
Ein Turntable ist ein Turntable ist ein Turntable. Oder auch nicht. Mit dem neuen PLX-CRSS12 wagt und schafft Pioneer DJ das, was kein Mitbewerber willens oder imstande war, zu entwickeln: Einen hybriden DJ-TT, der sich sowohl analog als auch als DVS-digital im sekundenschnellen Wechsel gleichwertig einsetzen lässt. Ohne Zusatzkomponenten wie Timecode-Vinyls, ohne ätzende Latenzen und ohne, dass ein Akku geladen werden müsste. Auf welche Weise und wie gut das funktioniert, lest ihr hier.
Ausgangspunkt PLX-1000
Was die Grundsubstanz betrifft, ist der PLX-CRSS12 eine weiterentwickelte Ausführung des PLX-1000. Der wiederum eine der wenigen echten Alternativen zum Technics-Evergreen darstellt und sogar in renommierten HiFi-Magazinen Belobigungen erhielt. Mit 453 x 159 x 353 Millimeter hat er ein klassisches TT-Gardemaß, an dem sich noch heute auch moderne Tools wie DJ-Mixer oder Media-Player orientieren, um gemeinsam eine möglichst plane Arbeitseinheit zu bilden. Er ist knapp zwei Kilogramm leichter als der PLX – aber wer möchte sich angesichts der verbleibenden 12,2 kg davon nicht eher erleichtert denn bestürzt zeigen? Er steht weiterhin wie der oft zitierte Fels in der Brandung. Damit Erschütterungen weder Nadelhopser noch Störgeräusche zur Folge haben können, setzt Pioneer DJ wieder auf ein umfassendes Dämmungskonzept. Angefangen bei den höhenverstellbaren Dämpfungsfüßen bis hin zum Zinkdruckgusschassis, das mit gleich zwei dicken Schichten aus Harz und einem Spezialmaterial Resonanzen und Vibrationen vorbeugt. Sogar die interne Mechanik des Tonarms ist mit Gummis sowie Federn entkoppelt und isoliert. Der klassische, kardangelagerte S-Tonarm selbst gibt nicht nur vor, als sei er höhenverstellbar, sondern ist es über einen Basisring tatsächlich. Auch die anderen Funktionen für die Anpassung des Nadelsystems – sprich: Gegengewicht, Antiskatingschraube, Arm-Lifter-Schräubchen – sind vorhanden und fein justierbar. Kurzum: Der CRSS12 ist ein vollständiger, robuster und
Battle-Style-Quertreiber
Dass die Japaner mit dem CRSS12 vornehmlich die scratchfreudige Hip-Hop- und Turntablism-Szene bedienen will, wird sofort am Layout des Plattenspielers erkennbar. War die Queraufstellung des Plattenspielers früher aus der Not geboren, tonarmbefreit scratchen zu können, hat Pioneer DJ daraus eine Tugend gemacht. Zwar befinden sich die klassischen TT-Funktionen unverändert an altbekannter Stelle. Also der 100-mm-Pitchfader an der rechten Außenflanke und der Start-Stop-Button unten links. Aber bereits deren um 90 Grad gedrehte Beschriftung erzwingt, dass das Wheel-of-Steel mit der kurzen (linken) Seite nach vorne, also im Battle-Style, aufgestellt werden muss. Auch die zusätzlichen Performance-Funktionen und Displays, auf die wir noch eingehen, befänden sich bei herkömmlicher Aufstellung an Positionen, bei denen man von einer ergonomischen Bedienung nicht mehr wirklich reden kann. Der Battle-Style-Aufstellung wurde auch die Anschlusssektion angepasst. Aus dem langseitigen Heck ragt nur noch das abnehmbare Kaltgerätekabel für die Stromversorgung heraus. Der Einschaltknopf und sie Audioanschlüsse sind hingegen auf die rechte, kurze Seite gewandert. Als da wären: vergoldete Phono-Cinch-Ausgänge inklusive fetter Masseschraube sowie ein USB-Port für die Verbindung mit einem Laptop und der darauf enthaltenen DJ-DVS-Software. Wer einen entsprechend ausgestatteten DJ-Mixer besitzt, schaltet natürlich diesen dazwischen. Dass die Anschlussleiste rechts sitzt, macht Sinn, denn in verdrehter Battle-Style-Aufstellung befindet sie sie folgerichtig hinten. Die Anschlussleisten sind weit hinten im Chassis eingelassen, sodass die Kabel nicht stören oder abknicken können. Zudem lassen sie sich unter dem Turntable entlangführen.
