten Bezirke in Neapel. Erzähle uns von deinen ersten Momenten, bei denen du mit Musik in Berührung gekommen bist.

Dieses Viertel hat zweifelsfrei vieles in meinem Leben beeinflusst, auch die Musik dort. Frühmorgens schalteten die Frauen in meiner Familie das Radio auf volle Lautstärke und sangen voller Inbrunst neapolitanische Lieder. Lieder, die echte, wahre Geschichten vom Leben erzählten. Es war recht einfache, aber sehr mitreißende Musik. Das alles hat mich sehr geprägt und beeinflusst mich auch heute noch und alles, was ich mit Musik mache.

Du hast als sowohl als Kellnerin als auch als Tänzerin in Clubs gearbeitet und Mode studiert, bevor du damals von Modena zurück nach Neapel gezogen bist. Wie war diese Zeit für dich?

Das stimmt, es war eine bewegte Zeit. Ich bin förmlich durch verschiedene Welten hindurch, bevor ich dort ankam, wo ich heute bin. Mir wurden die Schallplatten also nicht in die Wiege gelegt, aber definitiv die Musik, die ich von vorneherein in meinem Herzen trug. Und davon sehr viel. Ich habe hart gearbeitet, hatte zwischenzeitlich auch drei Jobs jeden Tag. Es verwundert also nicht, dass ich keine sonderlich tollen Erinnerungen an diese Zeit habe. Ich hatte damals den unbändigen Wunsch nach so viel mehr und den Willen, meinen Platz in der Welt zu finden.

Wie, würdest du sagen, hat deine Heimatstadt, aber auch die Zeit mit den ganzen Jobs dich und deinen Sound beeinflusst? Du hast mal gesagt „Wenn du vergisst, wo du herkommst, hast du keine Zukunft und keine Vergangenheit.“

Ich glaube, dass alles, und damit meine ich wirklich alles, einen großen Einfluss auf uns hat. Eine Freundschaft, eine Liebe, sogar ein Film. Das alles zusammen ist das, was wir am Ende sind. Viele Menschen ziehen es vor, ihre Vergangenheit zu vergessen oder sie hinter sich zu lassen: Ich denke, wenn du heute die beste Version von dir selbst bist, gibt es absolut keinen Grund seine Wurzeln zu verleugnen. Weil man genau diesen Weg gegangen ist, ist man heute da, wo man ist.

Vor genau zehn Jahren hast du dein Label Solamente Records gegründet. Dieses Jahrzehnt war für dich sowie für das Label eine intensive Zeit. Wie rekapitulierst du diese Zeit seit deinem ersten Release mit dem Titel „Six Months“?

Mein eigenes Label zu gründen, war definitiv ein großer Schritt für mich. Ich wollte durch meine Tracks ausdrücken, wer ich bin, ohne dass jemand anderes sie erst akzeptieren muss. Was ja de facto der Fall ist, wenn man anderen Labels seine Tracks schickt. In diesem Fall kann es bis zu 18 Monate dauern, bis sie veröffentlicht werden. Das war für mich nie wirklich eine Option, genau aus diesem Grund habe ich recht früh mein Label gestartet. Mit Hilfe eines ‚Mittelsmannes‘, der Leute kannte, die Online-Label gründen, wählte ich also einen Namen und entwarf das Logo selbst, indem ich ein Profilbild von mir benutzte und es in eine schwarz-weiße Grafik verwandelte. Wenn man sich alle meine Sachen vom ersten bis zum letzten Release anhört, kannst man den Weg, den ich eingeschlagen habe, verstehen, finde ich. Es gab in meinen Augen eine langsame, aber stetige Entwicklung in vielen Bereichen.

Welche waren deiner Meinung nach die markantesten Releases des Labels?

Das ist recht schwierig zu beantworten. Meine erste EP damals, also quasi der Startschuss war quasi der Wunsch, die Geschichte eines bestimmten Moments mit einer besonderen Person zu erzählen. Der Rest ist Geschichte. Eine Mutter kann nur schwer ihre Favoriten auswählen, aber sie hat immer ein Auge auf das neueste Baby (lacht).

2018 hast du dein Debütalbum „Ten“ veröffentlicht, eine Ode an deine zehnjährige Karriere in der Branche. Würdest du diese Veröffentlichung als einen Meilenstein bezeichnen?

Ich würde es als eine komplette Skizze dessen betrachten, was ich bis dahin gemacht habe. Und als eine Art Vorgeschmack, was die nächste Zeit mit sich bringen sollte.

Der Hype um deine Person is wahnsinnig groß dieser Tage. Wann hattest du erstmals das Gefühl, dass deine Karriere so richtig durchstarten könnte?

Das ist eine sehr gute Frage, denn ich habe nach wie vor nicht das Gefühl, dass ich irgendwo angekommen bin oder gar auf dem Kamm einer Welle sitze, obwohl das im Moment wahrscheinlich viele Leute so sagen würden. Ich bin immer extrem aufgeregt, wenn etwas Neues oder Großes passiert. Selbst nach so vielen Jahren kann ich es noch immer nicht fassen, dass ich auf Festivals wie Awakenings, Time Warp oder eben jetzt bei Burning Man spiele. Ich glaube, als die ersten größeren Festival-Anfragen kamen, fühlte es sich nach etwas Besonderem an. Ich empfinde das als eine große Ehre und bin sehr dankbar, auch wenn ich natürlich weiß, dass das alles das Ergebnis meiner Arbeit in den vergangenen 15 Jahren ist. Es gab keine ‚besonderen Freundschaften‘ oder Kontakte, keine Mitgliedschaft in einem besonderen ‚Club‘ oder irgendjemanden, der in mich investiert hat, abgesehen von mir selbst. Das erfüllt mich natürlich mit Stolz.

Du hast gerade schon einige Festivals aufgezählt. In den letzten Monaten und Jahren hast du in den berühmtesten Venues, Clubs und Festivals gespielt. Welche Momente davon bleiben für dich unvergesslich?

Jedes Mal, wenn ich zum ersten Mal auf einem derart renommierten Event, sei es Festival oder Club, spiele, war ich am nächsten Tag noch immer aufgeregt und sogar fiebrig (lacht). Ich kann dir sagen, dass, obwohl ich in den wichtigsten Clubs der Welt gespielt habe oder spiele, es immer mein Zuhause ist, das mich bewegt und aufregt: Neapel, 14. Mai 2023, 7000 Leute im Regen. Unvergesslich.

Lass uns über Musik sprechen. Wie ist dein aktueller Workflow im Studio?

In den letzten Monaten habe ich tausend Ideen und leider sehr wenig Zeit, diese zu verwirklichen. Ich beginne viele Projekte, beende sie wieder und nehme sie irgendwann dann wieder auf. So war das bei mir leider schon immer, deshalb hole ich mir Hilfe von jemandem, der mich gut kennt und der, wenn er eines meiner Projekte öffnet, dass ich um 04:00 Uhr morgens oder vielleicht auf einem Flug nach Südamerika gemacht habe, genau weiß, wie es am Ende ein vernünftiges Resultat zu hören gibt. Er hat viel Geduld mit mir (lacht).

Welche sind deine Favoriten in Sachen auf Soft- und Hardware?

Ich habe schon immer mit Ableton gearbeitet. Meine erste EP habe ich auf einem Flug nach Miami gemacht, ohne Hardware. Diese Arbeitsweise ist bis heute die gleiche geblieben. Aber wie gesagt, hole ich mir meist Hilfe, um die Projekte zu perfektionieren. Aber natürlich liebe ich echte Instrumente, ich habe viele Musikerfreunde, die ich bitte, mir ein paar Stücke auf der E-Gitarre oder dem Klavier einzuspielen. Ich liebe es, Welten zu kombinieren, von denen die Leute denken, sie seien vielleicht zu verschieden!

Aktuell dreht sich alles um dein Make Over des legendären Klassikers „Show Me Love“ von Robin S. namens „Devotion“, den du gemacht hast. Erzähl uns mehr über dieses Projekt und wie diese Idee entstanden ist.