Aufgepasst, Schräubchen!
Vor dem ersten und auf Reisen vor jedem Einsatz muss auch der PLX-CRSS12 zusammengebaut werden. Das geht recht schnell. Der schwere Druckgussteller wird auf den Antrieb mit Spindel gesetzt und dort mit sechs Minischrauben fixiert. Die Schraub-Arie bitte immer durchführen, sonst fehlt der finale Halt. Kleine Schrauben neigen leider dazu, wie Socken in einer Waschmaschine mysteriös zu verschwinden. So geschehen bei unserem Testmodell. Es befanden sich nur noch fünf in der Lieferung. Die sechste schwirrt vermutlich noch bei einem Vortester herum. Hoffentlich im Bett, damit sie sie beim nächsten Liebesspiel an den richtigen Stellen piekt. Wer viel mit dem PLX unterwegs ist, sollte sich etwas für die sichere Aufbewahrung einfallen lassen und am besten Ersatzschräubchen mit einpacken. Inklusive des passenden Kreuzschlitzschraubendrehers natürlich. Oder auch zwei. Auf den Teller kommen schließlich noch die Slipmat und dazwischen bei Bedarf eine Scratchfolie, um die Reibung zu verringern. Eine Staubschutzhaube ist neben der erforderlichen Kabelage ebenfalls Teil des Lieferumfangs.
Rohrlauf 1: Klassisches Vinyl
Ab diesem Zeitpunkt lässt sich Der PLX-CRSS12 wie ein herkömmlicher DJ-Turntable nutzen. Einfach das Vinyl auf den Plattenteller legen, die Cartridge seiner Wahl auf das Wax führen und los geht’s. Naja, fast. Denn unterhalb des Tonarms in Ruheposition hat Pioneer DJ als Neuerung einen 20 x 35 mm großen OLED-Displaystreifen integriert, der je nach gewähltem Modus die wichtigsten Einstellungen und Parameter stechend klar visualisiert. Um in den traditionellen Vinylmodus zu gelangen, wählt man über den großen „Needle Mode“-Taster rechts im Display die Option „Analog“ an. Links im Display befindet sich zusätzlich eine Anzeige, die dem butterweich führbaren Pitchfader ohne Nullwert-Rasterpunkt zugeordnet ist. In ihm wird zum einen dargestellt, für welche Übersetzung man sich entschieden hat. Möglich sind +/- 8, 16 und 50 %. Die Auswahl erfolgt über mehrmaliges Betätigen des Tempo-Range-Buttons neben dem Pitchfader, wodurch man sich durch die drei Optionen steppt. Über einen weiteren Druckknopf mit der Bezeichnung „Pitch“ lässt sich zudem eine Funktion zuschalten, die die jeweilige Position des Pitchreglers und somit der Rotationsgeschwindigkeit des Tellers in Tonarten umrechnet. Sie reicht in 15 Halbtonschritten von E5 bei +8 % über A4 in Nullposition bis zu D4 bei –8 %. Was der Pioneer DJ-Neuling aber im Analog-Modus nicht anzuzeigen vermag, ist der exakte, numerische Pitchwert, den man eingestellt hat. Dabei hat er durchaus einen Utility-Modus, in dem Voreinstellungen ändern kann. Dazu gehört beispielsweise das Anlaufdrehmoment zwischen Low, Mid und High, was Torques von 2,0 kgf, 3,2 kgf und brutalen 4,5 kgf pro Zentimeter entspricht. Ebenso lässt sich die allgemeine LED-Leuchtkraft in drei Stärken einstellen. Ein Stroboskoplicht besitzt der Turntable selbstverständlich auch. Er ist dort platziert, wo er hingehört, als blaue LED in einem schlanken, versenkbaren Zylinder untergebracht. Aus ihm strahlt zugleich auch die weiße Nadelbeleuchtung. Wer’s braucht: selbst einen separaten Motor-Off-Schalter haben die Japaner ihrem Schützling spendiert. Als großer Rundbutton neben dem Start/Stop-Knopf gelegen, lässt er die Scheibe langsam austrudeln. Über einen Switch auf der Gerätestirn lässt sich zudem die herkömmliche Bremszeit drei Stufen variieren.