Nach Robert Miles‘ „Children“, das ich mir sogar tätowieren ließ, dachte ich, dass es nichts mehr geben könnte, was mich aus dem Sessel springen lässt. Dann kam allerdings die Anfrage für ‚Show Me Love‘. Ich bin natürlich sehr, sehr glücklich, dass ich die Chance hatte, meinen Namen unter diesen legendären Song zu setzen. Ich habe diese Nummer unzählige Male gehört und gespielt, bevor dieses Projekt überhaupt im Raum stand. Aber es war nicht einfach, bei weitem nicht. Ich glaube, von allen meinen Projekten war es das komplizierteste. Ich war fast die komplette Zeit über nicht zufrieden. Das Master der finalen Version heißt „Show Me Love 12“, weil ich ganze zwölf Versionen davon gemacht habe, bevor ich damit glücklich war.

Für deine Fans bist du die „Queen of Naples“. Allerdings bist du auf dem besten Weg, auch in Deutschland eine Königin zu werden. Du hattest in den letzten Wochen großartige Shows hier, oder? Was ist deine Verbindung zum deutschen Publikum?

Ich finde den Begriff Königin eigentlich etwas übertrieben, aber wenn es um meine Stadt geht, akzeptiere ich ihn selbstverständlich (lacht). Nun, das deutsche Publikum ist verrückt, unersättlich was Musik angeht, und wird nie müde zu tanzen! Ich hatte in der Tat eine tolle Zeit und kann es kaum erwarten, bis ich wieder in Deutschland bin.

Was sind deine Pläne für die kommenden Wochen und Monate?

2023 ist ein sehr wichtiges Jahr für mich, das ist unbestreitbar. Wichtige Festivals, Magazin-Cover, Remixe von legendären Tracks und so viel mehr. All das geschah während und direkt nach einer sehr schwierigen Zeit in meinem Privatleben. Zwischen Scheidung, Verlust von Freunden, die ich für unabdingbar hielt, und vor allem dem Tod meines Hundes, der mich völlig fertig gemacht hat. Ich war am Boden zerstört, musste aber die Zähne zusammenbeißen und doppelt so hart arbeiten, um auf den Beinen zu bleiben. Ich ernte gerade die Früchte für meine Anstrengungen und bin sehr stolz auf mich. Aber ich glaube auch, dass es an der Zeit ist, sich etwas Zeit zu nehmen, um die einfachen Dinge des Lebens zu genießen. Ab September werde ich in Absprache mit meinem Manager ein Wochenende im Monat frei machen. Diese Zeit ist dann ausschließlich meinen Hunden, gutem Essen, Familie, Freunden, Netflix und Co. gewidmet. Vielleicht sogar der Langeweile. Das letzte Mal gelangweilt habe ich mich vor ungefähr 15 Jahren.

Du hast gerade schon deine Hunde angesprochen. In deinen Social Media Feeds sehen wir diese ziemlich oft, gemeinsam mit dir am Meer von Neapel.

Ich liebe Hunde mehr als alles andere. Eine Liebe zu Wesen, das quasi kein Leid kennt. Ich investiere viel Zeit und Geld in sie und rette jede Woche viele von ihnen durch freiwillige Helfer, die vor Ort tätig sind. Ich selbst bleibe hinter den Kulissen, mir ist der Anlass nur sehr wichtig. Das Meer ist der Ort, an dem ich lebe, der Schauplatz für jeden guten, aber auch schlechten Moment.

Apropos Neapel – wie siehst du die Szene, ihre Entwicklung und die Möglichkeiten für die Zukunft der Stadt?

Neapel erlebt derzeit in allen Bereichen eine Renaissance, auch dank des Gewinns des Scudetto. Wir sind italienischer Meister, aber für uns Neapolitaner waren wir schon immer die Besten (lacht). Neben dem Fußball und dem Tourismus spielt auch die Musik eine wichtige Rolle. Ich hoffe auf die Rückkehr der großen und wichtigen Clubs in meiner Stadt!

Aus dem FAZEmag 139/09.2023
Text: Lisa Bonn
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