Rohrlauf 2: DVS per Magvel Clamp
Nun zum wesentlichen Innovations-Feature des PLX-CRSS12: Der Magvel Clamp. Sie gewährleistet, dass sich die DJ-Software in DVS-Manier ohne Timecode-Vinyl und Tonabnehmer steuern lässt. Die kreisrunde Vorrichtung wird einfach mittig über die Spindel auf eine handelsübliche 12-inch gesetzt. Dort sitzt sie dank starker Magnetwirkung ad hoc bombenfest. Mittels integrierter Feststellschraube lässt sich zudem die Andruckstärke, ergo Rutschfähigkeit der Scheibe mit den Fingern anpassen. Um in den DVS-Modus zu gelangen, schaltet man im Display über den Needle-Mode-Schalter auf „Digital Vinyl“ um. Der TT quittiert den Wechsel intern mit einem Klacken. Mittels kleiner Knopf-Buttons lässt sich nun noch bestimmen, ob man Serato oder rekordbox als DJ-Software einsetzen und welches der vier virtuellen Digitaldecks man steuern möchte. Die DVS-Steuerung über die Magvel Clamp funktioniert allererste Sahne, frei von klanglichen Latenzen oder gar Aussetzern. Scratch-artistisch darf man sich selbst als wenig versierter Turntablist hemmungslos austoben – schließlich liegt keine Nadel an, die man beschädigen oder mit der man das schwarze Gold aufreiben könnte. Im Digitalmodus zeigt das Display neben dem angewählten Deck und der eingestellten Pitch-Range ebenfalls die Tonart des Tracks sowie BPM-Geschwindigkeit an. Als Bonus hat Pioneer DJ in der linken unteren TT-Ecke eine Performance-Sektion eingerichtet, über die sich auf die zugewiesenen Funktionen in der gewählten Software zugreifen lässt. Zentrale Elemente sind vier kleine, gummierte und RGB-beleuchtete Pads, um über zwei Ebenen hinweg insgesamt acht Slots zugreifen zu können. Neben Hot Cues oder geladene Sample sind das im Falle der Serato DJ-Anwendung zum Beispiel Rolls, separierte Stem-Kanäle, Scratches und Loops. Setzt man rekordbox ein, lassen sich alternativ Pad-Effekte abfeuern und Beat-Jumps vollziehen. Da die Control-Sektion voll midifiziert ist, können zusätzlich eigene User-Modi eingerichtet werden. Möglichkeiten, weitergehende Parametereingriffe vorzunehmen, sind zwar nicht gegeben, aber das ist auch gar nicht die Intention der Sektion. Als zusätzlicher, kreativer Notnagel ist sie absolut ausreichend und lässt sich zudem hervorragend händeln.
Und der Club DJ weint eine kleine Träne
Mit dem PLX-CRSS12 hat Pioneer DJ technisch endgültig die Tür in eine Turntable-Zukunft aufgestoßen, die von Mitbewerbern bereits einen Spalt weit geöffnet wurden. So gut wie immer waren allerdings Zusatzkomponenten erforderlich, die entweder einen erhöhten Installationsaufwand erforderten oder nur halbherzig funktionierten. Pioneer DJ DJ löst das Problem mit einer kleinen Clamp, die ein vinylecht manuelles Auflegen erlaubt und dabei den Tonarm in die Ruheposition schickt. Dass sich der PLX-CRSS12 im Battle-Style-Aufbau vorrangig an die Hip-Hop- und Turntablisten-Szene wendet, ist zwar verständlich – für deren Protagonisten ist der rotierende Teller unverzichtbar, sodass hier eine entsprechend große Käufergruppe zu vermuten ist. Klassische Club-DJs müssen sich bei der Bedienung so allerdings umgewöhnen, um das Potenzial voll auszuschöpfen. Ob viele in Anbetracht des Preises von immerhin fast 1400 EUR bereit sein werden, bleibt die Frage. Was wirklich wurmt, denn die Idee, technische Umsetzung und auch der Klang überzeugen restlos. Vielleicht wird es absehbar eine Variante geben, die in traditioneller Queraufstellung selbige Vorteile ohne ergonomische Kompromisse bietet.
Aus dem FAZEmag 142/12.2023
www.pioneerdj.com